Forum: Analoge Elektronik und Schaltungstechnik Analyse & Kategorisierung von Regelstrecken


von Manuel W. (multisync)


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Hallo zusammen,

ich bin gerade eben dabei, mich in die Grundlagen der Regelungstechnik 
einzuarbeiten.

Aktuell habe ich mit folgendem Verständnisproblem zu kämpfen:

1.) Geschwindigkeitsregelung.
Es soll eine konstante Geschwindigkeit erreicht werden. Mit P- und 
D-Regler kann dieser nicht erreicht werden → Bleibende Regelabweichung. 
Es wird also ein I-Regler benötigt.

2.) Ausbalancieren eines Balles.
Auf einem kippbaren Balken soll eine Kugel in der Mitte ausbalanciert 
werden. Meiner Logik nach müsste hier ein I-Regler fehl am Platz sein. 
Selbst wenn es der Rest der Regelung irgendwie geschafft hätte, dass die 
Kugel mit v=0 in der gewünschten Position liegt, hätte der I-Regler ja 
immernoch den aufintegrierten Wert der vergangenen Regelabweichung 
gespeichert. Er würde die Kugel daher aus der gewünschten Position 
bewegen.


Was ist der formale Grund dafür, dass man bei Beispiel 1 ein I-Glied 
benötigt, und bei Beispiel 2 anscheinend nicht?

Meine Vermutung (basierend auf dem Wissen das ich mir über 
Wikipedia-Artikel angeeignet habe):

1.)
zeigt eine Regelstrecke mit Ausgleich. Der Grund ist, dass sich die 
Ausgangsgröße (die Geschwindigkeit) nach unendlicher Zeit der 
Eingangsgröße (Motoransteuerung) annähert. Zwischen ihnen liegt nur mehr 
der Proportionalitätsfaktor.
→ I-Regler notwendig.

2.)
zeigt jedoch eine instabile Regelstrecke. Der Grund ist, dass die 
Regelstrecke zwei I-Glieder beinhält. Das erste wäre die 
Kugelgeschwindigkeit als Integral der Kugelbeschleunigung (die ja von 
der Balkenneigung abhängt), und die zweite die Kugelposition als 
Integral der Kugelgeschwindigkeit.
→ I-Regler kontraproduktiv.


Könnt ihr mir sagen, ob mein Gedankengang so korrekt ist?
Ich grüble schon den ganzen Tag über diversen Wikipedia-Artikeln, aber 
hier stoße ich mit dem Selbst-Erarbeiten an meine Grenzen.


Danke! :-)

von Alex (Gast)


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Ein Regler ist dann stabil, wenn die Phase der Gegenkopplung (deutlich) 
weniger als 180° hat oder dann die Reglerverstärkung (deutlich) kleiner 
1 ist.
Zwei I-Glieder als Regelstrecke machen aber 2 x 90° = 180° 
Phasenverschiebung. Deshalb kann weder ein I-Glied noch ein P-Regler 
stabil sein. In diesem Fall braucht es ein D-Glied mit -90° und der 
Zeitkonstante einer I-Komponente um eine I-Strecke zu kompensieren und 
die Phasenverschiebung auf 90° zu senken. Dann kann man mit einem 
zusätzlichen P-Anteil die Regelabweichung minimieren.

Wenn die Regelstrecke schon mindestens einen I-Anteil hat, dann bleibt 
auch mit einem P-Regler keine Regelabweichung übrig - deshalb ist dafür 
ein I-Regler völliger Quatsch.

Wenn die Regelstrecke nur ein P-Glied ist, bleibt mit einem P-Regler 
immer eine kleine Abweichung übrig, dann sorgt der I-Anteil dafür, dass 
keine Regelabweichung übrig bleibt.

Ansonsten ist Regelungstechnik ein sehr komplexes Thema man kann ganze 
Bücher darüber schreiben.

von A. S. (rava)


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Ich kenn jetzt dein mathematisches Vorwissen nicht, aber man kann recht 
zügig beweisen, dass eine offene Kette (Strecke + Regler) mit 
integrierendem Verhalten stationär genau ist (keine bleibende 
Regelabweichung).

Dazu transformiert man die offene Kette in den laplace-Bereich und 
schließt den Regelkreis. Nun kann man die Übertragungsfunktion von 
Führungsgröße auf Fehler bzw. Führungsgröße auf Ausgang ermitteln.
Wendet man den Endwertsatz an, erhält man 0 bzw. 1 für diese beiden 
Beziehungen.

Wenn jetzt deine Strecke nicht integrierend ist, dann brauchst du ein 
I-Glied im Regler, um stat. Genauigkeit zu erreichen.
Das hängt aber sehr oft auch nur von den Ein- und Ausgangsgrößen deines 
Systems ab. Bei instabilen Balanceproblemen (inverses Pendel, Ball, 
Rakete, ...) wird in der Regel der Ort/Winkel geregelt und nicht die 
entsprechenden Ableitungen Geschwindigkeit/Winkelgeschwindigkeit.
Die Eingangsgröße ist aber meistens dieselbe (irgendeine Kraft/Moment). 
Da siehst du schon, dass die Strecke bei Positionsregelungen ein 
Integrationsschritt mehr im System hat...

von Bernd (Gast)


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Bin auch am Thema. Kennt jemand gute Tutorials die über Wikipedia 
hinausreichen?

von A. S. (rava)


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das sind keine tutorials, aber ich glaub auch nicht, dass es mit 
tutorials einfach so geht...

http://books.google.de/books?id=etyrPAAACAAJ&dq=föllinger+regelungstechnik

http://books.google.de/books?id=yRTfnpVx-GUC&printsec=frontcover&dq=lunze+regelungstechnik

dürfte jede Bib einer TU haben.

von Manuel W. (multisync)


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Danke für die Antworten! :-)

Ich bin noch damit beschäftigt über eure Antworten nachzudenken. Ich 
glaube, die Grundzüge verstanden zu haben. Um sicherzugehen will ich 
dazu noch was schreiben, bzw. Rückfragen stellen, jedoch brauche ich 
noch etwas Zeit um meine Gedanken auszuformulieren.

Ich melde mich wenn ich näheres weiß. Spätestens am Wochenende.


(Im Grunde genommen poste ich nur, damit es nicht so aussieht als wären 
eure Antworten umstonst gewesen. Ich finde es immer sehr frustrierend 
wenn sich der Themenersteller nicht mehr meldet.)

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