Forum: Analoge Elektronik und Schaltungstechnik Warum kann der Zählergrad nicht höher sein als der Nennerfrad bei einer Ü-Funktion ?


von Sebastian (Gast)


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Hallo,

mir ist nicht klar, warum bei der Übertragungsfunktion in der 
Regelungstechnik  physikalisch der Zählergrad m der Übertragungsfunktion 
nicht höher sein kann als der Nennergrad n, solche Systeme seien 
physikalisch nicht realisierbar, aber warum ?

Woran erkennt man das bzw. wie begründet sich obige Aussage?

von Sebastian (Gast)


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Übertragungsfunktionen mit m>n sind gerätetechnisch nicht
realisierbar.

von TestX .. (xaos)


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Ein System mit m=>n ist ein Nicht-kausales-System - d.h. die 
systemantwort kommt vor dem ereignis...

von Sebastian (Gast)


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Andi ... schrieb:
> Ein System mit m=>n ist ein Nicht-kausales-System - d.h. die
> systemantwort kommt vor dem ereignis...

Geht das vll. etwas genauer?

von TestX .. (xaos)


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Wie "genauer" ? Was willst du konkret wissen ?

von ich (Gast)


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Genauer:
Nicht Kausal!
Also du kriegst nen schalg BEVOR du den Stecker eingesteckt hast.
Oder: Die Lampe geht an 5 sec. BEVOR der Schalter betätigt wird, oder 
Doctor WHO kann auf Fragen antworten bevor sie gestellt werden (Äh ok 
schlechtes Beispiel).
MfG
ich

von Sebastian (Gast)


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Ja mit genauer meine ich, dass mathematisch zu begründen, d.h. anhand 
der einfach differentialgleichung, wie kann man begründen, dass das 
system nicht-kausal ist?

von A. S. (rava)


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Ist tatsächlich nicht ganz einfach.

Einfach ist es im Zeitdiskreten Fall. Da kannst du einfach eine 
Differenzengleichung hinschreiben und siehst, dass du das Ergebnis 
out[n] erst zu einem Zeitpunkt n+k berechnen kannst, wenn du alle Werte 
bis hoch zu in[n+k] kennst.
Die Systembeschreibung sieht aber diesen Zeitversatz nicht vor, also 
musst du in[n+k] schon zum Zeitpunkt n wissen. Das System ist 
nichtkausal.

Im kontinuierlichen Fall sieht's ähnlich aus. das einfachste 
nichtkausale System ist
out(t) = s * in(t),
also ein Differenzierer.

naja und die Ableitung ist definiert als der Grenzwert von (in(t+dt) - 
in(t-dt)) / dt
Ganz pragmatisch: dt wird nie exakt 0, und daher schaut der 
Differentiator immer etwas in die Zukunft.

Da steckt noch bisschen mehr dahinter, denn für die Ableitung braucht 
man eigentlich noch mehr also nur einen kurzen Blick in die Zukunft. Die 
exakte Ableitung erfordert, dass das ganze Signal bekannt ist, bis 
t-->+inf
Aber je mehr Zeitversatz du zulässt, desto besser wird die Approximation 
der Ableitungen in realisierbaren Differenziergliedern.

: Bearbeitet durch User
von Helmut S. (helmuts)


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Wenn Zählergrad > Nennergrad dann geht |F(jw)| gegen unendlich für hohe 
Frequenzen. Damit würde man eine unendlich hohe Energie benötigen bzw. 
erzeugen.

von Udo S. (urschmitt)


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Poste doch einfach den genauen Aufgabentext. :-)

Man kann sich ausserdem auch bedanken, das nennt man "höflich sein".
statt:

Sebastian schrieb:
> Geht das vll. etwas genauer?

von Sebastian (Gast)


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A. S. schrieb:
> mehr also nur einen kurzen Blick in die Zukunft. Die
> exakte Ableitung erfordert, dass das ganze Signal bekannt ist, bis
> t-->+inf
> Aber je mehr Zeitversatz du zulässt, desto besser wird die Approximation
> der Ableitungen in realisierbaren Differenziergliedern.

Tut mir leid, ich wollte nicht unhöflich sein.

Es gibt keinen Text dazu, das ist eine Frage, die ich mir Stelle, da das 
nahezu in jedem RT-Buch steht, jedoch für mich keine plausible Erklärung 
finde...!?!

von Tobias P. (hubertus)


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Hallo,

die Erklärung ist ansich keine so grosse Sache. Deine 
Übertragungsfunktion sei:

mit
 bzw.
 der Laplace-Transformierten des Eingangs- bzw. Ausgangssignals deines 
Übertragungssystems.

Kreuzweises Ausmultiplizieren ergibt:

wenn jetzt der Zählergrad m grösser ist als der Nennergrad, dann 
erkennst du jetzt schon, dass auf der rechten Seite bei U mehr 
Ableitungen stehen als auf der linken Seite bei Y. Angenommen, m=3 und 
n=2, dann ist dein Zählergrad in der Tat höher als der Nennergrad. Man 
erhält für dieses Beispiel:
Du kannst beide Seiten durch
 dividieren, dann erhältst du:
Die inverse Laplace-Trafo davon lautet doch dann:
Jetzt solltest du auch sehen, warum es nichts bringt, wenn du beide 
Seiten durch
dividierst, denn dann hättest du auf der linken Seite nur Integrale von 
y(t), aber dich intressiert ja nicht wirklich das Integral von y(t), 
sondern dein Systemausgang y(t)...

Auf alle Fälle ist auf der rechten Seite noch immer eine Ableitung von 
u(t). Und das geht nicht. Anschaulich: um die Steilheit einer Kurve in 
einem gegebenen Punkt zu bestimmen, musst du den 'zukünftigen' Verlauf 
der Kurve kennen. Wenn du dort nicht weisst, wie es weiter geht, dann 
kannst du auch die Steilheit nicht bestimmen, aber nichts anderes wäre 
die Ableitung d/dt ja... oder mathematisch:
Im Zähler kommt
 vor, und obwohl Delta t beliebig klein gemacht werden kann, bedeutet 
das dennoch, dass du, zum Bestimmen der Ableitung, 'ein wenig' in die 
Zukunft guckst, was nicht möglich ist.

Umgekehrt, wenn der Zählergrad kleiner oder maximal gleich dem 
Nennergrad ist, dann kann man genauso verfahren, wie ich es oben 
angedeutet habe: man kann durch die grösste Potenz von s dividieren und 
kann dann alle Ableitungen so 'entfernen' und alles mit Integralen 
ausdrücken, und die kann man ja einfach berechnen, denn dazu musst du 
nicht in die Zukunft gucken, musst wohl aber alle vergangenen Werte 
kennen und aufsummieren, und das ist ja 'kein Problem'.

von Tobias P. (hubertus)


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Nachtrag:

im Diskreten funktioniert das übrigens genauso:
Ausmultipliziert:
Beispiel m=3 und n=2:
Und jetzt wieder durch die grösste Potenz von z dividieren ergibt
Und jetzt wieder Rücktrafo in den Zeitbereich:
Auch hier brauchst du also wieder eine Glaskugel, denn du brauchst einen 
zukünftigen Wert, nämlich u[k+1]. Und auch hier würde es nichts bringen, 
wenn du einfach beide Seiten durch z^{-3} dividierst; rechts wäre zwar 
alles super, aber auf der linken Seite würdest du nur noch vergangene 
Werte von y berechnen, niemals aber den aktuellen Wert, aber genau der 
ist es ja, was dich interessiert ;-)

von Tobias P. (hubertus)


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Ah ja, und noch ein letzter Nachtrag:

Es ist sowohl im Kontinuierlichen als auch im Zeitdiskreten nicht 
möglich, in einem realen System, eine Ableitung zu berechnen. Man kann 
sie approximieren, was z.B. bei PID-Reglern angewandt wird (D steht ja 
für Differenzieren, und genau das versucht man anzunähern, da es exakt 
nicht möglich ist). Im Kontinuierlichen geschieht die Approximation mit:

Hier ist der Zählergrad gleich dem Nennergrad, das System ist also 
realisierbar. Tv heisst Vorhaltezeit, und je kleiner Tv ist, desto 
besser wird die Approximation.

Im Zeitdiskreten gibts auch eine ähnliche Approximation. (aktueller Wert 
minus alter Wert)

von Die Welt geht vor die Hunde (Gast)


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danke für die Ausführung Tobias, war auch für mich interessant.

von Dussel (Gast)


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Im Moment bin ich nicht im Thema drin und um mich reinzuarbeiten habe 
ich keine Zeit, aber wie wäre es zu betrachten, wenn man Zähler durch 
Nenner teilt? Wenn der Zählergrad größer als der Nennergrad ist, kommt 
da doch mindestens ein Polynom und ein echter Rest mit Zahlergrad 
kleiner als Nennergrad raus. Wie würde sich dieses Polynom auswirken?

von Tobias P. (hubertus)


Angehängte Dateien:

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@Dussel
habe ich mir so jetzt noch nie überlegt, aber intuitiv:
Wenn der Zählergrad z.B. 3 ist und der Nennergrad 2, dann kommt 
unweigerlich etwas mit s .... heraus.
Ich war jetzt zu faul, um es von Hand zu rechnen :-) und habe mal 
wxMaxima befragt. Siehe Screenshot - links der Quotient, rechts der 
Rest. Wie du siehst, hat der Quotient noch immer Zählergrad > 
Nennergrad, der Rest hat Grad 0 (Konstante). Eigentlich logisch... Es 
wäre also nicht so, dass der Rest dann echt  gebrochen ist, wenn man die 
Polynomdivision ausführt.

: Bearbeitet durch User
von Jan R. (Gast)


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Oh,

stimmt, genau genommen ist der PID-Regler nicht Kausal, deshalb auch die 
Parasitäre Zeitkonstante.

von Sebastian (Gast)


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Tobias Plüss (hubertus)  vielen vielen vielen Dank für deine Mühe.

Das hat mir sehr viel geholfen !!!

Und es ist nun klar, super ...!

Dankeschön

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