Forum: Mikrocontroller und Digitale Elektronik Wie regelt man in der Praxis sinnvoll


von wonderfulworld (Gast)


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Hi,

bin vor kurzem fertig mit dem Elektrotechnik-Studium geworden und 
arbeite jetzt bei nem Maschinenbauer als SPS-Programmierer. Was mich ein 
bisschen überrascht hat sind die doch sehr häufig auftretenden komplexen 
Regelaufgaben. Die meisten werden mit einem einfachen digitalen 
PID-Regler erledigt. Dabei werden die Regelparameter eigentlich nie 
berechnet (Regelstrecke ist häufig nicht bekannt und einen Sprung 
verträgt die Mechanik sehr oft auch nicht). Es wird eher so lange an P 
und I-Anteil gedreht bis man zufrieden ist. Der D-Anteil wird eigentlich 
nie benutzt. Aber irgendwie befriedigt mich das nicht gerade besonders.
Wahrscheinlich könnte man oft viel bessere und sinnvollere Resultate 
erzielen, wenn man "richtig" Regeln könnte.
Hat jemand vielleicht Tipps wie man den schöner Regeln könnte, bzw. 
kennt jemand Literatur die ein bisschen praktischer an das Thema Regeln 
rangeht.

Besonders würd mich auch interessieren, wie man entscheidet welches 
Regelverfahren wann günstig ist und wie man in der Praxis eine 
Regelstrecke praktisch ermittelt. Interessant wäre auch ein Verfahren 
bei der man keinen Sprung braucht.
Im Studium haben wir schon gelernt wie man eine bekannt Regelstrecke 
regelt. Und haben auch einige schöne Verfahren durchgenommen. Aber 
irgendwie sitz ich jetzt an der Maschine und kann das hier überhaupt 
nicht anwenden. Manchmal zweifle ich sogar daran, ob ich überhaupt 
irgendwas verstanden habe im Regelungstechnikstudium. Und das obwohl das 
eigentlich immer total gerne gemacht habe.

Vielleicht hat ja jemand mal nen Tipp für mich

Gruß wonderfulworld

von Alex E. (tecnologic) Benutzerseite


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HI

ganz normal,  die Strecke anhand einer Rampe von null bis zum 
Arbeitspunkt identifizieren. Stellgröße und Ausgang auf n Plotter/Scope, 
dann kann man die Strecke mit einer Zeitfkt anhähern, und 
Laplace-Transformieren, mit der Laplace-Transformierten Stellgröße 
kannst nach Gs(s) = Y(s)/U(s) die Übertragungsfunktion bestimmen.

Als Literatur würde ich Unbehauen Regelungstechnik I empfehlen habs hier 
gerade liegen da stehen Verfahren drin für die experimentelle 
Identifikation von Regelstrecken. Unter anderem auch die Methode mit der 
Rampe.

Ich persönlich würde mir die Physik an sehen, das ganze versuchen in 
einem Modell nach zubilden und dann einen Zustandsregler zu verwenden. 
Ob der Aufwand gerechtfertigt ist musst du entscheiden.

MfG Tec

von Lehrmann M. (ubimbo)


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wonderfulworld schrieb:
> Die meisten werden mit einem einfachen digitalen
> PID-Regler erledigt.

Was ist denn in deinen Augen ein komplexer Regler? Willst du einen 
analogen PID Regler aufbauen ?

wonderfulworld schrieb:
> Es wird eher so lange an P
> und I-Anteil gedreht bis man zufrieden ist. Der D-Anteil wird eigentlich
> nie benutzt.

Was man nicht unbedingt braucht verwendet man auch nur ungerne. Zeit ist 
Geld.

wonderfulworld schrieb:
> Wahrscheinlich könnte man oft viel bessere und sinnvollere Resultate
> erzielen, wenn man "richtig" Regeln könnte.

Ja könnte man sicherlich schon. Das Problem ist, dass das ganze nicht 
mehr rentabel ist. Regelungstechnik kann so ein komplexes Gebiet sein 
und irgendwann ist halt der Punkt überschritten in dem die komplexere 
Regelung mehrnützt als es kostet sie zu entwickeln. In der Praxis ist 
kein Perfektionismus bis ins letzte Detail gefragt sondern, dass es gut 
funktioniert und möglichst billig ist. Das war immer so, das ist so und 
wird auch immer so bleiben.

Mal ein Beispiel: Magnetventiele werden auf das Hundertstel genau 
gefertigt (nehmen wir mal an). Nun ja wollen wir optimieren - darum 
wollen wir auf's Tausendstel genau produzieren. Macht man's ? Nein! 
Warum - wenn ich nun ein µN weniger Kraft brauche um das Ventil 
durchzuschalten nützt mir das nichts. Was allerdings kostet ist das 
Ventil auf das Tausendstel  statt auf der Hunderstel genau zu 
produzieren.

wonderfulworld schrieb:
> Besonders würd mich auch interessieren, wie man entscheidet welches
> Regelverfahren wann günstig ist und wie man in der Praxis eine
> Regelstrecke praktisch ermittelt.

Das ist ein ganz eigenes Fachgebiet. So gut wie jede Universität hat 
einen eigenen Lehrstuhl für Regeltechnik. Diese Thema kann man nicht in 
einem und auch nicht in 5 Büchern fassen. Es gibt so unglaublich viele 
Möglichkeiten und es kann so komplex werden. Ich kann dir nur aus dem 
Verlag Vieweg und Teubner (das sind die orangen Bücher) als EINSTIEG das 
Buch empfehlen. Heißt "Regeltechnik" oder so...

von Achim M. (minifloat)


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wonderfulworld schrieb:
> Interessant wäre auch ein Verfahren
> bei der man keinen Sprung braucht.

Einzelfrequenzmessung nach Betrag und Phase -> Bode-Diagramm -> Näherung 
für Übertragungsfunktion des Systems durch miteinander Multiplizierte 
einfache P-, D- und I-Tn-Glieder -> Simulation des gesamten Regelkreises 
in einem von dir favorisierten Simulationstool -> Optimierung des 
Simulierten Reglers -> Implementierung -> Systemtest -> evtl. 
Nachoptimierung oder Revision der Näherung

mfg mf

von Purzel H. (hacky)


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> Interessant wäre auch ein Verfahren
> bei der man keinen Sprung braucht.


Man kann mit irgendwas anregen, das die Bandbreite bringt. Das kann auch 
Rauschen sein.

von Mine Fields (Gast)


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>Wie regelt man in der Praxis sinnvoll

Für die Anwendungen, die deine Firma bearbeitet, hast du das doch schon 
sehr schön beschrieben. Und das letzte was diese Firma braucht ist ein 
Frischling, der meint, alles besser machen zu können.

Es gibt noch ein paar Einstellregeln (z.B. Ziegler Nichols). Vermutlich 
wenden deine Kollegen auch so etwas an und für dich sieht es so aus wie:
> Es wird eher so lange an P und I-Anteil gedreht bis man zufrieden ist.

von joBee (Gast)


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>Und das letzte was diese Firma braucht ist ein Frischling, der meint, alles 
besser machen zu können.

Mein Eindruck von woderfullworld ist, dass er eben genau so nicht ist. 
Er hat ja recht freundlich und nicht überheblich gefragt.

Ich habe Automatisierungstechnik studiert. Regelungstechnik II. 
Zustandsregelung, Beobachter, Nichtlineare Systeme. Habe in meinen 10 
Jahren jetzt schon einige Regler implementiert. Viel für elektrische 
Antriebe. Nur einmal war ein D-Anteil dabei. Sonst immer PI. Ich könnte 
heute keinen Zustandsregler mehr entwerfen, ohne mich wieder einzulesen.

von Jens M. (Gast)


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wonderfulworld schrieb:
> in vor kurzem fertig mit dem Elektrotechnik-Studium geworden und
> arbeite jetzt bei nem Maschinenbauer als SPS-Programmierer.

Hoffe es macht Spaß.

> Was mich ein
> bisschen überrascht hat sind die doch sehr häufig auftretenden komplexen
> Regelaufgaben.

Stand der Technik. Einfache Aufgaben gibt es kaum noch da Sie nebenbei 
erledigt werden

> Die meisten werden mit einem einfachen digitalen
> PID-Regler erledigt.

Was auch Sinn macht. Schon ein PI-Regler überfordert in der Regel das 
Bedienpersonal. Die Maschine wird ja nicht für graduierte gebaut.

> Dabei werden die Regelparameter eigentlich nie
> berechnet (Regelstrecke ist häufig nicht bekannt und einen Sprung
> verträgt die Mechanik sehr oft auch nicht). Es wird eher so lange an P
> und I-Anteil gedreht bis man zufrieden ist.

Dann hat die die Maschine die Prüfung "einfache Dinge funktionieren in 
der Praxis gerade eben, komplizierte nie" bestanden.


> Der D-Anteil wird eigentlich
> nie benutzt. Aber irgendwie befriedigt mich das nicht gerade besonders.

Wie auch? Man will das gelernte ja anwenden.

> Wahrscheinlich könnte man oft viel bessere und sinnvollere Resultate
> erzielen, wenn man "richtig" Regeln könnte.

Worüber sich Generationen von JungIngs den Kopf zerbrochen und 
anschließend die Finger verbrannt haben.


> Hat jemand vielleicht Tipps wie man den schöner Regeln könnte, bzw.
> kennt jemand Literatur die ein bisschen praktischer an das Thema Regeln
> rangeht.

Mach's Privat. Bau dir nen superkomplizierten Rasenmäher o ä.

von wonderfulworld (Gast)


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Also danke für eure Antworten. War interessant zu sehen, dass wirklich 
alle der Meinung sind, dass ein simpler PID-Regler in der Praxis 
meistens ausreicht. Find ich zwar irgendwie schade, weil mich die 
Beobachter immer besonders fasziniert haben. Irgendwie hab ich im 
Studium schon gehofft, dass ich mal sowas implementieren kann. Naja was 
solls, dann werde ich mir mal die Einstellregeln von Ziegler Nichols 
ansehen und es dann dabei belassen. Vielleicht kommt ja mal wirklich ein 
Regelungsproblem bei dem ich mir die Zähne so richtig ausbeißen darf.

Einen schönen Tag noch
wonderfulworld

P.S. Nicht dass das jetzt hier falsch rüberkommt. Ich fühl mich meiner 
Firma sehr wohl. Bin froh, dass ich so einen interessanten Arbeitsplatz 
habe. Einzige was mich manchmal stört ist, dass man so wenig von dem was 
man an der Hochschule gelernt hat auch anwenden darf.

von mr. maui (Gast)


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Richtig, JungIng oder sogenannte Frischlinge haben keine Ahnung... mach 
es so wie es immer gemacht wurde... Innovation durch Stillstand. Und 
wehe du kommst mal auf die Idee etwas anders an zu gehen als die 
Kollegen ;), das könnte Veränderung bedeuten und das mögen gewisse 
Personen nicht besonders :)

http://www.geistesblitz.de/2007/das-haben-wir-schon-immer-so-gemacht/

und hier noch was von dem Verband

http://www.vdi-nachrichten.com/vdi-nachrichten/aktuelle_ausgabe/akt_ausg_detail.asp?cat=4&id=49989&source=homepage

in deinem konkreten Fall mag das stimmen, wenn ich mir die Sprüche hier 
von einigen aber anhöre... na ja  ;). Mach dein Ding, und Fall auf die 
schnauzte... ist besser so und lernst mehr als in der alten Suppe zu 
rühren :). Mein Eindruck ist leider der, das JungIng oft wenig 
Unterstützung für die neuen Ideen bekommen eben "das haben wir immer 
schon so gemacht"...

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