Forum: Analoge Elektronik und Schaltungstechnik Phasengang Allpas 1. Ordnung


von Maddin (Gast)


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Hallo

hier wurde bereits einmal auf ein Problem hingewiesen, dass es wohl 
nicht so einfach ist den Phasengang von nem Allpass erster Ordnung 
auszurechnen.

http://www.techniker-forum.de/steuerungs-und-regelungstechnik-sps-78/phasengang-eines-allpass-35841.html

Ich splitte Real und Imaginärteil auf und setze den arctan (Im/Re) 
gleich -90°, weil faktisch klar ist das de Phasengang von nem Allpass 
die -90° durchschreitet. Aber den tan von -90° auszurechnen ist doch 
schonmal quatsch.

Wo liegt denn nun der Grund des Übels? So wie im angegebenen Link will 
ich nicht rechnen.

Gruß

Maddin

von Yalu X. (yalu) (Moderator)


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Hast auf der verlinkten Seite auch die Antwort von Helmut gelesen? Der
erklärt doch genau, wie man die Lehrbuchformel ganz einfach herleitet.
Diese Formel kannst du problemlos mit -90° gleichsetzen und nach der
Zeitkonstante auflösen, ohne in Konflikt mit dem Tangens von -90° zu
geraten.

von Maddin (Gast)


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Ja habe ich. Aber ich schrieb ja bereits, dass ich wie im Link NICHT 
rechnen will. Ich habe gelernt wie ich die Phase einer komplexen 
Funktion ausrechnen kann und nun will ich dies so wie ich es immer tuhe 
anwenden. Das scheint hier aber nicht zu funktionieren. Und 
mikrocontroller.net-typisch wird hier wieder gesagt: "Na dann nimm doch 
den anderen Lösungsweg"
Ich bin hier nicht auf der Hauptschule, sondern will genau verstehen 
warum das hier nicht funktioniert! Habe ich mich verrechnet? Helmut 
schrieb ja auch, dass der Lösungsweg oft Fehler hervorrruft, nicht aber 
das es hier nicht anwendbar ist.

Ich suche eine Lösung für ein Probleme, keinen Umweg.

von Guido C. (guidoanalog)


Angehängte Dateien:

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Hallo Maddin,

im Anhang findest Du die Umrechnung Deiner Lösung.

Kleiner Tipp von mir:
Bei der Übertragungsfunktion G(s) ergibt sich für s=j*Omega der Fall, 
dass Zähler und Nenner komplex konjugiert zueinander sind. Die Phase von 
Zähler und Nenner unterscheiden sich somit nur dem Vorzeichen nach. 
Derartige "Symmetrien" solltest Du ausnutzen. Dies erleichtert die 
Rechnung meist ganz erheblich.

Mit freundlichen Grüßen
Guido

von Yalu X. (yalu) (Moderator)


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Maddin schrieb:
> Ja habe ich. Aber ich schrieb ja bereits, dass ich wie im Link NICHT
> rechnen will.

Mir war nicht klar, welchen der beiden Lösungswege in dem Link nicht
deinem Geschmack entspricht. Da der erste von (von Sebastian) falsch
ist, dachte ich, dass der zweite (von Helmut) für dich ok wäre und du
ihn vielleicht nur übersehen hast.

Der Fehler von Sebastian (und offensichtlich auch von dir) liegt hier:

  phi(x) = arctan(Im(x) / Re(x))

Dieser Zusammenhang gilt nur für Re(x)>0, was aber bei der betrachteten
Übertragungsfuktion nicht immer garantiert ist. Hier sind alle zu
berücksichtigenden Fälle zusammengefasst.

  http://de.wikipedia.org/wiki/Komplexe_Zahl#Von_der_algebraischen_Form_in_die_Polarform

Da also der Ansatz bereits falsch ist, braucht man an dieser Stelle gar
nicht weiter zu rechnen. Guido C. versucht es trotzdem und kommt sogar
zum richtigen Ergebnis, aber nur deswegen, weil er einen zweiten Fehler
macht, der den ersten wieder aufhebt:

  arctan(x) + arctan(y) = arctan((x + y) / (1 - x · y))

gilt nämlich ebenfalls nicht allgemein, sondern nur für x·y<1. Das steht
auch so im Bronstein drin. Da sowohl Sebastian als auch Guido bei der
Anwendung der Formeln jeweils nur einen speziellen Fall herauspicken und
diese Fälle sich zufälligerweise decken, stimmt am Schluss zwar das
Ergebnis wieder, aber es ist nicht nachgewiesen, dass es für beliebige T
und ω gilt.

Dieses Problem hat man bei Helmuts Lösungsweg nicht: Er benutzt die
Rechenregel, dass das Argument (der Phasenwinkel) des Quotienten zweier
komplexer Zahlen die Differenz der Argumente der beiden Zahlen ist:

  phi(x / y) = phi(x) - phi(y)

In unserem Fall ist x=1-jTω und y=1+jTω, damit ist Re(x)=Re(y)=1>0,
weswegen die obige Formel

  phi(x) = arctan(Im(x) / Re(x))

uneingeschränkt auf x und y angewandt werden darf. Unter Berücksichti-
gung von

  arctan(-x) = -arctan(x)

gelangt man sofort zum richtigen Ergebnis.

Aber auch Helmuts Berechnung ist nur dann richtig, wenn K>0 ist. Da K
ein Faktor ist und wegen

  phi(x · y) = phi(x) + phi(y)

muss zum Ergebnis noch

  phi(K) = 0  für K > 0
         = π  für K < 0

hinzuaddiert werden.

> Und mikrocontroller.net-typisch wird hier wieder gesagt: "Na dann nimm
> doch den anderen Lösungsweg"

Nein! In diesem Fall wird gesagt: "Nimm den richtigen Lösungsweg." ;-)

> Ich suche eine Lösung für ein Probleme, keinen Umweg.

Ich würde nicht sagen, dass Helmuts Lösung einen Umweg beschreitet, ganz
im Gegenteil. Das merkst du spätestens dann, wenn du versuchst, den
Ansatz von Sebastian mit dem Zusatz von Guido für alle möglichen Fälle
durchzuspielen.

von Maddin (Gast)


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Oh vielen Dank, das klingt alles einleuchtend. Vielen Dank euch beiden 
für die verständliche und ausführliche Erklärungen.

von Kai Klaas (Gast)


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>Ja habe ich. Aber ich schrieb ja bereits, dass ich wie im Link NICHT
>rechnen will. Ich habe gelernt wie ich die Phase einer komplexen
>Funktion ausrechnen kann und nun will ich dies so wie ich es immer tuhe
>anwenden.

Du machst einen großen Fehler: Du erwartest von der komplexen Rechnung 
etwas, was sie dir nie automatisch geben wird, nämlich einen konkreten 
Lösungsweg für ein konkretes Problem. Damit erwartest du von einem 
Werkzeug kreativ zu sein. Aber nicht das Werkzeug ist kreativ, sondern 
du, der es verwendest. Du bist es, der bestimmt, welches Werkzeug, wie 
anzuwenden ist, weil nur du den Überblick hast.

Nimm das Allpaß-Problem. Eine simple OPamp-Schaltung, die regiert wird 
von der Knoten- und Maschenregel und der bekannten Gesetzmäßigkeit, daß, 
wenn wir uns in der Frequenzdomäne bewegen, beim Widerstand Strom und 
Spannung in Phase sind und R = U/I gilt und beim Kondensator der Strom 
der Spannung um 90° vorrauseilt und 1/w/C = U/I gilt, wenn U und I die 
Scheitelwerte von Sinusfunktionen sind. Jetzt brauchen wir nur noch zu 
wissen, wie ein idealer OPamp funktioniert und schon können wir den 
Allpaß berechnen.

Die Methode dazu ist das Zeigerdiagramm, ein mögliches Werkzeug dafür 
ist die komplexe Rechnung. In dieser Reihenfolge: Du bist der Kreative, 
der nach einer Methode vorgeht und dafür ein passendes Werkzeug 
verwendest. Wenn du dich aber einfach Hals über Kopf in die komplexe 
Rechnung stürzst, ohne das Zeigerdiagramm zumindest vor deinem 
imaginären Auge zu haben, findet du dich ganz schnell im mathematischen 
Nirvarna wieder, ohne zu wissen was du eigentlich tust.

Darum geht es in der Elektronik: Nicht blind wie ein Ochse komplex zu 
rechnen, sondern klever den Überblick zu behalten und die komplexe 
Rechnung mit Bedacht einzusetzen, aber nur wenn sie denn von Vorteil 
ist.

Du kannst eine Rätsche verwenden, um eine Schraube an deinem Motor zu 
lösen. Aber die Rätsche kann dir nicht verraten, wie man einen Motor 
baut. Analog: Du kannst mit komplexer Rechnung dein Allpaß-Problem 
lösen, aber nur, wenn du vorher weißt, an welcher Stelle du welchen Weg 
einschlägst.

Wenn du dir beispielsweise den falschen Winkel schnappst, erhälst du als 
Ergebnis:

phi = 2 x arctan (1/wRC) - 180°

Ein Blick ins Zeigerdiagramm offenbart sofort, daß auch gilt:

phi = - 2 x arctan (wRC).


Aber wer sieht schon rein mathematisch, daß man

2 x arctan (1/wRC) - 180°

zu

- 2 x arctan (wRC)

vereinfachen kann??


In deinem späteren Job verlangt man von dir den Überblick zu behalten 
und rasch zum Ziel zu kommen. Wenn du da anfängst ganz ordnungsgemäß und 
bibeltreu komplex zu rechnen, wenn es auch viel einfacher geht, bist du 
ganz schnell die Lachnummer...

Kai Klaas

von Maddin (Gast)


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Oh, janz vergessen zu Antworten.

Auch die Kai Klaas einen Dank für die ausführliche Erklärung.


Kai Klaas schrieb:
> Wenn du da anfängst ganz ordnungsgemäß und
> bibeltreu komplex zu rechnen, wenn es auch viel einfacher geht, bist du
> ganz schnell die Lachnummer...

nix Lachnummer. Ich habe etwas gelernt, dass ich neben der einfachen 
Methode nun anwenden wollte. Auch eben zur Selbstkontrolle. Das ich 
offensichtlich etwas übersehen habe musste war ja sogut wie klar.

Das ist es was man uns im ersten und zweiten Semester als Grundlage 
eingeprügelt hat (hier offensichtlich nicht ganz mit Erfolg ;) ). Immer 
die Randbedingungen, Einschränkungen und Fallunterscheidungen beachten.

Gruß

Maddin

von Kai Klaas (Gast)


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>Auch die Kai Klaas einen Dank für die ausführliche Erklärung.

Ähh, "die"?

Kai Klaas

von Maddin (Gast)


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Kai Klaas schrieb:
> Ähh, "die"?
>
> Kai Klaas

Menno, kleiner Tippfehler. Dachte das überliest du einfach :)

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