Forum: Mikrocontroller und Digitale Elektronik wen schützt der Abblockkondensator eigentlich vor wem?


von Micha (Gast)


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Abblockkondensatoren sind ja ein altbekanntes Thema, dem man sich aus 
zwei gegensätzlichen Sichtweisen nähern kann:

1. Die Sicht des Praktikers: an jeden Chip einen 100nF dran, möglichst 
direkt und nah zwischen GND und Vcc

2. Die Sichtweise des Theoretikers, mit Dynamik, Impedanzen, 
Freuqenzabhängigkeit - mündet (natürlich) in die Aussage, daß die 
pauschalen 100nF öfters nicht die beste Wahl sind.

Mir selber feht das theoretische Wissen, ich denke lediglich, daß bei 
vielen Feld/Wald/Wiesenschaltungen, im Hobbybereich mit Schaltfrequenzen 
< 20MHz das alte Kochbuchrezept nach (1) gut genug ist, bzw. sehr viel 
besser, als garnichts.

Was mich jedoch interessiert: wen schützt so ein Abblock-Kondi vor wem? 
Schützt der den Rest der Schaltung vor überschwingenden Ausgangsflanken 
aus dem jeweiligen Chip (indem er diese verhindert), oder schützt der 
den Chip vor Signalstörungen von außen? Oder ist es beides?

von Teo D. (teoderix)


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Micha schrieb:
> Mir selber feht das theoretische Wissen, ich denke lediglich, daß bei
> vielen Feld/Wald/Wiesenschaltungen, im Hobbybereich mit Schaltfrequenzen
> < 20MHz das alte Kochbuchrezept nach (1) gut genug ist, bzw. sehr viel
> besser, als garnichts.

Nicht nur im Hobbybereich.

Micha schrieb:
> Oder ist es beides?

Jo, und noch mehr.... Es gibt Nix, was Nix beeinflussen würde. Fragt 
sich immer nur ob man's unterm Tischfallen lassen kann.

von S. K. (hauspapa)


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Der Kondensator sorgt für eine stabile Versorgungsspannung direkt am 
Baustein während für Schaltflanken ordentlich Strom gebraucht wird. 
Durch die Zuleitungsinduktivität der Versorgungsanschlüsse würde sonst 
die Versorgungsspannung einbrechen bis zu einem Punkt an welchem die 
Funktion des Bausteins nicht mehr gegeben ist.

Darüber hinaus hält der Kondensator diese Stromspitzen etas von der 
übrigen Schaltung fern und verbessert dadurch das EMV Verhalten.

von Matthias S. (Firma: matzetronics) (mschoeldgen)


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Micha schrieb:
> Oder ist es beides?

Jo. Aber bei CMOS Bausteinen spielt noch eine andere Eigenart von 
Ausgangsstufen eine wichtige Rolle. Prinzipbedingt sind bei einer 
Gegentaktendstufe in CMOS Technik beim Umschalten von z.B. Low auf High 
beide Endstufen für einen kurzen Moment leitend und sorgen so für ein 
'Shoot-Through', also einen Kurzschluss zwischen VCC und GND.
Das sorgt für Einbrüche auf der Betriebsspannung, die der Kondensator 
als Reservoir auffängt, bzw. den Strom aus seinem Speicher liefert.

Hier mal ein Beispiel einer solchen Endstufe, als Ausgang eines simplen 
UND Gatters in CMOS:
https://de.wikipedia.org/wiki/Und-Gatter#CMOS

: Bearbeitet durch User
von Dergute W. (derguteweka)


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Moin,

Hauptsaechlich schuetzt der Kondensator den Chip von 
Betriebsspannungseinbruechen, zumindest bei den klassischen 
Digitalchips.

Waehrend der Taktflanke, oder wenn viele Ausgaenge, die Last 
treiben(z.b. ein Stueck Leitung; die Eingangskapazitaet des 
Nachbarchips, etc. ), ihren Pegel in die gleiche Richtung wechseln 
muessen, dann braucht der Chip fuer ein paar ps (Picosekunden) einen 
deutlich hoeheren Strom. Dabei darf die Spannung aber nicht einbrechen. 
Ohne den Block-C in der Naehe kann die "normale" Spannungsversorgung 
diesen Strom aber nicht liefern, weil die Leitungsinduktivitaet 
verhindert, dass der Strom sich so schnell aendert. Also geht die 
Spannung am Chip in die Knie und die Probleme gehen los.

Damit waere eigentlich die Sache geloest mit einem einzelnen Block-C an 
jedem Versorgungspin. Der Voodo geht aber weiter, weil so ein realer C 
nicht ideal ist, sondern, wie jede Leitung auch, parasitaere 
Induktivitaeten hat. Die wiederum die Geschwindigkeit des Stromanstiegs, 
wenns drauf ankommt, begrenzen. Daher dann manchmal der Zirkus mit 
mehreren, verschieden grossen Block-Cs in abgestufter Entfernung.
Was uebrigens dank immer kleiner werdender Abmessungen der Kondensatoren 
abnimmt. Die Abmessungen der Kondensatoren sind massgeblich fuer ihre 
parasitaere Induktivitaet.

Von TI gibt's einen sehr schoenen "Application Report", den scaa082.pdf 
- dort wird das im Kapitel 2.4 sehr schoen beschrieben und mit der Fig. 
11 auch in Farbe und bunt gezeichnet.

Gruss
WK

von Wühlhase (Gast)


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Micha schrieb:
> Was mich jedoch interessiert: wen schützt so ein Abblock-Kondi vor wem?
> Schützt der den Rest der Schaltung vor überschwingenden Ausgangsflanken
> aus dem jeweiligen Chip (indem er diese verhindert), oder schützt der
> den Chip vor Signalstörungen von außen? Oder ist es beides?

Ja und Nein und noch viel mehr.

Wichtig ist zu verstehen, daß alle Bauteile (auch Leiterbahnen) mit all 
ihren Eigenschaften Schwingkreise bilden da sie alle über Induktivitäten 
und Kapazitäten verfügen.
Und diese machen sich ab bestimmten Frequenzen gehörig bemerkbar (und 
daran wird dann gemessen, was unter den Tisch fallen kann und was 
nicht).

Wichtig ist auch die Kenntnis, daß ein 4MHz Rechtecksignal nicht nur aus 
einer 4MHz-Frequenz besteht, sondern auch 8MHz-, 12MHz-, 16MHz-, (usw.) 
Anteile enthält. Wenn eine 4MHz-Schwingung keine Probleme macht, dann 
doch aber möglicherweise eine dieser höheren Oberschwingungen.

Und Kondensatoren werden aus EMV-Sicht auch nicht als Kapazitäten 
betrachtet, sondern als Induktivitäten. Denn bei höheren Frequenzen ist 
die Kapazität nicht mehr wirksam, sondern nur noch der induktive Anteil.
Aus diesem Grund ist es auch sinnvoller, einen Abblockkondensator als 
Impedanz zu betrachten und NICHT als Energiespeicher (das ist nu die 
Erklärung für Anfänger).
Bei dieser Betrachtung wird das abzublockende Bauteil als Quelle 
angesehen, die frequente Ströme generiert. Diesen Strömen wird mit dem 
Abblockkondensator ein Ausweichpfad zur Verfügung gestellt.

Bei komplexeren Schaltungen mit durchgängigen Versorgungslagen wird auch 
kein IC mehr einzeln mit einem eigenen Kondensator abgeblockt, da macht 
man das ganz anders.

von Harald W. (wilhelms)


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Micha schrieb:

> mündet (natürlich) in die Aussage, daß die
> pauschalen 100nF öfters nicht die beste Wahl sind.

Ich wüsste jetzt nicht, wo diese 100nF schaden würden. Höchstens
bei > 20 ICswürde ich  auf 47nF runtergehen.

> mit Schaltfrequenzen < 20MHz

Entscheidend ist nicht die Schaltfrequenz, die verwendet wird,
sondern die Schaltfrequenz, die das IC  zulässt!

von Rolf M. (rmagnus)


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Harald W. schrieb:
>> mit Schaltfrequenzen < 20MHz
>
> Entscheidend ist nicht die Schaltfrequenz, die verwendet wird,
> sondern die Schaltfrequenz, die das IC  zulässt!

Anders gesagt die Flankensteilheit. Relevant ist nicht, wie oft 
geschaltet wird, sondern wie schnell.

von Dahlie (Gast)


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Harald W. schrieb:
> Entscheidend ist nicht die Schaltfrequenz, die verwendet wird,
> sondern die Schaltfrequenz, die das IC  zulässt!

Ich würde in der Aussage sogar noch weiter gehen! Entscheidend ist 
letztlich die Flankensteilheit. Denn eine steilere Flanke braucht einen 
größeren Impulsstrom, der wiederum vom Abblock-C aufgebracht werden muß.

von Harald W. (wilhelms)


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Harald W. schrieb:

> Entscheidend ist nicht die Schaltfrequenz, die verwendet wird,
> sondern die Schaltfrequenz, die das IC  zulässt!

Deshalb sind für Allerwelts-Amateurschaltungen meist die schon recht
alten 4000-er-ICs am besten geeignet. Sie sind geschwindigkeitsmäßig
noch recht gutmütig und  brauchen keine aufwändige Betriebsspannungs-
Stabilisierung.
Gruss
Ingrid

von Wolfgang (Gast)


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Wühlhase schrieb:
> Wichtig ist auch die Kenntnis, daß ein 4MHz Rechtecksignal nicht nur aus
> einer 4MHz-Frequenz besteht, sondern auch 8MHz-, 12MHz-, 16MHz-, (usw.)

Woher nimmst du die Erkenntnis, dass ein 4MHz Rechtecksignal 
irgendwelche Frequenzanteile bei z.B. 8 oder 16 MHz enthalten soll?

Jedes symmetrische Rechteck enthält nur ungerade Oberwellen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Rechteckschwingung#Fourieranalyse

von Harald W. (wilhelms)


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Wolfgang schrieb:

>> Wichtig ist auch die Kenntnis, daß ein 4MHz Rechtecksignal nicht nur aus
>> einer 4MHz-Frequenz besteht, sondern auch 8MHz-, 12MHz-, 16MHz-, (usw.)
>
> Woher nimmst du die Erkenntnis, dass ein 4MHz Rechtecksignal
> irgendwelche Frequenzanteile bei z.B. 8 oder 16 MHz enthalten soll?
>
> Jedes symmetrische Rechteck enthält nur ungerade Oberwellen.
> https://de.wikipedia.org/wiki/Rechteckschwingung#Fourieranalyse

Das gilt m.W. nur für symmetrische Rechtecke.

von Dergute W. (derguteweka)


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Moin,

Harald W. schrieb:
> Harald W. schrieb:
>
>> Entscheidend ist nicht die Schaltfrequenz, die verwendet wird,
>> sondern die Schaltfrequenz, die das IC  zulässt!
>
...
> Gruss
> Ingrid

Hmm - liegt hier auch sowas wie die hier im Forum manchmal anzutreffende 
sog. MaWin'sche Persoenlichkeitsdispersion vor? Ich bin schwerst 
verwirrt...

Gruss
WK

von Harald W. (wilhelms)


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Dergute W. schrieb:

> Hmm - liegt hier auch sowas wie die hier im Forum manchmal anzutreffende
> sog. MaWin'sche Persoenlichkeitsdispersion vor? Ich bin schwerst
> verwirrt...

http://www.usenet-abc.de/wiki/Team/Ingrid

von Dergute W. (derguteweka)


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Moin,

Wieder was gelernt, merci.

Gruss
WK.

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