Forum: Digitale Signalverarbeitung / DSP / Machine Learning Sprachextraktor


von Der kleine Nils (Gast)


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Moin.

Ein Amateurfunkkollege hat sich einen "Lingua"-Sprachextraktor gekauft. 
Ich persönlich finde das Teil sehr interessant, weil es wirklich alles 
an Nebengeräuschen beseitigt.

Da ich mich Privat gern mit Elektronikprojekten beschäftige, stellt sich 
mir die Frage, ob man solch ein gutes Teil nicht selbst bauen kann?

Die Hardware stellt hierbei nicht wirklich ein Problem dar, aber was mag 
da Softwareseitig laufen?

Die "Hörfabrik" gibt an, dass die menschliche Sprache mit 0,8 Hz bis 7 
Hz Moduliert ist, und dass das sozusagen die Hüllkurve des Signals ist.

Ich habe ein bisschen mit MATLAB und einem aufgenommenen Sprachsignal 
gespielt. Mit "klassischen" Filtern konnte ich auch gute Ergebnisse 
erzielen (Wiener Filter z.B.).

Die Frage die sich mir stellt ist jedoch, wie meinen die das mit der 
Hüllkurve des sprachsignals?

Hat jemand sowas schonmal gemacht und kann mir da mal einen guten Tritt 
in die richtige Richtung geben?

von Christoph db1uq K. (christoph_kessler)


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Erst mal der Link: http://www.hoerfabric.de/2/Technologie/
ich sehe die großformatige Werbung schon ziemlich lange, aber habe noch 
keine Unterlagen oder Tests dazu gelesen. Ich denke, es ist ähnlich den 
"Automatic notch filter" DSP-Programmen, auch wenn die blumige 
Beschreibung etwas anderes erzählt.

Softwarebeispiele sind selten, da läßt sich kaum einer in die Karten 
schauen. Eine alte Ausnahme ist das hier:
http://det.bi.ehu.es/~jtpjatae/fuentes/filtros/qrn.asm
"QRMQRN.ASM -- LMS Automatic Notch and Noise Filter - Provides Automatic 
Notch Filter (QRM reductor) andNoise Filter (QRN reductor) based on the 
LMS algorithm." 1993 auf Motorola DSP56k

LMS bedeutet "least mean square"

von Markus B. (russenbaer)


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Hallo,

Ich hab bei dem Ding eine Frage:

Ist das in Amateurfunkkreisen tatsächlich ein Ding das verbreitet ist?

D.h. gibts dafür einen größeren Markt?

Oder hat sich da (nach Deiner Einschätzung) ein Amateurfunker hingesetzt 
und verdient sich ein kleines Zubrot mit der Entwicklung und Vermarktung 
eines Gerätes das er für sich selber gebaut hat?

Um auch was technisch sinnvolles in die Diskussion einzugeben:
Mit LMS oä. würd ich bei dem System gar nicht anfahren.
Mein Zugang wäre:

- Einhüllendenextraktion
- Bestimmung der Modulationsfrequenz
- Ausserhalb des Zielbereichs der Modulationsfrequenz: unterdrücken des 
Signals

=> ich schätze das die das sehr ähnlich machen, man sieht in den Youtube 
videos wie die Leute mit dem Drehknopf herumspielen. Da dürfte die 
Unterdrückungsfunktion geändert werden - Hört man an den Artefakten bei 
(zu) starker Unterdrückung.

Das kann man dann auch in mehreren Frequenzkanälen machen. Dadurch 
wird's auch besser.


Interessant wär auch der Artikel vom Link vom Christoph:
"Using The LMS Algorithm For QRM and QRN Reduction"
Reyer, S., Hershberger, D.;
QEX, September 1992

Hat den Artikel irgendwer von Euch?

Kurze Suche mit Dr.Goggle hat leider nichts sinnvolles gebracht.

lg
Markus

PS: Warum wird sowas nicht gleich direkt in Funkgeräte (moderne) 
eingebaut?

von funksi (Gast)


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> Ist das in Amateurfunkkreisen tatsächlich ein
> Ding das verbreitet ist?

Nein, unter den sehr ernsthaften Funkern (die an die Grenzen gehen: 
Contester (Funkwettbewerbe) und DXer (Ländersammler) ist diese Kiste 
kaum bis gar nicht verbreitet. Aus gutem Grund.

Natürlich verbessert sie vielleicht den subjektiven Höreindruck, aber 
etwas hörbar machen, was ein wirklich geübtes Ohr (+ Gehirn) und die 
Standardmittel morderner Funkgeräte (Notch-Filter, Passband-Shift, etc.) 
nicht schaffen, schafft auch bestimmt kein DSP, der nur noch am Ende 
auf der Audio-Ebene arbeitet.

von Der kleine Nils (Gast)


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Ich kenne einige Leute, die sich das Teil extra für's Auto gekauft 
haben.

funksi schrieb:
> Natürlich verbessert sie vielleicht den subjektiven Höreindruck, aber
> etwas hörbar machen, was ein wirklich geübtes Ohr (+ Gehirn) und die
> Standardmittel morderner Funkgeräte (Notch-Filter, Passband-Shift, etc.)
> nicht schaffen, schafft auch bestimmt kein DSP, der nur noch am Ende
> auf der Audio-Ebene arbeitet.

Da gebe ich dir recht. Die Leute, die ich kenne nutzen das Teil aber 
nicht im Empfangs- sondern im Sendeteil. Damit filtern die dann alles 
weg, was bei Ihnen selbst an Nebengeräuschen ist. (KFZ Lärm usw.)

Einige Funkgeräte haben allerdings sowas ähnliches zu verwenden - 
ebenfalls im Sende-Teil. Unsere Feuerwehr hat ein Löschgruppenfahrzeug 
mit eingebauter TS im Heck des Fahrzeugs. Das Teil macht einen höllen 
Lärm. Der Maschinist hat am Heck ebenfalls die Möglichkeit sich am Funk 
zu beteiligen, über einen Hörer am Heck. Da ist echt super viel Lärm. 
Alles mitten im Sprachfrequenzbereich. Und auf der Gegenseite hört man 
davon... NICHTS. Null. Die eingesetzten Funkgeräte sind von Sepura, was 
noch drin ist, weiß ich nicht genau.

Insofern will ich mal sagen, dass generell schon ein Markt hierfür 
vorhanden ist. Zumindestens für die Technik.

von Axel R. (Gast)


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Gibt/gab es auch als Handmikrofon "ML90-DSP" von 'nem bekannten 
Behördenausrüster mit dem "ei" in der Mitte. Das war auch so ein 
"Wunderding". Wurde bei Einsätzen in Fußballstadien getestet. Ebenfalls 
mit sehr guten Ergebnissen.
Da sitzen Experten mit viel (Software)Erfahrung am Werk. Diese Routinen 
werden natürlich auch gehandelt und finden in vielen ähnlichen Produkten 
Verbreitung. Das macht kein Amateur mal eben so für sich allein...

von Christoph db1uq K. (christoph_kessler)


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Zum QEX-Artikel:
http://www.box73.de/product_info.php?products_id=87
QEX CDROM 1981-1998 44,95 €

Erinnert ihr euch noch an den "Wuwuzela"-Extraktor? Da hat (ich meine 
Fraunhofer?) eine Unterdrückung dieses Lärms für die Rundfunkmikrofone 
entwickelt. http://de.wikipedia.org/wiki/Wuwuzela (unten mit Fussnoten 
37-39).

: Bearbeitet durch User
von J. S. (engineer) Benutzerseite


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Hm, also das beschriebene Verfahren ist ja noch kein Sprachextraktor, 
sondern ein Nebengeräuschunterdrücker und das funktioniert üblicherweise 
nicht nur durch Algorithmik sondern auch durch die geeignete Aufnahme 
der Störgeräusche mit einem Nebenmikrofon, oder die Prozessierung des 
Signal aus einem Stereomikro, das als Dual-Mono betrieben wird. Dabei 
macht man sich die Richtcharakteristik dieser Anordnung zunutze.

Der Wuwuzela-Entferner istnochmal was anderes: Er berechnet Amplitude 
und Phase dieser "Störung" und zieht sie aus dem Signal ab, was gut 
funktioniert, weil es sich um sehr simple Töne handelt.

von Christoph db1uq K. (christoph_kessler)


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Die ELV hat einen Bausatz mit zwei hintereinander sitzenden 
Elektretmikrofonen. Bei Nahbesprechung gibt es genügend 
Schallunterschied zwischen beiden, auf größere Entfernung nehmen sie 
etwa dasselbe Signal auf. Durch Differenzbildung können so Störgeräusche 
unterdrückt werden.

So oder auch rein akustisch dürften diese Funkmikrofone arbeiten. Für 
den Zweck ist das viel besser geeignet als irgendein DSP-Kästchen 
dahinter, das mit irgendwelchen geheimnisvollen Berechnungen die Sprache 
wieder hervorhebt.

Hier geht es ja um den Empfang.
Der allgemeine Suchbegriff lautet "adaptive (oder auch optimizing) 
filter". Die übliche Erklärung geht etwa so: man hat ein "Muster" der 
Störung (oder des erwünschten Signals) vorliegen, und das Filter 
versucht, dieses zu unterdrücken bzw. hervorzuheben. Das Blockschaltbild 
ist ein klassischer Regelkreis mit Ist- und Sollwerteingang. Über dieses 
Prinzip gehen die meisten Lehrbücher leider nicht hinaus. Vor allem die 
Frage, wie man das "Muster" bestimmt, wird meistens weggelassen.

: Bearbeitet durch User
von Andreas S. (andreas) (Admin) Benutzerseite


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Jürgen Schuhmacher schrieb:
> Hm, also das beschriebene Verfahren ist ja noch kein Sprachextraktor,
> sondern ein Nebengeräuschunterdrücker und das funktioniert üblicherweise
> nicht nur durch Algorithmik sondern auch durch die geeignete Aufnahme
> der Störgeräusche mit einem Nebenmikrofon, oder die Prozessierung des
> Signal aus einem Stereomikro, das als Dual-Mono betrieben wird. Dabei
> macht man sich die Richtcharakteristik dieser Anordnung zunutze.

Wenn man durch mehrere Mikrofone räumliche Informationen hat, dann kann 
man einiges machen. Z.B. einen adaptiven differentiellen Beamformer 
(http://citeseerx.ist.psu.edu/viewdoc/download?doi=10.1.1.216.7924&rep=rep1&type=pdf). 
Einkanalige Verfahren zur Störreduktion verbessern zwar u.U. die 
subjektive Qualität, bringen für die Sprachverständlichkeit aber wenig.

> Der Wuwuzela-Entferner istnochmal was anderes: Er berechnet Amplitude
> und Phase dieser "Störung" und zieht sie aus dem Signal ab, was gut
> funktioniert, weil es sich um sehr simple Töne handelt.

So simpel geht es leider nicht wenn sich 1000 Vuvuzelas überlagern. Das 
macht man eher mit adaptiven Kammfiltern.

von Der kleine Nils (Gast)


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Christoph Kessler (db1uq) schrieb:
> man hat ein "Muster" der
> Störung (oder des erwünschten Signals) vorliegen, und das Filter
> versucht, dieses zu unterdrücken bzw. hervorzuheben.

Ich habe mit einem Wiener-Filter experimentiert und dazu habe ich kein 
"Muster" der Störung benötigt.

Christoph Kessler (db1uq) schrieb:
> Der allgemeine Suchbegriff lautet "adaptive (oder auch optimizing)
> filter".

Adaptive Filter passen ihre Übertragungsfunktion selbstständig an. 
http://de.wikipedia.org/wiki/Adaptiver_Filter
Das geht schon in die richtige Richtung, da sich die Störungen ja 
durchaus ändern können.

Jürgen Schuhmacher schrieb:
> Der Wuwuzela-Entferner istnochmal was anderes: Er berechnet Amplitude
> und Phase dieser "Störung" und zieht sie aus dem Signal ab, was gut
> funktioniert, weil es sich um sehr simple Töne handelt.

Die 0815 Wuwuzela-Entferner waren einfach nur klassische Notch-Filter, 
die genau auf dem Frequenzband der Wuwuzela lagen. Das konnte man 
meistens auch hören, da irgendwelche Frequenzen in der 
Kommentatorsprache zu hören waren.

von Michael A. (michiavelli)


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Der kleine Nils schrieb:
> Ich habe mit einem Wiener-Filter experimentiert und dazu habe ich kein
> "Muster" der Störung benötigt.

Aber man braucht doch ein Referenzsignal, um die Wiener Koeffizienten zu 
berechnen.

Für welche Anwendung hast du das Wiener Filter denn verwendet und wie 
hast du die Koeffizienten berechnet?

von Christoph db1uq K. (christoph_kessler)


Angehängte Dateien:

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Die QEX-CD habe ich hier, der Artikel besteht aus sechs Seiten in 
Pixelgrafik (jpg/tif). Hier die letzte Seite mit einer Literaturangabe 
von 1975.
Die andere Literaturstelle nennt einen Artikel im selben Monat 9/92 der 
"QST" vom selben Autor. Der hat die Software dazu hier veröffentlicht:
http://www.w9gr.com/lmstms.html

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