Forum: Mikrocontroller und Digitale Elektronik Verwendung Nicht-Automotive-µC im KFZ


von John (Gast)


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Hallo zusammen,

ich frage mich, ob es zwingend erforderlich ist (z.B. aufgrund von 
Normen, Richtlinien, Vorgaben des OEM), dass Mikrocontroller zwingend
eine Automotive-Spezifikation und AEC-Qualifikation besitzten müssen.


Betrifft dies nur den Teil für funktionale Sicherheit, oder
alle Bereiche im KFZ (z.B. Komfortfunktionen).
Ist es bei unkritischen Applikationen Wurst, und mann kann
auch einen Industrial-µC verwenden, solange die Parameter 
(Temperaturbereich) stimme?


Besten Dank und viele Grüße,
John

von Chris K. (Gast)


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Frag den OEM. Der wird dir sagen, dass er nur AEC-Q Teile will, wegen:

a) Garantierte Lieferzeit
b) Garantien zur Fehleranalyse
c) Den schicken 8D-Reporten

von Joerg W. (joergwolfram)


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Industrial-µC haben normalerweise einen Temperaturbereich von 
-40...85°C, Automotive dagegen von -40...125°C, teilweise auch mehr 
(z.B. -55...150°C) und werden auch bei diesen Temperaturen getestet. 
Außerden haben Automotive-IC normalerweise ein Burn-In hinter sich, um 
spezifische Frühausfälle schon vor Test/Auslieferung abzufangen.

Bei Dingen, die über den Zigarettenanzünder angesteckt werden, mag es 
relativ egal sein, bei allem fest Verbauten wirst Du um AEC-Q nicht 
herumkommen.

von Noch einer (Gast)


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Bei den OEMs sitzen auch Angestellte, die keine Verantwortung übernehmen 
wollen.

Stell dir vor, in irgendeinem Fahrzeug fällt irgend ein unwichtiges Teil 
aus. Die Presse macht einen wahnsinnigen Wirbel. Der OEM will die 
Fahrzeuge zurückrufen. Nun wollen die Krisenmanager eine Liste, aller 
Fahrzeuge, in denen Controller der selben Charge verbaut wurden.

Da willst du nicht derjenige sein, dem der Schwarze Peter zugeschoben 
wird.

von HildeK (Gast)


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Joerg W. schrieb:
> Automotive dagegen von -40...125°C, teilweise auch mehr
> (z.B. -55...150°C)

... oder auch weniger, bis 105°C. Das hängt auch von der Verbaulage im 
Fahrzeug und von der funktionalen Wichtigkeit ab. So werden z.B. Car 
Entertainment Systeme weniger kritisch betrachtet.

Meist unterscheiden sich die Bauteile für erhöhte Temperaturbereiche nur 
durch eine erweiterte Angabe der Toleranzen. Der Entwickler muss dann 
dafür sorgen, dass seine Schaltung mit den gröberen Toleranzen der 
Bauteile trotzdem noch korrekt arbeitet.

von Michael B. (laberkopp)


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John schrieb:
> ich frage mich, ob es zwingend erforderlich ist (z.B. aufgrund von
> Normen, Richtlinien, Vorgaben des OEM), dass Mikrocontroller zwingend
> eine Automotive-Spezifikation und AEC-Qualifikation besitzten müssen.

Nein.

AEC-Q100/101 sind Prüfverfahren. Ob die der Bauteilhersteller schon 
gemacht hat oder du erst machst, ist egal, du musst dann halt ein 
"additional component level qualification testing" machen.

 http://www.aecouncil.com/AECDocuments.html

Für kleine OEM ist die Entscheidung klar.

von Michael X. (Firma: vyuxc) (der-michl)


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Das hängt auch davon ab ob der µC stationär eingebaut wird oder nur als 
Anbaugerät verwendet wird. Externes Navi ist so ein Fall.

von Gerald B. (gerald_b)


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HildeK schrieb:
> Das hängt auch von der Verbaulage im
> Fahrzeug und von der funktionalen Wichtigkeit ab. So werden z.B. Car
> Entertainment Systeme weniger kritisch betrachtet.

Könnte man auf den ersten Blick meinen...
Einem Kollegen ist Folgendes passiert: Motor ging völlig unvermittelt 
ins Notprogramm. Irgendwie kam er noch zur Werkstatt. Die haben sich 
einen Wolf gesucht.
Die Ursache war ein defektes Autoradio, das den CAN Bus so mit Datenmüll 
flutete, das das Motorsteuergerät "Nö!" sagte, und sich ausklinkte.
Also alles was nicht lediglich übers Boardnetz mit Strom versorgt wird, 
sondern über irgendeine biderektionale Schnittstelle Daten empfängt, 
sollte Automotive Normen entsprechen.

von BastelIng (Gast)


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Soweit ich mich erinnere - hatte Renault bei (meinem) Espace JE im 
Hauptsteuergerät Prozessoren mit "Nicht Automotive"  Temperaturbereich 
verbaut. Gab dann natürlich im teutonischen Winter Probleme bei den 
Kunden. Das warwoh aber auch der Gau an Dumm oder Bäsartigkeit. Leider 
habe ich keine zitierfähige Quelle mehr dafür gefunden, aber das 
genannte Steuergerät saß unter der Beifahrerfußmatte und es gab vor 
einigen Jahren mehrere Anbieter die einen Chiptausch anboten...

von John (Gast)


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Besten Dank für Eure Rückmeldungen.

Das natürlich Temperaturbereich und sonstige Umgebungsparameter 
eingehalten
werden müssen, ist schon klar.
Nur die Qualifikation der Bauteile nach AEC-Q hängt, wenn ich es richtig 
verstanden habe, vor allem von den Vorgaben des OEM bzw. auch von 
eigenen internen QM-Standards ab.

Ich habe auch persönlich schon Anbauteile (Sensoreinheiten) gesehen,
auf denen z.B. ein STM32 verbaut war.

Wenn man nun ein Produkt entwickelt, welches ggf. an mehrere OEMs 
geliefert werden soll, muss man m.E. zwingend darauf achten, dass es die 
ausgewählten Bauteile auch in einer AEC-Q Version gibt. Damit wäre ein 
STM32 leider raus.

Viele Grüße,
John

von M. S. (nickfisher)


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Gerald B. schrieb:
> Könnte man auf den ersten Blick meinen...
> Einem Kollegen ist Folgendes passiert: Motor ging völlig unvermittelt
> ins Notprogramm. Irgendwie kam er noch zur Werkstatt. Die haben sich
> einen Wolf gesucht.
> Die Ursache war ein defektes Autoradio, das den CAN Bus so mit Datenmüll
> flutete, das das Motorsteuergerät "Nö!" sagte, und sich ausklinkte.
> Also alles was nicht lediglich übers Boardnetz mit Strom versorgt wird,
> sondern über irgendeine biderektionale Schnittstelle Daten empfängt,
> sollte Automotive Normen entsprechen.

Kann ich mir kaum vorstellen. Zumindest heute nicht mehr. Vielleicht als 
CAN im auto noch ganz frisch war.. aber da hatte ein radio 
wahrscheinlich noch keinen.

In Modernen Autos gibt es mehrere CAN Busse, z.B. einen Innenraum CAN 
(Auf dem läge wohl das Radio), einen Motor CAN, einen Diagnose CAN etc. 
Dass der Innenraum CAN den Motor Stört klingt sehr abwegig...

von Soul E. (Gast)


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John schrieb:

> ich frage mich, ob es zwingend erforderlich ist (z.B. aufgrund von
> Normen, Richtlinien, Vorgaben des OEM), dass Mikrocontroller zwingend
> eine Automotive-Spezifikation und AEC-Qualifikation besitzten müssen.

Aus gesetzlicher bzw zulassungsrelevanter Sicht nicht. Die 
Automotive-Qualifikation betrifft hauptsächlich das Qualitätsmanagement:

* keine Änderung im Produktionsprozess ohne Freigabe durch den Kunden. 
Bei Consumerprodukten wird auch schonmal ein Bauteil woanders produziert 
oder es gibt neue Anlagen, neue Maskensätze oder gar einen die shrink.

* standardisierte Abläufe bei Reklamationen (Global 8D). Bei Consumer 
macht man sich meist nichtmal die Mühe, vom Kunden eingeschickte 
Ausfallteile anzuschauen.

* definierte Prüfprozesse (AEC-Q100) zur Produkt- und Prozessfreigabe 
sowie zyklisch produktionsbegleitend. Irgendwie testen tut jeder, aber 
wie ist ihm sonst selbst überlassen.


Üblicherweise fordert der OEM (Automobilhersteller) von seinen 
Lieferanten dass nur Automotive-Bauteile verwendet werden. Abweichungen 
sind in begründeten Ausnahmefällen möglich, aber das Risiko liegt dann 
eigentlich immer beim Zulieferer. Risiko heisst Vertragsstrafe bei 
Ausfallteilen, Übernahme der Kosten für eventuelle Austausch- oder 
Umrüstaktionen. Da kann ein kaputtes Steuergerät schnell den Profit von 
50 guten auffressen.



Temperaturbereich (-40 .. +105/+125/+155°C) und Spannungsbereich ("12 
Volt" heisst 8..18 dauerhaft und bis 36 für 60 Sekunden) sind vom 
automotive grade unabhängig, entsprechende Werte gibt es auch bei 
Consumerbauteilen

von Schreiber (Gast)


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John schrieb:
> Betrifft dies nur den Teil für funktionale Sicherheit, oder
> alle Bereiche im KFZ (z.B. Komfortfunktionen).
> Ist es bei unkritischen Applikationen Wurst, und mann kann
> auch einen Industrial-µC verwenden, solange die Parameter
> (Temperaturbereich) stimme?

Man kann auch ein Consumer-µC/sonstige Bauteile mit ganz normalem 
Temperaturbereich verwenden.
Wird auch oft gemacht, beispielsweise bei Autoradios im DIN-Schacht (ja, 
sowas gibts noch, auch bei vielen Neufahrzeugen).

Wenn es zu kalt/warm ist, dann streikt nicht nur der Fahrer, sondern 
auch die Unterhaltungs-/Komfortelektronik. Heizung und Klimaanlage 
sorgen dann dafür, dass beide wieder funktionieren...

von bitwurschtler (Gast)


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John schrieb:
> Betrifft dies nur den Teil für funktionale Sicherheit, oder
> alle Bereiche im KFZ (z.B. Komfortfunktionen).

Wenn es alle Bereich betreffe, wäre der Betrieb von Navis und 
Smart-Phones mit ihren Nicht Automotive Controllern im Auto verboten.

von John (Gast)


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bitwurschtler schrieb:
> Wenn es alle Bereich betreffe, wäre der Betrieb von Navis und
> Smart-Phones mit ihren Nicht Automotive Controllern im Auto verboten.

Das war ja genau die Frage.
Scheint es also sehr wohl zu geben ;-)

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