Forum: Mikrocontroller und Digitale Elektronik Pt100 - Einfluss der Messunsicherheit


von Simon H. (s_h_fau)


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Hallo zusammen,

ich durchforste das Netz gerade nach Untersuchungen zum Thema Pt100 und 
dessen Messunsicherheit. Genauer gesagt, geht es um folgende Themen:

- Verhält sich die Abnahme der Messgenauigkeit des Pt100 nach der 
ersten, zweiten, x-ten Kalibrierung genauso wie sie sich beim noch 
jungfräulichen Produkt verhalten hat? (bzw. wenn nicht wie sehr verkürzt 
sich der Abstand zwischen zwei Kalibrierungen)
- In wie weit wird die Messunsicherheit eines Pt100 (als 
Prozessüberwachung, nicht als produziertes Gut) im Produktionsprozess 
berücksichtigt, damit die Produktqualität (egal welches Produkt 
hergestellt wird) dadurch nicht gemindert wird?

Das Netz ist zwar voll mit Theorie und Infos zum Pt100, aber praktische 
Untersuchungen hierzu findet man nirgends. Zumindest google ich mir seit 
geraumer Zeit die Finger wund.

Hat hier irgendjemand Erfahrungen, oder kennt im besten Fall sogar eine 
Studie bzw. einen Artikel?

Werde das alles danach auch noch für Thermoelement recherchieren. Hier 
habe ich zwar noch nicht angefangen, aber wenn jemand schon etwas weiß, 
dann darf er/sie mir auch gerne die Überraschung nehmen :)

Gruß, Simon

von U. M. (oeletronika)


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Hallo,
> Simon H. schrieb:
> - Verhält sich die Abnahme der Messgenauigkeit des Pt100 nach der
> ersten, zweiten, x-ten Kalibrierung genauso wie sie sich beim noch
> jungfräulichen Produkt verhalten hat? (bzw. wenn nicht wie sehr verkürzt
> sich der Abstand zwischen zwei Kalibrierungen)
Ein gekaufter PT100 hat eine Grundgenauigkeit die vom Hersteller 
normalerweise entsprechdn einer Norm garantiert wird.
http://www.pt100.de/genauigkeit.htm
Diese Genauigkeit hat erstmal nix mit der Reproduzierbarkeit zu tun.
Bei entsprechend genauer Kalibrierung kann man einen PT100 mit 
Grundgenauigkeit Klasse B auch viel genauer als 0,1°C messen.
Auch Alterung wird erstmal deutlich geringer sein, als die 
Grundgenauigkeit.

Praktisch kommt bei der Anwendung noch der Fehler der Messschaltung mit 
dazu. Die ist in vielen Fällen schlechter, als die Genauigkeit des 
Sensors.

> - In wie weit wird die Messunsicherheit eines Pt100 (als
> Prozessüberwachung, nicht als produziertes Gut) im Produktionsprozess
> berücksichtigt, damit die Produktqualität (egal welches Produkt
> hergestellt wird) dadurch nicht gemindert wird?
Was soll jetzt diese akdemische, völlig unspzifische, Fragestellung?
In den meisten Fällen wird die Produktqualität nicht mal gemindert, wenn 
die Temperaturmessung mehrere K daneben liegt.

Ansonsten wird man natürlich einen Sensor so qualifizieren,kalibrieren, 
überwachen und Messungen redundant einsetzen, dass die erfoderliche 
Messgenauigkeit und Messsicherheit eingehalten wird.

> Das Netz ist zwar voll mit Theorie und Infos zum Pt100, aber praktische
> Untersuchungen hierzu findet man nirgends.
Was willst du denn nun wissen? Du hast praktisch ja keinerlei 
Randbedingungen genannt, sondern nur allgemeines Gerede.
Gruß Öletronika

von Lurchi (Gast)


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Die PT100 zeichnen sich im allgemeinen durch eine geringe Alterung aus. 
Vor allem bei höheren Temperaturen kann es aber auch bei PT100 zu 
Alterung kommen - vor allem bei den günstigen Dünnschichtvarianten, 
weniger bei den teuen Drahtvarianten. Sofern man aber bei moderaten 
Temperaturen bleibt ist die Alterung eher gering und wird mit der Zeit 
eher langsamer, nicht schneller.

Für die Qualtätsüberwachung kommt es erst einmal auf die Alterung an, 
erst bei einem Austausch kommt es dann auch die Toleranzen an. Oft ist 
auch die Frage welche Temperatur überhaupt gemessen wird wichtiger als 
wie genau der Sensensor selber ist.

PT100 sollten gut untersucht sein, zundest die Drahtversionen, denn die 
dienen über einen weiten Bereich als sekundäre Referenz. Viel wird aber 
ggf. schon älter sein. Falls google geht  mal mit "NIST PT100 aging" 
versuchen - da sollte sich einiges auf englisch finden.
Zu den Dünnfilmsensoren könnte es einiges geben aus der Zeit als die neu 
waren, aber auch das ist schon etwas her.

von Harald W. (wilhelms)


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Simon H. schrieb:

> Grundsätzlich gilt: PT-Sensoren sind die genauesten sekundären
Normale, die man kennt. Die Genauigkeit geht bis in den Millikelvin-
Bereich hinein. Für Präzisionsmessungen muss man aber regelmäßig
nachkalibrieren. Das Gegenmessen gegen Präzisionswiderstände
praktisch vor jeder Messung; das Kalibrieren gegen Tripelpunkte
z.B. täglich. Grundsätzlich gilt aber für alle Messungen:
Man misst nicht so genau wie möglich; man misst so genau wie nötig!

von Georg (Gast)


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Simon H. schrieb:
> bzw. wenn nicht wie sehr verkürzt
> sich der Abstand zwischen zwei Kalibrierungen

Da gehst du von ganz falschen Voraussetzungen aus. I.A. werden 
elektronische Bauteile nach einer initialen Einlaufphase eher immer 
stabiler, jedenfalls solange man sich im flachen Teil der 
Badewannenkurve befindet. Daher benutzt man für hohe Präzision 
vorgealterte Bauteile.

Georg

von Simon H. (s_h_fau)


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Lurchi schrieb:

> Für die Qualtätsüberwachung kommt es erst einmal auf die Alterung an,
> erst bei einem Austausch kommt es dann auch die Toleranzen an. Oft ist
> auch die Frage welche Temperatur überhaupt gemessen wird wichtiger als
> wie genau der Sensensor selber ist.


Aber wie unterscheidet man hier zwischen Alterung und Toleranzen (meinst 
du damit Messungenauigkeit?)?
Unter Alterung verstehe ich sich aufbauende Spannungen im Platin (durch 
Vibration/Erschütterung, rasche Temperaturunterschiede etc.), welche 
dazu führen, dass sich der elektrische Widerstand des Platins verändert 
und dadurch eine andere Temperatur ausgegeben wird als eigentlich 
vorherrscht.
Wenn das so stimmt, stellt das aber letztendlich auch nur einen Teil der 
Messunsicherheit dar, oder nicht? Sprich diese müsste sich dann ja auch 
verschlechtern, wenn der Sensor altert.

Habe ich da jetzt irgendwo einen Denkfehler?

von Simon H. (s_h_fau)


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Georg schrieb:

> Da gehst du von ganz falschen Voraussetzungen aus. I.A. werden
> elektronische Bauteile nach einer initialen Einlaufphase eher immer
> stabiler, jedenfalls solange man sich im flachen Teil der
> Badewannenkurve befindet. Daher benutzt man für hohe Präzision
> vorgealterte Bauteile.
>
> Georg


Zählt das nicht nur für die Ausfallwahrscheinlichkeit? Und falls es auch 
für die Messungenauigkeit gilt, weiß man woran das liegt, dass diese 
sich mit zunehmender Alterung verbessert?

von Georg (Gast)


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Simon H. schrieb:
> weiß man woran das liegt, dass diese
> sich mit zunehmender Alterung verbessert?

Ruhe und Weisheit des Alters. Ernst beiseite, es gibt da viele Effekte, 
einer davon ist, dass Spannungen im Material, die durch die Fertigung 
entstanden sind (z.B. das Wickeln von Draht), langsam abgebaut werden.

Ähnlicher Fall: ichhabe mal einen der führenden Hersteller von 
Fräsmaschinen besucht, da war eine grosse Menge von Gusskörpern für neue 
Maschinen im Freien gelagert. Die Erklärung war, dass diese Gussteile 
etwa 5 Jahre gelagert werden müssen, damit sich Spannungen vom Giessen 
ausgleichen, solange arbeiten die Teile. Erst danach können daraus echte 
Präzisionsmaschinen gebaut werden.

Für Fleisch, besonders Wild, gilt was Ähnliches...

Georg

von Arc N. (arc)


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U. M. schrieb:
>> - In wie weit wird die Messunsicherheit eines Pt100 (als
>> Prozessüberwachung, nicht als produziertes Gut) im Produktionsprozess
>> berücksichtigt, damit die Produktqualität (egal welches Produkt
>> hergestellt wird) dadurch nicht gemindert wird?
> Was soll jetzt diese akdemische, völlig unspzifische, Fragestellung?
> In den meisten Fällen wird die Produktqualität nicht mal gemindert, wenn
> die Temperaturmessung mehrere K daneben liegt.

In der Lebensmittel- oder Pharmabranche ist es relativ üblich möglichst 
nah an die Grenzen bspw. x für y Minuten auf z zu erhitzen 
heranzukommen, schlicht um Zeit und Energie und damit Kosten zu sparen.

Harald W. schrieb:
> Simon H. schrieb:
>
>> Grundsätzlich gilt: PT-Sensoren sind die genauesten sekundären
> Normale, die man kennt. Die Genauigkeit geht bis in den Millikelvin-
> Bereich hinein.

Sub-Millikelvin/ppb-Bereich bei allen üblichen "Verdächtigen" SPRTs und 
Thermometriebrückenherstellern wie ASL F18, F900, Isotech microK, 
Measurements International 6010T, 6015T.

> Für Präzisionsmessungen muss man aber regelmäßig
> nachkalibrieren. Das Gegenmessen gegen Präzisionswiderstände
> praktisch vor jeder Messung;

Gegenmessen gegen Präzisionswiderstände ist das normale Messverfahren in 
dem Bereich. Meist vier Messungen, PT mit "normaler" Stromrichtung gegen 
kurzzeitstabile Spannungsreferenz, dann den Referenzwiderstand und 
nochmal die beiden Messungen mit umgekehrter Stromrichtung.

> das Kalibrieren gegen Tripelpunkte z.B. täglich.

Kommt auf die Anforderungen an. Je nach Temperaturbereich sind SPRTs 
langzeitstabil genug, um das nicht täglich machen zu müssen.
In den Laboren wird die ITS-90 mit Fixpunktzellen realisiert d.h. es 
gibt "assigned value(s) of equilibrium temperature".
http://www.bipm.fr/en/publications/its-90.html
die von diverse Sachen wie dem Gasdruck, über die Eintauchtiefe, die 
Wiederholbarkeit des Phasenübergangs bis zur Abhängigkeit der 
Isotopenzusammensetzung beim Wassertripelpunkt abhängig sind.
Der Einfluss der Stabilität der Referenzwiderstände auf die gesamte 
Messunsicherheit liegt dort zw. 0.005 mK bis 0.008 mK (k=1).
Messunsicherheit U(k=2)
http://www.nist.gov/calibrations/upload/sp250-81.pdf

Georg schrieb:
> Simon H. schrieb:
>> weiß man woran das liegt, dass diese
>> sich mit zunehmender Alterung verbessert?
>
> Ruhe und Weisheit des Alters. Ernst beiseite, es gibt da viele Effekte,
> einer davon ist, dass Spannungen im Material, die durch die Fertigung
> entstanden sind (z.B. das Wickeln von Draht), langsam abgebaut werden.

SPRTs werden vor der Kalibrierung entsprechend stabilisiert d.h. 
geglüht.
Für Einsatztemperaturen < 420 °C bspw. für 8 Stunden bei 475 °C
"To qualify for calibration, the SPRT resistance must repeat at the TPW 
to within the equivalent of 0.2 mK when comparing the pre- and 
post-anneal R(TPW) values. The SPRT must stabilize to the 0.2 mK 
criterion within five anneal cycles or the SPRT is rejected for 
calibration."
http://www.nist.gov/calibrations/upload/sp250-81.pdf

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