Forum: Analoge Elektronik und Schaltungstechnik Lebensdauer elektrischer Komponenten


von E-Hans (Gast)


Lesenswert?

Hallo an alle,

gibt es eigentlich eine Normierung für elektrische Bauteile, welche die 
Lebensdauer genauer festlegt? Man findet ja oft Querverweise auf die 
JEDEC-Norm innerhalb diverser Datenblätter, aber soweit ich weiß, 
handelt diese eher von thermischen Belastungen und Auslegungen.

Speziell geht es um die Lebensdauer von
- Widerständen (sollte ja extrem hoch sein)
- Kapazitäten (wegen Verdampfung des Elektrolyts eher problematisch?)
- Transistoren (konstanter Betrieb innerhalb der SOA, problematisch?)
- IC´s (habe in Erinnerung, diese ist auch extrem hoch)
- uC´s (hier habe ich absolut keine Erfahrung)

Da die Frage sicher nur sehr schwer durch eigene Erfahrung beantwortbar 
ist, würde ich die Lebensdauer mal auf ~2 Jahre beschränken, mehr muss 
die Komponente nicht aushalten. Also ca. 20.000h, kommen Transistoren da 
überhaupt Ansatzweise in die Nähe solcher Werte? Gutes Layout, Betrieb 
innerhalb der zugelassenen Bereiche und "normale" Umgebungsbedingungen 
(weder der Mond noch der Meeresgrund sollen als Einsatzgebiet dienen) 
können hier vereinfacht vorrausgesetzt werden.

Grüße
Johannes

von vomo (Gast)


Lesenswert?

Du meinst dies hier?

https://de.wikipedia.org/wiki/Failure_In_Time

Grüße,
vomo

von Soul E. (Gast)


Lesenswert?

E-Hans schrieb:

> gibt es eigentlich eine Normierung für elektrische Bauteile, welche die
> Lebensdauer genauer festlegt?

IEC 62380. Die Lebensdauer wird nicht festgelegt, sondern es werden 
Formeln zur Verfügung gestellt, mit denen sich die Ausfallrate der 
einzelnen Bauteile bei einem gegebenen Mission Profile 
(Temperaturverlauf über Zeit) abschätzen lässt.

Die Ausfallrate wird getrennt abgeschätzt für verschiedene Fehlermodi 
(Kurzschluß, Unterbrechung, Drift nach oben/unten, ...), da diese im 
Gesamtsystem meist auch unterschiedliche Auswirkungen haben.

von Axel S. (a-za-z0-9)


Lesenswert?

E-Hans schrieb:
> gibt es eigentlich eine Normierung für elektrische Bauteile, welche die
> Lebensdauer genauer festlegt?

Warum sollte man Alterungserscheinungen denn ausgerechnet normieren? 
Der Zweck einer Norm besteht darin, Interoperabilität herzustellen. 
Alterungseffekte von Bauteilen sind aber praktisch immer unerwünscht. 
Warum sollte man einem Hersteller A per Norm vorschreiben, daß sein Elko 
genauso schnell altern muß wie der Elko von Hersteller B? Wo doch 
eigentlich beide bestrebt sein sollten, möglichst langlebige Bauteile 
herzustellen?

> Speziell geht es um die Lebensdauer von
> - Widerständen (sollte ja extrem hoch sein)
> - Kapazitäten (wegen Verdampfung des Elektrolyts eher problematisch?)
> - Transistoren (konstanter Betrieb innerhalb der SOA, problematisch?)
> - IC´s (habe in Erinnerung, diese ist auch extrem hoch)
> - uC´s (hier habe ich absolut keine Erfahrung)

Bei bestimmten Bauteilen ist klar, daß die ausgenutzten physikalischen 
Effekte eine Alterung verursachen, die zum Totalausfall (z.B. 
mechanischer Kontakte) oder Degradation (Datenhaltezeit bei 
Flash-Speicher, Lichtausbeute bei LED) führt. Oft hängt die 
Alterungsrate an der Temperatur (Klassiker: Elkos). In solchen Fällen 
untersucht der Hersteller das Alterungsverhalten seiner Bauelemente und 
spezifiziert es im jeweiligen Datenblatt.

Natürlich gibt es auch Alterungseffekte, die nicht von der eigentlichen 
Nutzung abhängen. Gehäuse von Bauelementen sind nur in Grenzen 
abdichtbar. Betrieb bei sehr hohem oder sehr niedrigem Druck oder 
Temperatur, in aggressiven Medien oder bei erhöhter Strahlung 
beeinflussen die Lebensdauer natürlich auch.

Aber wie gesagt: den Bedarf für eine Norm sehe ich da nirgendwo. Es 
sei denn natürlich eine Norm, die eine Mindestlebensdauer vorschreibt. 
Müßte dann natürlich spezifisch für Bauteilklassen und unter Angebe der 
Randbedingungen sein.

Die Extremfälle werden oft erst dann getestet, wenn es eine reale 
Anwendung gibt. So spezifizieren viele Hersteller ihre Bauteile für 
automotive Anwendungen (Temperatur, Erschütterungen) - weil das ein 
üblicher Anwendungsfall ist. Wenn es um den Betrieb im Weltraum geht, 
werden die entsprechenden Untersuchungen nicht routinemäßig gemacht

: Bearbeitet durch User
von Hurratoll (Gast)


Lesenswert?

E-Hans schrieb:
> gibt es eigentlich eine Normierung für elektrische Bauteile, welche die
> Lebensdauer genauer festlegt?

So gefragt: Nein.

Schränktst du deine Anforderungen aber etwas ein, gäbe es ja die 
genannten FIT-Werte:
Man kann statistisch *1) vorhersagen, welche Ausfallswahrscheinlichkeit 
ein bestimmtes Bauteil hat. Man kann grob eine untere Grenze für die 
Zuverlässigkeit von Baugruppen berechnen.

Folgendes gäbe es da:
Mil-Handbuch: MIL-HDBK-217
https://snebulos.mit.edu/projects/reference/MIL-STD/MIL-HDBK-217F-Notice2.pdf
Siemens-Norm: SN29500

Nur dazu muss man aber folgendes beachten:
Es wird nur eine UNTERE Grenze berechnet, wenn du damit eine 
realistische Lebensdauer berechnen will - nicht möglich. Geplante 
Obsoleszenz damit umsetzen - nicht möglich.

Man verwendet das, um die Auftretenswahrscheinilchkeit von Fehlern in 
der Sicherheitstechnik zu berechnen.

Die nötigen FIT-Werte bekommt man übrigens von den Herstellern auch 
manchmal. Das dürfte exaktere Werte liefern, es bleibt aber eine 
Abschätzung.

*1) Die Ausfallswahrscheinlichkeit einer einzelnen Baugruppe ist völlig 
unvorhersehbar. Wie auch die einer einzelnen Baugruppe Man weiß aber: 
von 1000000 Baugruppen fallen in einem Jahr x aus.

von Michael B. (laberkopp)


Lesenswert?

E-Hans schrieb:
> Da die Frage sicher nur sehr schwer durch eigene Erfahrung beantwortbar
> ist, würde ich die Lebensdauer mal auf ~2 Jahre beschränken

Na supi, das ist ja schon die Gewährleistung.

Im ersten Jahr ist eher die burn in Einbrennzeit mit höheren 
Ausfallratebn, danach kommt erst mal die Nutzungsdauer, bevor es zur 
Ausfallperiode geht (Stichwort Badewannenkurve).

Klar ist: Nicht alle Bauteile jeder Produktionsmethode von jedem 
Hersteller haben dieselbe Lebensdauer.

Beispielsweise wurde ein Pentium Northwood mit nur 50000 Stunden MTBF 
angegegen, also weniger als 6 Jahren Dauerbetrieb (meiner fiel auch 
prompt nach 8 Jahren aus, obwohl nicht im Dauerbetrieb).

Heutige Prozessoren haben eher 1200000 Stunden MTBF. Lüfter manchmal nur 
10000.

Ansonsten sind die Lebensdauerangaben für Elkos bekannt niedrig, einige 
tausend Stunden bei Maximaltemperatur und maximalem Ripplestrom, aber 
deutlich langleber wenn man weit unter den Grenzen bleibt, jedoch 
wiederum spannungslose Lagerung machmal nur 3 Jahre.

Ein Widerstand sollte schon länger durchhalten. Man bekommt natürlich 
jedes Bauteil ggf. sofort kaputt in wenn man es oberhalb der absolute 
maximum ratings betreibt.

Also: Schau ins Datenblatt, kontaktiere ggf. den Hersteller damit er 
eine genauere Aussage machen kann nach dem du ihm die Betriebsparameter 
genannt hast. Allgemeingültige Werte gibt es nicht, aber ich empfinde es 
als eine persönliche Frechheit, wenn Bauteile nicht mindestens mein 
Leben lang halten.

von E-Hans (Gast)


Lesenswert?

Danke für die zahlreichen Antworten, sind alle äußerst hilfreich. 
Besonders das Schlagwort "FIT" konnte mich bereits deutlich weiter 
bringen und stellt eine gute Möglichkeit dar, zumindest mal die grobe 
Hausnummer der erwartbaren Lebensdauer abschätzen zu können. Die 
Siemens-Norm wäre hierfür sicher noch hilfreich.

von Manfred (Gast)


Lesenswert?

Michael B. schrieb:
> Allgemeingültige Werte gibt es nicht, aber ich empfinde es
> als eine persönliche Frechheit, wenn Bauteile nicht mindestens mein
> Leben lang halten.
Der könnte von mir sein :-)

Generell sehe ich meine Schaltungen gerne kühl, so kommt mein 
Labornetzgerät auch im ungünstigsten Betriebspunkt nicht über 70°C am 
Kühlkörper. Was Bauelemente auch wenig mögen, sind thermische Wechsel. 
Auch bei simplen Widerständen gehe ich selten über 60% der Leistung. So, 
wie die meisten Bastler oder Sondergerätebauer, muß ich keine 
kostenoptimierte Serie entwerfen, ich darf Reserve.

Bei meiner Küchenbeleuchtung habe ich mich verrechnet, die LEDs dürften 
etwas wärmer werden, es hätten kleinere Kühlkörper getan - egal, schadet 
nicht. Allerdings sind zwei von drei Netzteilen als Frühausfälle 
gestorben, vielleicht waren sie ja deswegen bei Pollin zu haben.

Und nicht zu unterschätzen sind dämliche Entwickeler: Im Schaltnetzteil 
einer Telefonanlage sitzt ein kleiner Elko direkt über einem 
4W-Zementwiderstand, rein elektrisch gesehen könnte er auch gut daneben 
sitzen. Jetzt raten wir mal, welches der beiden Teile nach 50.000h 
kaputt ist, wenn die Firma ??? nicht mehr telefonieren kann.

von Jobst M. (jobstens-de)


Lesenswert?

Manfred schrieb:
> Im Schaltnetzteil
> einer Telefonanlage sitzt ein kleiner Elko direkt über einem
> 4W-Zementwiderstand

Bei solchen Anordnungen denke ich mir auch immer: 'Mit Wärmeleitpaste 
dazwischen wär es Vorsatz.'


Gruß

Jobst

von oszi40 (Gast)


Lesenswert?

Michael B. schrieb:
> Schau ins Datenblatt, kontaktiere ggf. den Hersteller

Das ist nur eine Seite der Theorie. Wo die Dinger dann verbaut werden 
und ob sie durch ungünstige Einflüsse wie z.B. mechanische Resonanzen 
von der Leiterplatte fallen oder Termiten die Isolation fressen ist 
schwerer vorherzusehen.

von Marcus H. (Firma: www.harerod.de) (lungfish) Benutzerseite


Lesenswert?

Hurratoll schrieb:
> Die nötigen FIT-Werte bekommt man übrigens von den Herstellern auch
> manchmal.
Wenn FIT-Berechnung gefordert wird, dann werden Bauteile von Lieferanten 
bevorzugt, die unaufgefordert bzw. spätestens nach Rückfrage, diese 
Informationen zur Verfügung stellen.

Beispiel:

BC847 von ON Semiconductor
http://www.onsemi.com/PowerSolutions/product.do?id=BC847
-> reliability data -> FIT 1.1

MC74HC14A von ON Semiconductor
http://www.onsemi.com/PowerSolutions/product.do?id=MC74HC14A
-> reliability data -> FIT 2.1

Hier sieht man auch schön, warum Integration zu höherer Zuverlässigkeit 
führt: bipolar-diskret aufgebaut würde der Logikbaustein aus über 50 
Komponenten (Transistoren, Widerstände) bestehen, mit einem sich daraus 
ergebenden FIT von über 50.
D.h. bestimmte Designziele sind nur durch Einsatz entsprechender 
Baugruppen zu erreichen. Deshalb sind KORREKT eingesetzte MCUs, CPLDs 
oder FPGAs diskreten Aufbauten überlegen.

Zu den Fehlerraten der Einzelkomponenten kommen dann noch 
applikationsspezifische Aspekte, die teilweise sehr schwer zu greifen 
sind - z.B. Verarbeitungsqualität, Betriebsbedingungen.

: Bearbeitet durch User
von Michael K. (Gast)


Lesenswert?

Info zur MTBF Berechnung
(Mean Time Between Failure)
https://www.bitkom.org/Publikationen/2007/Leitfaden/BITKOM-informiert-ueber-Zuverlaessigkeitsangaben-MTBF/BITKOM-Leitfaden-MTBF-13-08-2007.pdf

Die Mil Norm:
http://www.sre.org/pubs/Mil-Hdbk-217F(2).pdf

Jedes Bauteil wird in Abhängigeit der Umgebungsbedingungen betrachtet.
Heraus kommt ein Wert der eine statistische Aussage trifft wie lange das 
Gerät durchschnittlich hält.
Nicht berücksichtigt sind Designfehler, falsche Handhabung etc. die für 
die meisten Frühausfälle verantwortlich sind.

Es ist durchaus üblich die Parameter zu tunen um auf die benötigte MTBF 
zu kommen.
Generell gilt: Je weniger Bauteile um so höher die MTBF.

von Georg (Gast)


Lesenswert?

Michael K. schrieb:
> Heraus kommt ein Wert der eine statistische Aussage trifft wie lange das
> Gerät durchschnittlich hält.

Eben - statistisch. Das heisst u.a. dass auch das zuverlässigste Gerät 
heute noch defekt werden kann. Auch ein Bauteil, das durchschnittlich 
100 Jahre funktionieren sollte, kann im nächsten Moment ausfallen, es 
ist nur sehr unwahrscheinlich.

Deshalb ist auch der Begriff "Lebensdauer" sehr problematisch, denn die 
Lebensdauer eines bestimmten Geräts kann eben sehr kurz sein, ohne dass 
das der Zuverlässigkeit einer genügend grossen Zahl dieser Geräte 
widerspricht. Man kann nur Aussagen machen wie "nach x Jahren werden 
noch y % der Geräte korrekt funktionieren". Also müsste man für eine 
Angabe der Lebensdauer einen Prozentsatz der zulässigen Ausfälle 
spezifizieren. Naturgemäss hilft so eine Aussage dem User nicht weiter, 
dessen Gerät gerade ausgefallen ist. Der Schwabe würde da sagen PK (Pech 
kett).

Michael K. schrieb:
> Generell gilt: Je weniger Bauteile um so höher die MTBF

Klar, die Ausfallraten aller Teile addieren sich (eigentlich 
multiplizieren, aber bei den üblichen geringen Ausfallraten macht das 
keinen Unterschied).

Georg

von Michael K. (Gast)


Lesenswert?

Georg schrieb:
> Eben - statistisch.

Gibt aber keine andere Möglichkeit das anzugeben.
Statistisch sind also soundsoviele Nutzer zufrieden mit der Lebensdauer, 
statistisch braucht man xx% für Garantierückstellungen und statistisch 
gesehen hält das neue auf Garantie gewechselte Gerät soundso lange beim 
Kunden.

So sind alle glücklich weil jedem klar ist das es eine absolute Garantie 
für dieses eine spezielle Gerät nicht geben kann, sonst wäre das Prinzip 
der Redundanz bei kritischer Infrastruktur schon lange tot.

Georg schrieb:
> Deshalb ist auch der Begriff "Lebensdauer" sehr problematisch
Wird auch nur von Laien benutzt.

von Dietrich L. (dietrichl)


Lesenswert?

Georg schrieb:
> Deshalb ist auch der Begriff "Lebensdauer" sehr problematisch

Dann sage doch "durchschnittliche Lebensdauer" und die Welt ist wieder 
in Ordnung.

Bitte melde dich an um einen Beitrag zu schreiben. Anmeldung ist kostenlos und dauert nur eine Minute.
Bestehender Account
Schon ein Account bei Google/GoogleMail? Keine Anmeldung erforderlich!
Mit Google-Account einloggen
Noch kein Account? Hier anmelden.