Forum: Mechanik, Gehäuse, Werkzeug "Masse" zum sichern von Bauteilen gegen Vibration


von L.M. (Gast)


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Hi,

ich möchte eine kleine von mir entwickelte Schaltung in einem 
vibrationsanfälligen Kontext einsetzen. Ich würde einige Bauteile gerne 
mit der "weißen Masse" mechanisch sichern, die man zB bei 
Schaltnetzteilen an ElKos u.ä. findet. Ich habe allerdings keine Ahnung 
was das ist und wo man das Zeug bekommt. Kann mir da jemand einen Tipp 
geben?

Danke!

: Verschoben durch User
von Andy5macht (Gast)


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Das ist Heißkleber. Bzw einfach ein kleber der  tixotrop ist und nicht 
elastisch ist.
In der Industrie sagt man auch schmelzkleber dazu. Wir verwenden den vom 
Hersteller Bühnen.

von Schreiber (Gast)


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L.M. schrieb:
> ich möchte eine kleine von mir entwickelte Schaltung in einem
> vibrationsanfälligen Kontext einsetzen.

In hartnäckigen Fällen: Mit Epoxydharz vergießen.
In besonders hartnäckigen Fällen Glasfaserschnipsel ins Harz mischen und 
im Vakuum (hilft gegen Luftblasen) vergießen.

von Rufus Τ. F. (rufus) Benutzerseite


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Andy5macht schrieb:
> Das ist Heißkleber.

In schlechten Geräten.

Anderswo wird essigfrei vernetzendes Silikon verwendet. Das hält im 
Gegensatz zum Heißkleber (von Dave Jones liebevoll "hot snot", d.h. 
heiße Rotze genannt) auch dann, wenns warm wird.

von Gerd E. (robberknight)


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Schreiber schrieb:
> L.M. schrieb:
>> ich möchte eine kleine von mir entwickelte Schaltung in einem
>> vibrationsanfälligen Kontext einsetzen.
>
> In hartnäckigen Fällen: Mit Epoxydharz vergießen.

Keine gute Idee: Die allermeisten Epoxies sind zu fest und brechen bei 
zu starkem Rütteln. Außerdem besteht die Gefahr daß durch das Rütteln 
oder Temperaturzyklen Bauteile von der Platine gerissen werden. 
Letzteres habe ich in der Praxis schon erlebt, das ist keine Urban 
Legend.

Du brauchst etwas, was auch ausgehärtet etwas flexibel bleibt und 
dennoch fest genug um die Bauteile festzuhalten. Außerdem sollte das 
Zeug natürlich auch einfach in überschaubaren Mengen beschaffbar sein.

Nach ein paar Tests haben wir in der Firma uns für das hier entschieden:
Sikaflex 252i

Es gibt noch das Sikaflex 221, das ist etwas billiger, war mir aber 
ausgehärtet nicht fest genug.

von Andreas S. (Firma: Schweigstill IT) (schweigstill) Benutzerseite


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Viele Heißkleber, mit denen Bauteile mechanisch befestigt werden, sind 
eigentlich viel zu hart und verbinden sich nicht ordentlich mit der 
lackierten Leiterplatte. Dabei gibt es durchaus bessere Materialien, 
vermutlich - wie schon von Rufus gesagt - auf der Basis von Silkon, die 
sich auch ordentlich mit der Leiterplatte verbinden und auch so 
elastisch sind, dass nicht jeder Stoß zur Entstehung bzw. Ausbreitung 
eines Risses führt.

Ggf. sollte man aber lieber auf verschraubbare Bauteile zurückgreifen, 
insbesondere bei sehr dicken Ladekondensatoren oder Transformatoren. 
Elkos sind auch mit Schraubstutzen erhältlich, aber es gibt auch 
entsprechende Halteschellen, die man am Gehäuse befestigen kann. Bei 
einem Acorn Archimedes eines Freundes, der mir aus nur wenigen 
Dezimetern Höhe heruntergefiel, waren zwar keine Bauelemente 
heruntergefallen, aber bei einer Leiterplatte war eine Ecke abgebrochen 
und hat ein paar Leiterbahnen im wahrsten Sinne des Wortes mitgerissen. 
Zum Glück bezahlte die Haftpflichtversicherung diesen doch erstaunlich 
großen Schaden.

Bei über längere Zeiträume anliegenden Vibrationen ist bei nur mit der 
Leiterplatte verbundenen schweren Bauteilen die Gefahr um so größer, 
dass im Laufe der Zeit Haarrisse auftreten, d.h. insbesondere in 
Lötstellen oder dass auch Lötaugen abreißen. Klassiker sind dabei 
Zeilentransformatoren in Bildschirmen mit Braunscher Röhre, deren 
hochfrequente Vibrationen teilweise richtige Krater in ursprünglich 
einwandfreie Lötstellen hineinvibrieren. Ob hierbei eine großflächige 
Verklebung etwas bringen würde, kann ich leider nicht sagen.

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/7/72/Gebrochene_loetstellen.jpg

Wenn es aber wirklich robust werden soll, müssen die mechanische und 
elektrische Verbindung separat erfolgen, wobei die elektrische 
hinreichend elastisch auszuführen ist, z.B. durch Litzen. Deswegen bin 
ich auch kein großer Freund von Steckverbindern, die in geinkelter 
Ausführung auf Leiterplatten gelötet werden und womöglich auch noch die 
Leiterplatte komplett im Gehäuse halten sollen.

von 1970 (Gast)


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L.M. schrieb:
> Kann mir da jemand einen Tipp geben?
Früher (tm) hat man in die Platine ein maßhaltiges Loch für das 
Transistorgehäuse (TO-18) gebohrt und ihn kopfüber dort reingesteckt. 
Die Beine wurden dann zurück auf die Platine gebogen und verlötet. Die 
Beinlänge ist dann so klein, dass zumindest bei Raketenstarts keine 
schädlichen Resonanzen mehr auftreten.

von Schreiber (Gast)


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1970 schrieb:
> Die
> Beinlänge ist dann so klein, dass zumindest bei Raketenstarts keine
> schädlichen Resonanzen mehr auftreten.

Heute nimmt man bei SMD, da sind die Beinchen noch kürzer!!!

Klebemasse nimmt man bei schwereren Bauteilen, etwa großen Elkos.

Andreas S. schrieb:
> Bei
> einem Acorn Archimedes eines Freundes, der mir aus nur wenigen
> Dezimetern Höhe heruntergefiel, waren zwar keine Bauelemente
> heruntergefallen, aber bei einer Leiterplatte war eine Ecke abgebrochen
> und hat ein paar Leiterbahnen im wahrsten Sinne des Wortes mitgerissen.

...weshalb man die Leiterplatte mit Gummielementen aufhängen sollte. Das 
Problem ist, bei Sturzschäden die kurzzeitig extrem hohe Beschleunigung, 
nicht die Energie. Vibrationen sind ein komplett anderes Thema, da geht 
es um Schwing- und Dauerfestigkeit, einschließlich Resonanzproblemen.

Alternativ alles in ein STABILES Gehäuse bauen und komplett vergießen. 
Nur sollte man dann Quarze u.dgl. vermeiden.

von 1970 (Gast)


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Schreiber schrieb:
> Heute nimmt man bei SMD, da sind die Beinchen noch kürzer!!!

Da sind die Beinchen eben so kurz, dass sie nicht mehr als elastische 
Verbindung zwischen Lötstelle und IC-Körper wirken. Also müssen die 
Pads/Lötstellen direkt die bei Vibrationen am IC-Körper auftretenden 
Beschleunigungskräfte aufnehmen, während sie bei der Kopfüber-Methode 
direkt in die Leiterplatte eingeleitet werden, ohne die Lötstellen zu 
belasten. SMD-Elkos sind also beispielsweise beliebig ungünstig.

von Rufus Τ. F. (rufus) Benutzerseite


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SMD-Bauteile haben hingegen den unbestrittenen Vorteil der erheblich 
kleineren Massen.

Einen Transistor im Sot-23 durch Vibrationen von der Platine zu bekommen 
halte ich für ... eine Herausforderung. Und Sot-23 ist noch groß.

SMD-Becherelkos sind ungünstig, gewiss.

von Wolfgang (Gast)


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Rufus Τ. F. schrieb:
> Einen Transistor im Sot-23 durch Vibrationen von der Platine zu bekommen
> halte ich für ... eine Herausforderung. Und Sot-23 ist noch groß.

Da stimme ich dir zu. Um was für Teile es beim TO geht, kann man nur 
raten.

von ths (Gast)


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RTV 3140 heißt das Silikonkautschukzeug der Wahl.

von Gerd E. (robberknight)


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ths schrieb:
> RTV 3140 heißt das Silikonkautschukzeug der Wahl.

Sicher?

Ist das nicht eher ein Conformal Coating, gedacht als Schutz der Platine 
gegen Feuchtigkeit, Kondenswasser etc?

von D. M. (da_miez)


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ths schrieb:
> RTV 3140 heißt das Silikonkautschukzeug der Wahl.

"[...]Langzeitschutz gegen Feuchtigkeit und atmosphärische Schadstoffe, 
besonders dort, wo ein lösungsmittelfreies RTV-Produkt erforderlich 
ist[...]"

Joa, naja, da gibts für ca. 26€ in der 90ml Tube bestimmt auch ein 
Silikon, was dem Anwendungszweck des TO näher kommt.

Dieses würde ich hier eher nicht empfehlen. Außer es liegt eh schon rum, 
dann kann mans ja mal versuchen ;)

von ths (Gast)


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Wir haben damit Platinen ca 5 mm dick beschichtet, die im 
Untertagebergbau derbsten Bedingungen ausgesetzt waren. Klebt und hält.

von Amateur (Gast)


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Heißkleber wird in den meisten Fällen ausreichend sein.

aber...
Nicht wenn die Bauteile wärme loswerden müssen (isoliert).
Nicht wenn sie warm werden dürfen und es auch werden (Thermoplast).
Nicht für "massige" Bauteile. Da haben sich, bei uns, zwei Löcher plus 
ein Kabelbinder bewährt.

Den meisten Ärger hatten wir aber mit der Befestigung. 
Interessanterweise nicht in der Anwendung, sondern beim Transport im 
Flugzeug. Irgendwie gibt es da interessante Vibrationen, auf die 
Schrauben, ohne besondere Sicherung, allergisch reagierten.

von Schreiber (Gast)


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Amateur schrieb:
> Interessanterweise nicht in der Anwendung, sondern beim Transport im
> Flugzeug. Irgendwie gibt es da interessante Vibrationen, auf die
> Schrauben, ohne besondere Sicherung, allergisch reagierten.

Füe Schrauben gibts Federscheiben, selbstsichernde Muttern, Loctite oder 
Sicherungsdraht. Alles andere hebt nicht.

Amateur schrieb:
> Nicht für "massige" Bauteile. Da haben sich, bei uns, zwei Löcher plus
> ein Kabelbinder bewährt.

Ein Kabelbinder hilft nur begrenzt, bei starken Vibrationen muss man 
wirklich vergießen. Alternativ schwere Bauteile komplett vermeiden

Amateur schrieb:
> Heißkleber wird in den meisten Fällen ausreichend sein.

Einfach man über den angedachten Temperaturbereich bei Betrieb, 
Transport und Lagerung nachdenken. Einen Tag im parkenden Auto im 
Hochsommer und der Heißkleber hat sich verteilt.

von U. M. (oeletronika)


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Hallo,
wie schon geschrieben, sind 2K-Kleber als Vibrationsschutz nicht so 
empfehlenswert.

> Gerd E. schrieb:
>> RTV 3140 heißt das Silikonkautschukzeug der Wahl.
> Sicher?
Ja, genau!
Das Zeugs benutzen wir seit vielen Jahren in  robuster 
Industriemesstechnik zum sichern aller schweren und einreihigen Bauteile 
wie Elkos, Drosseln, Polyswitche, DCDC-wandler usw.

> Ist das nicht eher ein Conformal Coating, gedacht als Schutz der Platine
> gegen Feuchtigkeit, Kondenswasser etc?
Dagegen werden eher Leiterplattenbeschichtungen (Lacke) verwendet.
(-> Tropikalisierung)

Das 3140RTV hat einige deutliche Vorteile:
1) Es hält sehr gut an LPL, auch auf Silicon-Schutzlacken
2) Es bleibt in einem weiten Bereich elastisch und hält auch hohe Temp. 
gut aus.
3) Es ist weitgehend inert.
Allerdings haben wir die Erfahrung gemacht, dass man es nicht direkt auf 
übliche SMD-Widerständen aufbringen darf. Diese werden davon an der 
Grenzschicht zwischen Widerstandbelag und Elektrode beschädigt und 
können ausfallen.  Da hatten wir schon ausfälle.

Gummiartige Kleber (wie eben auch dieses Dow Coning 3140 RTV) dämpfen 
Vibrationen gut, weil die langkettigen Moleküle durch reibung die 
mechanische Energie in Wärme umsetzen. Damit wird sicher verhindert, 
dass BE in Resonanz geraten.
Gruß Öletronika

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