Forum: Platinen Vorverzinnte Leiterplatten mit bleifreiem Lötzinn


von M. S. (ms111)


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Guten Morgen,

Das wurde zwar schon mal gefragt, jedoch sind die Beiträge allesamt 
etwas älter. Es geht mir eigentlich hauptsächlich um Erfahrungen bzw. 
gemachte Langzeiterfahrungen/Haltbarkeit.

Ich habe bishher immer Laborkarten auf Hartpapierbasis verwendet, die 
eigentlich nie verzinnt waren. Nun habe ich mir Epoxyd-Leiterplatten 
(https://www.reichelt.de/laborkarte-epoxyd-160x100mm-cu-35-up-941ep-p23970.html? 
bzw. 
https://cdn-reichelt.de/documents/datenblatt/C900/DE_RE315-LF.pdf)zugelegt, 
die halt verzinnt sind. Und zwar mit bleifreien Lot. Ich selber habe 
bishher allerdings immer mit bleihaltigen Lot gelötet und wollte das 
eigentlich auch weiterhin tun (solange man das noch irgendwo bekommt).

Die Frage wäre daher folgende: Kann man zur Verlötung solcher Platinen 
trotz der bleifreien Verzinnung bleihaltiges Lötzinn verwenden?

Habs testweise ausprobiert - das klappt wunderbar und sieht optisch in 
Ordnung aus. Darüber hinaus sind ja Bauelemente auch verzinnt (mit 
Sicherheit bleifrei) und das hat nie ein Problem dargestellt. Und die 
Zinnschicht verändert die Legierung der Lötstelle wegen ihrer geringen 
Dicke eigentlich minimal. Scheint also im ersten Moment gut zu klappen.
Wie sieht es allerdings mt der langfristigen Haltbarkeit aus, gibt es da 
irgendwelche Probleme oder Gründe weswegen man das lassen sollte, die 
vielleicht auf den ersten Blick nicht so offensichtlich sind? Wie sehen 
da so die Langzeiterfahrungen bei euch aus?

von Lothar M. (Firma: Titel) (lkmiller) (Moderator) Benutzerseite


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M. S. schrieb:
> Die Frage wäre daher folgende: Kann man zur Verlötung solcher Platinen
> trotz der bleifreien Verzinnung bleihaltiges Lötzinn verwenden?
Ja.
> Wie sehen da so die Langzeiterfahrungen bei euch aus?
Keine Auffälligkeiten. Auch nicht im Klimaschrank.

von Wolfgang (Gast)


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M. S. schrieb:
> Die Frage wäre daher folgende: Kann man zur Verlötung solcher Platinen
> trotz der bleifreien Verzinnung bleihaltiges Lötzinn verwenden?

Was soll passieren - in Summe hast du eine Legierung mit etwas 
veränderter Zusammensetzung.

von Alex G. (dragongamer)


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Theoretisch brauchst du etwas höhere Lötkolbentemperatur damit auch das 
bleifreie Zeug korekt schmilzt - die Temp ist dann aber etwas hoch für 
das bleihaltige.
In der Praxis muss man dafür halt nur einen hauch schneller löten (damit 
das Flussmittel nicht verdampft). Also für den Hobbybereich geht das gut 
genug.

von Wolfgang (Gast)


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Alex G. schrieb:
> Theoretisch brauchst du etwas höhere Lötkolbentemperatur damit auch das
> bleifreie Zeug korekt schmilzt - die Temp ist dann aber etwas hoch für
> das bleihaltige.

Das eine wird flüssig bei etwa 185°C, das andere bei etwa 220°C.
Die "normale" Lötkolbentemperatur liegt meist deutlich darüber.

von M. S. (ms111)


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Dankeschön für die hilfreichen Antworten und Tipps!

Löten tuhe ich mit einer geregelten Lötstation und in der Regel bei 
350°, daher sollte die Temperatur ausreichen denke ich.

Eine Frage hätte ich noch:
Was die Qualität der Lötstellen und vor allem die langfristige 
Haltbarkeit betrifft: Hätte ich unter Verwendung von bleifreien Lötzinn 
(anstelle dem bleihaltigen Lot) eher Vorteile oder wirkt sich das 
Verwenden von bleifreien Lot eher nachteilig aus? (Abgesehen davon das 
beifrei schlechter lötbar ist und man kalte Lötstellen nicht erkennt)

von georg (Gast)


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M. S. schrieb:
> oder wirkt sich das
> Verwenden von bleifreien Lot eher nachteilig aus?

Eher im Gegenteil, für manche besonders zuverlässigen Schaltungen ist 
Bleilot noch als Ausnahme zugelassen (Medizin,Militär). Für bleihaltiges 
Lot liegen einfach mehr Langzeiterfahrungen vor.

Georg

von someone (Gast)


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Da du von Hand lötest und nicht mit einer automatisierten Lötanlage, 
kannst du auf wechselnde Eigenschaften viel besser reagieren und dich 
entsprechend anpassen. Bleihaltige Legierungen sind bezüglich ihrer 
Zusammensetzung lange nicht so kritisch wie die verbreiteten bleifreien, 
es besteht also überhaupt kein Grund zur Sorge, erst recht nicht bei 
Laborkarten für Prototypen.

Bleifrei löten ist allerdings kein Hexenwerk, sondern kann mit dem 
richtigen Equipment und insbesondere der richtigen Technik problemlos 
erlernt werden. Konkrete Vor- oder Nachteile gibt es für dich als 
Bastler erstmal keine. Ich löte gerne bleifrei, einfach weil ich es 
kann. Das freut mich. Außerdem wird bei mir alles bleifrei gelötet, was 
in die Hand genommen werden kann (zB. Breakout-Boards, Adapter, Kabel, 
...). Natürlich ist es sehr unwahrscheinlich, davon Gesundheitsschäden 
davonzutragen, aber ich kann bleifrei löten und es geht nahezu genauso 
gut wie das Löten mit Blei, also kann ich es auch machen. Blei setze ich 
nach wie vor für Reflow-Löten ein. Ich habe noch einiges an bleihaltiger 
Lotpaste, die wird aufgebraucht. Außerdem ist das Temperaturprofil nicht 
so kritisch, da beschädigt man nicht so schnell Bauteile. Weiterhin hat 
bleihaltiges Lot eine höhere Oberflächenspannung, zieht die Bauteile 
also eher in Position.

von Olaf (Gast)


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> Haltbarkeit betrifft: Hätte ich unter Verwendung von bleifreien Lötzinn
> (anstelle dem bleihaltigen Lot) eher Vorteile oder wirkt sich das
> Verwenden von bleifreien Lot eher nachteilig aus?

Ich denke das ist eine unzulaessige Vereinfachung. Es gibt naemlich 
unterschiedliche bleihaltige und bleifreie Lote und gerade in der 
Anfangszeit von bleifrei waren die Lote zum Teil unterirdisch. Das hat 
sich aber mittlerweile gelegt.

Ich hab z.B mittlerweile ALLE(!) Loetstellen im Tacho meine Autos 
nachloeten muessen weil die alle Probleme hatten.

Naechstes Problem Anwendung. Es ist ein Unterschied ob man eine Platine 
im DVD-Player immer im warmen Schrank stehen hat oder im Auto 
grosszuegige Temperaturzyklen bei ordentlich Vibration faehrt (besonders 
wenn die Kiste noch tiefer&haerter ist)

Privat verzichte ich auf bleifrei weil ich da Loetstellen im Rahmen des 
Entwicklungsprozess oefters nochmal loese, also Bauteile ersetze. Das 
ist weniger Stress fuer die Platine. Ausserdem ist die Schwupdizizaet 
von verbleit besser wenn es an SMD mit geringen Pinabstaenden (0.5mm 
oder weniger) geht.

Ein weiteres interessantes Problem in diesem Zusammenhang sind die 
Flussmittel im Lot. Ich hab manchmal den Eindruck das sich in modernen 
Loten nur noch levitiertes Wasser mit Umweltschutzertifikat befindet. :)
Das ist Privat wo man auch mal an einer nicht verzinnten Platine die 
schon ein paar Monate/Jahre (Lochraster) eine wichtigere Sache als in 
der Industrie wo die Platinen immer neu oder in Stickstoff gelagert 
sind.

Olaf

von Carsten S. (dg3ycs)


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Hi,

M. S. schrieb:
> Wie sieht es allerdings mt der langfristigen Haltbarkeit aus, gibt es da
> irgendwelche Probleme oder Gründe weswegen man das lassen sollte, die
> vielleicht auf den ersten Blick nicht so offensichtlich sind? Wie sehen
> da so die Langzeiterfahrungen bei euch aus?

Es wurde ja schon mehrfach geschrieben das es bei Handarbeit "im großen 
und ganzen" unproblematisch ist (heutige!) bleifreie Lote und verbleite 
Elektroniklote  zusammenkommen zu lassen. Insbesondere wenn sich die 
Menge des Fremdlotes nur auf eine Vorverzinnung beschränkt.

Daher nur noch als Ergänzung:

1. Wichtig ist bei solchen undefinierten "Mischungen" dafür zur sorgen 
das wirklich das gesamte Lot an der Lötstelle gut aufschmilzt damit sich 
ein halbwegs homogenes Legierungsverhältnis bildet. Andernfalls hätte 
man schnell eine "Grenzschicht" als Sollbruchstelle. Wenn nicht gleich 
eine kalte Lötstelle.

2. Die Angabe das man bleifreies und bleihaltiges Lötzinn keinesfalls 
Mischen sollte stammt aus der "Anfangszeit" des bleifreien Lötens und 
hat(te) durchaus gute Gründe.

Es gibt Bleifreie Lote die neben Zinn auch Bismuth zur Herabsetzung der 
Schmelztemperatur haben. Solche Legierungen werden beispielsweise 
Verwendet um besonders Temperaturempfindliche Bauteile einzulöten. (Oder 
aber auch als Temperaturempfindliche "Sollbruchstelle", z.b. Bei einer 
bestimmten Art von "Sicherungswiderständen") Ein Typisches Zinn-Bismuth 
Niedertemperaturlot hat so um 138C Schmelztemperatur.

Kommt nun auch noch Blei mit ins Spiel erhält man plötzlich eine noch 
weitere Reduzierung des Schmelzpunktes. Da kann der Schmelzpunkt 
plötzlich unterhalb der zulässigen Betriebstemperatur von 
Leistungsbauteilen fallen.
(deutlich unter 100C, google mal nach Woodsches Metall und Roses Metall)

Heute sind Bismuthlote nur noch für Spezialanwendungen üblich wo der 
sehr niedrige Schmelzpunkt wichtig ist. Da weiß man in der Regel womit 
man es zu tun hat. "Damals" in der Anfangszeit des bleifreien Lötens für 
alle Anwendungsfälle hat man mit allerlei Legierungen experimentiert. 
Eine Variante waren Zinnlote mit einem geringen Bismuthanteil (deutlich 
geringer als beim SnBi58 Niedertemperaturlot) zu versehen um so einen 
Schmelzpunkt ähnlich wie bei bleihaltigen Lot zur erreichen damit sich 
das Lot genau so wie bleihaltiges Verarbeiten lässt.
Wenn man nun in einem mit derartigen Lot gefertigten Gerät mit Bleilot 
herumlötet hätte man im Ergebnis plötzlich Lötstellen die schon bei 100C 
und weniger aufschmelzen könnten.

Wirklich prima waren die Eigenschaften aber wohl nicht, mittlerweile hat 
man sich damit arrangiert das nun mit höheren Temperaturen gearbeitet 
werden muss und mit Ausnahme der Niedertemperatur Speziallote sind 
Bismuthhaltige bleifreie Lote nicht mehr üblich.
(Imho waren die sowieso nie wirklich verbreitet und die 
Wahrscheinlichkeit in der freien Wildbahn auf ein Gerät zu treffen bei 
dem mehr als nur ein paar besonders Temperaturkritische Lötungen mit 
bismuthhaltigen Zinn gelötet sind dürfte gegen Null gehen)

Für die Niedertemperaturlote gilt das "Ja kein zusätzliches Bleilot 
verwenden" aber natürlich weiterhin.

Gruß
Carsten

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