Forum: Digitale Signalverarbeitung / DSP / Machine Learning Dynamikkompression


von Pimboli (Gast)


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Hallo allerseits

ich möchte mit Matlab eine Dynamikkompression von einem Sprachsignal 
vornehmen. Wie gehe ich da vor?

Im Allgemeinen ist es ja so: man gibt einen Limiter Level in dB vor. 
Wenn das Audiosignal X dB über dem Limiter Level ist, dann muss mein 
Kompressor dann seinen Verstärkungsfaktor soweit absenken, dass das 
Signal nachher nur noch X / Kompressionsverhältnis dB über dem Limit 
ist. Ja?

Aber jetzt mal eine Verständnis Frage. Angenommen ich habe einen Limit 
von 10 dB eingestellt. Und eine Kompression von 1:4.
Jetzt gebe ich ein Input Signal auf den Kompressor. Der Verstärkt es mit 
seinem fixed Gain, sodass am Output dann sagen wir mal 18 dB anliegen. 
Das ist 8 dB über dem Limit. Geteilt durch 4 ergibt 2 dB, also muss der 
Kompressor seinen Gain so lange verstellen, bis das Ausgangssignal nur 
noch 2 dB über dem Limit ist. Und dann? dann ist es ja noch immer über 
dem Limit, theortisch müsste er dann den Gain noch weiter reduzieren bis 
er nur noch 0.5 dB drüber ist usw., oder nicht? Welchen Denkfehler mache 
ich?

Gruss.

von J. S. (engineer) Benutzerseite


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Pimboli schrieb:
> Welchen Denkfehler mache ich?

Ich fürchte, in Deiner Überlegung stecken leider gleich mehrere 
Denkfehler. Zum Einen solltest Du den Limiter vom Kompressor gedanklich 
trennen. Ein Limiter begrenzt den Pegel (hart) auf den eingestellten 
Wert, wobei der i.d.R. auch unterhalb von 0dB liegt. Um ein "weiches" 
Limitieren und nicht nur ein Abschneiden zu erzielen, muss ein 
Kompressor davor geschaltet werden, der wiederum schon deutlich 
unterhalb des Limits beginnt, die Verstärkung zu senken.

Ein Beispiel wäre ein Kompressor, der ab -20dB, den Pegel darüber um den 
Faktor 2 absenkt, wodurch maximal -10dB an Pegel entstehen. Wenn Du nun 
auf -12dB limitierst, hast du um 2 dB limitiert und einen headroom von 
12dB, um den Du Dein Signal pauschal verstärken kannst.

Das wäre auch eine typische Einstellung für die Kompression, wie man sie 
bei Audo anwendet. Die 2dB-Limitierung erzeugt dann zwar paritiell 
"Kicke" und Ecken in der Amplitude und damit nichtlineare Verzerrungen = 
harmonische Oberwellen, dies ist aber nur bei den wenigen fast 
übersteuerten Lauten der Fall und stellt einen guten Kompromiss dar. 
Soll das vermieden werden, wird nur ein Kompressor eingesetzt oder man 
schaltet einem weichen Kompi einen harten mit mehr Kompression nach.

Worüber Du Dir auch Gedanken machen musst, ist das Ansprechverhalten. 
Die Verstärkungen müssen träge geregelt werden. In keinem Fall darf eine 
statische Kennlinie verwendet werden, weil Du sonst keinen Kompressor 
sondern einen Verzerrer / Exciter bekommst. Zu dem Thema der Wahl der 
richtigen Parameter i.A. des Audiomaterials gibt es viel zu sagen, aber 
das wird dann zu tonmeisterlich.

: Bearbeitet durch User
von Pimboli (Gast)


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Hallo,
ja genau, für das Ansprechverhalten des Kompressors muss man ja die 
Attack, und die Hold Oder decay Zeit beachten. Und mit einem 
Hüllkurvendetektor schaut man wie gross die Amplitude ist. Nur wie das 
mit diesen Zeiten so funktioniert habe ich noch nicht ganz begriffen :-/

von Tom K. (ez81)


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Der englische Wikipedia-Artikel ist sehr gut: 
http://en.wikipedia.org/wiki/Dynamic_range_compression

von Georg A. (georga)


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>  also muss der Kompressor seinen Gain so lange verstellen,

Das impliziert eine Regelungsschleife, die die normalen Kompressoren 
(ala dbx1066&Co) nicht haben. Es ist eine reine Steuerung der 
Verstärkung aufgrund des Eingangssignals.

von Christoph db1uq K. (christoph_kessler)


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Das ist ähnlich dem Verhalten einer PLL-Regelschleife. Niederfrequente 
Störungen innerhalb der PLL-Regelschleifen-Bandbreite werden 
ausgeregelt, höherfrequente nicht.
Ein Kompressor der zu schnell nachführt, regelt auch die tiefen 
Audiofrequenzen weg, da muss man immer einen Kompromiss finden.

von Pumpernickel (Gast)


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Georg A. schrieb:
> Es ist eine reine Steuerung der
> Verstärkung aufgrund des Eingangssignals.
Wie sollte die denn sonst aussehen, wenn nicht als Regelung?

von Tom K. (ez81)


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Pumpernickel schrieb:
> wenn nicht als Regelung?

http://en.wikipedia.org/wiki/Dynamic_range_compression#Design
Feed-forward <=> Feedback

von A. F. (chefdesigner)


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Sinnvoll ist eine musikalisch wertvolle Dynamikkompression nur als 
feedback mit Multibandverhalten.

von Jenaer (Gast)


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Andreas Fischer schrieb:
> Sinnvoll ist eine musikalisch wertvolle Dynamikkompression nur als
> feedback mit Multibandverhalten.
Warum ist das so? Weil das Audi so am wenigstens verschlechtert wird 
(was Kompressoren ja bekanntlich gerne tun) oder so das beste 
Kompressionsergebnis erzielt wird?

von Georg A. (georga)


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> Sinnvoll ist eine musikalisch wertvolle Dynamikkompression nur als
> feedback mit Multibandverhalten.

Multiband OK, aber Feedback brauchts ja nur, wenn die VCA-Kurve nicht 
gut bekannt bzw. reproduzierbar ist. Bei Analogkram mag das noch 
geradeso zutreffen, aber bei einem DSP ist recht klar, was das MUL 
macht...

Aus Sicht des Anwenders ist das Feedbackverhalten natürlich etwas besser 
zu verstehen, weil er einen Sollpegel vorgibt statt mit Threshold, Ratio 
und Makeup-Gain rumzuspielen und dann zu schauen, was wirklich rauskommt 
:) Aber das ist bei DSP-Kompressoren auch nur historisch begründet, es 
hat sich halt jeder schon daran gewöhnt...

von A. F. (chefdesigner)


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> Warum ist das so? Weil das Audi so am wenigstens verschlechtert wird
So ungefähr. Ich beurteile es aus der Sucht des Musikers. Reine 
Kompressoren verändern den Klang zwar nicht, trotzdem hört es sich pft 
anders an. Mit einem Multibandkompressor hat man das besser in der Hand.

Ob die von TE Pimboli angestrebte Kompression von 4:1 noch taugt, sei 
infragegestellt. Alles, was mehr als 30% ändert, ist meist zuviel - 
siehe den loudness war.

von Jenaer (Gast)


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Andreas Fischer schrieb:
> Mit einem Multibandkompressor hat man das besser in der Hand.
wie würdest du den einstellen? Rein nach Gehör? Für mich ist die 
Komprimiererei einfach ein Greuel.

von J. S. (engineer) Benutzerseite


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> für mich ist die Komprimiererei einfach
Naja, Multibandkompressoren sind in der Tat ein effektives Mittel, 
Musiksignale (unhörbar) anzupassen. Die Frage ist aber auch hier wieder, 
was "unhörbar" ist und was warum angepasst werden soll. Erfahrungsgemäss 
hauen viele "Tontechniker" einfach deshalb einen Kompressor in den 
Signalpfad, weil er im Rack steckt, also vorhanden ist und nicht etwa 
deshalb, weil sie ein konkretes Ziel haben. Von daher kann ich Deine 
Haltung nachvollziehen.

Dynamikkompression macht eigentlich aus den folgenden Gründen Sinn:

1) Ich habe einen Sänger, der nicht fähig ist, das Mikro in konstantem 
Abstand zu halten und so zu gewährleisten, dass die Lautstärke objektiv 
gleichmässig übertragen wird. Dann kann der Kompressor helfen, dies 
Problem zu mildern, indem er die Lautstärke träge regelt. Träge heisst 
hier im Rahmen der möglichen Änderungsgeschwindigkeit der 
Eingangslautstärke = Bewegungsgeschwindigkeit des Arms. Der Nachteil der 
Kompressors ist hier, dass die eigentlich gewollten und musikalisch 
sinnvollen Lautstärkeänderungen des Sängers, die er zur Betonung von 
Passagen "kaputtgeregelt" werden. Die Folge ist eine Überzeichnung der 
Nähe und ein Zurückdrängen in den lauten Passagen, wodurch die Stimme 
"kleiner" wird. Den Näheeffekt (nicht zu Verwechseln mit dem 
"Nahbesprecheffekt) kann ich durch Multibandkompression mindern, indem 
die Höhen mit zunehmender Lautstärke schwächer angehoben werden. Leise 
Passgen gewinnen damit mehr an Deutlichkeit.

2) Ich habe eine Liveübertragung oder einen broad cast Fall mit starken 
Hintergründgeräuschen beim Abhörer (Autoradio), weswegen ich davon 
ausgehen kann, dass objektiv übertragene Lautstärken dazu führen werden, 
dass leise Passagen kaum noch oder gar nicht mehr gehört werden. Dann 
muss ich diese wohl oder übel anheben. Ebenso wie bei 1 kann ich hier 
mit einem MBC dafür sorgen, dass leise Passagen deutlicher werden. 
Musiksender verwenden dazu inzwischen automatisierte Systeme, die den 
Eingangsdatenstrom von der CD "sendegerecht" verpacken.

3) Ich habe eine Orchestermusik, deren hohe Eingangsdynamik nicht auf 
die CD passen, weil einzelne Peaks der Musik das 16Bit-Limit derart 
ausreizen würden, dass eine zu geringe Grundlautstärke (im Vergleich zu 
typischen CDs) entstehen würde. Dann wird man mit einem sehr langsam 
eingestellten Kompressor die leisen Passagen unmerklich anheben, wobei 
die Klangbearbeitung per MBC eher negativ erfolgen muss, d.h. es erfolgt 
eine relative Absenkung der verständlichkeitsfördernden Höhen zur 
Vermeidung des gehörten "Näherkommens". Ferner kann man die sehr lauten 
Passagen oben etwas weglimitieren, wie ich es weiter oben beschrieben 
habe. Hier werden die Höhen umgekehrt weniger limitiert, um die Betonung 
der Passage zu erhalten. Um einen solchen Vorgang zu automatisieren 
benötigt man also 3 in Reihe geschaltete Kompressoren, die beiden 
Äusseren als "schnelle" MBC mit jeweils gegenläufigem Höhenverhalten. 
"Schnell" heisst hier bandabhängig klangbeinflussend, also vom 
Ansprechverhalten her nur noch leicht unterhalb des Bereichs der 
Periodendauer.

4) Ich habe bei der Produktion einzelne Tracks (Livegitarre, Gesang) die 
in der Dynamik nicht zueinander passen. Dann muss eine Anpassung 
erfolgen, um die ungewollte Domonanz einer Simme zu verhindern. 
Signaltechnisch sind Kompressoren dann unumgänglich, wenn man z.B. mit 
Synthesizern, Vovodern oder Filterbänken arbeitet, die 
Resonanzüberhöhungen generieren. Dann laufen die Stimmen gerne mal aus 
dem Ruder.

5) Ich habe einen Sprecher oder einen Sänger, dessen Stimme mehr 
Ausdruckverliehen werden soll. Durch gezielte dynamische Anhebung von 
Stimmanteilen, die unterrepräsentiert sind (vor Allem Bässe), bekommt 
die Stimme mehr Fülle. Dabei werden fast immer MBC eingestzt.

In der Regel müssen MBCs nach Gehör eingestellt werden, will man etwas 
Taugliches erzielen. Nur, wenn man das Material kennt, weil man es 
selber aufgenommen hat und ganz bestimmte Effekte erreichen will, wie 
bei 3), ist das mehr oder weniger deterministisch und automatisierbar. 
Musik bearbeite ich offline am Rechner mit einem 5/7 Band-EQ mit jeweils 
LO und Hi-Cut, von denen möglichst nur ein Band + der Hi-Cut relevant 
aktiv sind. In Echtzeit habe ich u.a. den hier im Gebrauch:

http://www.96khz.org/htm/multibandcompressor2.htm

Jedes Band hat dabei seine eigenen optimierten Settings für ATTACK und 
RELEASE.

In allen Fällen (und da muss ich dem Schreiber oben Recht geben) 
modifizieren die Kompressoren den Klang künstlich, machen ihn "falsch" 
und ändern ihn auch oft nicht zum Besseren. Sie sind vielmehr ein 
Kompromiss. Wie man sich leicht vorstellen kann, werden nun bei der 
Musikproduktion andauernd und an vielen Stellen (Aufnahme, Mischung und 
Sendung) Kompressoren eingesetzt und damit Kompressoren mit z.T. 
widersprüchlichen Strategien hintereinandergeschaltet. Das Ergebnis, das 
z.B. aus den Autoboxen dröhnt, ist entsprechend. Vor allem bei der 
Stimmmanipulation muss aber sehr genau wissen, was man tut und exakt 
hinhören. Was da z.T. getrieben wird ist geradezu schlimm! Besonders 
negativ fallen mir in jüngster Zeit Produktionen von Naturfilmen und 
anderen Dokumentationen auf, wo die Sprecher und Filmer das Material 
selbst daheim im Studio zusammenstrickseln. Mangels Erfahrung und 
Abhörmöglichkeiten (kleine Billigmonitore ohne Bassrepräsentation) sowie 
in einigen Fällen auch ein definitiv mieses Gehör, kommen da arg extrem 
klingende Tracks dabei heraus. In einem Fall musste ich mal eine 
Naturdoku des Bayerischen Rundfunk abschalten, weil die Sprecherin einen 
extrem rumpeligen und röhnendn Bass der Stimme hatte (geschätzt 18dB 
überkomprimiert), dass der Fernseher bei jedem A und U nur so 
schepperte. Der BR, der dazu von mir angeschrieben wurde, hatte keine 
Meinung dazu.

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