Forum: Analoge Elektronik und Schaltungstechnik Wie große Akku-Packs (im Auto) Balancen?


von Fragender (Gast)


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Hallo Leute,

hat jemand von euch eine Ahnung, wie diese riesigen Akku-Packs (z.B. im 
Auto (BMW/TESLA/VW/Toyota... haben ja Akkusysteme mit Voll.- oder 
Teilelektrisch) mit ihren zig kWh Speicherleistung ausgeglichen werden 
und mit wieviel Strom Balanciert wird?

Werden da aktive Balancer verwendet, oder einfach per "Bleeding 
Resistor" Energie "verbraucht". Ich denke an ersteres, alleine schon aus 
gründen der Kosten und Fehleranfälligkeit, mag mich da aber auch 
täuschen. Erst recht interessant wird dieses Thema ja, wenn die Akkus 
etwas älter werden und ggf. driften und damit bedingt auch 
unterschiedliche Kapazitäten aufweisen.
Klar ist mir auch, das das "Ladegerät" sehr viel mit dem BMS schnacken 
muss und entsprechend dem Ladezustand der Zellen gesteuert wird.

von Kai S. (kai1986)


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Hallo,

auch bei den großen Akkus wird meist nur ein passives Balancing mit 
50-100 mA Balancingstrom eingesetzt (wobei es Ausnahmen geben mag, ich 
kenne nicht jede Großbatterie). Bei einem sauber aufgebautem Li-Ion Akku 
ist für den Betrieb kein Balancing nötig. An der stelle, an der ein 
Li-Ion Akku gebalanced werden muss liegt entweder ein 
"Konstruktionsfehler" vor oder der Akku ist defekt. Unterschiede in den 
Zellen können zwei Gründe haben und zwar Kapazitätsunterschiede oder 
Ladezustandsunterschiede.

Kapazitätsunterschiede kommen z.B. durch sehr ungleichmäßige Belastungen 
der Zellen im Betrieb, was einer schlechten Konstruktion geschuldet ist 
oder durch defekte wie z.B. fehlende/gelöste Verbindungen zu den Zellen. 
Alternativ kann auch zu beginn direkt unterschiedliche Kapazitäten 
verbaut worden sein z.B. durch ungeschickte Chargenmischung der Zellen. 
Hier müsste ein Balancing den vollen Betriebsstrom des Akkus an der 
Zelle niedrigerer Kapazität "vorbei schaffen", was nur mit einem großen 
aktiven Balancing funktioniert und nicht praktikabel ist, weshalb es 
praktisch nicht gemacht wird.

Die unterschiedlichen Ladezustände sind der viel häufigere Fall. Das 
kommt oft durch Zelldrifts aufgrund von Temperaturunterschieden 
zustande. Grund für die Temperaturunterschiede sind häufig 
schlechtes/fehlendes thermisches Design und/oder ungleichmäßige 
Strombelastung. Gelegentlich ruft auch die Zellspannungsüberwachung (die 
unbedingt vorhanden sein sollte) ein Debalancing über die Zeit hervor, 
wenn sie unterschiedliche Leckströme aus den Zellen zieht.

Aber auch das Balancing selbst kann die Zellen debalancieren, da hier 
technisch sehr leicht einiges falsch gemacht werden kann, was auch beim 
Testen nicht auffällt. Großbatterien haben Ähnlichkeit mit 
Hochfrequenztechnik. So liegt der Widerstand der Zellverbinder in der 
gleichen Größenordnung wie der Zellinnenwiderstand während alle 
Elektronik immer von idealen Leitern mit 0 Ohm ausgeht. Kostentechnisch 
ist es aber nicht praktikabel überall auf Vierleitermessungen zu gehen.

Gruß Kai

von Framulestigo (Gast)


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Bei LiFePo sieht man unterschiedliche Ladezustände der Zellen ohne 
besonderen Aufwand eigentlich nur kurz vor Ladeschluss. Da weichen die 
Zellen schon mal 50..100mV voneinander ab. Allerdings ist dieser Teil 
der Ladekurve (>3,55V, vielleicht 5min) zeitlich sehr kurz. Eigentlich 
zu kurz, um mit kleinem Balancerstrom einen Ladeausgleich durchführen zu 
können.

Im BMS unseres Revas (16x160Ah) haben wir trotzdem nur Balancer für 
200mA verbaut. Die Überwachung merkt sich bei Ladeschluss die drei 
Zellen mit der höchsten Spannung. Nach dem Laden werden deren 
Balancerwiderstände für 20min durchgeschaltet. Langfristig ist so jede 
Zelle mal mit Balancieren dran.

von Oliver S. (oliverso)


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Kai S. schrieb:
> Bei einem sauber aufgebautem Li-Ion Akku
> ist für den Betrieb kein Balancing nötig. An der stelle, an der ein
> Li-Ion Akku gebalanced werden muss liegt entweder ein
> "Konstruktionsfehler" vor oder der Akku ist defekt.

Aus Gewohnheit oder Unwissen ;) bauen die Hersteller aktuell kaufbarer 
Elektroautos immer noch Balancer ein. Da die aber sicherlich immer auf 
der Suche nach Kosteneinsparmöglichkeiten sind, solltest da da mal 
vorstellig werden.

Oliver

von Kai S. (kai1986)


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Oliver S. schrieb:
> Aus Gewohnheit oder Unwissen ;) bauen die Hersteller aktuell kaufbarer
> Elektroautos immer noch Balancer ein.

Sorry, da habe ich mich unklar ausgedrückt. Selbstverständlich werden 
Balancer verbaut und das ist auch nicht verkehrt, allerdings beschränken 
diese sich auf sehr kleine Ströme. Mit der Darstellung habe ich versucht 
das Verständnis für die korrekte Funktionsweise eines Li-Ion Akkus 
herzustellen, da viele Leute der Meinung sind, das ein Balancer 
zwangsweise nötig ist. Anders verhält es sich bei Hochleistungs 
Li-Polymer Akkus mit sehr hohen Entladeraten von teils bis zu 50C.

Weglassen ist bei Großbatterien die teurere und langwierigere Variante, 
da hierzu das Design viel besserer geprüft und getestet werden muss, als 
das praktikabel machbar ist. Hier kann ein kleiner passiver Balancer das 
kompensieren und damit funktionieren auch Batterien mit kleinen 
"Fehlern" korrekt.

Gruß Kai

von rcc (Gast)


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Kai S. schrieb:
> Aber auch das Balancing selbst kann die Zellen debalancieren, da hier
> technisch sehr leicht einiges falsch gemacht werden kann, was auch beim
> Testen nicht auffällt. Großbatterien haben Ähnlichkeit mit
> Hochfrequenztechnik. So liegt der Widerstand der Zellverbinder in der
> gleichen Größenordnung wie der Zellinnenwiderstand während alle
> Elektronik immer von idealen Leitern mit 0 Ohm ausgeht. Kostentechnisch
> ist es aber nicht praktikabel überall auf Vierleitermessungen zu gehen.

Auch dann macht automotive seit Jahren was falsch, das geht auch ohne 
4-Leiter-Messung seit Jahren idotensicher wenn man weiß was man tut.

von rcc (Gast)


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Fragender schrieb:
> Werden da aktive Balancer verwendet, oder einfach per "Bleeding
> Resistor" Energie "verbraucht". Ich denke an ersteres, alleine schon aus
> gründen der Kosten und Fehleranfälligkeit, mag mich da aber auch
> täuschen. Erst recht interessant wird dieses Thema ja, wenn die Akkus
> etwas älter werden und ggf. driften und damit bedingt auch
> unterschiedliche Kapazitäten aufweisen.
> Klar ist mir auch, das das "Ladegerät" sehr viel mit dem BMS schnacken
> muss und entsprechend dem Ladezustand der Zellen gesteuert wird.

Aktives Balancing macht im Auto aktuell fast keiner, viel zu teuer und 
zu wenig Nutzen. Man kann ja nicht so einfach mit geringem Aufwand den 
ganzen Laststrom um eine Zelle herumleiten im Extremfall.
Generell dirften anständige Zellen recht wenig und bleiben auch über 
Alterung recht homogen so dass der Bedarf für Balancing recht gering 
ist. Leicht erhöhte Selbstentladung gibts aber immer mal wieder, da ist 
Balancing billiger als die Zellen stärker zu selektieren.

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