Forum: Offtopic Popcornautomat: Overengineering made in Canada


von Sebastian R. (sebastian_r569)



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Manchmal muss ein Mann tun, was ein Mann tun muss.
Er muss einen Popcornautomaten bei ebay Kleinanzeigen kaufen.

Naja gut. Muss er nicht. Ich hab's trotzdem gemacht.

Ich mein, das Funktionsprinzip und das Benutzerinterface ist denkbar 
einfach. Aber dennoch bin ich beim Zerlegen und beim Reinigen der 
einzelnen Komponenten auf ein paar erstaunliche Dinge gestoßen. Und ich 
dachte, ich teile diese Dinge einfach mal zusammen mit ein paar 
Handyfotos (bessere kommen vielleicht irgendwann mal, wenn ich mich dazu 
aufraffe, daraus einen Beitrag für meine Homepage zu machen).

Aber ich denke, dass es der ein oder andere interessant findet, was man 
in so einem Gerät verbauen kann.

*1. Bedienung / Userinterface*
Geld rein -> Popcorn raus.
Gegen Einwurf eines 1€-Stückes produziert der Automat eine Tüte frisches 
Popcorn, welches mit Heißluft aufgepoppt wird.
An der Seite befinden sich noch ein Zuckersteuer und ein Spender für 
klebriges Öl mit Buttergeschmack, welches man mit einem Tastendruck aus 
einem kleinen Hahn fördern kann.

Der komplette Prozess braucht etwa eine Minute und ist sehr simpel 
gehalten.

Der Unterschrank dient als Lager für das Butteröl und als Abfallbehälter 
für überschüssiges Popcorn, das durch einen Trichter (nicht gezeigt) in 
den Schlitz und einen dahinter befindlichen Eimer fällt. Die ganze Magie 
findet oben in dem schlanken Aufsatz statt.

*2. Funktion und Innereien*
Die Funktionsweise ist auch sehr einfach gehalten. Der Vorratsbehälter 
für den Mais ist nichts weiter als ein umfunktionierter Kaugummiautomat 
[Bild 2]. Mitsamt Münzschlitz und dem klassischen "Eine volle Umdrehung 
im Uhrzeigersinn drehen". Das Geld landet in der Kasse und eine Handvoll 
Popcornkörner fällt für den Bediener nicht sichtbar in die 
Heißlufteinheit [Bild 6]. Diese funktioniert wie ein heimischer 
Popcorn-Maker. In einer kleinen Kammer wird der Mais mit Heißluft 
erhitzt und wird dann durch den Luftstrom aus der Kammer befördert.

Ein Mikroschalter in dem Münzprüfer aktiviert das Gebläse für eine 
einstellbare Zeit.

*3. Die Steuerung*
Im oberen Teil befindet sich unter dem umfunktionierten 
Kaugummiautomaten die eigentliche Steuerelektronik [Bild 3].
In diesem Bereich befindet sich auch ein Lüfter, um das Gebläse zu 
kühlen sowie die Schlauchpumpe für die Butterpampe.

Die Steuerplatine [Bild 4] ist ein Wunderwerk der Technik und die Arbeit 
eines Schülerpraktikanten zugleich.
Das Herzstück ist ein PIC18LF452, der sich um ziemlich viele Aufgaben 
kümmert. Einige davon sicherlich nicht wirklich notwendig.

- An der Seite gibt es eine Anzeige aus 6 Siebensegment-Anzeigen. Im 
normalen Betrieb wird dort "Fresh" und "Pop" abwechselnd gezeigt. Nach 
Beendigen eines Popvorganges läuft darauf ein Timer für da Zeitfenster, 
in dem es möglich ist, Butterpampe zu zapfen.

Hinter der Tür befinden sich Tasten und über ein Menü lässt sich die 
Popdauer einstellen sowie aktuelle Netzspannung, Stromaufnahme, 
produzierte Tüten und der letzte Wartungstermin ablesen.

Strom? Wartungstermin?

Ja! Das Ding misst seine Stromaufnahme über einen Stromwandler auf der 
Platine. Dazu gibt es noch eine Pufferbatterie für was auch immer. Eine 
RTC ist glaube ich nicht darauf. Aber die Schreibzyklen des EEPROMs 
hätten sicherlich ausgereicht.

Was gibt es noch? Eine RS232-Schnittstelle! Natürlich benötigt ein 
Popcornautomat nicht nur eine Pufferbatterie und eine Strommessung, nein 
auch ohne RS232 würde nichts gehen!

Ich hab mal nen Terminal drangehängt. Das Ding meldet sich mit "POP16>" 
und will einen Befehl sehen. Das wars.

Für eine Konfiguration mit einem Pocket-PC gibt es jedenfalls noch eine 
Infrarotschnittstelle, mit der das Wartungsdatum beschrieben und der 
Tütenzähler gelesen werden können. [Bild 5].

Das nenne ich mal overengineered, oder?
Dafür wurde das Layout wohl von besagtem Schülerpraktikanten erstellt. 
90°-Winkel, bescheidene Masseführung, keine breiteren Leiterbahnen für 
Ströme,...

Naja. Nebenbei muss der PIC auch noch eine rote und eine Grüne LED 
ansteuern (Gerät bereit/beschäftigt) und zwei Gruppen blinkender LEDs 
als Werbemaßnahme zum Blinken bringen. Yay.

Gut. So ein PIC kann viel leisten. Auf der Steuerplatine befinden sich 
noch ein Relais für den Lüfter und ein TRIAC zum Ansteuern des Gebläses 
(oder umgekehrt, muss ich mal nachschauen)


*4. Das Heißluftgebläse*
Was kann schon so kompliziert an einem bisschen Heißluft sein?
Ich dachte, in dem Heißluft-Gerät befindet sich die klasssiche 
Fön-Schaltung. Heizdrähte, die gleichzeitig als Spannungsteiler für den 
DC-Motor fungieren, der über eine Diode irgendwas wie Gleichspannung 
sieht. Reicht ja. Warum und Luft.

Also habe ich die Heißluftpopeinheit [Bild 6] mal geöffnet, da mich 
bereits zwei Bananenbuchsen und zwei Potis, beschriftet mit "Fan" und 
"Heat" stutzig gemacht haben.

Jap. Auf Bild 7 und 8 sieht man das komplette Ausmaß. Das Ding hat noch 
einmal eine komplett eigene Steuerung/Regelung drin.

Zusammengefasst:
- Schaltnetzteil mit dem UC3843 Current-Mode PWM Controller und einem 
IRF840 MOSFET. Wow.
- Der Motor fürs Gebläse bekommt PWM aus einem NE555
- Die Temperaturregelung (vermutlich Grenzwertschalter/2-Punkt-Regelung) 
erfolgt mit einem LM324 Quad-OP, der wohl einerseits eine Thermospannung 
verstärkt und andererseits als Komparator/Fensterdiskriminator dient. 
Dazu dann noch ein Optokoppler mit ZC-Detection und einem MOSFET.

Wow. Definitiv mehr als nur eine Fönschaltung. Über die Potis kann man 
also die Heizung und das Gebläse feintunen.

Die Bananenbuchsen? Joa. an denen liegen 5V an. Warum auch immer. Wofür 
auch immer.

*5. Zusammenfassung*
Also ich muss gestehen, dass ich das Gerät damit schon ein bisschen 
overengineered finde. Gut, ein PIC zum Ansteuern kann ich verstehen. 
Aber RS232, Strommessung, IR-Schnittstelle,... wären vielleicht nicht 
notwendig gewesen.

Und die Popeinheit? Man liest jedenfalls im Internet, dass sie gerne mal 
ausfällt. Und jetzt ist auch klar, weshalb. Ich denke nicht, dass der 
Aufwand wirklich notwendig gewesen wäre.

Insgesamt soll so eine Maschine wohl 5.500€ neu gekostet haben. 
Gebrauchte gibt es beim Händler für die Hälfte. Auch hier weiß ich 
jetzt, weshalb.


Der Kaugummiautomat ist genial, die Steuerungen überentwickelt, der 
gesamte Aufbau aber eher zusammengeklatscht. Innen gibt es wilde 
Steckverbinder-Partys und alles wird von Silikon zusammengehalten. Und 
ein CE- oder GS-Zeichen trägt das Gerät übrigens auch nicht.

In den Kommentaren von HackADay hätte es jetzt mal wieder gehießen "Ein 
NE555 hätte auch gereicht" - In diesem Fall vielleicht wirklich zu 
Recht.

Aber für den Preis, den ich dafür gebraucht bezahlt habe, will ich nicht 
meckern. Ist ein netter Gag auf Partys und für Besucher. Nachdem das 
Ding gereinigt, Instandgesetzt und nach DGUV V17 gebrüft ist.

von Gerd E. (robberknight)


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Sebastian R. schrieb:
> Der Kaugummiautomat ist genial, die Steuerungen überentwickelt, der
> gesamte Aufbau aber eher zusammengeklatscht. Innen gibt es wilde
> Steckverbinder-Partys und alles wird von Silikon zusammengehalten.

Sowas ist gar nicht so ungewöhnlich:

Der Hersteller entwickelt das nicht alles selbst, sondern kauft so Dinge 
wie den Kaugummiautomaten oder die Heißluft-Einheit als fertige Blöcke 
zu und setzt das dann mehr oder weniger klug zusammen. Da sind dann 
verschiedene Steuerungen, Schaltregler,... kein Wunder.

von Michael B. (laberkopp)


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Overengineerd wohl kaum.

Um das wirkliche Produkt für den Kunden kümmert sich bei der Kiste also 
niemand. Irgendein alter Kaugummiautomat, irgendwelche zurechtgefalteten 
Blechteile, Zuckerstreuer und Butterspender mit Handbedienung. Popcorn 
macht so ein Ding bloss mit Ach und Krach.

ABER: Das wichtigste in der Konsumentenindustrie ist die Abrechnung, 
jede Portion muss erfasst werden, man muss Statistiken haben zu welcher 
Zeit wie viele dummen Leute sich das aufgeblasene Styroporzeugs gekauft 
haben, und verhindern daß sich die ungelernten Hilfsarbeitskräfte die 
für Mindestlohn die Kiste nachfüllen und putzen müssen sich oder ihren 
Freunden al eine Packung gratis zubreiten. Daher der Aufwand, mit 
Schnittstelle und Infrarot und Prozessor. Für das eigentliche Produkt 
hätte es all das nicht gebraucht.

von Ben B. (Firma: Funkenflug Industries) (stromkraft)


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Ich finde das gar nicht so over-engineered.

Jedes dieser Teile muß ja autark laufen, am besten noch von alleine 
sicherstellen, daß auch immer Popcorn rauskommt, egal welche Sorte Mais 
man oben reinschmeißt. Wenn ich bei tiefgekühltem Mais nur warme Körner 
rauskriege ist das genau so mies wie Kohlestückchen im Sommer und 
warmem, trockenem Mais. Also brauche ich Möglichkeiten, die Einheiten zu 
überwachen und möglichst fein zu steuern. Wenn ich dann auch noch an die 
Energieeffizienz denke, wirds schnell schwierig. Klar kann ich mit einem 
Lüfter und 10kW Heizelement ohne jede Regelung dauerhaft einen grob 
200°C heißen Luftstrom erzeugen wenn man das einmal einstellt (evtl. die 
Leistung des Lüfters mit einer mechanischen Klappe). Davon hab ich aber 
nichts, außer eine hohe Stromrechnung. Und was passiert wenn dann der 
doofe Aushilfskoch sein Geschirrtuch über den Lufteinlass hängt? Alles 
nicht so einfach.

von Christian B. (luckyfu)


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Michael B. schrieb:
> ABER: Das wichtigste in der Konsumentenindustrie ist die Abrechnung,
> jede Portion muss erfasst werden, man muss Statistiken haben zu welcher
> Zeit wie viele dummen Leute sich das aufgeblasene Styroporzeugs gekauft
> haben, und verhindern daß sich die ungelernten Hilfsarbeitskräfte die
> für Mindestlohn die Kiste nachfüllen und putzen müssen sich oder ihren
> Freunden al eine Packung gratis zubreiten. Daher der Aufwand, mit
> Schnittstelle und Infrarot und Prozessor. Für das eigentliche Produkt
> hätte es all das nicht gebraucht.

Wenn man nichts beitragen kann, sollte man es auch einfach mal sein 
lassen irgendwas zu schreiben. Deine Aussage kann man grob in 3 kurze 
Sätze packen:
1.: Ich mag kein Popkorn.
2.: Ich mag Popkorn lieber von einem Verkäufer statt einer Maschine, wie 
im Kino, für 4 Euro statt 1.
3.: siehe 1.
Mimimimimi


Ich finde das ist gar nicht so schlecht gelöst. Teilweise etwas 
überdimensioniert aber ja, Sicherheit kostet halt. Was die Platine 
angeht: für mich sieht das eher nach Autorouter aus. Aber wieso auch 
nicht? Die Firma wird kaum so viele Maschinen produzieren, daß sie sich 
einen Professionellen Layouter einstellen, der das dann in schön macht, 
wenns sowieso niemand sieht. Es tut, was es muss: Es funktioniert. Für 
Consumer Ware doch absolut ausreichend.
Danke für den Einblick.

von Hannes J. (Firma: _⌨_) (pnuebergang)


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Sebastian R. schrieb:
> Das nenne ich mal overengineered, oder?

Wahrscheinlich nicht.

> Strom? Wartungstermin?

- Wie schon jemand schrieb, die Kasse muss stimmen.
- Es soll nicht abbrennen
- Das Popcorn soll einen nicht umbringen

Messen der Stromaufnahme hilft die Kosten zu bestimmen und den Automaten 
sicher zu betreiben. Wenn die Software nicht ganz blöd ist, dann 
schaltet sie bei übermäßiger oder untypisch niedriger Stromaufnahme den 
Automaten ab.

Zur Nahrungsmittel-Sicherheit muss ein "Hazard analysis and critical 
control points" Plan 
https://en.wikipedia.org/wiki/Hazard_analysis_and_critical_control_points 
eingehalten werden. Einige Wartungsschritte werden dabei CCPs (critical 
control points) sein, die man besser dokumentiert. Sollte sich jemand 
den Magen verderben und als patriotischer Amerikaner eine Millionenklage 
anstrengen, dann wird der Plan und die Dokumentation der Wartung 
herangezogen.

> Wow. Definitiv mehr als nur eine Fönschaltung. Über die Potis kann man
> also die Heizung und das Gebläse feintunen.

Wird zugekauft sein und mit entsprechendem Papierkram gekommen sein, 
dass es unter keinen Umständen abbrennt und allgemein für Nahrungsmittel 
zugelassen ist.

> Die Bananenbuchsen? Joa. an denen liegen 5V an. Warum auch immer. Wofür
> auch immer.

Vermutlich für Messungen bei einer Fehlersuche oder für andere 
Anwendungen der Heizung.

> Aber RS232,

Firmware-Updates, Auslesen aller Wartungsinformationen auf einen Rutsch, 
usw.

> IR-Schnittstelle

Bequem für den Betreiber. Stell zehn von den Dingern auf, und du bist 
froh, bei den regelmäßigen Kontrollen und Dokumentation der Kontrollen 
nicht jedesmal ein Kabel einstecken zu müssen. Das ist ein 
Verkaufsargument wenn der Hersteller die Automaten an Betreiber 
verkaufst oder vermietest.

> Innen gibt es wilde
> Steckverbinder-Partys und alles wird von Silikon zusammengehalten.

Das sind Kleinstserien. Da schlägt jede Extra-Stunde in der Entwicklung 
übel auf die Kosten für ein Exemplar durch. Also steckt man keinen 
Aufwand rein um innen den Schönheitspreis zu gewinnen.

> Und
> ein CE- oder GS-Zeichen trägt das Gerät übrigens auch nicht.

Warum sollte es?

> In den Kommentaren von HackADay hätte es jetzt mal wieder gehießen "Ein
> NE555 hätte auch gereicht"

Den Kindergarten gibst du dir?

von Sebastian R. (sebastian_r569)


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Gut, das Argument mit "Die Zahlen müssen stimmen" sehe ich ein.
Allerdings hätte ich dafür kein RS232 und IR benötigt. Man kann das 
Datum ja auch per Hand einstellen. Und anstatt "Security through 
obscurity" mit einem echten Passwort sperren können. So als Idee.

Dass nur Teile zugekauft und zusammengesetzt wurden, sehe ich auch ein.
Das Layout der Gebläse-Platine ist deutlich aufgeräumter, wurde also 
wohl von einer anderen Firma hergestellt.

Jedoch trägt alles das "Freshpop"-Branding, wurde also zumindest was 
Spritzgussformen angeht, an genau diese Automatenreihe angepasst. Man 
hätte also vermutlich auch eine abgespeckte und kosteneffizientere 
Lösung bekommen können.

Andererseits hat man sich durch die hohe Fehleranfälligkeit und dubiose 
Leasingsysteme eine gewisse Abhängigkeit des Kunden geschaffen.


Ich bleibe dabei: Ich finde es spannend, in welche Bereiche die 
Entwicklungskosten gesteckt wurden (Kommunikation, Logging,...) und in 
welche sie nicht gesteckt wurden (Gehäuse, Verdrahtung im Gehäuse und 
vor allem für den deutschen Markt erforderliche Prüfungen und damit 
verbundene Prüfsiegel)


Hannes J. schrieb:
>> In den Kommentaren von HackADay hätte es jetzt mal wieder gehießen "Ein
>> NE555 hätte auch gereicht"
>
> Den Kindergarten gibst du dir?

Ja, ich bin ja auch im µC.net unterwegs.

von Magnus L. (magugu)


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