Forum: Ausbildung, Studium & Beruf Anekdoten aus der Berufspraxis: Das totgesparte Projekt


von M.H. (Gast)


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Frust und Unverständnis am Sonntag abend: Ab morgen habe ich unerwartet 
frei und muss / darf neue Projekte annehmen. Grund: Das derzeitige 
Projekt wird eingestellt und ich erhalte 50% Abschlag auf die kommende, 
noch bestellte Woche. So sieht es in deutschen Firmen heute aus:

April: Ich bekomme einen Anruf eines Dienstleisters, der nach 
Unterstützung in einem Projekt sucht. Der Kunde mus eine Schaltung 
optimieren , um sie in seinem Gerät zu verwenden. Da die Leute fehlen 
und die Zeit knapp wird, sucht man externe Hilfe. Nach 2 Tagen 
Verhandlung und Vorstellung gab es den Vertrag und ich legte los.

Das Projekt (die Branche kann ich nicht nennen, ohne mich und das 
Projekt und die Firma bloss zu stellen) stellte sich so dar, daß eine 
Schaltung zur Steuerung einer Baugruppe gesucht wurde. Ich hatte aus 
Erfahrung auch die Ideen, konnte per SPICE beweisen, dass es geht und 
die Kostenrechnung ergab, daß insgesamt knapp 40,- Euro pro Baugruppe 
und weitere 20,- Euro an Montage wegfallen. Macht bei 25.000 Einheiten 
im Jahr abzüglich der zusätlzichen Kosten für die Einführung über 
200.000 Euro im Jahr und damit eine 2 Millionen über die 10 
Verkaufsjahre. Damit würde die Baugruppe wieder so billig, daß man sie 
im Hause produzieren kann und nicht aus Rumänien importieren muss 
(Angebot aus Hermannstadt liegt vor!)

Das würde Arbeitspläze sichern und mein gesamter Aufwand (und der 
Verdienst des DL) wäre locker mitbezahlt. Nun ist es freilich so, daß 
ich auch einige Infos brauche, sowie jemanden, der mir die Testapparatur 
aufbaut. Da es natürlich keinen gibt, der das tut, muss ich alles selber 
machen. Ferner ist auch keine Grundplatine da, an der ich testen kann - 
es wurden nicht genug bestellt, sodaß sich die einzelnen Abteilungen 
(Software, Mechanik, System und QK) gegenseitig die Prototypen 
weggenehmen. Grund: Der Hauptprojektleiter hatte nur 10 Prototypen der 
Hauptplatine genehmmigt, statt der nötigen 15-20 (5 Abteilungen, 2 für 
jedne + Reserve), weil er Kosten sparen will, damit er mehr Bonus 
bekommt.

Das geile System in dieser Firma ist nämlich das, daß man Boni erhält, 
wenn man Einspaarungen bennennen kann. Da eine Anforderung von 20 
vorlag, konnte er so 10x 850,- = 8500,- Euro sparen und sich davon 20% 
einstreichen. Hätte man 40 Platinen bestellt, wäre sein Gewinn nochmal 
höher.

Da nun zu wenige PLatinen da waren (Dank der typischen Fertigunsprobleme 
gehen einige nicht, fallen aus, oder werden kaputtgemacht) werden 
stöndige Platinen getauscht und Zeit totgeschlagen. Ich hatte lange gar 
keine, entwicklete mit SPICE ins Trockene und konnte meine fertig 
geliferte Zustzplatine nur theoretisch vermessen. Gerade 2 Tage und an 2 
Wochenenden hatte ich im Sommer so ein Teil auf meinem Platz. Eine 
eigene bekam ich dann erst im August.

Jetzt habe ich mich voll reingehängt, alle optimiert und musste mir dann 
nach Freigabe der letzten Änderungen belehren lasen, daß ich zwei Wochen 
zu spät sei und damit die Änderungen nicht mehr reinkommen. Ohne die 
funktioniert es aber nicht und mein Prototyp ist, wenn man ihn in der 
derzeitige Version einfriert, nicht im neuen System nutzbar. Da damit 
das alte board verwendet werden muss, fallen die Einspaarungen weg und 
da damit dann die maximalen Herstellungskosten erreicht werden, ist kein 
Busgrt mehr da, um Optimierungen anzustossen. Ergo wird mein 
Optimierungprojekt beendet.

Würde man mir vertrauen oder mich besser unterstützt haben, so wäre ich 
VOR dem Zeitpunt fertig geworden - respektive werde ich es fertig 
bekommen, soßaß ich allein für dieses Jahr ja noch die Spaarreserve 
habe. Spätestens im zweiten Jahr würde es sich rentieren, auch wenn ich 
noch ein Jahr rbrauchen würde. (Es wären real 1-2 Monate für die gesamte 
Einführung)

Nun kommt es aber oberdick: Da auch andere ihre Kostenrahmen 
überschreiten, ist man nun im System, also im gesamten Gerät zu teuer 
und der Verkauf wird zu wenig Gewinn bringen und damit zu wenig Rendite. 
Somit hat die Konzernleitung nun beschlossen, das gesamte Projekt zu 
canceln. Was di Leute dort in Zukunft bauen sollen, weis keiner. 
Wahrscheinlich war das ein weiterer Sargnagel auf den Standort.

Wohlgmerkt: MIT meiner Optimierung, die wie gesagt LÄUFT! und nur noch 
eingeführt werden muss, währe soviel gespart worden, daß andere zwar 
überschreiten, das System aber unter den anvidierten HSK blieben. Die 
Rechung ist allen klar, aber es wird trotzdem eingestellt.

Der Projektleiter, der mit seiner Sparwut, das Ganze mit zu verantworten 
hat, hat bereits einen neuen JOb in dem Konzern, wird gemunkelt.

von Der Hubert (Gast)


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Nunja, mal abgesehen davon, dass man bei Dir sogar an der 
Rechtschreibung das Budget gestrichen hat (lieb gemeint), würde ich 
Deine Rechnung zusammen mit der Ersparniss im Falle der Entlassung des 
Projektleiters beim Vorstand einreichen und denen das so verkaufen, dass 
die zusätzliche Abfindung noch unter dem anderen Angebot liegt ....

In diesem Sinne: Viel Glück.

von .... (Gast)


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riecht nach Automobilzulieferer.....
glaub ich aber sooo nicht. Da sind noch ein paar andere Dinge die er 
nicht überblicken kann. Evt. ist der Kunde abgesprungen, oder ähnliches.
Oder der Mitbewerber ist besser (ist bei Automobilzulieferer nicht 
unüblich)
Scheint mir ein dreistelliges Mio-Projekt zu sein. Da macht man nicht 
einfach so solche Geschichten.

von Axel (Gast)


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"Scheint mir ein dreistelliges Mio-Projekt zu sein. Da macht man nicht
einfach so solche Geschichten."

Hängt davon ab.

Ich habe auch schon erlebt, dass bei einem "brandeiligen" Projekt kurz 
vor Abschluss die ganze Manschaft in einen Bus geladen wurde, ein 
Training auf einem völlig neuen Projekt bekam, die alten Unterlagen 
eingemottet wurden, und die ganze Manschaft nach Rückkehr was anderes 
gemacht haben.

Letztlich ist es einfach so, dass nur ein kleiner Prozentsatz aller 
Entwicklungen tatsächlich ein kommerzieller Erfolg werden, leider weiss 
man beim Projektstart selten, welche.

Also fängt man mit mehreren Projekten an, und wenn sich 
herauskristallisiert, welche Produkte ein Erfolg werden könnte und 
welche eher nicht, werden letztere eingestampft.

Ist natürlich tierisch frustrierend.

Gruss
Axel

von Gast (Gast)


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von M.H. (Gast)


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Es handelt sich um kein dreistelliges Millionenprojekt, sondern um die 
oben erwähnte Einsparung in diesem lokalen Bereich dieser Baugruppe. Die 
Summe ist zwar insgesamt nicht weltbewegend, aber doch so groß, daß sie 
darüber entscheidet, ob man billge genug ist im Markt oder nicht.

Der Kunde war der Endkunde und hat das voll unter Kontrolle gehabt. Das 
einzige, was dort abgesprungen ist, ist der Verstand des Projektleiters 
und derjenigen, die ein derart marodierendes Bonussystem erdenken, das 
zum Kaputtsparen veranlasst.

Hatte jetzt eine Woche Urlaub und kriege wieder ein neues Projekt. Ist 
ein anderer Kunde, aber nicht minder ominös: Dort wird gerade schwer 
abgebaut, da aber auch Ingenieure gehen, muss man hintenrum wieder 
jemanden holen. Ist schon pervers unserere Elektroniklandschaft.

von DerSchelm (Gast)


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Binsenweisheit:

Wer viel arbeitet, macht viele Fehler
Wer wenig arbeitet macht wenig Fehler
Wer viele Fehler macht, wird gefeuert
Wer wenige Fehler macht wird befördert.

Es ist immer sch.., wenn man für den Papierkorb gearbeitet ab, aber hin 
und wieder gehört das einfach dazu. Gewöhn Dich dran und achte darauf, 
dass es nicht zu häufig ist (und dann achte auf Deine Haut!)

von Falk B. (falk)


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@ DerSchelm (Gast)

>dass es nicht zu häufig ist (und dann achte auf Deine Haut!)

Ja, man sollte tunlichst immer einen Erdungspunkt in der Nähe haben, in 
denn dann der Blitz einschlagen kann, wenn man wieder was gegen die Wand 
gefahren wurde.

MFG
Falk

von Deutschlandflüchter (Gast)


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> Dort wird gerade schwer abgebaut, da aber auch Ingenieure gehen,
> muss man hintenrum wieder jemanden holen. Ist schon pervers
> unserere Elektroniklandschaft.

Das ist bei mir fast die Regel: Conti schluckt die VDO, dank 
"Synergieeffekt" fällt Arbeit für VDO-Abteilungen weg, die den Kollegen 
nahelegen zur Conti zu wechseln. Umgekehrt gibt es neue 
Postenverteilungskämpfe, bei denen einige Etablierte auf der Strecke 
bleiben. Beides führt zur Abwanderung von Ingenieuren, die aber auch 
wieder Löcher reissen. Da kommt dann der Freiberufler ins Spiel , diese 
zu stopfen.

von Heinz (Gast)


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Wie wahr!

von Malte _. (malte) Benutzerseite


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Das Google Video ist ne nette Geschichte :-)

von Stefan B. (stefan) Benutzerseite


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Interessantes Video! Danke für den Tipp.

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