Forum: Offtopic Ein Abend mit Maja


von Karl O. (knorke)


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Hallo,

heute is mir was seltsames passiert. Hier in Leipzig hat es wie Sau 
geschneit, alle Straßen dicht, THW räumt die Innenstadt vom Schnee. 
Soweit so gut, dachte ich mir, mach ich Fotos von der Winterpracht in 
der Stadt (2 Hosen, 2 Pullis, dicke Schuhe und Kapuze, wasserdichte 
Kamera). Ich bin also den ganzen Tag durch die Kälte gezogen und hab 
geknipst.
Irgendwann wurde es Abend und ich bin Richtung Innenstadt. Da habe ich 
an einer Kreuzung eine kleine alte Frau- nennen wir sie Maja- gesehen, 
die mit ihrer Gehhilfe im Matsch einer Kreuzung feststeckte und nicht 
auf den Bürgersteig kam. Alle liefen vorbei und keiner half ihr. Also 
bin ich hin, hab ihr das Ding auf den Gehsteig gehoben und sie gefragt, 
ob sie Hilfe braucht und wo sie hin will.
Sie wolle ins Krankenhaus, dort würde eine Freundin von ihr ein Kind 
kriegen. Jo, alles klar, sicher. Sie war recht gut gekleidet- etwas dünn 
zwar-, aber 100% auf Alzheimer (oder Alki mit alkoholbedingter Demenz 
(Korsakow-Syndrom...)). Dass die Story quatsch war, war logisch. Aber 
was soll man nun tun? Die alte Frau stehen lassen? Die kommt mit ihrer 
Gehhilfe nicht weit, das Ding ist faktisch im Schneematsch versunken. 
Also hab ich sie gefragt ob ich vielleicht 
Polizei/Feuerwehr/Krankenwagen rufen soll, nee, auf keinen Fall. Naja, 
lange Story kurz, ich hab sie hingebracht, hat ewig gedauert weil auch 
ich das Ding nicht wirklich schieben konnte, halbe Stunde für einen 
Kilometer.
Unterwegs hat sie mir ihre Story erzählt, 72 Jahre, Mutter während dem 
Krieg gestorben als sie 5 war, beim Vater aufgewachsen, der war Alki, 
hat sie verkloppt, nix gelernt, bei der Post als Putzfrau gearbeitet, 
eigene Tochter mit 3 Wochen gestorben (naja, wer weiß), keine 
Angehörigen. Sie war sehr freundlich, auch nicht betrunken.
Im Krankenhaus haben mir die Schwestern, nachdem ich die SItuation kurz 
beschrieben hab, versprochen, siw würden sich um sie kümmern und ich bin 
wieder raus. Dachte mir super, alter Frau geholfen etc. Weiter Fotos 
gemacht und dann zurück zum Augustusplatz in der Innenstadt.
Weit bin ich nicht gekommen, nach 200 m sehe ich sie wieder vor mir, 
rote Steppjacke, Gehhilfe, zuckelt durch den Schnee. Da hab ich echt 
gedacht Scheiße- was denn nun? Also hab ich in 100m Abstand hinter ihr 
gewartet, sie zuckelt sehr langsam vorwärts, hab gehofft dass sie ein 
Autofahrer fragt wo sie hin will, oder die Polizei vorbeikommt. Nix ist 
passiert, 10 Leute sind an ihr vorbei, niemand hat sie angesprochen, bis 
sie plötzlich in eine kleine Seitenstraße abbog und in einem Haus 
verschwand. Als ich näher kam stand ein Schild dran: Obdachlosenraum.

Irgendwie weiß ich nicht so recht, was ich zu dem ganzen denken soll. 
Dass sie dement ist war mir von Anfang an klar. Aber hätte ich mehr 
machen sollen? War es schon zu viel? Warum hat niemand anderes versucht 
zu helfen? Was wird aus Menschen in unserer Mitte, die niemanden mehr 
haben und dann geistig abbauen? Wieso haben die sie aus dem Krankenhaus 
wieder weggeschickt? Irgendwie alles sehr komisch und traurig.

von Hans-jürgen H. (hjherbert) Benutzerseite


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Du hast Dich heute um Maja gekümmert.

Morgen macht es vielleicht ein anderer, auch wenn es nur einer von 
Hunderten ist.

Bleib hilfsbereit, das reicht. Die ganze Welt brauchst Du nicht retten. 
So wie Du es gemacht hast, ist es gut.

von El Patron B. (bastihh)


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Hans-jürgen Herbert schrieb:

> Bleib hilfsbereit, das reicht. Die ganze Welt brauchst Du nicht retten.
> So wie Du es gemacht hast, ist es gut.


Dito.

Mach dir auch bloß keine Vorwürfe! Das ganze wird dich sonst noch 
auffressen!
In solchen Momenten / Schlüsselereignissen sollte man zumindest einmal 
tief durchatem, die Augen schließen und Gott danken, dass man nicht 
alleine ist und es einem selbst besser geht.

Selbst wenn nun hier einige denken, ich hätte nen Rad ab oder würde nur 
an mich denken o.Ä bedenke, wenn du jedem helfen würdest, würde dein 
eigenes Glück vermutlich auf der Strecke bleiben..

Wie mein Vorgänger schon gesagt hat, du hast das mindeste getan / mehr 
getan als 100 Leute die an Maja drann vorbeigegangen sind.

von David .. (volatile)


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Basti B. schrieb:

> Selbst wenn nun hier einige denken, ich hätte nen Rad ab oder würde nur
> an mich denken o.Ä bedenke, wenn du jedem helfen würdest, würde dein
> eigenes Glück vermutlich auf der Strecke bleiben..

Ne, ich stimm dir da zu :)

von Terraner  . (terraner)


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Tue Gutes und sprich darüber. Das hilft oft mehr als vieles andere!

von Wegstaben V. (wegstabenverbuchsler)


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> Wieso haben die sie aus dem Krankenhaus wieder weggeschickt?

Weil sie vermutlich keine körperlichen Gebrechen / Verletzungen hatte, 
welche einen stationären Krankenhausaufenthalt erforderlich erscheinen 
ließen.

Und reineweg als Übernachtungsmöglichkeit für eine obdachlose alte Frau 
ist ein Krankenhausbett nicht vorgesehen, so traurig das auch ist


PS: Ich finde es gut, daß und wie du dich um die Frau gekümmert hast.

von Max M. (max_mikro)


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Karl, ich finde super was du gemacht hast. Weiter so!

Cheers

Max

von Tobi W. (todward)


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Echt bemerkenswert....
Wie du gesehen hast, gibt es nicht viele die Helfen so wie du es getan 
hast.

Aber ejtz auf gar ekeinen fall vorwürfe machen, du hättest zuwenig getan 
oder der gleichen. Wie Basti schon sagte, einmal durchatmen und 
versuchen zu vergessen was passiert ist.

Gruß
Tobi

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