Forum: Ausbildung, Studium & Beruf Erfahrungen zur Vertrauensarbeitszeit


von Vertrauter AT Mitarbeiter (Gast)


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Hallo,

Mir wurde in einem großen Unternehmen eine Stelle angeboten. Als 
Vereinbarung gilt AT Einstufung und Vertrauensarbeitszeit.

http://de.wikipedia.org/wiki/Vertrauensarbeitszeit

Was habt ihr für Erfahrungen mit diesem Arbeitszeitmodell gemacht? Ist 
die Kritik mit der Ausbeutung gerechtfertigt oder kann man wirklich 
seine Zeit (40h) frei einteilen.

Uns ist eine AT Einstufung wirklich besser als Tarif?

von Daniel (Gast)


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Wenn du AT bist, dann hast du ja vermutlich eine Zielvereinbarung die 
einen wesentlichen Bestandteil deines Gehalts ausmacht. Und du 
wirst/solltest wohl so viel arbeiten, dass du diese erreichst. Je nach 
Projekt(phase) kommst du dann eben mit 40 hin oder eben nicht...

Bei uns geht immer der Spruch rum "Der Arbeitgeber vertraut darauf, dass 
du mehr arbeitest" :)

von Knaxfutscha (Gast)


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Jede Gewerkschaft wird dir sagen, dass du als AT (bin auch einer) besser 
verdienen MUSST als ein Tarifangestellter. Die Realität sieht jedoch so 
aus, dass du als Einsteiger deutlich unterm Tarif liegt. Je nach 
Leistung verdienst du jedoch bald schnell mehr als der Tarifangestellte 
und kannst mit Boni außerhalb der Reihe rechnen.

Die 40h sind ein Richtwert der so in etwa hinhaut. Das Problem sind die 
tariflichen Bestimmungen bei Dienstreisen. Willst du dem Piloten vorne 
im Cockpit sagen er soll schneller fliegen, weil du laut Tarif in 1h 
aufhören mußt zu arbeiten ;)?

Bei uns ist es z.B. Gang und Gebe die auf Dienstreisen gemachten 
Überstunden nicht abzufeiern. Das ist für mich im Rahmen des 
Vertretbaren. Ansonsten arbeite ich manchmal auch nur 30h, wenn ich 
einfach nicht die Muse zu mehr habe.

Ich würde dir jedoch empfehlen eine Stundenliste zu führen. Die Zeit 
geht schnell um und gerade am Anfang betrügt man sich selber :)

von Daniel (Gast)


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Hab mal den Wikipediaartikel des TE gelesen. Der Punkt Kritik ist ja an 
einseitiger und unreflektierter Verachtung kaum zu überbieten. Manches 
davon ist durchaus in Ansätzen berechtigt, jedoch sollte dies ein 
halbwegs selbstbewusster Mitarbeiter selbst verantworten können ob er 
mit AT zurecht kommt oder nicht.

Egal wie "rot" man das sehen möchte, fakt ist, dass du mit dem TV nie in 
die wirklichen "Grossverdiener"-Gehaltsregionen kommen wirst (ich sag 
mal grob 80K aufwärts).

von Rainer (Gast)


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Ob eine AT-Einstufung besser als eine tarifliche ist, hängt ganz vom 
Unternehmen ab. Die vermeintliche Regel "Tarif + 15%" ist jedenfalls 
nicht in Stein gemeisselt. Viel Einfluss hat auch der Chef, da die 
Zielvereinbarungen zum Teil deutlich anders aussehen als die tariflicher 
Angestellter. Das Einkommen kann also deutlich stärker schwanken - kann 
muss aber nicht. Hängt wie gesagt vom Unternehmen ab. In meinem 
Unternehmen gibt es zum Beispiel für ATs mehr Bewertungsstufen als bei 
tariflichen Angestellten und somit mehr "Feinsteuerungsinstrumente" für 
den Chef.

Ich habe auch als Nicht-AT VAZ und muss offen sagen, dass ich meine 
40h/Woche immer ableiste und in den heißen Phasen natürlich deutlich 
mehr. Die ganze Geschichte ist in meinen Augen schon eine Einbahnstraße. 
Der Arbeitnehmer profitiert davon wesentlich stärker als der 
Arbeitnehmer. Ich kenne es zum Beispiel so, dass bei der 
Kapazitätsplanung für anstehende Projekte bei VAZ'lern pauschal 10-15% 
unbezahlte Überstunden einkalkuliert werden.

Allerdings macht es in meinen Augen auch keinen Sinn nur deshalb einen 
guten Job abzulehnen. Ich führe in Excel eine Stundenliste mit meinen 
Netto-Arbeitszeiten und habe auch keine Schmerzen die meinem Chef auf 
den Tisch zu legen und die Notbremse zu ziehen. Arbeitszeitgesetze 
behalten auch bei VAZ ihre Gültigkeit. Liegt also in erste Linie an 
einem selber: Wer konstant saubere Arbeit abliefert und sich nicht 
unterkriegen lässt, wird in meinen Augen, eher selten ein Problem mit 
VAZ haben.
Alles eine Einstellungssache.

von Vertrauter AT Mitarbeiter (Gast)


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Super vielen Dank für die Antworten. Ich werde das Angebot auf jeden 
Fall annehmen. Es hat sich nur zu gut um wahr zu sein im 
Vorstellungsgespräch angehört.

von Tom (Gast)


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Moin,

stand vor kurzem vor einer ähnlichen Entscheidung. Allerdings war die 
Firma nicht tarifgebunden, aber direkt an den IGM angelehnt. Mir wurde 
auch VAZ angeboten und es sollten 10 Überstunden pro Woche mit dem 
Gehalt abgegolten sein.

Ich habe schweren Herzens (weils echt eine tolle Stelle ist) abgelehnt 
und mich für eine Alternative entschieden.

Mich würde interessieren, wie diese Stellen, die ihr beschreibt dotiert 
sind.

Mir wurden für o.g. 5,2k€/Monat x 13 Gehälter geboten.
Würde mich über eure Infos zum Vergleich freuen.

Cheers

von Jens (Gast)


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Tom schrieb:
> 10 Überstunden pro Woche

Sicher? Das wäre krass und an der Grenze des zulässigen. Wenn es 
wirklich so ist, wäre das Gehalt aber auch nur durchschnittlich (auf 40h 
runtergerechnet, vielfach gehen TV sogar von 35h aus).

von Wolfgang H. (Gast)


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Hi, Vertrauter,

> Uns ist eine AT Einstufung wirklich besser als Tarif?

Erst mal Glückwunsch, die Firma hält Dich für einen "high performer", 
dem sie gern 10% mehr Geld gibt für 33% mehr Ergebnis von Dir.

Niemand schenkt Dir was.
Frag mal in Deinem Freundeskreis einen Arbeitnehmervertreter dazu.

An der Menge der mit "Burn Out" ausgeschiedenen ist der Anteil der 
Engagairten mit "Vertrauensarbeitszeit" wohl überdurchschnittlich hoch.
Dein Boss spricht mit Dir eine Aufgabe ab, fragt Dich nach dem 
Fertigstellungszeitpunkt, Du schätzt nach bestem Wissen und Gewissen - 
und regelmäßig unterschätzt Du die Friktionen der Arbeit - oder traust 
Dich nicht, diese mit einzukalkulieren. Beispielsweise hält ein Bauteil 
seine Spezifikationen nicht ein und Du hörst "Aber mit sowas rechnet man 
doch!" sowie den versteckten Hinweis auf Heimarbeit, damit Du den Termin 
halten kannst, denn davon hinge der Erfolg der Firma ab, der Kunde 
drücke auf den Termin... Zu allem Ärger nimmt sich der Qualitäter - aus 
gutem Grunde - sehr viel mehr Zeit für Deine Arbeit, fordert noch 
bessere Dokumentation, verlangt ein Review, und Dir ist die Zeit schon 
längst weggelaufen...

Dein AT-Gehalt wird einen Erfolgsanteil haben. Frag mal, wie dieser 
Erfolg berechnet wird.
Ein Bekannter aus einer Buchhaltung verstieß gegen seine 
Verschwiegenheitspflicht, als er mir zornig erzählte, seine Firma 
handele die Miete für die Geschäftsräume und das vergangene 
(Wiederholung: vergangene!) mit der Immobilienfirma desselben 
Unternehmers immer erst dann aus, nachdem der operative Gewinn des 
Geschäftsjahres berechnet sei.
Bei gutem Abschluss würde die Miete regelmäßig nachträglich angehoben, 
damit der operative Gewinn nie größer sei als 1%.
Als ich den Bekannten fragte, wie das denn möglich sei, erschrak er und 
verstummte wie ein Fisch.
Diesen "Erfolgsanteil" empfand ich als glatten Betrug an allen 
AT-Angestellten, obwohl rechtlich gewiß abgesichert.

Ciao
Wolfgang Horn

von Tom (Gast)


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>> 10 Überstunden pro Woche
>Sicher? Das wäre krass und an der Grenze des zulässigen. Wenn es
>wirklich so ist, wäre das Gehalt aber auch nur durchschnittlich (auf 40h
>runtergerechnet, vielfach gehen TV sogar von 35h aus).

Hab grad nochmal in den Vertragsentwurf geschaut. Es sind bis zu 10 
Überstunden pro Woche mit dem Gehalt abgegolten (bei einer generellen 
40h Woche). Allerdings werden ausdrücklich angeordnete Überstunden 
(Sonn- und Feiertagsarbeit) mit einem Freizeitausgleich, wenn dies nicht 
möglich, monetär abgegolten.


Cheers

von Gastino G. (gastino)


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Vertrauter AT Mitarbeiter schrieb:
> Hallo,
>
> Mir wurde in einem großen Unternehmen eine Stelle angeboten. Als
> Vereinbarung gilt AT Einstufung und Vertrauensarbeitszeit.
>
> http://de.wikipedia.org/wiki/Vertrauensarbeitszeit
>
> Was habt ihr für Erfahrungen mit diesem Arbeitszeitmodell gemacht? Ist
> die Kritik mit der Ausbeutung gerechtfertigt oder kann man wirklich
> seine Zeit (40h) frei einteilen.

Kommt darauf an. Meiner Erfahrung nach ist Vertrauensarbeitszeit eine 
sehr geschickte Methode, viel kostenlose Mehrarbeit zu erzeugen. Das 
funktioniert ziemlich subtil über so eine Art "Gefühl der sozialen 
Kontrolle". Niemand mag bei seinen Kollegen den Eindruck erwecken, 
weniger als erforderlich zu arbeiten. Im Gegenteil - die Arbeitszeiten 
schaukeln sich eher hoch. Nur wenige sind wirklich konsequent und gehen 
nach Ende der Arbeitszeit oder setzen Überstunden ab.

> Uns ist eine AT Einstufung wirklich besser als Tarif?

Große Unternehmen zahlen oft nach Tarif, also sind AT-Verträge auch in 
der Regel darüber. Allerdings unter Umständen mit bestimmten 
Einschränkungen (längere Wochenarbeitszeit, Überstunden gelten als 
abgegolten usw.).
Was noch zu beachten ist: In tarifgebundenen Unternehmen (fast alle 
großen) ist der AT-Vertrag schon eine Form des Aufstiegs. Diese Stufe 
erklimmen nur sehr wenige und wenn man den Vorteil hat, dafür nicht in 
die Hamstermühle "Gruppenleiter und höher" zu müssen, sollte man ein 
solches Angebot nicht ausschlagen.

von Gastino G. (gastino)


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Tom schrieb:
> Hab grad nochmal in den Vertragsentwurf geschaut. Es sind bis zu 10
> Überstunden pro Woche mit dem Gehalt abgegolten (bei einer generellen
> 40h Woche). Allerdings werden ausdrücklich angeordnete Überstunden
> (Sonn- und Feiertagsarbeit) mit einem Freizeitausgleich, wenn dies nicht
> möglich, monetär abgegolten.

Ist bei uns auch so. Überstunden sind mit AT pauschal abgegolten (ich 
weiß nicht, ob es eine Beschränkung gibt), dafür muss man entsprechend 
vorausschauend eine "Pauschale" heraushandeln...

von Tom (Gast)


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Die Regelung/Beschränkung ist ja per Gesetz definiert. Diese dürfte auch 
für AT gelten.

von Tilo (Gast)


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Alle Verträge, in denen Überstunden pauschal abgegolten sind, sind 
unzulässig. (LAG Düsseldorf, Urteil vom 11.07.2008, Az.: 9 Sa 1958/07)

Pro Woche sind nach Arbeitszeitgesetzen max. 50h erlaubt, allerdings 
auch nicht permanent. Soweit ich weiß, ist die Grenze der pauschal 
abgegoltenden Stunden im Monat bei 20h.

von voodoofrei (Gast)


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Ausnahme: Leitender Angestellter im Sinne des 
Betriebsverfassungsgesetzes...

von Tilo (Gast)


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Das ist aber nur die Meinung eines Müncher Gerichts und dies auch nur 
eingeschränkt.
Das  Bundesarbeitsgericht sieht das anders.

von Arbeitnehmer (Gast)


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Ich denke, es kommt ganz auch Dich selbst drauf an. Kannst Du Dich 
durchsetzen und auch problemlos "Nein" sagen oder es aushalten, einen 
Termin nach hinten zu verschieben weil es keinen Sinn macht, nochmehr 
"unbezahlte Überstunden" zu bringen, ist es O.K.

Wenn Du allerdings so ein Typ bist, der sich nervös machen lässt von 
Mitarbeitern die ihre Leben in der Firma verbringen, oder von Chefs die 
andauernd von "Realitäten des Marktes" sprechen, dann ist das nichts für 
Dich.

Es muss eben unter dem Strich stimmen, das ist eigentlich alles was 
zählt. Ansonsten gilt: Versuch macht klug. Wenn's nichts ist und Du nur 
drauflegst, kannst Du auch wieder wegwechseln.

von Backflow (Gast)


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@thilo Lutz,

Knapp vorbei ist auch daneben.

Für leitende Angestellte im Sinne des §5 Abs.3 
Betriebsverfassungsgesetzes gilt das Arbeitszeitgesetz nicht.

Siehe

http://www.gesetze-im-internet.de/arbzg/__18.html


"1) Dieses Gesetz ist nicht anzuwenden auf

1.leitende Angestellte im Sinne des § 5 Abs. 3 des 
Betriebsverfassungs-gesetzes sowie Chefärzte..."

von Marx W. (Gast)


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Backflow schrieb:
> "1) Dieses Gesetz ist nicht anzuwenden auf
>
>
>
> 1.leitende Angestellte im Sinne des § 5 Abs. 3 des
>
> Betriebsverfassungs-gesetzes sowie Chefärzte..."Beitrag

Hier gehts um AT- Angestellte, das sind keine  leitende Angestellte!
Was du als "Betriebsleiter" hier vom Stapel läßt, ist auf dem Niveau von 
einem Proll-Straßenwärter. Mehr nicht!

von Backflow (Gast)


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@Marx W.

Wenn Du den Beitrag von voodoofrei noch einmal ganz konzentriert liest, 
wirst Du auf den Begriff "Leitende Angestellte" stossen:.

Autor: voodoofrei (Gast)
Datum: 17.09.2011 00:45
Ausnahme: Leitender Angestellter im Sinne des
Betriebsverfassungsgesetzes...

Damit Du die Wörter besser findest, falls du eine Leseschwäche haben 
solltest, habe ich sie hervorgehoben. Und die Antwort von Thilo bezog 
sich auf den zitierten Beitrag.

>... ist auf dem Niveau von einem Proll-Straßenwärter

Warum so ausfällig? Schlecht geschlafen? Ärger mit Deinem Chef? Kummer 
mit der Frau/Freundin, sofern überhaupt vorhanden? Allgemeiner Frust ob 
der Erfolglosigkeit des eigenen Lebens?

Sprich Dich ruhig aus. Ich kann zuhören.

von Willi (Gast)


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Tom schrieb:
> Moin,
>
> stand vor kurzem vor einer ähnlichen Entscheidung. Allerdings war die
> Firma nicht tarifgebunden, aber direkt an den IGM angelehnt. Mir wurde
> auch VAZ angeboten und es sollten 10 Überstunden pro Woche mit dem
> Gehalt abgegolten sein.
>
> Mir wurden für o.g. 5,2k€/Monat x 13 Gehälter geboten.
> Würde mich über eure Infos zum Vergleich freuen.

Bist du Berufseinsteiger? Weil wenn ich richtig überschlage entspräche 
das Angebot im schlechtesten Fall (50h/Wo) auf 35h umgerechnet 47k. Das 
ist nicht gerade üppig für diese Stundenanzahl, selbst für einen 
Einsteiger. Und ich denke, wenn schon 10h im Vertrag genannt werden, 
dann werden diese mehr oder weniger auch erwartet.

von Backflow (Gast)


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Ergänzung für Marx W.:

Und mein Beitrag bezog sich dann auf die Antwort von Thilo Lutz.

Ich weiß, daß ist eine Kette über drei Beiträge, die von Leuten mit 
reduzierter Aufmerksamkeitsspanne nur schwer zu verfolgen ist.

von Tom (Gast)


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@Willi,

ne, bin ich nicht. Ca. 5 Jahre Erfahrung. Wie gesagt, hab trotz wirklich 
interessanter Tätigkeit dann auch schweren Herzens abgelehnt und eine 
Alternative angenommen.

Gut, die 50h wären ja nun nicht jede Woche angefallen, aber trotzdem 
zieht natürlich solch eine Klausel den "Stundenlohn" ordentlich runter.

Cheers

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