Forum: Ausbildung, Studium & Beruf Biete Gelegenheit - Suche Verstand


von Martin W. (martin_s86)


Lesenswert?

Eine kleine Geschichte wie man heute anscheinend versucht Ingenieure in 
den tollen Westen zu holen:

Ich: Student, Anfang 2012 auf der Suche nach einer Abschlussarbeit in 
einem Unternehmen. Gewünschter Tätigkeitsbereich: Hardwareentw. für 
Embedded-Krimskrams, prakt. Erfahrung: 8/16/32bit'er Programmierung, Ein 
wenig Gebastel und Minijob als Entwickler für örtl. Ingenieurbüro. 
Insges. ganz schicker Lebenslauf. Studiumsnoten über Durchschn.

Ca. im Januar meldete sich auf meine Online-Bewerbung hin, ein recht 
stattliches Unternehmen mit Sitz Hamburg(Niederlassung) aus der 
Luftfahrtindustrie für Airbus usw.(Aeroooo*hust*). Telefoninterview 
geführt, ich lehnte nach deren Projektbeschreibung und noch vor meiner 
Präsentation ab, weil langweiliges Recherche-Thema (etwa 
Sicherheit/Anwendbarkeit gewisser Leuchtmittel). Sie bedauertes das, 
weil sie mir dann kein weiteres Thema anbieten können. Tat mir dann ein 
bischen leid, schließlich saßen da 3 gutbezahlte Leute 15 min völlig 
umsonst rum.

Anderes super Unternehmen in Sachsen gefunden. Angenommen.

Mitte Mai kommt eine Mail aus anfänglich unseriös scheinender Quelle, 
ich sollte mein Bewerbungsprofil überarbeiten wenn ich noch Interesse 
hätte. Es stellte sich heraus, das war anscheinend der 
Personaldienstleister o.ä. der erstgenannten Klitsche. Gesagt, getan und 
um 1 Uhr morgens das Ding umgeschrieben, weil ich ja nun keine 
Abschlussarbeit sondern inzwischen bald einen richtigen Job suchte.

Vor 2 Wochen klingelt das Telefon um ca. 20 Uhr(!). Es meldet sich eine 
Frauenstimme mit deutlichem französ. Akzent:
"Ähhhiii Herr XXXX Sie sind noch auf der Suche nach einer Gelegenheit?"

Ich war baff. Nach ca. 1 min schnallte ich, dass es um einen Job geht. 
Nach weiteren 5min Gespräch, stellte sich raus es ist wieder diese Firma 
(inzw. gesplittet) und möchte wieder ein Telefoninterview. Dann viel der 
Dame auch ein, sich überhaupt mal vorzustellen und sich für die Uhrzeit 
zu entschuldigen und sie sagte Sie sei Business Managerin (guck einer 
an). Als ich ihr klar machte, dass ich inzwischen kein Interesse mehr 
habe und Aussichten auf einen Job in Sachsen habe, wusste Sie 
anscheinend garnicht mehr wie ihr geschieht. Sie betonte anschließend 
ca. 3 mal, dass diese "Gelegenheit" in Hannover wäre und ob ich wirklich 
in Sachsen arbeiten wollen würde. Und Sie sagte noch einmal den 
Firmennamen. Dann hat sie ganz traurig das Gespräch beendet, als ich 
wollte das meine persönl. Daten bitte gelöscht werden.

Leute, was bitte ist denn hier los? Hat schon mal jemand so ein 
obstruses recruiting-Gespräch geführt? Hallo die Frau hat studiert, in 
Ihren Jobsbezeichung steht etwas mit Managedings und sie weiß nicht was 
Job/Arbeit auf deutsch heißt und stellt sich nichtmal vor? Das habe ich 
selbst in einem Kurs in meinem ET-Studium gelernt.
 Und verflucht warum bilden sich diese Mio/Mrd €-Umsatz Konzerne immer 
ein in Ihrem Unternehmen will doch unbedingt jeder arbeiten müssen. Und 
Firmen/Niederlassungen/Jobs im Osten taugen sowieso nix?

Ist das wirklich Stand of the art heute?

Zum Glück bin ich nicht mehr wirklich auf der Suche nach einer 
"Gelegenheit".

von Jens (Gast)


Lesenswert?

Martin S. schrieb:
> Und verflucht warum bilden sich diese Mio/Mrd €-Umsatz Konzerne immer
> ein in Ihrem Unternehmen will doch unbedingt jeder arbeiten müssen.

Dann lies doch mal hier im Forum. Alle Jobs unter Konzern sind quasi 
drittklassig. Das bekommen neatürlich auch die Firmen mit. Zumal auch 
die Zahl der Bewerbungen, die jährlich bei den Konzernen jenseits von 
gut und böse sind. Ich hatte letztens was über Siemens gelesen, die 
hatten über 100000 Bewerbungen / Jahr. Die können massiv auswählen und 
nehmen natürlich nur die BEsten.

> Und Firmen/Niederlassungen/Jobs im Osten taugen sowieso nix?

Das trifft insbesondere beim Gehalt bei sehr vielen Firmen und auch 
Konzernen zu. Vielleicht mit Ausnahme von Dresden und Berlin.

von Lars (Gast)


Lesenswert?

Jens schrieb:
> Zumal auch
> die Zahl der Bewerbungen, die jährlich bei den Konzernen jenseits von
> gut und böse sind. Ich hatte letztens was über Siemens gelesen, die
> hatten über 100000 Bewerbungen / Jahr. Die können massiv auswählen und
> nehmen natürlich nur die BEsten.

Das wird die Summe aller Bewerbungen sein - einschließlich aller 
H4-Pflichtbewerbungen. Die Zahl der ernstzunehmenden Bewerbungen auf 
einzelne Entwicklerstellen wird deutlich geringer sein.

Martin S. schrieb:
> Ist das wirklich Stand of the art heute?

Erscheint fast normal. Ich hatte die Festanstellung aufgegeben um mir 
etwas interessanteres zu suchen und bin in der Zwischenzeit als 
Selbständiger gut über die Runden gekommen. Am Telefon habe ich das dem 
Anrufer von der Zeitarbeitsfirma auch so gesagt, einschließlich dem 
dezenten Hinweis, dass ich nur an einer richtigen Arbeitsstelle 
interessiert bin und seine Angebote auch deutlich von meinen 
Vorstellungen abweichen. Das war schon zuviel für den. Hat mir noch mit 
dem Zuzug von Arbeitskräften aus dem Osten gedroht und er würde mich auf 
eine schwarze Liste setzen. Da kriege ich nie wieder Arbeit.

Das ging noch ein paar Minuten weiter und seine Drohungen mit einer 
pechschwarzen Zukunft immer wilder. Am Ende habe ich ihm dann gesagt was 
ich für ein Auto fahre, dass ich mir ein zweites davon in bar kaufen 
könnte und wie meine Altersvorsorge aussieht. Mit dem Ergebnis, dass er 
mir mit fast versagender Stimme vorwirft ich würde ihn anlügen und noch 
sehen was ich davon hätte. Richtig abgedreht - und der muß vor nicht 
allzu langer Zeit ein Ingenieursstudium abgeschlossen haben - zumindest 
laut seiner E-Mail Signatur.

Eine Dame aus dem gleichen Milieu war gegen Ende des Gesprächs so 
verzweifelt, daß sie mir Name und Adresse eines suchenden Unternehmens 
gegeben hatte und aber noch darauf hinwies, daß es furchtbar unfair sei, 
wenn ich mich direkt auf deren Anzeige melden würde. Und ich hätte ja 
soviele Vorteile, wenn ich über die Agentur angestellt wäre.

Ich habe das unter Kollegen einmal angesprochen und es scheint fast so 
eine Entwicklung der letzten zwei Jahre zu sein.

von Guest (Gast)


Lesenswert?

Das liegt daran, dass mittlerweile Unternehmen Prämien bezahlen für die 
Vermittlung von Fachkräften. Bei meiner ehemaligen Firma hätte man als 
Mitarbeiter eine Prämie von 2500€ bekommen. Bei meiner jetzigen Firma 
sogar bis zu 4200€ zzgl. 900€, wenn es sich um eine Frau handelt!

Unternehemen beauftragen sogar Personalvermittler mit der Suche. Diese 
bekommen dann eine Provision von 25%. Zumindest ist das bei Progressive 
so.

von Michael S. (technicans)


Lesenswert?

Martin S. schrieb:
> Ist das wirklich Stand of the art heute?

Du hast ja keine Ahnung, das ist nur die Spitze des Eisbergs.

Lars schrieb:
> Das war schon zuviel für den. Hat mir noch mit
> dem Zuzug von Arbeitskräften aus dem Osten gedroht und er würde mich auf
> eine schwarze Liste setzen. Da kriege ich nie wieder Arbeit.

Das haben die wirklich gesagt? Hört sich an, als wäre es eine
Angelegenheit für die Staatsanwaltschaft mit dem Deliktschwerpunkt:
Arbeitsmarkt-Mafia.

Lars schrieb:
> Eine Dame aus dem gleichen Milieu...

Hm, wenn ich solche Worte höre, egal in welchem ansonsten seriösen
Zusammenhang, muss ich immer an was ganz anderes mit roten Lampen
denken.

Lars schrieb:
> Und ich hätte ja
> soviele Vorteile, wenn ich über die Agentur angestellt wäre.

Die Vorteile der Agentur mal ganz außen vor?

Lars schrieb:
> Ich habe das unter Kollegen einmal angesprochen und es scheint fast so
> eine Entwicklung der letzten zwei Jahre zu sein.

Ja, wenn der Markt boomt, dann aber richtig und wenn die Ware fehlt,
werden Kaufleute richtig kreativ.

So ne doofe Zicke hatte ich auch mal, aber der hab ich aber was
erzählt. Die hatte dann richtige Schuldgefühle. In jedem Fall sollte
man sich von solchen Zuhältern fernhalten, solange da nichts
substanzielles von denen auf den Tisch kommt.

von .... (Gast)


Lesenswert?

Selbst hier an einer renommierten Uni betreiben ein paar wirklich 
talentierte Studenten eine Vermittlungsfirma. Keine Ahnung ob's 
rentiert, aber scheinbar ist das "Business"-Gehabe reizvoller als 
technisch etwas zu leisten. Selbst für Leute, die was können!

Wenn aber nur noch "Business", managen, verwalten, vermitteln usw. cool 
ist, ja wer soll dann noch die echte Arbeit erledigen...? Entweder 
Wirtschaft und Gesellschaft kapieren (und honorieren, mit Geld und 
Ansehen) bald, dass die echten Fachleute eben doch die wahren 
Leistungsträger sind oder aber unsere Wirtschaft wird als 
Verwaltungsapparat enden, wo nur noch gemanagt aber nichts mehr 
gearbeitet wird. So wie damals im Kommunismus...

von Schiller72 (Gast)


Lesenswert?

Tjaja, das Land der Dichter und Denker mutiert so langsam zum Land der 
Dichter und Consulter, traurig aber wahr.

von Dipl.-Inf(FH) (Gast)


Lesenswert?

das denke ich mir auch oft. Also das Leute die nur Papier oder Geld von 
A nach B schieben, teils sehr ungerechtfertigt hohe Provisionen dafür 
einstecken. Bestes Beispiel z.B. private Krankenversicherungen. Googelt 
mal nach MEG oder schaut euch youtube Videos dazu an. Die bekamen 
teilweise pro Neukunde bis zu 8000 Euro, wenn sie den an eine 
Versicherungsgesellschaft vermittelt haben. Das Geschäft dabei lief so : 
Kunde gibt seine Daten in einem Vergleichportal im Internet an, die 
Vermittlerfirma kauft den Datensatz und ruft ihn an und frägt ihn ob er 
Interesse hätte an einem unverbindlichen Preisvergleich. Beist der Kunde 
an, zahlt die Versicherung bis zu 8000 Euro. Mancher Vertreter der Firma 
MEG kam so auf ein Jahresbrutto von mehreren 100 tsd Euro + ggf. 
Luxusfirmenwagen. Wie gesagt, normale Vertreter, ohne 
Leitungsverantwortung.

Auch interessant fand ich einen Bericht während der Krise 2009. Dort 
stand, dass Wirtschaftsprüfer teilweise unter Auftragsmangel leiden 
wegen der Krise und sich schon für 150 Euro die Stunde "verramschen" 
müssen. Warscheinlich auch noch + Spesen.  Wenn man hier im Forum so 
liest was freiberufliche ET Ingenieure so kriegen, da wäre ein 
"verramschen für 150 Euro pro h" schon ein Traum. Hört man aber irgendwo 
die Werbetrommeln für den Beruf des WP Prüfers ? rein wegen dem 
Studensatz her müsste es ja dort einen Mangel geben und nicht an ET 
Ingenieuren. Achso, mittlerweile sind Stundensätzen von 
Wirtschaftsprüfern selbstverständlich deutlich höher als 150 Euro.

Ok, um WP zu werden muss man einen Studienabschluss + 2 - 3 Jahre 
Assistententätigkeit + Lehrgang + Examen bestehen. Studienrichtung ist 
übrigens egal, allerdings werden natürlich eher BWLer genommen. In guten 
zeiten nehmen die fast jeden 2. der sich da als Assistent bewirbt. Wer 
dann gut ist, kann es in 3 Jahren zum examinierten Wirtschaftsprüfer 
schaffen. Man hat damit quasi eine Jobgarantie, geprüft werden muss 
immer, zur Not auch "nur" für 150 Euro die Stunde in der Krise. 
Angestellte WPs landen nach 10 Jahren ohne große Leistung mind bei 100 
k. Mir sagte sogar mal jemand, wer da nur bei 80 k Brutto / Jahr liegt 
muss ein gewaltiger Underperformer sein.

Achso, falls man das Examen nicht packt, geht man in die Industrie ins 
Rechnungswesen meist als Führungskraft. Selbst Examensversager sind da 
noch gefragte Kräfte !

von Christian B. (casandro)


Lesenswert?

Da gibts übrigens so was wie "Tales from the Interview", da kotzen sich 
Leute  über Personaldienstleister und Ähnliches aus.

http://thedailywtf.com/Series/Tales_from_the_Interview.aspx

Bitte melde dich an um einen Beitrag zu schreiben. Anmeldung ist kostenlos und dauert nur eine Minute.
Bestehender Account
Schon ein Account bei Google/GoogleMail? Keine Anmeldung erforderlich!
Mit Google-Account einloggen
Noch kein Account? Hier anmelden.