Forum: Analoge Elektronik und Schaltungstechnik [PID] Konzept


von Verwirrter (Gast)


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Hi,
ich spiel gerade mit nem Versuchsaufbau fürn Selbstbau-PID-Regler rum. 
Hab eben nen 5,2Ohm 17W Widerstand auf 100 Grad aufgeheizt. Dachte ich. 
Die Keramikfüllung hat aber ein ziemlich kapazitives Wärmeverhalten und 
heizt um rund 30 Grad nach. Wie geht man "draußen im Feld" mit diesem 
Problem um? Ich müßte ja eigentlich schon vorher abschalten, d.h. nach 
einer Tabelle vielleicht bei ca 70°C, um den verfälschenden Einfluß 
rauszurechnen. Das kann es ja aber eigentlich nicht sein, oder? ICh 
bräuchte bei jedem Sollwert nen anderen Abschaltwert.

Wie geh ich prinzipiell vor?
Die Differentialkonstante D ganz klein und I relativ groß machen? Was 
ist der Trick am mech. Regler daß das beim Bügeleisen nicht so 
gravierend auftritt ist?

von Lothar M. (Firma: Titel) (lkmiller) (Moderator) Benutzerseite


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Verwirrter schrieb:
> Die Keramikfüllung hat aber ein ziemlich kapazitives Wärmeverhalten und
> heizt um rund 30 Grad nach. Wie geht man "draußen im Feld" mit diesem
> Problem um?
Theoretisch: man macht den P-Anteil kleiner.
Praktisch: man heizt nicht so stark...

> Was ist der Trick am mech. Regler daß das beim Bügeleisen nicht so
> gravierend auftritt ist?
Es wird dort gemessen, wo geheizt wird. Nicht an einer Stelle, die über 
ein PT1-Glied abgekoppelt ist...

von Sven P. (Gast)


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Verwirrter schrieb:
> Hi,
> ich spiel gerade mit nem Versuchsaufbau fürn Selbstbau-PID-Regler rum.
> Hab eben nen 5,2Ohm 17W Widerstand auf 100 Grad aufgeheizt. Dachte ich.
> Die Keramikfüllung hat aber ein ziemlich kapazitives Wärmeverhalten und
> heizt um rund 30 Grad nach.
Jain. Das ist schlicht der Wärmeleitwert der Verpackung des 
Widerstandes. So gesehen ist es schon kapazitiv, denn die Füllung 
speichert Wärme von hoher Temperatur. Die wird dann langsam nach außen 
abgeleitet und erhöht weiter die Temperatur an der Gehäuseoberfläche, 
die du ja vermutlich misst.

Stationär wird dieser Unterschied verschwinden, wenn du den Aufbau nur 
lange genug betreibst.

> Wie geht man "draußen im Feld" mit diesem
> Problem um? Ich müßte ja eigentlich schon vorher abschalten, d.h. nach
> einer Tabelle vielleicht bei ca 70°C, um den verfälschenden Einfluß
> rauszurechnen.
Kommt auf dein Modell an. Du könntest ganz primitiv mal eine Totzeit 
ansetzen, die zwischen 'Reinstecken von elektrischer Energie' 
(Stellgröße) und 'Ansteigen der Oberflächentemperatur' (Regelgröße) 
vergeht. Ist so sicherlich nicht ganz korrekt, denn das ganze ist ein 
Ausgleichsprozess. Sobald du keine elektrische Energie mehr zuführst, 
verteilt sich die vorhandene Wärmemenge auf den ganzen Widerstand, d.h., 
es wird an der Oberfläche nicht mehr so heiß, wie es im Abschaltmoment 
im Kern war.

Real wird das wohl irgendeine PT1Tt-Strecke oder sowas sein, aber das 
tut auch nicht weh.

> Das kann es ja aber eigentlich nicht sein, oder? ICh
> bräuchte bei jedem Sollwert nen anderen Abschaltwert.
Ja, so ungefähr. Für das Modell mit der Totzeit könntest du mal einen 
Prädiktorregler ausprobieren. Das ist quasi ein Regelkreis, der ein 
kleines Modell der Regelstrecke ohne Totzeit enthält. Der Reger regelt 
dann fleißig und bekommt von diesem kleinen Modell sofort (keine 
Totzeit!) eine Antwort und ist zufrieden, während die Antwort 
tatsächlich erst durch die ganze reale Strecke durchwandern muss.

> Wie geh ich prinzipiell vor?
> Die Differentialkonstante D ganz klein und I relativ groß machen?
Es gibt da diverse Faustformeln, auch für Regelkreise mit dominanter 
Totzeit. Schau mal Ziegler/Nichols oder Chiem/Reswick/Hrones.

> Was
> ist der Trick am mech. Regler daß das beim Bügeleisen nicht so
> gravierend auftritt ist?
Da ist es schlicht eine Hysterese und der genügend große Wärmeleitwert 
der Heizfläche. Es tritt garkein so gravierender Unterschied zwischen 
'innen' und 'außen' auf.

von Joe G. (feinmechaniker) Benutzerseite


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Verwirrter schrieb:
> Wie geh ich prinzipiell vor?

1. Streckenverhalten bestimmen
2. Regler mit dieser Strecke so dimensionieren, dass kein Überschwingen 
auftritt.

von Purzel H. (hacky)


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Ein PID auf eine Heizung ist eh suboptimal. Denn der I Regler dreht so 
lange bis der P-Antei gleich Null ist. Dann macht der I-Anteil Alles. 
Das ist nicht gut. Nimm mal eine Kurve auf : Stellglied nach 
Ausgangstemperatur.

Und das sollte die erste Approximation sein : Stellglied als Funktion 
der Vorgabe. Der PID kommt obendrauf.

von C-Prog (Gast)


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Mikro Oschi schrieb:
> Ein PID auf eine Heizung ist eh suboptimal. Denn der I Regler dreht so
> lange bis der P-Antei gleich Null ist. Dann macht der I-Anteil Alles.
> Das ist nicht gut. Nimm mal eine Kurve auf : Stellglied nach
> Ausgangstemperatur.

Warum sollte ein PID-Regler hier suboptimal sein? Genau das von dir 
beschriebene Verhalten (Abweichung 0 --> P-Anteil = 0 ; I regelt die 
bleibende Regelabweichung aus) ist doch das Ziel der Regelung.

von Verwirrter (Gast)


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Die Idee mit dem Prädiktorregler gefällt mir, ich habe bis jetzt in der 
Mitte des Widerstandes (quadratisches Profil 5mm, ca 80mm lang)gemessen. 
Ich wollte zwischendurch mal an der Außenkante messen, denke aber mal 
das dies die echte Tmperatur eher noch stärker verfälscht.


>Theoretisch: man macht den P-Anteil kleiner.
>Praktisch: man heizt nicht so stark...
Die Temperatur stieg durch den hohen Strom schnell (delta t 90°/40s) an, 
vielleicht war dies dem "Prozess" schlicht nicht angemessen. Vermutlich 
ist eine Totzeit die einzig sinnvolle Lösung, daß das "System" sich 
beruhigt - zumal ich ja bis jetzt nur die Aufheizperiode und nicht die 
Halteperiode betrachtet hab. Vielleicht muß man es als Ganzes sehen...
Werd' auf jeden Fall weiterstricken. Danke für die zahlreichen 
Denkansätze. Und was ne PT1Tt-Strecke ist find' ich auch noch raus.

von Tt (Gast)


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Verwirrter schrieb:
> Die Temperatur stieg durch den hohen Strom schnell (delta t 90°/40s) an,
> vielleicht war dies dem "Prozess" schlicht nicht angemessen. Vermutlich
> ist eine Totzeit die einzig sinnvolle Lösung, daß das "System" sich
> beruhigt

Ja, am einfachsten testest du es nocheinmal, aber mit weniger Strom (--> 
geringerer P-Anteil).

Eine Totzeit ist nicht die "einzig sinnvolle Lösung", sondern genau das 
Gegenteil. Totzeiten sind regelungstechnisch schrecklich, und du hast ja 
schon eine (die die Probleme erst verursacht), also warum willst du noch 
eine dazunehmen?

Am besten einmal mit den oben genannten Näherungsverfahren 
(Ziegler/Nichols oder Chiem/Reswick/Hrones) beginnen. Regelungstechnik 
ist nicht umsonst ein sehr komplexes Feld, das selbst 
Elektrotechnik-Universitätsstudenten oft Schweißperlen auf die Stirn 
treibt. Einfach "Strom drauf" ist eben nicht.

von Verwirrter (Gast)


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Am besten einmal mit den oben genannten Näherungsverfahren
(Ziegler/Nichols oder Chiem/Reswick/Hrones) beginnen.

Das bringt mich weiter. Danke!

von Purzel H. (hacky)


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>Warum sollte ein PID-Regler hier suboptimal sein?

Ein PID Regler ist immer suboptimal. Er ist fuer Leute, die zu faul 
und/oder zu doof sind das Problem zu ueberlegen, und loest das Problem 
trotzdem in den meisten Faellen.

Das Suboptimale aeussert sich dann dahingehend, dass man die PID 
Parameter eigentlich dem Betriebspunkt anpassen sollte, wenn man's 
besser haben moechte.

Ich empfehl einen PID zusaetzlich zu einem bestehenden Model. Wenn man 
einem PID mit einem Prediktor helfen kann, bekommt man ein besseres 
Zeitverhalten. Das Modell sollte 80-90% des Verhaltens machen, der PID 
oberdrauf noch 10-20%

von Gaser (Gast)


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>>Ein PID Regler ist immer suboptimal.
Ein PID-Regler ist eine allgemeingültige, weit verbreitete Vorrichtung, 
die meist recht gut funktioniert. Wie sollen die das mit Lab-View 
machen, für jede Eventualität einen vorgefertigten Regler reinpacken?

>>Wie geh ich prinzipiell vor?
>>Die Differentialkonstante D ganz klein und I relativ groß machen?
D = Deviation = Abweichung

Durch den Abstand der Heizwendel von der gemessenen Außenfläche entsteht 
eine Totzeit. Besser wäre es, wenn die Heizung einen direkteren 
Wärmekontakt zur Objekt hätte. Falls Du den Heizwiderstand auf einem 
Metallblock anbringst, ist das Überschwingen wesentlich geringer im 
Verhältnis der Wärmekapazität der Heizung zum Metallblock. Wie gut die 
Regelung funktioniert, hängt als zu einem großen Teil vom Aufbau ab.

Der D-Anteil detektiert, daß der Ist-Wert noch steigt, obwohl der 
Soll-Wert fast erreicht ist und steuert gegen. Also den D-Anteil größer 
machen.

von C-Prog (Gast)


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Mikro Oschi schrieb:
>>Warum sollte ein PID-Regler hier suboptimal sein?
>
> Ein PID Regler ist immer suboptimal. Er ist fuer Leute, die zu faul
> und/oder zu doof sind das Problem zu ueberlegen, und loest das Problem
> trotzdem in den meisten Faellen.

Ich zweifle nun ein bisschen an deiner Kompetenz. PID-Regler sind sicher 
nicht immer das Optimum, aber "immer suboptimal" stimmt sicher nicht. Es 
gibt genug Anwendungen, wo sie optimal passen. Mein Zitat hast du auch 
gekürzt, denn meine Frage war ja, warum der verschwindende P-Anteil und 
die reine Regelung über den I-Anteil schlecht wären.

> Das Suboptimale aeussert sich dann dahingehend, dass man die PID
> Parameter eigentlich dem Betriebspunkt anpassen sollte, wenn man's
> besser haben moechte.

Kommt auf die Strecke an, in vielen Fällen muss man das nicht machen.

> Ich empfehl einen PID zusaetzlich zu einem bestehenden Model. Wenn man
> einem PID mit einem Prediktor helfen kann, bekommt man ein besseres
> Zeitverhalten. Das Modell sollte 80-90% des Verhaltens machen, der PID
> oberdrauf noch 10-20%

Was meinst du mit "Model"?

von Sven P. (Gast)


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Gaser schrieb:
>>>Ein PID Regler ist immer suboptimal.
> Ein PID-Regler ist eine allgemeingültige, weit verbreitete Vorrichtung,
> die meist recht gut funktioniert.
Naja, er ist halt (fast) immer 'suboptimal', weil er ein Universalregler 
ist. Bessere Regler kann man also (fast) immer finden.

Das ist aber (fast) immer egal, weil die verwendeten Streckenmodelle 
auch (fast) immer suboptimal sind... sofern überhaupt welche ermittelt 
wurden.

Ein Professor formulierte eine der Einstellregeln für einen P-Regler mal 
so:
'So weit aufdrehen, bis die Pumpe sich ungesund anhört, dann um die 
Hälfte zurückdrehen, fertig.'
So läuft das halt oft :-)

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