Forum: Ausbildung, Studium & Beruf Vom Produktentwickler zum Produktmanager


von New I. (newie)


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Hallo zusammen,

ich hatte mal beruflich mit dem Produktmanager eines Zulieferers zu tun, 
und war von seiner Fachkompetenz positiv überrascht. Im weiteren Verlauf 
der Zusammenarbeit stellte sich heraus, dass er jahrelang als Entwickler 
tätig war, bevor er in das Produktmanagement wechselte.

Hat einer von euch diesen Schritt gemacht und kann ggf. über seine 
Erfahrungen berichten?

LG newie

: Bearbeitet durch User
von Nikolaus S. (Firma: Golden Delicious Computers) (hns)


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Ich habe früher viele Jahre bei SIEMENS als Produktmanager gearbeitet. 
Viele Kollegen waren ebenfalls zuerst Forscher oder Entwickler gewesen.

Aber wie der Name schon sagt: das ist ein Manager-Job! D.h. nichts mit 
selber löten oder programmieren (das habe ich als Hobby gemacht). Man 
muß dafür sorgen dass Leute zusammenarbeiten und das heißt 90% des 
Tages: kommunizieren. Also reden, Vorträge halten, telefonieren, 
E-Mails, Marktberichte studieren, Kundenbefragungen...

Man muß auch nicht mehr alle Bits, Bauteile und Leitungen verstehen, 
sondern das Gesamtsystem, den Betrieb incl. wirtschaftlicher Aspekte und 
möglichst alle relevanten Leute kennen(lernen wollen). Und in der Lage 
sein, das Produkt (nicht die Technik!) anderen Leuten die von Technik 
keine Ahnung haben, so zu erklären, so dass sie es verstehen und kaufen. 
Und muß man auch über noch ungelöste technische "Probleme" schweigen 
können.

Man sitzt also quasi zwischen den Entwicklern und dem Vertrieb. Den 
Entwicklern muß man sagen (= verhandeln, aufschreiben) was sie tun 
sollen und was vor allem nicht (weil es sonst zu viel Geld kostet), so 
dass der Vertrieb und dessen Kunden die Stückzahlen und Umsätze 
optimieren. Also ein kaufmännisches Geschick oder zumindest Interesse 
ist schon hilfreich...

Ein typischer Spruch unter Produktmanagern: "man ist Chefkoch und 
Tellerwäscher in einer Person". Weil man zwar bestimmen kann wo es 
hingeht (Roadmap) aber ab und zu selber die letzten Schritte und Details 
erledigen muß, damit der Termin eingehalten wird. Z.B. 1 Stunde vor 
Messebeginn noch die neuesten Prototypen abholen und selber aufstellen. 
Gleich danach spricht man mit potenziellen Kunden und überarbeitet mit 
dem was man von ihnen gehört hat die Roadmap.

Nochwas: für einen guten Produktmanager ist es egal, ob er für 
Elektronik, Software, Autos, Papier, Joghurtbecher oder Bier zuständig 
ist. Die Arbeitsmethoden sind die gleichen und die Produkte sind 
eigentlich austauschbar... Daher ist ein häufiger Ausbildungshintergrund 
MBA, Kaufmann oder Wirtschaftsingenieur. Natürlich spezialisiert man 
sich auf eine bestimmte Produktkategorie und den zugehörigen Markt und 
Wettbewerb und lernt dabei vieles der zugrundeliegenden Technik und kann 
sie gut erklären.

Wenn der Betrieb sog. erklärungsbedürftige Produkte baut (Bier und 
Kaffee gehören da nicht dazu) ist das aber auch die Chance für einen 
Entwickler, zum Produktmanager zu werden. Dann hilft das technische 
Know-How sehr viel für die neue Rolle. Und für die kaufmännischen 
Grundlagen, die man unbedingt braucht, gibt es Kurse.

Also Kernpunkt für einen Wechsel: man muß an der wirtschaftlichen Seite 
des Betriebs und der Produkte interessiert sein, Know-How aufbauen und 
kommunikationsfreudig sein.

: Bearbeitet durch User
von Energietechniker (Gast)


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Nikolaus S. schrieb:
> Man sitzt also quasi zwischen den Entwicklern und dem Vertrieb.

Eher zwischen Vertrieb und Kunde. Ist jedenfalls bei uns so.

von Stefan F. (Gast)


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Mein jetziger Chef hat das gemacht, und der in der Firma davor auch. 
Fand ich ganz angenehm.

Ich hätte keine Lust, mich in diese Richtung weiter zu entwickeln - zu 
viel Politik und Papierkram. Ich bin eher ein Techniker, mit dem 
Werkzeug in der Hand.

von Realistischer (Gast)


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Stefanus F. schrieb:
> Ich hätte keine Lust, mich in diese Richtung weiter zu entwickeln - zu
> viel Politik und Papierkram.

Sehe ich ähnlich. Wozu 50% mehr Arbeit für 30% mehr Gehalt, wenn man die 
100k auch als Entwickler knacken kann.

von Manfred (Gast)


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Realistischer schrieb:
> Sehe ich ähnlich. Wozu 50% mehr Arbeit für 30% mehr Gehalt, wenn ...

Die Firma gab einen Produktbereich auf, ein paar Entwickler waren damit 
über. Um den eigenen Arsch zu retten, bot sich ein Wechsel ins 
Produktmarketing an. Der Kollege hat das jahrelang verdammt gut gemacht, 
auch deswegen, weil es zu seiner Persönlichkeit passte.

Ein anderer Kollege wurde ins Produktmanagement verschoben, Vitamin B, 
als Vollpfeife wartet er nur auf seine Rente, aber hat für sich 
persönlich den Hintern im Trockenen.

Die böse Welt der Realität: Man will, man kann oder man muß eben.

von Ingenieur (Gast)


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Realistischer schrieb:
> Stefanus F. schrieb:
> Ich hätte keine Lust, mich in diese Richtung weiter zu entwickeln - zu
> viel Politik und Papierkram.
>
> Sehe ich ähnlich. Wozu 50% mehr Arbeit für 30% mehr Gehalt, wenn man die
> 100k auch als Entwickler knacken kann.

Dem kann ich nur zustimmen.

von PRM (Gast)


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den Schritt habe ich nach 3Jahren Duales Studium + 7 Jahren Embedded 
Entwickler gemacht.

Was tut man?
Mit Entwicklern darüber reden, was mal entwickelt werden soll, welchen 
Aufwand das bedeutet, die Budgets dafür einsammeln und verteidigen ... 
für die Budgets eine Mark-Story haben (warum bringt es was, Geld in 
dieses Thema und kein andere zu stecken?)
Politik mit Vertrieb:
1) "weil Du keine passenden Produkte hast oder die im Feld defekt sind, 
erreiche ich meine Vertriebsziele nicht"
2) organisiere Zeit, Interesse und ausreichend Aufmerksamkeit der 
Vertriebskollegen, die Hauptvoreile Deiner neuen Produkte zu verstehen, 
sodass sie diese verkaufen können oder zumindest daran denken, den 
Produktmanager mit hinzuzuziehen, wenn ihnen ein passendes Problem bei 
einem Kunden auffällt.
3) Du kannst die Produktanforderungen an die Entwicklung nicht so 
schmieden, dass es allen Kunden gerecht wird ... was nutzt ausreichend 
vielen Kunden gut genug und kann noch finanziert werden?

Politik mit Firmeninternen "Gegenspielern", z.B.:
Wirtschaftlichkeits-Diskussionen um "meine Produkte", wobei die 
Kaufleute Kostenumlagen auf meine Produkte ausrechnen für Ineffizienzen 
und Unterauslastungen in Bereichen wie Fertigung / Entwicklung.

Produkt-Zulassung, Marktzugang (z.B. WLAN-fähige Geräte wollen für viele 
Länder extra zugelassen werden)

Produkt-Sicherheit ... z.B. darf je nach angewandter Norm und 
betroffenem Personenkreis nur bestimmte Gefahren (wie z.B. heiße 
Oberflächen) an einem Produkt auftreten, ist das nicht ausreichend 
gekennzeichnet oder dokumentiert worden, wird es zum Job des 
Produktmanagers zusammen mit weiteren Rollen über einen Produktrückruf 
zu entscheiden, Lagerbestand sperren, Kundenlieferungen und abhängige 
Kundenprojekte absagen, Gegenmaßnahmen finden (wenn sich aktuell 
laufende Entwicklungsprojekte in der Ressourcen-Planung dafür stören 
lassen), Produktsicherheitsprüfung bestellen, Lager umrüsten, weiter 
ausliefern.

Normenänderungen ... Auswirkung auf Zulässigkeit des Produkts ... ggfs. 
Budget für Redesign argumentieren oder Phaseout der Produkte inkl. 
Kundeneskalation und Resteindeckung von Bauteilen anstoßen.
Diskussion mit Personen, die Restbestände verschrottet haben, da es 
kaufmännische Bilanz-Darstellungsoptionen gibt, in denen ein Lager ohne 
alte eingelagerte Bauteile besser dasteht. (Dass Dein Produkt von da an 
nicht mehr gefertigt werden kann,ist solchen Leuten nicht bewusst oder 
nicht wichtig ... sie verkaufen ihre Story an entsprechende Entscheider)


Produktmanagment hängt stark davon ab, aus welchem Hintergrund Du kommst 
und davon, welche Lücke die Produktmanager im jeweiligen Unternehmen 
füllen sollen.

Ich fühlte mich immer noch als Entwickler, der von nun an lästige 
aufräumarbeiten machte:
- fehlende Dokumentationen, Kennzeichnung
- dürftige Designs (die nicht die Bandbreite der geforderten 
Umweltsituationen sauber abgetestet haben oder Bauteiltoleranzen 
ignorieren) in Produkt-Limitierungen umwandeln, entsprechend geringere 
Marktchancen vertreten
- Lifecycle von Bauteilen
- Probleme ausbaden wegen Design-Schwächen in Serien-Produkten
- OwnerShip für die Hinterlassenschaften anderer übernehmen
- es ist schwer, nicht als Entwickler zu denken und den zuständigen 
Entwicklern ihre Fehlerfreiräume, Unverständnis, Drang zu 
Selbstverwirklichung oder Overengineering zuzugestehen


Mein Lessons-Learned für die Entwickler-Rolle:
- langfristig gut designen (auch wenn kurzfristig die Projekt-Kosten 
überschritten werden) ...
- Die Total Cost of ownershipes ist oft sträftlich misachtet, da den 
Kaufleuten (und Entscheidern, denen sie ihre Zahlen vorlegen) oft kein 
gutes Produkt-Lifecycle-Datenmaterial vorliegt
- gute Technologie von verlässlichen Lieferanten wählen (niemand hat was 
von einer schnellen Entwicklung, die anschließend Redesigns in der Serie 
braucht)
- die wirklich wichtigen in der Firma sind nur die, die auch was Liefern 
können (gute Entwickler)
- achte auf Dein Image als Entwickler, niemand möchte die 
Paradies-Vögel, Spielkinder oder ergebnislose Diskussionskönige 
zugewiesen bekommen -- sondern die Sorgfältigen, Kreativen, Macher ... 
die was robustes fertig kriegen - auch mit etwas weniger Features, dafür 
funktioniert es aber - immer.



Alles in allem sehr heilsam im Blick auf das Bauchgefühl, dass man 
vorher schon in der Entwickler-Rolle hatte: Qualität

von Ex-Ing (Gast)


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Hallo PRM und Rest der Welt,

nach einigen Jahren Entwicklung bin ich auch den Weg als technischer 
Produktmanager gegangen.

Besser als PRM kann ich die Tätigkeiten auch nicht beschreiben. Man ist 
Mädchen für absolut alles.

Es ist eine Mischung aus Politik, Marketing und Technik und wenn man es 
gut macht, kommt am Ende verkaufbare Qualität heraus.

Dann macht das Ganze auch durchaus Spaß.

Merke: Bei einem guten Produktmanager kann ein gutes Ergebnis 
herauskommen, bei einem schlechten Produktmanager ist das Ergebnis immer 
schlecht.


Gruß

von Ingenieur (Gast)


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Ex-Ing schrieb:
> nach einigen Jahren Entwicklung bin ich auch den Weg als technischer
> Produktmanager gegangen.

Hat sich das auch finanziell gelohnt? Ich vermute mal eher nicht...

von Healthineer (Gast)


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Ingenieur schrieb:
> Hat sich das auch finanziell gelohnt? Ich vermute mal eher nicht...

Ist ja auch nur ein anderes Aufgabenspektrum, die dümpeln genauso im 
ersten AT-Band rum. Warum sollte man da mehr bezahlen? Am Ende den 
Bockmist verantworten muss dann doch der disziplinarische Vorgesetzte.

von PRM (Gast)


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> Hat sich das auch finanziell gelohnt?

Vielleicht hab ich schlecht verhandelt .. oder einfach Pech mit der 
wirtschaftlich angeschlagenen Ziel-Abteilung gemacht, aber:
Es gab dadurch keine großen finanziellen sprünge.
Ich bin damals keine Tarifstufe aufgestiegen oder gar in AT gewechselt.

> Dann macht das Ganze auch durchaus Spaß
Funktioniert wohl am besten, wenn ein Entwickler zum Anwender wird.
Er sieht die verkauften Produkte (z.b. Bauteile) aus Kundensicht - er 
entwickelt keine Bauteile selbst.

Produktmanager müssen vorallem ihr Produkt und den Markt drumherum 
verstehen.
Ein Hardware-Entwickler könnte z.B. ein gute Produktmanager für Trafos 
oder CAD-Software werden.
Ein erfahrener Anlagen-Inbetriebnehmer ein guter Produktmanager für 
Elektronik, die in genau solche Anlagen verkauft wird.

Jedoch ein Entwickler, der in Zukunft Produktmanager für Produkte ist 
ähnlich zu seinen eigenen Entwicklungen, hat 2 große Schritte vor sich:
- Entwickler war mal
- Spaß an "Mädchen für alles" finden
- Markt verstehen, damit man drauf kommt, was unsere Produkte 
besser/schlechter als andere können

von PRM (Gast)


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3 Schritte ;-)

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