Manchmal muss ein Mann tun, was ein Mann tun muss. Er muss einen Popcornautomaten bei ebay Kleinanzeigen kaufen. Naja gut. Muss er nicht. Ich hab's trotzdem gemacht. Ich mein, das Funktionsprinzip und das Benutzerinterface ist denkbar einfach. Aber dennoch bin ich beim Zerlegen und beim Reinigen der einzelnen Komponenten auf ein paar erstaunliche Dinge gestoßen. Und ich dachte, ich teile diese Dinge einfach mal zusammen mit ein paar Handyfotos (bessere kommen vielleicht irgendwann mal, wenn ich mich dazu aufraffe, daraus einen Beitrag für meine Homepage zu machen). Aber ich denke, dass es der ein oder andere interessant findet, was man in so einem Gerät verbauen kann. *1. Bedienung / Userinterface* Geld rein -> Popcorn raus. Gegen Einwurf eines 1€-Stückes produziert der Automat eine Tüte frisches Popcorn, welches mit Heißluft aufgepoppt wird. An der Seite befinden sich noch ein Zuckersteuer und ein Spender für klebriges Öl mit Buttergeschmack, welches man mit einem Tastendruck aus einem kleinen Hahn fördern kann. Der komplette Prozess braucht etwa eine Minute und ist sehr simpel gehalten. Der Unterschrank dient als Lager für das Butteröl und als Abfallbehälter für überschüssiges Popcorn, das durch einen Trichter (nicht gezeigt) in den Schlitz und einen dahinter befindlichen Eimer fällt. Die ganze Magie findet oben in dem schlanken Aufsatz statt. *2. Funktion und Innereien* Die Funktionsweise ist auch sehr einfach gehalten. Der Vorratsbehälter für den Mais ist nichts weiter als ein umfunktionierter Kaugummiautomat [Bild 2]. Mitsamt Münzschlitz und dem klassischen "Eine volle Umdrehung im Uhrzeigersinn drehen". Das Geld landet in der Kasse und eine Handvoll Popcornkörner fällt für den Bediener nicht sichtbar in die Heißlufteinheit [Bild 6]. Diese funktioniert wie ein heimischer Popcorn-Maker. In einer kleinen Kammer wird der Mais mit Heißluft erhitzt und wird dann durch den Luftstrom aus der Kammer befördert. Ein Mikroschalter in dem Münzprüfer aktiviert das Gebläse für eine einstellbare Zeit. *3. Die Steuerung* Im oberen Teil befindet sich unter dem umfunktionierten Kaugummiautomaten die eigentliche Steuerelektronik [Bild 3]. In diesem Bereich befindet sich auch ein Lüfter, um das Gebläse zu kühlen sowie die Schlauchpumpe für die Butterpampe. Die Steuerplatine [Bild 4] ist ein Wunderwerk der Technik und die Arbeit eines Schülerpraktikanten zugleich. Das Herzstück ist ein PIC18LF452, der sich um ziemlich viele Aufgaben kümmert. Einige davon sicherlich nicht wirklich notwendig. - An der Seite gibt es eine Anzeige aus 6 Siebensegment-Anzeigen. Im normalen Betrieb wird dort "Fresh" und "Pop" abwechselnd gezeigt. Nach Beendigen eines Popvorganges läuft darauf ein Timer für da Zeitfenster, in dem es möglich ist, Butterpampe zu zapfen. Hinter der Tür befinden sich Tasten und über ein Menü lässt sich die Popdauer einstellen sowie aktuelle Netzspannung, Stromaufnahme, produzierte Tüten und der letzte Wartungstermin ablesen. Strom? Wartungstermin? Ja! Das Ding misst seine Stromaufnahme über einen Stromwandler auf der Platine. Dazu gibt es noch eine Pufferbatterie für was auch immer. Eine RTC ist glaube ich nicht darauf. Aber die Schreibzyklen des EEPROMs hätten sicherlich ausgereicht. Was gibt es noch? Eine RS232-Schnittstelle! Natürlich benötigt ein Popcornautomat nicht nur eine Pufferbatterie und eine Strommessung, nein auch ohne RS232 würde nichts gehen! Ich hab mal nen Terminal drangehängt. Das Ding meldet sich mit "POP16>" und will einen Befehl sehen. Das wars. Für eine Konfiguration mit einem Pocket-PC gibt es jedenfalls noch eine Infrarotschnittstelle, mit der das Wartungsdatum beschrieben und der Tütenzähler gelesen werden können. [Bild 5]. Das nenne ich mal overengineered, oder? Dafür wurde das Layout wohl von besagtem Schülerpraktikanten erstellt. 90°-Winkel, bescheidene Masseführung, keine breiteren Leiterbahnen für Ströme,... Naja. Nebenbei muss der PIC auch noch eine rote und eine Grüne LED ansteuern (Gerät bereit/beschäftigt) und zwei Gruppen blinkender LEDs als Werbemaßnahme zum Blinken bringen. Yay. Gut. So ein PIC kann viel leisten. Auf der Steuerplatine befinden sich noch ein Relais für den Lüfter und ein TRIAC zum Ansteuern des Gebläses (oder umgekehrt, muss ich mal nachschauen) *4. Das Heißluftgebläse* Was kann schon so kompliziert an einem bisschen Heißluft sein? Ich dachte, in dem Heißluft-Gerät befindet sich die klasssiche Fön-Schaltung. Heizdrähte, die gleichzeitig als Spannungsteiler für den DC-Motor fungieren, der über eine Diode irgendwas wie Gleichspannung sieht. Reicht ja. Warum und Luft. Also habe ich die Heißluftpopeinheit [Bild 6] mal geöffnet, da mich bereits zwei Bananenbuchsen und zwei Potis, beschriftet mit "Fan" und "Heat" stutzig gemacht haben. Jap. Auf Bild 7 und 8 sieht man das komplette Ausmaß. Das Ding hat noch einmal eine komplett eigene Steuerung/Regelung drin. Zusammengefasst: - Schaltnetzteil mit dem UC3843 Current-Mode PWM Controller und einem IRF840 MOSFET. Wow. - Der Motor fürs Gebläse bekommt PWM aus einem NE555 - Die Temperaturregelung (vermutlich Grenzwertschalter/2-Punkt-Regelung) erfolgt mit einem LM324 Quad-OP, der wohl einerseits eine Thermospannung verstärkt und andererseits als Komparator/Fensterdiskriminator dient. Dazu dann noch ein Optokoppler mit ZC-Detection und einem MOSFET. Wow. Definitiv mehr als nur eine Fönschaltung. Über die Potis kann man also die Heizung und das Gebläse feintunen. Die Bananenbuchsen? Joa. an denen liegen 5V an. Warum auch immer. Wofür auch immer. *5. Zusammenfassung* Also ich muss gestehen, dass ich das Gerät damit schon ein bisschen overengineered finde. Gut, ein PIC zum Ansteuern kann ich verstehen. Aber RS232, Strommessung, IR-Schnittstelle,... wären vielleicht nicht notwendig gewesen. Und die Popeinheit? Man liest jedenfalls im Internet, dass sie gerne mal ausfällt. Und jetzt ist auch klar, weshalb. Ich denke nicht, dass der Aufwand wirklich notwendig gewesen wäre. Insgesamt soll so eine Maschine wohl 5.500€ neu gekostet haben. Gebrauchte gibt es beim Händler für die Hälfte. Auch hier weiß ich jetzt, weshalb. Der Kaugummiautomat ist genial, die Steuerungen überentwickelt, der gesamte Aufbau aber eher zusammengeklatscht. Innen gibt es wilde Steckverbinder-Partys und alles wird von Silikon zusammengehalten. Und ein CE- oder GS-Zeichen trägt das Gerät übrigens auch nicht. In den Kommentaren von HackADay hätte es jetzt mal wieder gehießen "Ein NE555 hätte auch gereicht" - In diesem Fall vielleicht wirklich zu Recht. Aber für den Preis, den ich dafür gebraucht bezahlt habe, will ich nicht meckern. Ist ein netter Gag auf Partys und für Besucher. Nachdem das Ding gereinigt, Instandgesetzt und nach DGUV V17 gebrüft ist.
Sebastian R. schrieb: > Der Kaugummiautomat ist genial, die Steuerungen überentwickelt, der > gesamte Aufbau aber eher zusammengeklatscht. Innen gibt es wilde > Steckverbinder-Partys und alles wird von Silikon zusammengehalten. Sowas ist gar nicht so ungewöhnlich: Der Hersteller entwickelt das nicht alles selbst, sondern kauft so Dinge wie den Kaugummiautomaten oder die Heißluft-Einheit als fertige Blöcke zu und setzt das dann mehr oder weniger klug zusammen. Da sind dann verschiedene Steuerungen, Schaltregler,... kein Wunder.
Overengineerd wohl kaum. Um das wirkliche Produkt für den Kunden kümmert sich bei der Kiste also niemand. Irgendein alter Kaugummiautomat, irgendwelche zurechtgefalteten Blechteile, Zuckerstreuer und Butterspender mit Handbedienung. Popcorn macht so ein Ding bloss mit Ach und Krach. ABER: Das wichtigste in der Konsumentenindustrie ist die Abrechnung, jede Portion muss erfasst werden, man muss Statistiken haben zu welcher Zeit wie viele dummen Leute sich das aufgeblasene Styroporzeugs gekauft haben, und verhindern daß sich die ungelernten Hilfsarbeitskräfte die für Mindestlohn die Kiste nachfüllen und putzen müssen sich oder ihren Freunden al eine Packung gratis zubreiten. Daher der Aufwand, mit Schnittstelle und Infrarot und Prozessor. Für das eigentliche Produkt hätte es all das nicht gebraucht.
Ich finde das gar nicht so over-engineered. Jedes dieser Teile muß ja autark laufen, am besten noch von alleine sicherstellen, daß auch immer Popcorn rauskommt, egal welche Sorte Mais man oben reinschmeißt. Wenn ich bei tiefgekühltem Mais nur warme Körner rauskriege ist das genau so mies wie Kohlestückchen im Sommer und warmem, trockenem Mais. Also brauche ich Möglichkeiten, die Einheiten zu überwachen und möglichst fein zu steuern. Wenn ich dann auch noch an die Energieeffizienz denke, wirds schnell schwierig. Klar kann ich mit einem Lüfter und 10kW Heizelement ohne jede Regelung dauerhaft einen grob 200°C heißen Luftstrom erzeugen wenn man das einmal einstellt (evtl. die Leistung des Lüfters mit einer mechanischen Klappe). Davon hab ich aber nichts, außer eine hohe Stromrechnung. Und was passiert wenn dann der doofe Aushilfskoch sein Geschirrtuch über den Lufteinlass hängt? Alles nicht so einfach.
Michael B. schrieb: > ABER: Das wichtigste in der Konsumentenindustrie ist die Abrechnung, > jede Portion muss erfasst werden, man muss Statistiken haben zu welcher > Zeit wie viele dummen Leute sich das aufgeblasene Styroporzeugs gekauft > haben, und verhindern daß sich die ungelernten Hilfsarbeitskräfte die > für Mindestlohn die Kiste nachfüllen und putzen müssen sich oder ihren > Freunden al eine Packung gratis zubreiten. Daher der Aufwand, mit > Schnittstelle und Infrarot und Prozessor. Für das eigentliche Produkt > hätte es all das nicht gebraucht. Wenn man nichts beitragen kann, sollte man es auch einfach mal sein lassen irgendwas zu schreiben. Deine Aussage kann man grob in 3 kurze Sätze packen: 1.: Ich mag kein Popkorn. 2.: Ich mag Popkorn lieber von einem Verkäufer statt einer Maschine, wie im Kino, für 4 Euro statt 1. 3.: siehe 1. Mimimimimi Ich finde das ist gar nicht so schlecht gelöst. Teilweise etwas überdimensioniert aber ja, Sicherheit kostet halt. Was die Platine angeht: für mich sieht das eher nach Autorouter aus. Aber wieso auch nicht? Die Firma wird kaum so viele Maschinen produzieren, daß sie sich einen Professionellen Layouter einstellen, der das dann in schön macht, wenns sowieso niemand sieht. Es tut, was es muss: Es funktioniert. Für Consumer Ware doch absolut ausreichend. Danke für den Einblick.
Sebastian R. schrieb: > Das nenne ich mal overengineered, oder? Wahrscheinlich nicht. > Strom? Wartungstermin? - Wie schon jemand schrieb, die Kasse muss stimmen. - Es soll nicht abbrennen - Das Popcorn soll einen nicht umbringen Messen der Stromaufnahme hilft die Kosten zu bestimmen und den Automaten sicher zu betreiben. Wenn die Software nicht ganz blöd ist, dann schaltet sie bei übermäßiger oder untypisch niedriger Stromaufnahme den Automaten ab. Zur Nahrungsmittel-Sicherheit muss ein "Hazard analysis and critical control points" Plan https://en.wikipedia.org/wiki/Hazard_analysis_and_critical_control_points eingehalten werden. Einige Wartungsschritte werden dabei CCPs (critical control points) sein, die man besser dokumentiert. Sollte sich jemand den Magen verderben und als patriotischer Amerikaner eine Millionenklage anstrengen, dann wird der Plan und die Dokumentation der Wartung herangezogen. > Wow. Definitiv mehr als nur eine Fönschaltung. Über die Potis kann man > also die Heizung und das Gebläse feintunen. Wird zugekauft sein und mit entsprechendem Papierkram gekommen sein, dass es unter keinen Umständen abbrennt und allgemein für Nahrungsmittel zugelassen ist. > Die Bananenbuchsen? Joa. an denen liegen 5V an. Warum auch immer. Wofür > auch immer. Vermutlich für Messungen bei einer Fehlersuche oder für andere Anwendungen der Heizung. > Aber RS232, Firmware-Updates, Auslesen aller Wartungsinformationen auf einen Rutsch, usw. > IR-Schnittstelle Bequem für den Betreiber. Stell zehn von den Dingern auf, und du bist froh, bei den regelmäßigen Kontrollen und Dokumentation der Kontrollen nicht jedesmal ein Kabel einstecken zu müssen. Das ist ein Verkaufsargument wenn der Hersteller die Automaten an Betreiber verkaufst oder vermietest. > Innen gibt es wilde > Steckverbinder-Partys und alles wird von Silikon zusammengehalten. Das sind Kleinstserien. Da schlägt jede Extra-Stunde in der Entwicklung übel auf die Kosten für ein Exemplar durch. Also steckt man keinen Aufwand rein um innen den Schönheitspreis zu gewinnen. > Und > ein CE- oder GS-Zeichen trägt das Gerät übrigens auch nicht. Warum sollte es? > In den Kommentaren von HackADay hätte es jetzt mal wieder gehießen "Ein > NE555 hätte auch gereicht" Den Kindergarten gibst du dir?
Gut, das Argument mit "Die Zahlen müssen stimmen" sehe ich ein. Allerdings hätte ich dafür kein RS232 und IR benötigt. Man kann das Datum ja auch per Hand einstellen. Und anstatt "Security through obscurity" mit einem echten Passwort sperren können. So als Idee. Dass nur Teile zugekauft und zusammengesetzt wurden, sehe ich auch ein. Das Layout der Gebläse-Platine ist deutlich aufgeräumter, wurde also wohl von einer anderen Firma hergestellt. Jedoch trägt alles das "Freshpop"-Branding, wurde also zumindest was Spritzgussformen angeht, an genau diese Automatenreihe angepasst. Man hätte also vermutlich auch eine abgespeckte und kosteneffizientere Lösung bekommen können. Andererseits hat man sich durch die hohe Fehleranfälligkeit und dubiose Leasingsysteme eine gewisse Abhängigkeit des Kunden geschaffen. Ich bleibe dabei: Ich finde es spannend, in welche Bereiche die Entwicklungskosten gesteckt wurden (Kommunikation, Logging,...) und in welche sie nicht gesteckt wurden (Gehäuse, Verdrahtung im Gehäuse und vor allem für den deutschen Markt erforderliche Prüfungen und damit verbundene Prüfsiegel) Hannes J. schrieb: >> In den Kommentaren von HackADay hätte es jetzt mal wieder gehießen "Ein >> NE555 hätte auch gereicht" > > Den Kindergarten gibst du dir? Ja, ich bin ja auch im µC.net unterwegs.
Bitte melde dich an um einen Beitrag zu schreiben. Anmeldung ist kostenlos und dauert nur eine Minute.
Bestehender Account
Schon ein Account bei Google/GoogleMail? Keine Anmeldung erforderlich!
Mit Google-Account einloggen
Mit Google-Account einloggen
Noch kein Account? Hier anmelden.