Forum: Ausbildung, Studium & Beruf Vom Schmuhen und Tricksen


von Ständigselber (Gast)


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Komme gerade vom Freiberuflerstammtisch. Da gab es eine interessante 
Diskussion um die Stundensätze und die Limitierungen der Konzerne. 
Offenbar ist es Gang und Gäbe, dass das getrickst wird, dass sich die 
Balken biegen.

Auf die Frage, wie genau die lieben Kollegen so abrechnen, sah ich mich 
der überaschenden Inforamtion gegenüber, dass die meisten zwsischen 5% 
und 10% mehr Stunden aufschreiben, als sie geleistet haben, und das 
nicht selten mit Wissen und Duldung der Projektleiter.

Der Grund ist überraschend einfach: Viele Projektgeber kriegen von ihrem 
Controlling den Deckel aufgesetzt und vorgeschrieben, wieiviel der 
Externe die Stunde kosten darf. Obwohl sie einen bestimmten für mehr 
beschäftigen würden, weil der sich lohnt, dürfen sie es dann nicht. Weil 
sie keinen Guten kriegen, machen sie einen Deal und lassen den das 
Angebot 10% senken. Dafür darf er dann entsprechend mehr Stunden 
schreiben, dass es passt. Der Projektleiter hat so mher Vergabespielraum 
zudem den Vorteil, dass er einen sehr "fleissigen" Mitarbeiter aquiriert 
hat. Wie gut der performt, kann sowieso nur er selber beurteilen und am 
Ende kräht kein Hn mehr danach, liess man mich wissen.

Geil oder?

Was sagen andere Freelancer dazu?

Irgenwo ist das doch marode!

Andererseits ist es mir nur so erklärlich, dass gewisse Firmen, die auf 
billig setzen, überhaupt noch zu Leuten kommen.

von Chris (Gast)


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Ja, das läuft in der Tat recht häufig so.

Ich hatte sogar mal einen Kunden dessen Controlling sagte, dass man mir 
die Spesen für die anzuschaffende Hardware nicht ersetzen kann. Ohne 
diese lässt sich aber nunmal schlecht Entwickeln :-) Das habe ich dann 
(nach vorheriger Absprache) über meine Arbeitszeit abgerechnet. Das das 
für den Kunden unterm Strich sogar teurer ist war völlig egal. 
Hauptsache das Controlling war glücklich :-)

von Der Weise (Gast)


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Wenn ein "guter" eine Arbeit schneller als ein "normaler" erledigt 
bekommt, aber dennnoch aus bürokratischen Gründen nicht mehr bezahlt 
werden kann, rechnet er halt soviele Stunden ab wie ein "normaler" 
gebraucht hätte. Die Einheit "Stunde" bezieht sich somit nicht auf Zeit, 
sondern auf Arbeitsleistung. In diesem Sinne eigentlich einigermaßen 
gerecht und pragmatisch.

von Ulli B. (ulli-b)


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Das ist doch nichts neues, mehr Stunden auf zu schreiben.
Ich kenne das schon seit über 10 Jahren von einem grossen 
Automobilzulieferer mit Hauptsitz in Stuttgart-Feuerbach.

Ein weiterer "Trick" ist: Relativ niedriges Angebot für ein Projekt 
abgeben (also Komplettangebot, nicht Stundenbasis).  Den Angebotstext 
jedoch recht allgemein halten.
Hinterher dann jede Kleingkeit als Extra aufschreiben und entsprechend 
abrechnen.
Der Projektleiter hat damit kein Problem, dem ist es eh völlig egal, was 
das Ganze am Ende kostet. Und die BWLer bekommen einen Haufen Zahlen, 
welche sie in Tabellen eintragen können. Damit sind sie beschäftigt und 
zufrieden.
Dass das Projekt am Ende doppelt teuer wurde ist egal (bei der genannten 
Firma zumindest).

MfG
Ulli-B

von Wolfgang Horn (Gast)


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Hi, Ständigselber,

> dass die meisten zwsischen 5%
> und 10% mehr Stunden aufschreiben, als sie geleistet haben, und das
> nicht selten mit Wissen und Duldung der Projektleiter.

Klar. Das ist eine Art Nebenwirkung der eigentlich "gut gemeinten" Idee 
der Deckelung, wo der Controller oder ein anderer Depp gemeint hat, 
seiner Firma viel Geld sparen zu können. Auch Deppen wollen glänzen.

„Das Gegenteil von gut ist nicht böse, sondern gut gemeint.“ (Kurt 
Tucholsky)

Sobald das einem die Falschaufschreibung nicht nur auffällt, sondern er 
sie auch konsequent unterbinden will, wird er wohl eine Art 
Qualitätssicherung einführen - deren Bürokratie dann noch teurer wird. 
Dazu wird er deren Kosten wiederum woanders verstecken müssen.

Das ist der ganz normale Wahnsinn.
Kafka läßt grüßen.

Ciao
Wolfgang Horn

von Selbi (Gast)


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Kenne ich auch zur Genüge! Reisezeiten und Unterbringung sind 
normalerweise in den Stundensätzen enthalten, weil besonders die 
Vermittler immer "all-in"-Preise haben wollen. Die Entscheider 
orientieren sich dabei immer an den Durchschnittswerten, z.B. bei den 
Freiberuflerplattformen wie GULP. Wenn da ein C++-Entwickler mit 70,- 
gelistet ist, darf der Bewerber nicht mehr kosten. Natürlich will man 
den Besten haben und nicht nur den Durchschnittlichen :-)

Die Bandbreite für C++ bewegt sich aber real zwischen 50,- und 80,- die 
Stunde, je nach Komplexität und Knowhow.

Der Controller will den für den Endsatz von 60,- und der 
Entwicklungsleiter braucht einen, der 75,- kostet. Also einigt man sich 
auf einen Angebotspreis von 70,- und haut 10% mehr Stunden drauf. 
Letztenendes wird dann einfach immer mehr geschrieben.

Das Problem ist jetzt, wenn Neukunden zum ersten mal ins Geschäft 
einsteigen und sich die Hände reiben, wie billig man einen Freiberufler 
kriegen kann :-)

Mein Kunde zahlt z.B. die Reisekosten und die Unterbringung. Das ist auf 
den ersten Blick nicht so viel, macht aber genau den Unterschied 
zwischen einen gerade lukrativen Projekt und einem, wo man dumping 
betreiben muss, um sich über Wasser zu halten.

Mein letzter Kunde hat mir die komplette Einarbeitung in 2 Tools 
bezahlt, weil er das Knowhowdefizit akzeptiert und trotzdem am Limit 
bezahlt hat. Ein anderer, der das schon gekonnt hätte, wäre zu teuer 
gewesen. Am Ende war ich natürlich nicht so effektiv. Aber Externe sind 
selten effektiv.

Die ganze Angelegenheit ist eine reine Dummrechnerei aus den 
BWL-lastigen Abteilungen in den Konzernen. Da legen einige "Marktpreise" 
an denen ich andere orientieren.

von Harald Wilhelms (Gast)


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Ulli B. schrieb:

> Das ist doch nichts neues, mehr Stunden auf zu schreiben.

Ja, da kam mal ein Handwerker zu Petrus und beschwerte sich,
warum er schon so früh mit 40 Jahren sterben musste. Petrus
antwortete: "Wieso? Nach den Stunden, die sie aufgeschrieben
haben sind sie schon mindestens 80!"
:-)
Gruss
Harald

von Gästchen (Gast)


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Eigentlich kenne ich es so dass tatsächliche Stunden gezählt werden und 
die Grundlast (Dokumentation etc.) dazu gezählt wird, also diese 5-10%.

von Selbi (Gast)


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Wieso würde eine "Grundlast" dazu gezählt werden müssen? Die wäre doch 
Bestandteil realer Arbeit und ohnehin aufzuführen. Allerdings nehme ich 
erstaunt zur Kenntnis, dass Doku nur 105 sein sollen. Rechnet man 
planende Doku im Vorfeld, begleitende Doku und verpflichtende Doku 
zusammen, ist das meist mehr, als die eigentliche Software.

von Matthias H. (experimentator)


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Ich bin freiberuflicher Softwareentwickler und habe bisher nicht auf so 
einer Basis gearbeitet. Allerdings bekomme ich fast alle Projekte über 
Vermittlungsfirmen, sodaß ich gar nicht in einer Position für solche 
Deals mit dem Kunden bin und hin und wieder schlechte Stundensätze 
akzeptieren muß, wenn ich z. B. nicht dauerhaft aus dem Koffer leben 
möchte. Allerdings merke ich, daß seitens der Kunden (oder der 
Vermittler?) massiv gedrückt wird.

Das Problem scheint mit zu sein, daß viele Firmen heute von Personen 
geleitet werden, die mehr von Excel, PowerPoint und Erbsenzählen 
verstehen als davon, welche Produkte die eigene Firma herstellt oder wie 
diese Produkte entwickelt werden und die nicht verstehen, daß man nur 
Affen bekommt, wenn man mit Bananen bezahlt ;-) .

In der Informatik gibt es Beispiele aus der Literatur, wo sich die 
Produktivität guter und schlechter Leute um einen Faktor 10 
unterschiedet, wahrscheinlich wesentlich mehr als in den meisten anderen 
Branchen. So etwas ist praktisch niemals beim Stundensatz zu 
realisieren.

von Borsodi (Gast)


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Na, der Faktor 10 schlägt auch nicht aufs gesamte Projekt durch. Wenn 
man was runterprogrammieren muss, unterscheiden sich 
Tippgeschwindigkeiten sich er nicht mehr, als um +/-20%. Hast aber 
Recht: Oft ist ein kluges Konzept viel einfacher zu realisieren.

Bei mir (Elektronik) ist es oft das Einsparen von Hardware. Je Platine 
1-2 Euro weniger durch ein klügeres Design und schon sind 100.000 
weniger an Produktionskosten drin. Das sieht man halt im Vorfeld nicht.

Das Resultat ist, dass alle im pool ungefähr auf die Mitte des 
Preisgefüges gezogen werden: Die Guten müssen runter mit dem Preis, weil 
sie Qualität nicht durchsetzen können und die Schlamperer profitieren 
von überhöhten Preisen, in dem sie mittelmäßig anbieten und nur minimal 
runtergehandelt werden.

von whatever (Gast)


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Ist doch scheissegal, oder? Die Firmen bekommen die Leute billig, die 
Leute dafür ihr Geld. Wo bitte ist denn da das Problem. Das machen wir 
an der Uni teilweise genauso mit Probandengeldern. Wer bitte macht denn 
irgendwas für 6 Euro die Stunde, wenn es nur eine Stunde dauert und er 
dafür extra anreisen muss? Niemand. Also schreibt man 2 Stunden auf. Je 
nach marktlage halt. Und bei EU-Projekten muss man teilweise irgendwann 
2 Jahre später Stundenzettel abgeben- was denkt ihr wo da die 
Stundenzahlen herkommen? randn()...

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