Ich hoffe ich bin im richtigen Unterforum. Wenn nicht, bitte verschieben. Ich habe eine Frage dazu, wie man sich Stromfluss physikalisch veranschaulichen kann. Ich habe schon diverse Forenbeiträge und Artikel zu ähnlichen Themen gelesen, aber richtig überzeugt hat mich noch nichts. Elektrischer Strom besteht aus negativ geladenen Elektronen, die frei beweglich sind (da sie sich gemäß Bändermodell im Leitungsband befinden) und sich bei einem Potentialunterschied nicht mehr rein zufällig, sondern gerichtet bewegen. Die Driftgeschwindigkeit der Elektronen entspricht Schneckentempo. Da aber die Elektronen überall im Leitermaterial vorhanden sind, schiebt das eine Elektron das andere weiter, sodass eine Kette entsteht (Tischtennisball-Modell). Damit lässt sich anschaulich erklären, warum eine Glühlampe am Ende des Drahtes mit Lichtgeschwindigkeit eingeschaltet wird, obwohl die Elektronen sich derart langsam bewegen. Aber ergibt denn dieses Modell überhaupt Sinn? Wie hoch ist denn z.B. in Kupfer überhaupt die Ladungsträgerdichte bei Raumtemperatur? Es ist ja ein Metall bei dem die Valenzelektronen über den gesamten Festkörper verteilt sind. Über die Dichte an Valenzelektronen, deren Beweglichkeit, die effektive Masse, die Driftgeschwindigkeit bei eingestellter Spannung, etc. müsste man doch die mittlere Flugzeit (Stoßzeit zwischen dem Stoß zweier Elektronen) berechnen können. Über die Elektronendichte und die Länge der Übertragungsstrecke müsste man auch abschätzen können, wie viele Elektronen in rein horizontaler Richtung an dem Vorgang beteiligt sein müssten. Hat das schon mal jemand gemacht und abgeschätzt, ob nach diesem Modell eine Ausbreitung mit Lichtgeschwindigkeit überhaupt möglich ist? Es ist ja nicht so, dass die Elektronen sich permanent berühren. Ist es nicht viel eher so, dass die Lampe mit Lichtgeschwindigkeit hell wird, weil sich entlang des Kupferdrahtes eine elektromagnetische Welle mit Lichtgeschwindigkeit ausbreitet? Und dass diese auch die elektrische Energie „transportiert“? Das wurde in einer Online-Vorlesung der TU Clausthal vom Dozenten auch so erklärt. Er sagte der elektrische Strom sei nur eine materielle Abbildung dessen und er würde die Richtung vorgeben, in die sich die Welle ausbreitet. Allerdings stellt sich mir bei dieser Argumentation dann die Frage, warum bei Gleichstrom die Lampe dann durchgehend brennt, denn eine elektromagnetische Welle entsteht doch nur bei zeitlicher Änderung von elektrischem Feld und magnetischem Feld. Das Magnetfeld um den Leiter und das elektrische Feld zwischen Hin- und Rückleiter verändern sich doch nur beim Einschalten, aber danach nicht mehr. Oder verändern sich die Felder doch permanent, weil die Ladungsträger durch den Potentialunterschied driften und die lokale Ladungsänderung dann immer das Magnet- und E-Feld beeinflusst? Kann mir jemand auf die Sprünge helfen?
gluehbirne schrieb: > Ich habe eine Frage dazu, wie man sich Stromfluss physikalisch > veranschaulichen kann. https://www.mikrocontroller.net/attachment/204520/ohm.jpg
gluehbirne schrieb: > Aber ergibt denn dieses Modell überhaupt Sinn? [...] Es > ist ja nicht so, dass die Elektronen sich permanent > berühren. Richtig. > Ist es nicht viel eher so, dass die Lampe mit > Lichtgeschwindigkeit hell wird, weil sich entlang des > Kupferdrahtes eine elektromagnetische Welle mit > Lichtgeschwindigkeit ausbreitet? Natürlich. Das Tischtennisball-Modell soll nur dem physikalischen Laien veranschaulichen, warum sich der "Strom" so viel schneller ausbreitet als die einzelnen Elektronen. Es versagt aber naturgemäß, wenn man die Vorgänge im metallischen Leiter genauer betrachtet. Elektronen sind halt keine Tischtennisbälle. > Und dass diese auch die elektrische Energie „transportiert“? Nein. Denn... > Das wurde in einer Online-Vorlesung der TU Clausthal vom > Dozenten auch so erklärt. ...hier kommt es sehr auf die Formulierung an. Es ist so, dass primär das FELD die Energie transportiert. Da eine elektromagnetische Welle aus der Verzahnung von elektrischem und magnetischem Feld entsteht, überträgt eine elektromagnetische Welle Energie. Aber auch ein stationäres elektrisches Feld kann Energie übertragen! > Er sagte der elektrische Strom sei nur eine materielle > Abbildung dessen Ja. Der Stromfluss ist eine Folge des elektrischen Feldes, die dann eintritt, wenn frei bewegliche Ladungsträger vorhanden sind. > und er würde die Richtung vorgeben, in die sich die Welle > ausbreitet. Jein... das ist zumindest unsauber formuliert. 1. Beim Schalten ändert sich das elektrische Feld. 2. Als Folge des geänderten elektrischen Feldes bewegen sich frei bewegliche Ladungsträger. 3. Als Folge der bewegten Ladungsträger entstehen magnetische Felder. 4. Es läuft eine elektromagnetische Welle auf der Leitung entlang. Das ist ein transienter Vorgang, der abklingt. 5. Es wird (in der Regel) eine elektromagnetische Welle in den Raum abgestrahlt. Der Vorgang klingt ebenfalls zeitlich ab. 6. Als neuer eingeschwungener Zustand liegt jetzt eine veränderte Feldverteilung vor. Das Feld besorgt den räumlichen Transport der Energie; die im Feld bewegten Ladungsträger die Wechsel- wirkung mit dem Leitermaterial. > Allerdings stellt sich mir bei dieser Argumentation dann > die Frage, warum bei Gleichstrom die Lampe dann durchgehend > brennt, denn eine elektromagnetische Welle entsteht doch > nur bei zeitlicher Änderung von elektrischem Feld und > magnetischem Feld. Richtig. > Das Magnetfeld um den Leiter und das elektrische Feld zwischen > Hin- und Rückleiter verändern sich doch nur beim Einschalten, > aber danach nicht mehr. Korrekt. Eine elektromagnetische Welle wird nur beim Ein- und Ausschalten erzeugt; Energie wird aber die ganze Zeit transportiert. Verwechslung von Feld und Welle. > Oder verändern sich die Felder doch permanent, weil die > Ladungsträger durch den Potentialunterschied driften und > die lokale Ladungsänderung dann immer das Magnet- und E-Feld > beeinflusst? Auch wenn das mit Deiner Ursprungsfrage nur entfernt zu tun hat: Für das Magnetfeld trifft Deine Vermutung zu: Man kann das Magnetfeld als relativistischen Effekt bei bewegten Ladungen verstehen. Dass bei Stromfluss die Ladungsdichte im Mittel konstant bleibt, ist dafür irrelevant - wichtig für die Entstehung der magnetischen Kraftwirkung ist, dass für jede einzelne bewegte Ladung die Umgebung anders aussieht als für die ruhenden Ladungen (Längenkontraktion). Für das elektrische Feld kann ich Deine Frage nicht beantworten. HTH
gluehbirne schrieb: > Elektrischer Strom besteht aus negativ geladenen Elektronen, die frei > beweglich sind (da sie sich gemäß Bändermodell im Leitungsband befinden) > und sich bei einem Potentialunterschied nicht mehr rein zufällig, > sondern gerichtet bewegen. Noch freier bewegen sie sich im Vakuum, und früher hat man in den Elektronenröhren davon auch Gebrauch gemacht. gluehbirne schrieb: > Wie hoch ist denn z.B. in > Kupfer überhaupt die Ladungsträgerdichte bei Raumtemperatur? Sehr hoch. Im festen Metall sind die Kupferatome nahezu vollständig ionisiert. Dazu gibt fast jedes Kupferatom ein Elektron ab. Diese dicken einfach positiv geladenen Kupferionen bilden das Kristallgitter, und die winzigen Elektronen können sich dazwischen nahezu frei bewegen. Man spricht in diesem Zusammenhang auch vom Elektronengas. Die Geschwindigkeitsverteilung im Elektronengas entspricht allerdings nicht der Boltzmann-Verteilung von Gasen, sondern der Fermi-Statistik. Um die Frage "wie hoch ist die Ladungsträgerdichte" zu beantworten, muß man nur die Dichte von Kupfer (8,9 g/cm³) und sein Atomgewicht (63,5) kennen. Mit Hilfe der Faraday-Konstante (etwa 96 500 C · mol−1), welche die Anzahl der Elektronen pro Coulomb mit der Anzahl der Teilchen pro Mol verknüpft, wissen wir nun, dass in jenen 63,5 g Kupfer knapp 96 500 Coulomb an freien Elektronen stecken. Ein Coulomb entpricht bekanntlich etwa 6,24 mal 10 hoch 18 Elektronen, und somit sind in den 63,5g Cu etwa 6 mal 10 hoch 23 frei bewegliche Elektronen enthalten. Das Volumen diese Kupferblocks beträgt 63,5/8,9 = 7,13 cm³, und somit liegt die Ladungsträgerdichte bei 8,44 mal 10 hoch 22 Elektronen pro Kubikzentimeter oder 8,44 E+19 pro mm³.
gluehbirne schrieb: > Es ist ja nicht so, dass die Elektronen sich permanent berühren. Löse dich von der Vorstellung, dass die Elektronen kleine Kügelchen sind, die durch das Gitter der Atomkerne driften und nur ab und zu aufeinander stoßen. Stelle dir die Elektronen als Feld vor. Die Felder der Elektronen wechselwirken miteinandern, so dass es auch aus der "Ferne" eine gegenseitige Beeinflussung gibt. Ein Stein, den man in die Luft schmeißt, spürt auch dauern das Schwerefeld der Erde und fällt darum runter (und das, obwohl er die Erde noch lange nicht berührt).
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