Forum: Offtopic Windkraft / Netz


von Bernd (Gast)


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Hallo Leute,
wurde letztens gefragt, ob es denn so sei dass Windräder / Windparks 
erst in Betrieb genommen werden können wenn das Stromnetz stabil 
funktioniert in das sie einspeisen sollen, wg. positionieren, steuern 
über Kommunikationsnetz usw..
Wenn dem so wäre würde das bedeuten dass sie im Falle eines Netzausfalls 
z.B.   wg. Überlastung, ja kpl. stillstehen würden bis das Netz wieder 
hochgefahren ist, und zwar mit konventionellen Kraftwerken, und erst 
NACH dem Hochfahren des Netzes wieder Energie produzieren können.
Hmmmmm.... Wusste keine Antwort darauf.
ich weiß, falsches Forum, aber vlt. ist ja jemand aus der Branche und 
hat Plan?
Gruß, Bernd

: Verschoben durch Admin
von Achim S. (Gast)


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Bernd schrieb:
> Wenn dem so wäre würde das bedeuten dass sie im Falle eines Netzausfalls
> z.B.   wg. Überlastung, ja kpl. stillstehen würden bis das Netz wieder
> hochgefahren ist, und zwar mit konventionellen Kraftwerken, und erst
> NACH dem Hochfahren des Netzes wieder Energie produzieren können.

Ja, das ist bei den üblichen Windkraftanlagen wohl so. Und nicht nur 
dort, sondern auch bei den meisten konventionellen Kraftwerken.

Wenn es wirklich mal zum flächendeckenden Blackout kommt, dann muss erst 
mittels schwarzstart-fähiger Kraftwerke das Netz "gestartet" werden, 
damit genügend elektrische Leistung zur Verfügung steht, um auch die 
nicht schwarzstart-fähigen Kraftwerke wieder zum Laufen bekommen. Z.B. 
müssen Turbinen in Wärmekraftwerken erst mit Fremdenergie auf 
Betriebstemperatur gebracht werden, ehe man wieder Dampf einleiten kann 
- im kalten Zustand kann sich die Turbinenwelle nicht drehen.

Die "normalen" Verbraucher können dann erst stufenweise 
wiedereingeschaltet werden.

https://de.wikipedia.org/wiki/Schwarzstart

von Ben B. (Firma: Funkenflug Industries) (stromkraft)


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Bei Dampfturbinen ist idR. eine Vorwärmung mit dem vorhandenen Kessel 
möglich, der dafür mit geringer Leistung betrieben wird. Der kann 
schließlich auch kein Vollgas in 5 Minuten. Aber es gibt im 
Kohlekraftwerk viele Verbraucher, die arbeiten müssen bevor die Turbine 
überhaupt Dampf sieht, beispielsweise die Kohlemühlen, die ganzen 
Gebläse, die den Kohlenstaub in den Kessel fördern oder die 
Speisepumpen, ggf. Kühlwasserpumpen. Evtl. kann der Kessel auch mit Gas 
oder Öl angefeuert werden und Kohle kommt erst beim Leistungsbetrieb zum 
Einsatz.

Reine Gasturbinen erreichen aus dem Stillstand in wenigen Minuten volle 
Leistung. GuD-Kraftwerke brauchen etwas länger, obwohl es da Anlagen 
gibt, wo alles auf einer gemeinsamen Welle liegt, die Dampfturbine wird 
also beim Anfahren der Gasturbine ebenfalls auf Nenndrehzahl 
beschleunigt. Die müssen Lager haben, die das abkönnen.

von Charger (Gast)


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Bernd schrieb:
> Wenn dem so wäre würde das bedeuten dass sie im Falle eines Netzausfalls
> z.B.   wg. Überlastung, ja kpl. stillstehen würden bis das Netz wieder
> hochgefahren ist, und zwar mit konventionellen Kraftwerken, und erst
> NACH dem Hochfahren des Netzes wieder Energie produzieren können.
> Hmmmmm.... Wusste keine Antwort darauf.

Das ist übrigens auch bei den meisten Photovoltaikanlagen ein Problem, 
da sich die Wechselrichter nur an ein vorhandenes Netz synchronisieren. 
Obwohl PV Anlagen keinen großen Eigenbedarf zum Starten haben, können 
sie ohne Netz nicht anlaufen.

von Johannes O. (jojo_2)


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Ben B. schrieb:
> Aber es gibt im
> Kohlekraftwerk viele Verbraucher, die arbeiten müssen bevor die Turbine
> überhaupt Dampf sieht, beispielsweise die Kohlemühlen, die ganzen
> Gebläse, die den Kohlenstaub in den Kessel fördern oder die
> Speisepumpen, ggf. Kühlwasserpumpen.

Stichwort "Eigenbedarf" eines Kraftwerks.
https://de.wikipedia.org/wiki/Eigenbedarf_(Kraftwerk)

Das kann schon mal zweistellige Prozent der Kraftwerksleistung 
ausmachen.

von Ben B. (Firma: Funkenflug Industries) (stromkraft)


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Zweistellige Prozente für den Eigenbedarf ist dann aber ein altes 
Kraftwerk oder nur eine geringe Ausgangsleistung. Der größte Verbraucher 
beim Betrieb großer Kraftwerksblöcke ist die Hauptspeisepumpe, die das 
aus dem Dampf kondensierte Wasser zurück in den Kessel pumpt. Die muss 
dabei die volle Druckdifferenz überwinden und da gehen schon mal 
10..20MW für drauf. Große Kraftwerksblöcke haben eine kleinere 
elektrisch betriebene für den Anfahrbetrieb und eine große für den 
Leistungsbetrieb, die von einer eigenen Dampfturbine angetrieben wird.

Ein 1400MW-Kernkraftwerksblock hat einen Eigenbedarf von etwa 50MW. Der 
hierzulande leistungsfähigste Kohlekraftwerksblock ist Datteln 4 mit 
1100MW und hat einen Eigenbedarf von 48MW.

von Icke ®. (49636b65)


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Bernd schrieb:
> Wenn dem so wäre würde das bedeuten dass sie im Falle eines Netzausfalls
> z.B.   wg. Überlastung, ja kpl. stillstehen würden bis das Netz wieder
> hochgefahren ist, und zwar mit konventionellen Kraftwerken, und erst
> NACH dem Hochfahren des Netzes wieder Energie produzieren können.

Nein, das sind rechtspopulistische Falschinformationen. Unser 
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck persönlich sagte, wir haben eine 
sehr hohe Versorgungssicherheit im Stromsystem, auch ohne die 
(schwarzstartfähige) Hochrisikorechnologie Kernkraft. Und der muß es ja 
wissen.

von Peter E. (Firma: S&P) (eosangel)


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Bei einem Offshore Windkraftwerk ist das auch so. Wenn der Strom 
ausfällt muss die eigene USV min. die Ölpumpe versorgen um Öl unter die 
Lagerrollen zu bekommen.
Einige haben dafür auch einen Not-Diesel an Board. So kann man die Mühle 
einige Tage bei Laune halten.
Wenn dann die Spannung zurück ist muss zunächst das Öl angewärmt und 
dann der Trafo langsam aufgeheizt werden.
Das bedeutet Stundenlang 20%..dann50%..dann75% Leistung bis zur vollen 
Belastungshöhe.
Also mal eben geht da nix. ;-)
Aber dafür hat der Wind auch noch nie ne Rechnung geschrieben und durch 
eine Pipeline muss der auch nicht.

the Raccoon

von Hubert G. (hubertg)


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Charger schrieb:
> Das ist übrigens auch bei den meisten Photovoltaikanlagen ein Problem,
> da sich die Wechselrichter nur an ein vorhandenes Netz synchronisieren.
> Obwohl PV Anlagen keinen großen Eigenbedarf zum Starten haben, können
> sie ohne Netz nicht anlaufen.

Hybridwechselrichter sind in der Regel schwarzstartfähig, ebenso die 
meisten AC-Akkus.
Ich möchte nicht wissen wieviele PV-Besitzer bei einem längeren 
Stromausfall munter werden, weil sie trotzdem keinen Strom haben.

von Ben B. (Firma: Funkenflug Industries) (stromkraft)


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Kernkraftwerke sind nicht schwarzstartfähig. Also theoretisch ja, man 
könnte sie allein mit den Dieselgeneratoren hochfahren, das wird aber 
mangels Sicherheitsreserven niemand machen. Die Dieselgeneratoren dienen 
wirklich nur zum sicheren Herunterfahren und Nachkühlen wenn es keine 
andere Möglichkeit zum Strombezug mehr gibt.

Bei Windkraftanlagen wird nichts vorgewärmt. Ich weiß nicht mal ob das 
Hauptlager bei getriebelosen Anlagen (bei denen der Generator direkt auf 
der Rotornabe sitzt) kontinuierlich mittels Ölpumpe zwangsgeschmiert 
werden muss. Solche Lager mögen eine langsame Rotation meistens mehr als 
Stillstand. Aber wenn, dann würde man die Anlage ohne Öldruck einfach 
festbremsen.

Bei Offshore-Wind gibts die Frage der Energieversorgung für die 
Leittechnik wenn die HGÜ-Anbindung nicht läuft. Dafür könnte man einen 
Notstrom-Diesel brauchen, aber ich weiß nicht ob die 
Transformatorplattformen einen haben. Aber da muss nichts vorgewärmt 
werden, die Trafos können 0..100% aus dem Kalten heraus bzw. die größte 
Belastung für den Trafo ist der Einschaltvorgang.

Eine grundsätzliche Frage ist auch, wodurch der Netzausfall ausgelöst 
wurde. Wenn es keine interne Störung war, versuchen viele Kraftwerke, 
sich vom Netz zu lösen und im Eigenbedarf zu fangen. Gelingt das, können 
sie beim Wiederaufbau des Netzes einfach wieder synchronisiert werden 
und Leistung abgeben. Nicht gleich wieder Volllast, aber mit der 
gleichen Steigerungsrate wie nach einem Warmstart.

von Matthias S. (da_user)


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Ben B. schrieb:
> Wenn es keine interne Störung war, versuchen viele Kraftwerke,
> sich vom Netz zu lösen und im Eigenbedarf zu fangen.

Ich frage mich auch gerade eben, ob es nicht auch verschiedene Stufen 
des Schwarzstarts geben müsste.
Dampf z.B. ist ja nicht sofort weg & Drucklos, auch kühlen Lager & Co 
nicht sofort ab. Wenn man da mit einem Notstromgenerator die 
Basissteuerung in Betrieb setzt, müsste sich doch so ein Kraftwerk für 
eine gewisse Zeit nach einer Abschaltung auch "relativ" einfach wieder 
anfahren lassen?

von Christian B. (luckyfu)


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Was man dabei auch beachten sollte: Eine Windkraftanlage brauch meines 
Halbwissens nach zwingend das Netz als Bremse. Fällt das weg, muss die 
sich schnellstmöglich abschalten sonst geht sie durch. Ich glaube daher 
nicht so recht dran, dass ein Windpark Schwarzstartfähig währe oder auch 
nur einfach weiterlaufen könnte, wenn das Netz plötzlich wegbricht. Aber 
da ich nicht in dem Bereich abreite habe ich hier nur das fundierte 
Halbwissen, d.h. es kann durchaus auch falsch sein.

von Icke ®. (49636b65)


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Ben B. schrieb:
> Kernkraftwerke sind nicht schwarzstartfähig. Also theoretisch ja, man
> könnte sie allein mit den Dieselgeneratoren hochfahren, das wird aber
> mangels Sicherheitsreserven niemand machen. Die Dieselgeneratoren dienen
> wirklich nur zum sicheren Herunterfahren und Nachkühlen wenn es keine
> andere Möglichkeit zum Strombezug mehr gibt.

Eine zusätzlich zu den Notsystemen installierte Gasturbine macht das 
bestimmt möglich. Fällt bei den Gesamtkosten wohl nicht ins Gewicht und 
schafft Redundanz.

von Mario H. (rf-messkopf) Benutzerseite


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Ben B. schrieb:
> Kernkraftwerke sind nicht schwarzstartfähig. Also theoretisch ja, man
> könnte sie allein mit den Dieselgeneratoren hochfahren, das wird aber
> mangels Sicherheitsreserven niemand machen.

Nein, auch theoretisch nicht. Die für ein Anfahren notwendigen 
Großaggegate (Hauptkühlmittelpumpen, Hauptseisewasser- und 
Haputkondensatpumpen, Hauptkühlwasser, ...) hängen bei den deutschen 
Druckwasserreaktoren an den 10 kV-Hauptverteilungen (Schienen BBA bis 
BBD). Die 10 kV-Notstromschienen (BDA bis BDD), an denen 
sicherheitswichtige Verbraucher hängen, und auf die die Notstromdiesel 
des D1-Notstromnetzes einspeisen, werden im Notstromfall von der 
Hauptverteilung abgekoppelt. Die Großaggregate lassen sich daher mit den 
Dieseln nicht versorgen. Abgesehen davon reicht deren Leistung dafür 
nicht aus.

Icke ®. schrieb:
> Eine zusätzlich zu den Notsystemen installierte Gasturbine macht das
> bestimmt möglich.

Ja, das geht. Das KKW Brunsbüttel hatte eine solche: 
https://de.wikipedia.org/wiki/Gasturbinenkraftwerk_Brunsb%C3%BCttel.

von Ben B. (Firma: Funkenflug Industries) (stromkraft)


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Ich bin mir ziemlich sicher, daß die Verfügbarkeit des 
Eigenbedarfs-Stromnetzes in den Voraussetzung zum Hochfahren eines 
Atomkraftwerks steht. Bei vielen Anlagen ist dies das 380kV-Netz, in das 
sie auch einspeisen, andere Anlagen haben einen zweiten Netzanschluss 
mit 110kV oder selten auch 220kV, an dem die Eigenbedarfs-Stromschienen 
hängen.

Abgesehen davon, haben wir in Deutschland auch nur noch 3x ~1400MW 
Atomkraft. Das ist nicht mehr viel, im wirklichen Schwarzfall bestünde 
keine Notwendigkeit, ausgerechnet Atomkraftwerke als erste wieder 
anzufahren - und selbst wenn man es tun würde, den ersten Schritt würden 
Gasturbinen- und Pumpspeicherkraftwerke machen.

Da gibts auch ein gutes Beispiel zu, und zwar sollte das 
Gasturbinenkraftwerk Thyrow schon vor einigen Jahren komplett 
stillgelegt werden. Es hatte nur 8 relativ leistungsschwache einfache 
Gasturbinen mit jeweils etwa 30MW und entsprechend schlechtem 
Wirkungsgrad (keine GuD-Anlage). Allerdings müssen 5 Gasturbinen mit 
zusammen 150MW betriebsbereit gehalten werden, da sie im 
Schwarzwerdefall zum Wiederanfahren der Braunkohlekraftwerke in der 
Lausitz Strom liefern müssen. An der regulären Stromerzeugung nimmt das 
Kraftwerk schon lange nicht mehr teil, auch nicht für die Spitzenlast.

Große Windkraftanlagen haben eine aktive Regelung ihrer Blattstellung, 
heißt bei Netzausfall oder Überdrehzahl aus irgend einem Grund gehen die 
Blätter in Segelstellung und die Anlage kommt sehr schnell zum 
Stillstand.

Theoretisch wäre es kein Problem, daß eine Windkraftanlage auf 
Eigenbedarf läuft. Die rotierende Masse bietet einen ersten 
Energiespeicher und für's Anfahren einer WKA reicht's aus, wenn die 
Steuerungstechnik und die Antriebe für Gondeldrehung und Blattstellung 
aus einer USV versorgt werden können. Dadurch würde man Drehzahl auf den 
Rotor kriegen (Wind vorausgesetzt) und der Generator könnte den 
Eigenbedarf decken, die Regelung der Blattstellung geht nicht auf 
maximale Leistung, sondern auf eine konstante Rotordrehzahl. Damit wäre 
ein Windpark praktisch schwarzstartfähig, aber trotzdem wegen 
schwankender Winde noch nicht zuverlässig. Hohe Zuverlässigkeit, also 
dann wenn man Volllast braucht auch wirklich Volllast liefern zu können, 
das können nur Wärmekraftwerke oder Speicherkraftwerke für begrenzte 
Zeit. Nicht mal Laufwasserkraftwerke können das.

Edit:
> Nein, auch theoretisch nicht. [..]
Ich denke schon, daß es theoretisch möglich wäre. Die angesprochenen 
Großgeräte brauchen im Anfahrbetrieb ja nicht mit voller Leistung zu 
arbeiten und sowie man erstmal Druck auf den Dampferzeugern hat, könnte 
man den Turbosatz anfahren, der dann den Eigenbedarf übernimmt. Die 
volle Leistung der Kühlmittelpumpen wird erst im Leistungsbetrieb 
gebraucht und zu dem Zeitpunkt läuft die Hauptspeisepumpe mit ihrer 
eigenen Dampfturbine ohne das Eigenbedarfsnetz zu belasten.

Oder ich sage es anders, wenn gegenwärtige Atomkraftwerke das nicht 
können sollen, dann wäre es nicht besonders schwierig, sie so umzubauen, 
daß sie mit ihren Dieselgeneratoren angefahren werden könnten. Ich 
glaube aber nicht, daß das mangels Reserven eine gute Idee ist.

: Bearbeitet durch User
von Mario H. (rf-messkopf) Benutzerseite


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Ben B. schrieb:
> Ich bin mir ziemlich sicher, daß die Verfügbarkeit des
> Eigenbedarfs-Stromnetzes in den Voraussetzung zum Hochfahren eines
> Atomkraftwerks steht.

Die Eigenbedarfsanlage sind die 10 kV-Schienen BBA bis BBD, sowie die 
unterlagerten Schienen. Die müssen natürlich zum Anfahren und zum 
Leistungsbetrieb verfügbar sein.

> Bei vielen Anlagen ist dies das 380kV-Netz, in das
> sie auch einspeisen,

Das ist der sog. Hauptnetzanschluss. Der muss zum Anfahren verfügbar 
sein, und man muss den Eigenbedarf während des Anfahrens aus dem 
Hauptnetz beziehen können.

> andere Anlagen haben einen zweiten Netzanschluss
> mit 110kV oder selten auch 220kV, an dem die Eigenbedarfs-Stromschienen
> hängen.

Alle Anlagen haben einen Reservenetzanschluss auf einer anderen 
Spannungsebene (120 kV) als der Hauptnetzanschluss. Der Reservenetztrafo 
hat zwar 90 MVA Leistung, ein Anfahren damit ist aber nicht vorgesehen.

> Ich denke schon, daß es theoretisch möglich wäre. Die angesprochenen
> Großgeräte brauchen im Anfahrbetrieb ja nicht mit voller Leistung zu
> arbeiten

Die vier D1-Dieselgeneratoren haben je 6 MVA Leistung. Das reicht 
theoretisch vielleicht gerade einmal für die vier Hauptkühlmittelpumpen, 
die man allein schon zum Heizen des Primärkreises braucht, und die beim 
kritisch machen laufen müssen.

Abgesehen von der unzureichenden Leistung der Diesel ist ein Betrieb der 
notwendigen Systeme und ein Anfahren aus diesem Zustand leittechnisch 
auf umfangreiche Weise verriegelt.

> und zu dem Zeitpunkt läuft die Hauptspeisepumpe mit ihrer
> eigenen Dampfturbine ohne das Eigenbedarfsnetz zu belasten.

Die drei Hauptspeisepumpen (3 x 50%) haben elektrische Antriebe. 
Irgendwas um die 13,5 MW pro Pumpe.

> Oder ich sage es anders, wenn gegenwärtige Atomkraftwerke das nicht
> können sollen, dann wäre es nicht besonders schwierig, sie so umzubauen,
> daß sie mit ihren Dieselgeneratoren angefahren werden könnten.

Das wäre ein sehr tiefgreifender Eingriff. Ein Gasturbinenkraftwerk 
dafür vorzusehen, wäre deutlich praktikabler.

von Ben B. (Firma: Funkenflug Industries) (stromkraft)


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Meinst Du irgend eine spezielle Anlage? Welche Anlage hat denn 
ausschließlich elektrisch angetriebene Hauptspeisepumpen?

Wie gesagt, war eine theoretische Überlegung ob es prinzipiell möglich 
wäre, auch wenns niemand macht.

Bei den atomar angetriebenen U-Booten der Ohio-Klasse ist man so weit 
gegangen, daß die Pumpen des Primärkühlkreislaufs bei langsamer Fahrt 
zur Geräuschvermeidung komplett abgeschaltet werden können.

von Tilo R. (joey5337) Benutzerseite


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Nicht mal alle Wasserkraftwerke sind vollkommen schwarzstartfähig.

Ich weiß, dass in großen Wasserkraftwerken mit mehreren 
Turbine-Generator-Einheiten zum Start einer Einheit ein Konverter 
benötigt wird, um initial Erregerstrom zur Verfügung zu stellen. Der 
braucht auch schon (Not-)strom.
(Und es gibt i.d. Regel weniger Converter als Einheiten)

von Mario H. (rf-messkopf) Benutzerseite


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Ben B. schrieb:
> Meinst Du irgend eine spezielle Anlage? Welche Anlage hat denn
> ausschließlich elektrisch angetriebene Hauptspeisepumpen?

Alle deutschen Kernkraftwerke, die ich von innen kenne. Also die Konvoi- 
und Vorkonvoi-Anlagen, und die und die Siedewasser-Baulinien 69 und 72.

Für Antiquitäten wie Würgassen oder Obrigheim würde ich, was die 
Hauptspeisepumpen betrifft, jetzt nicht die Hand ins Feuer legen. Aber 
mich würde es wundern, wenn die nicht elektrisch angetrieben waren. Ich 
kann ja mal bei Gelegenheit im Archiv wühlen, ob ich dazu hier 
Unterlagen finde.

von Udo S. (urschmitt)


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Ben B. schrieb:
> Bei Offshore-Wind gibts die Frage der Energieversorgung für die
> Leittechnik wenn die HGÜ-Anbindung nicht läuft. Dafür könnte man einen
> Notstrom-Diesel brauchen, aber ich weiß nicht ob die
> Transformatorplattformen einen haben.

Das ist interessant. Wie sieht es bei HGÜ mit der anderen Seite aus, 
also der die Energie ins Netz einspeist. Ist die schwarzstartfähig oder 
braucht die ein vorhandenes Netz?

von Mario H. (rf-messkopf) Benutzerseite


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Mario H. schrieb:
> Würgassen

So, gerade kurz einen Kollegen gefragt, der mal Schichtleiter in 
Würgassen war. Die Hauptspeisepumpen waren elektrisch. Uns fällt keine 
Anlage ein, wo die dampfbetrieben gewesen sein könnten.

Was es in Würgassen und den SWR-69-Anlagen jedoch gab, ist das 
Hochdruck-Einspeisesystem TJ, das aus einer mit Frischdampf betriebenen 
Gegendruckturbine besteht, die eine Pumpe treibt. Die Pumpe fördert aus 
der Kondkammer in den Speisewasserverteiler (etwa 900 t/h innerhalb des 
Auslegungsbereiches von 82 bar bis 11 bar). Der Abdampf der Turbine wird 
in der Kondkammer niedergeschlagen.

Das ist insbesondere für Hot-Standby-Fahrweisen bei ausgefallener 
Eigenbedarfsversorgung gedacht.

: Bearbeitet durch User
von Ben B. (Firma: Funkenflug Industries) (stromkraft)


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Dann verwenden in Deutschland wohl nur Kohlekraftwerksblöcke 
dampfturbinenbetriebene Hauptspeisepumpen. Interessant. Früher habe ich 
mich drüber gewundert, daß man extra eine Dampfturbine für die 
Speisepumpen verwendet anstatt einen fetten Elektromotor 
dranzuschrauben, heute wundere ich mich wenn es keine Dampfturbine ist, 
die die Dinger antreibt. Wie wird das in diesen Anlagen mit der Regelung 
dieser Pumpen gemacht, daß die nur so viel Wasser nachfördern wie 
gebraucht wird? Laufen die intermittierend? Drehzahlvariable Antriebe 
mit 10..15MW waren zur Entwicklungszeit dieser Anlagen noch eine größere 
Herausforderung.

Tja, Würgassen war wohl die erste Oops-Anlage in Deutschland mit ihren 
Rissen im Kernmantel...

> Wie sieht es bei HGÜ mit der anderen Seite aus, also der die
> Energie ins Netz einspeist. Ist die schwarzstartfähig oder
> braucht die ein vorhandenes Netz?
Die braucht mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ein vorhandenes Netz, weil 
HGÜ-Anlagen Energie nur transportieren, aber nicht speichern können. 
Aber man könnte HGÜs aufgrund ihrer guten Regelbarkeit auf jedes kleine 
Kraftwerk aufsynchronisieren, welches das abgehende Netz (380kV) 
darstellen kann. Bei Offshore-Wind-HGÜs optimalerweise ein 
Pumpspeicherkraftwerk, welches schwankenden Bezug aus Wind ausgleichen 
könnte.

: Bearbeitet durch User
von (prx) A. K. (prx)


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Ben B. schrieb:
> Meinst Du irgend eine spezielle Anlage? Welche Anlage hat denn
> ausschließlich elektrisch angetriebene Hauptspeisepumpen?

Kenne ich nur so, d.h. der Kern wird erst kritisch, wenn ausreichend 
Temperatur und Druck aufbaut sind. Bei Antrieb der Hauptspeisepumpen 
durch Eigendampf müsste der Kern beim Kaltstart im gesamten Bereich von 
kaltem Wasser bei atmosphärischem Druck bis zum Nennbereich kritisch 
sein dürfen. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass man sich das 
freiwillig antut.

: Bearbeitet durch User
von Mario H. (rf-messkopf) Benutzerseite


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Ben B. schrieb:
> Wie wird das in diesen Anlagen mit der Regelung
> dieser Pumpen gemacht, daß die nur so viel Wasser nachfördern wie
> gebraucht wird?

Bei den SWR-69, und höchstwahrscheinlich auch in Würgassen, gibt es ein 
hydrodynamisches Getriebe ("Voith-Getriebe") zwischen Motor und Pumpe. 
Die Förderleistung wird über die Schöpfrohrstellung des Getriebes 
eingestellt.

Bei den DWR-Anlagen fördern die Pumpen in den Hauptspeisekopf. Dahinter 
gibt es für jeden Dampferzeuger ein Regelventil (genauer gesagt jeweils 
ein Schwachlast- und ein Vollastregelventil). Hier muss ja der Füllstand 
für jeden Dampferzeuger individuell geregelt werden.

> Tja, Würgassen war wohl die erste Oops-Anlage in Deutschland mit ihren
> Rissen im Kernmantel...

Das war zwar vor meiner Zeit, aber soweit ich weiß, war es in erster 
Linie eine wirtschaftliche Entscheidung, den Kernmantel nicht 
auszutauschen. Es war eben eine kleine und relativ alte Anlage.

von (prx) A. K. (prx)


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Mario H. schrieb:
> Das war zwar vor meiner Zeit, aber soweit ich weiß, war es in erster
> Linie eine wirtschaftliche Entscheidung, den Kernmantel nicht
> auszutauschen. Es war eben eine kleine und relativ alte Anlage.

Die Schweizer hatten dahingehend bessere Nerven, haben die seit 1990 
bekannten Risse im Kernmantel von Mühleberg (390 MW brutto) mit 
Zugankern geflickt und den Reaktor bis 2019 weiterbetrieben.

: Bearbeitet durch User
von Ben B. (Firma: Funkenflug Industries) (stromkraft)


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Yep, die Stilllegungsentscheidung erfolgte aufgrund wirtschaftlicher 
Überlegungen, aber man hat halt gesehen so oops, das kann passieren und 
das ist nicht gut. Ansonsten wäre Würgassen sicherlich so lange 
weiterbetrieben worden wie die ähnlichen Anlagen Philippsburg 1 und Isar 
1, die ja erst 2011 infolge des Fukushima-Unfalls außer Betrieb gegangen 
sind.

Elektrisch angetriebenes hydrodynamisches Getriebe...
Okay, die Dampfturbine ist wirklich die bessere Lösung. :)

von Mario H. (rf-messkopf) Benutzerseite


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Ben B. schrieb:
> Elektrisch angetriebenes hydrodynamisches Getriebe...
> Okay, die Dampfturbine ist wirklich die bessere Lösung. :)

Das hat(te) schon seine Berechtigung. Dampfturbinen sind aufwendig und 
brauchen einen Haufen an Hilfsaggregaten, im Gegensatz zu einem 
Elektromotor und einer Regelkupplung. Die Dinger werden auch heute noch 
verwendet:

https://voith.com/corp-de/antriebe-und-getriebe/regelbare-antriebe/turboregelkupplungen.html.

von Ben B. (Firma: Funkenflug Industries) (stromkraft)


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Sicherlich ist 'ne Dampfturbine aufwendiger, aber es ist auch ein 
Atomkraftwerk und nicht Bauer Seppels Räucherofen. Und da das Drehmoment 
einer Dampfturbine sehr gut regelbar ist, ist sie wirklich ein nahezu 
perfekter Antrieb für eine Pumpe mit regelbarer Förderleistung. Die paar 
Nebenaggregate fallen gemessen am Gesamtaufwand für ein Atomkraftwerk 
doch gar nicht auf.

von (prx) A. K. (prx)


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Ben B. schrieb:
> Nebenaggregate fallen gemessen am Gesamtaufwand für ein Atomkraftwerk
> doch gar nicht auf.

Irgendwas musst du dir dann aber einfallen lassen, um den 
Primärkreislauf eines DWR in den Betriebsbereich von Druck/Temperatur zu 
bringen, bevor du den Kern kritisch machst. Mit Fremdstrom betriebene 
Hauptspeisepumpen können das. Musst die nur lange genug laufen lassen. 
O-Ton KKW-Betreiber vor Ort.

: Bearbeitet durch User
von Mario H. (rf-messkopf) Benutzerseite


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Ben B. schrieb:
> Die paar
> Nebenaggregate fallen gemessen am Gesamtaufwand für ein Atomkraftwerk
> doch gar nicht auf.

Darum geht es nicht. Auch wenn die Hauptspeisepumpen nicht Teil eines 
Sicherheitssystems sind, trifft man auch auf der Ebene Maßnahmen, um die 
Anlage möglichst zuverlässig im ungestörten Betrieb zu halten. Und da 
ist ein einfacher Synchronmotor und ein robustes Voith-Getriebe besser 
handhabbar und leichter zuverlässig zu bekommen, als eine anfällige 
Turbine, die mit heißem Dampf betrieben wird und die viele 
Hilfsaggregate hat.

Und bei einem Siedewasserreaktor ist der Frischdampf außerdem 
radioaktiv. D.h. die Turbine würde im Kontrollbereich stehen, jede 
Stopfbuchse müsste abgesaugt werden, man müsste das Radiolysegas 
managen, usw. Und Frischdampf ist deutlich radioaktiver als das 
Speisewasser, das nach dem Weg durch Kondesator-Hotwell, ND-Vorwärmer 
und Speisewasserbehälter bereits gut abgeklungen ist. Das würde die 
Dosisleistung auf dem Pumpenflur sicher merklich erhöhen.

Auch von den eigenmediumgetriebenen Einspeisesystemen wie dem oben 
erwähnten TJ ist man bei der späteren Baulinie 72 wieder weggegangen, 
zugunsten elektrisch betriebener Systeme. International hat es ähnliche 
Entwicklungen gegeben. Elektrisch ist zuverlässiger. Man muss sich dann 
natürlich um eine robuste Notstromversorgung kümmern, was man zumindest 
in D auch getan hat.

(prx) A. K. schrieb:
> Irgendwas musst du dir dann aber einfallen lassen, um den
> Primärkreislauf eines DWR in den Betriebsbereich von Druck/Temperatur zu
> bringen, bevor du den Kern kritisch machst. Mit Fremdstrom betriebene
> Hauptspeisepumpen können das.

Den Primärkreis heizt man mit den Hauptkühlmittelpumpen. Gleichzeitig 
wird der Druck mit der Druckhalterheizung gemäß einer vorgegebenen 
Kennlinie angehoben. Die Hauptspeisepumpen benötigt man dazu nicht. 
Parallel dazu wird die Sekundärseite angewärmt, und die sekundärseitigen 
Systeme werden in Betrieb genommen. Sobald man Frischdampf erzeugt, 
braucht man Speisewasser. In den deutschen DWR-Anlagen gibt es dazu 
neben den Hauptspeisewasserpumpen, die im Leistungsbetrieb laufen, zwei 
An- und Abfahrpumpen, die während des Anfahrens und im Zustand 
unterkritisch heiß die Speisewasserförderung leisten.

Das Anfahren aus dem kalten Zustand ist aber ziemlich kompliziert. Die 
Prozedur im Betriebshandbuch ist um die 250 Seiten lang, mit allerhand 
Verweisen auf andere Kapitel und Prozeduren.

von Mario H. (rf-messkopf) Benutzerseite


Angehängte Dateien:

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Ben B. schrieb:
> Elektrisch angetriebenes hydrodynamisches Getriebe

Was mir noch eingefallen ist: Wer sich eine SWR-Speisepumpe mal ansehen 
will, wird hier fündig: https://wiengarn.de/zwentendorf/P4.html. Die 
Aufnahmen sind aus Zwentendorf.

Siehe auch das angehängte Bild: Links die Vorpumpe mit der von oben 
kommenden Saugleitung; der rote Klotz in der Mitte ist der Motor; das, 
wo Voith draufsteht, ist das Voith-Getriebe, und rechts ist die 
Hauptpumpe. Nur letztere ist drehzahlgeregelt.

In einem in Betrieb befindlichen KKW würde es übrigens nie so schmudelig 
aussehen. Da ist zur Vermeidung von Kontaminationsverschleppung alles 
klinisch sauber. Im Prinzip sahen die in den deutschen Anlagen aber 
genauso aus, nur dass der Motor von Siemens war.

Zwentendorf ist übrigens eine Besichtigung wert. Ich glaube, die lassen 
auch angemeldete Besuchergruppen rein. Das faszinierende ist, dass die 
Anlage noch so dasteht, wie sie Mitte der 70er Jahre verlassen wurde, 
mit einem Großteil des Inventars. Es sind nur relativ wenige Komponenten 
verschrottet oder nach Deutschland verkauft worden.

von (prx) A. K. (prx)


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Mario H. schrieb:
> In einem in Betrieb befindlichen KKW würde es übrigens nie so schmudelig
> aussehen.

Ich war während der jährlichen Wartung im Sicherheitbehälter eines KKW 
mit DWR, mit direktem Blick auf den Kern der Sache. So richtig sauber 
geleckt sah es auf dieser Baustelle nicht aus. Der Deckel des 
Druckbehälters stand aufrecht und bleibeschürzt an der Wand. Teile der 
Arbeitsfläche waren mit Absperrband und Warnung markiert, und nicht nur 
vor dem Deckel.

Live in Betrieb war es in diesen Tagen natürlich nicht, aber Zwentendorf 
ging nie in Betrieb. Dasjenige schon, und bereits recht lang.

: Bearbeitet durch User
von Mario H. (rf-messkopf) Benutzerseite


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(prx) A. K. schrieb:
> Live in Betrieb war es in diesen Tagen natürlich nicht, aber Zwentendorf
> ging nie in Betrieb.

Das oxidiert bereits über 40 Jahre vor sich hin, was man auch deutlich 
sieht, wenn man auf dem Rundbild mal heranzoomt. Bei der Pumpe ganz 
links fehlen auch schon der Motor und das Getriebe. Tief unten im 
Reaktorgebäude sieht es noch viel trauriger aus. Die haben das Problem, 
dass da im Sommer massiv Kondenswasser anfällt, weil die dicken 
Betonstrukturen nie richtig warm werden. Die haben schon mit 
Luftentfeuchtern und elektrischen Heizern experimentiert, aber viel 
scheint das nicht zu helfen.

von Matthias S. (da_user)


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Ich will mal kurz ein Danke in die Runde sagen: Der Thread ist nicht nur 
sehr diszipliniert sondern auch sehr informativ! Macht gerne weiter so!

von Ben B. (Firma: Funkenflug Industries) (stromkraft)


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Zwentendorf wurde ja quasi komplett fertiggestellt, dann aber aufgrund 
eines Volksentscheids niemals mit Brennelementen beladen. Verdammt große 
und teure Investitionsruine. Ab dem Zeitpunkt hat man halt das draus 
gemacht was geht - Ausbildungszentrum, glaube mit Reaktor-Simulator und 
Ersatzteillager für die baugleichen deutschen SWR69-Kraftwerke. Als 
Ersatz hat man das Kohlekraftwerk Dürnrohr gebaut, welches immerhin die 
Netzanbindung des AKW Zwentendorf weiternutzen konnte. Und natürlich 
auch eine Freileitung zum tschechischen Atomkraftwerk Dukovany, obwohl 
man sich in Österreich ja so oft über tschechische Atomkraftwerke 
aufgeregt hat (Stichwort Temelin). Doppelmoral lässt grüßen. Die Blöcke 
in Dukovany haben die gleichen Reaktoren wie die neueren Blöcke des 
gleich nach der Wende "aus Sicherheitsgründen" stillgelegten 
Kernkraftwerks Greifswald (WWER-440/213). Paks in Ungarn übrigens auch. 
Und ja, beide Kraftwerke laufen heute noch, über 30 Jahre später. 
Greifswald hatte auch so einen Museumsreaktor. Block 5 war immerhin fast 
einen Monat lang im Leistungsbetrieb, Block 6 war fertiggestellt, wurde 
aber genau wie Zwentendorf niemals mit Brennelementen beladen.

Wegen der dampfturbinengetrieben Speisepumpe - ich hätte sowas erst 
recht beim Siedewasserreaktor angenommen, weil da ja aufgrund des 
einfachen Kühlkreislaufs praktisch das gesamte Kraftwerk zum 
Kontrollbereich gehört und Frischdampf besonders einfach bezogen werden 
kann. In den amerikanischen SWR-Anlagen gibt es Bereiche, die während 
des Leistungsbetriebs gar nicht betreten werden dürfen. Die abgehenden 
Rohre des Primärkühlkreislaufs von Druckwasserreaktoren geben im 
Leistungsbetrieb soweit ich weiß auch etwas Strahlung ab.

Mit offenem Reaktor kann man ein Kernkraftwerk natürlich nicht in 
Betrieb nehmen, aber die Brennelemente im Lagerbecken (und im Reaktor) 
sind natürlich "echt". Bei den meisten AKW wird der Bereich direkt über 
dem Reaktordeckel für den Betrieb mit dicken Betonriegeln abgedeckt, ich 
weiß nicht mal ob man diese Riegel während des Leistungsbetriebs 
betreten darf. Es gibt bei Leistungsreaktoren auch nur eine einzige 
Periode, bei der sie mit beladenem Reaktor wirklich "kalt" sind, und das 
ist die Erstbeladung bei der Inbetriebnahme. Hinterher sind nach den 
Revisionen immer neue und alte Brennelemente zusammen im Kern und die 
alten erzeugen immer noch so viel Nachzerfallswärme, daß es allein damit 
möglich sein sollte, den Primärkühlkreislauf anzuwärmen wenn man die 
Kühlung zurücknimmt. Extra Druck aufbauen braucht man wohl nicht, der 
baut sich von alleine auf wenn die Temperatur über 100°C ansteigt.

Genau wie beim Auto. Wenn man dem auf der Autobahn richtig Feuer gibt, 
hat man solange alles passt einen Druckwasserkühlkreislauf. Wenn nicht 
mehr alles passt und der Deckel vom Kühler fliegt, hat man eine 
Siedewasserkühlung, nur leider ohne Nachspeisung.

von Dieter D. (Firma: Hobbytheoretiker) (dieter_1234)


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Wenn wegen Überlastung die Verbraucher abgeschaltet werden sollten, d.h. 
die Last für den Windpark fällt plötzlich weg, bestünde die Gefahr des 
Drehzahlhochlaufens der Rotoren von Windkrafträdern bis die Fliehkräfte 
zu groß werden. Daher müssen das Windrad bis zum Stillstand gebremst 
werden. Wegen des dadurch verursachten Bremsverschleiß sollte das nicht 
zu häufig passieren.

https://www.wind-energie.de/themen/anlagentechnik/anlagenkonzepte/generatorenkonzepte/
"Konzepte mit doppelt gespeistem Asynchrongenerator"
"Dies ermöglicht einen übersynchronen sowie einen untersynchronen 
Betrieb zur Netzfrequenz und damit ist der Generator drehzahlvariabel. 
Nur ein Teil des Stroms bzw. der Leistung muss mit dem Umrichter  an die 
gewünschte Frequenz und Leistung angepasst werden."

Bei dieser Anlage wird im Normalfall die Drehzahl des Rotors durch 
übersynchronen Betrieb sozusagen als Nutzbremsbetrieb stark abgesenkt, 
so dass nur noch mit geringem Verschleiß endgebremst werden muss bis zum 
absoluten Stillstand.

In einem Anlagenplan am Lehrstuhl für Energietechnik waren 
Bremswiderstände für den Fall eingezeichnet. Ob diese jede Anlage hat, 
weiss ich nicht.

Interessant unter dem Link zum Lesen wäre die Beschreibung unter 
"Bremswiderstand" und "Crow-Bar":
https://www.industr.com/de/windstrom-durch-ohm-2343812

von Mario H. (rf-messkopf) Benutzerseite


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Ben B. schrieb:
> Zwentendorf [...] Ab dem Zeitpunkt hat man halt das draus
> gemacht was geht - Ausbildungszentrum, glaube mit Reaktor-Simulator und
> Ersatzteillager für die baugleichen deutschen SWR69-Kraftwerke.

Einen Simulator hat es da nie gegeben. Die für die deutschen Anlagen 
stehen alle in Essen-Kupferdreh (Ausnahme: Krümmel). Ob es für 
Zwentendorf je einen gab, weiß ich nicht. Wahrscheinlich hätte man das 
Personal in Deutschland geschult. Die Anlage wurde irgendwann ab 2000 
(?) von der Kraftwerksschule Essen für Kurse genutzt. Im wesentlichen 
funktionieren da noch das Licht, die Gebäudekräne und die Aufzüge. 
Geschult wurden und werden hauptsächlich Dinge wie Lasten anschlagen, 
Turbinengehäuse unfallfrei anheben, Läufer ein- und ausbauen, usw. Ich 
wurde da auch mal im Rahmen eines Kurses durchgejagt. Das ist sehr 
lehrreich, da man ohne Strahlenschutzmaßnahmen überall hinein schauen 
kann. Teilweise hat man auch Komponenten aufgeschnitten und mit Leitern 
und Trittrosten ausgestattet, so dass man bequem einsteigen kann.

Die Anlage wurde zwar kannibalisiert, aber nicht so schlimm, wie man 
vermuten könnte. Teilweise geholfen hat, dass die im Eigenbadarf andere 
Spannungen als die deutschen Anlagen hatte (ich meine 6 kV, im Gegensatz 
zu den in D üblichen 10 kV). Daher haben die meisten der teuren Motoren 
wie oben auf dem Bild überlebt. Dem Vernehmen nach hat aber auch die 
letzte Betriebsmannschaft unter der Hand einiges herausgeschafft und zu 
Altmetall gemacht, nachdem das endgültige Aus feststand. Keine Ahnung, 
ob das stimmt, es wird immer viel erzählt. Es fehlen aber auch größere 
Dinge wie der Wasserabscheider und der Dampftrocker. Die passen gut 
durch den Materialschacht, und man kann sie schön mit dem Kran in die 
LKW-Schleuse ablassen. Es wurden auch Kabel herausgerissen. Die Leute 
von der Kraftwerksschule sagten, dass sie erstmal gründlich aufräumen 
mussten, bevor man dort Schulungen machen konnte.

> Wegen der dampfturbinengetrieben Speisepumpe - ich hätte sowas erst
> recht beim Siedewasserreaktor angenommen, weil da ja aufgrund des
> einfachen Kühlkreislaufs praktisch das gesamte Kraftwerk zum
> Kontrollbereich gehört und Frischdampf besonders einfach bezogen werden
> kann.

Wie oben schon gesagt, man möchte in der Anlage so wenig radioaktives 
Medium wie möglich spazieren fahren. Das ist technisch und betrieblich 
aufwendig, und man hat davon in SWR-Anlagen ohnehin schon genug.

> In den amerikanischen SWR-Anlagen gibt es Bereiche, die während
> des Leistungsbetriebs gar nicht betreten werden dürfen.

Das ist auch bei deutschen SWR-Anlagen so.

> Die abgehenden
> Rohre des Primärkühlkreislaufs von Druckwasserreaktoren geben im
> Leistungsbetrieb soweit ich weiß auch etwas Strahlung ab.

"Etwas" ist etwas untertrieben. Die singen bei Vollast in dröhnender 
Lautstärke. In unmittelbarer Nähe des Primärkreises hat man ohne 
weiteres Ortsdosisleistungen von einigen hundert mSv/h. Die großen 
Anlagenräume, in denen die Primärkreiskomponenten stehen, sind 
dementsprechend im Leistungsbetrieb Sperrbereich. Auch beim SWR hat man 
an den Frischdampfleitungen durchaus Ortsdosisleistungen um die 20 
mSv/h, z.B. an Rohrbögen. Diese Bereiche, und auch der HD-Teil der 
Turbine und die WAZÜs auf dem Turbinenflur, werden nicht umsonst mit 
Setzsteinen abgeschirmt. Die Rohrböden in unterhalb des Turbinentisches 
werden zwar auch im Leistungsbetrieb begangen, aber das durchaus im 
Laufschritt. Allerdings klingt die N16-Aktivität unmittelbar nach 
Leistungsabsenkung schnell ab (Halbwertszeit ca. 7 s), wenn man 
unbedingt irgendwo hin muss. Das Speisewasser ist, wie gesagt, recht 
harmlos. Aber das ist betrieblich schon eine nicht unerhebliche 
Verkomplizierung beim SWR.

> Bei den meisten AKW wird der Bereich direkt über
> dem Reaktordeckel für den Betrieb mit dicken Betonriegeln abgedeckt, ich
> weiß nicht mal ob man diese Riegel während des Leistungsbetriebs
> betreten darf.

Darf man.

> und die
> alten erzeugen immer noch so viel Nachzerfallswärme, daß es allein damit
> möglich sein sollte, den Primärkühlkreislauf anzuwärmen wenn man die
> Kühlung zurücknimmt.

Die Nachwärmeleistung beträgt nach einer Revision, je nach Dauer und 
Kernkonfiguration (Anzahl neuer unbestrahlter Brennelemente), ein paar 
MW. Die Hauptkühlmittelpumpen tragen deutlich mehr Heizleistung bei.

> Extra Druck aufbauen braucht man wohl nicht, der
> baut sich von alleine auf wenn die Temperatur über 100°C ansteigt.

Man lässt die Brennelemente nicht einfach vor sich hinsieden. Nachdem 
der Primärkreis verschlossen und entlüftet ist, wird der Druck mit dem 
Druckkhalter aufgeprägt und geregelt. Dabei wird durch Heizen der 
Wasserphase im Druckhalter der Druck erhöht, und durch Sprühen in den 
Dampfraum verringert. Auch beim Anfahren wird der Druck während des 
Aufheizens so geregelt, dass der Reaktor immer unterkühlt ist. Die 
Sollwertführung der Druckregelung erfolgt gemäß der Anfahrkennlinie in 
Abhängigkeit von der erreichten Temperatur. Parallel dazu muss man 
Kühlmittel ausspeisen, um den Füllstand zu halten.

Grundsätzlich ist der Druckkhalter der einzige Ort im Primärkreis, an 
dem Siedebedingungen vorliegen; der Reaktor soll immer unterkühlt sein. 
Einzige Ausnahme ist das Abfahren der Anlage im Notstromfall. Dann 
stehen die Hauptkühlmittelpumpen, und der Primärkreis arbeitet im 
Naturumlauf. Beim Absenken des Drucks kommt es dann im oberen Plenum des 
Reaktordruckbehälters zur Ausbildung der berühmten RDB-Deckelblase. Das 
ist aber einkalkuliert und eine sichere Fahrweise. (Störfälle wie Lecks 
am Primärkreis sind natürlich ein anderes Kapitel, bei denen hat man 
u.U. auch eine Dampfphase im Primärkreis.)

: Bearbeitet durch User
von Abdul K. (ehydra) Benutzerseite


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Wenn dann der Deckel entspannend abhebt, hätten wir dann wieder on-topic 
den Wind.

von Dieter D. (Firma: Hobbytheoretiker) (dieter_1234)


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Ben B. schrieb:
> und die alten erzeugen immer noch so viel Nachzerfallswärme,
> daß es allein damit möglich sein sollte, den Primärkühlkreislauf
> anzuwärmen wenn man die Kühlung zurücknimmt.

Es wurde daher auch daran gearbeitet diese Nachzerfallswärme als 
Fernwärme weiter zu nutzen und die Brennstäbe mehrmals wieder 
aufzubereiten um den Atommüll deutlich zu reduzieren.

Um sich diesen Weg der Atommüllreduzierung nicht zu versperren, gibt es 
so etwas wie die Castor-Behälter. Vorher gab es auch das Verfahren den 
Atommüll vermischt in Tonnen einzuzementieren und im Erdboden zu lagern.

Ben B. schrieb:
> gleich nach der Wende "aus Sicherheitsgründen" stillgelegten
> Kernkraftwerks Greifswald (WWER-440/213).

Viel CO2 vermieden hatte die Anlage durch die Fernwäre. Im Prinzip gilt 
für alle fossilen Kraftwerke, dass das Maximum der CO2-Vermeidung 
erreicht wird, wenn eine Stadt aus einem fossilen Kraftwerk rund 50% der 
Häuser mit Fernwärme und die andere Hälfte mit Wärmepumpen versorgt 
würde. Je nach besonderen Gegebenheiten müßte diese Aufteilung um ca. 
+/- 10% verändert werden.


https://de.m.wikipedia.org/wiki/Fernw%C3%A4rme
"Nukleare Fernwärme ist verhältnismäßig wenig verbreitet und findet und 
fand vor allem in den Ländern des ehemaligen Ostblocks – darunter auch 
beim Kernkraftwerk Greifswald[18] in der damaligen DDR – Anwendung. 
Zumeist handelt es sich hierbei um Kraft-Wärme-Kopplung, wobei jedoch 
auch Konzepte für reine nukleare Heizwerke ohne (nennenswerte) 
Stromerzeugung existieren.[19]"


https://www.nuklearforum.ch/de/news/china-nukleares-fernwaerme-projekt-nimmt-im-nordosten-des-landes-noch-2022-den-betrieb-auf

China setzt die Fernwärme konsequent um und verschafft sich damit 
wirtschaftliche Vorteile um weiterhin günstiger produzieren zu können. 
In dem Falle wird der Vorteil auch massiv eingesetzt Produkte für die 
regenerative Energieerzeugung zu produzieren.

von Ben B. (Firma: Funkenflug Industries) (stromkraft)


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> Wenn wegen Überlastung die Verbraucher abgeschaltet werden sollten,
> d.h. die Last für den Windpark fällt plötzlich weg, bestünde die
> Gefahr des Drehzahlhochlaufens der Rotoren von Windkrafträdern bis
> die Fliehkräfte zu groß werden
Das ist kompletter Blödsinn. Erstens wird man keinen Windpark komplett 
abschalten, sowas passiert wenn dann als Störung (Lastausfall), 
beispielsweise wenn eine Überwachungseinrichtung den 110kV-Trafo des 
Einspeise-UW abschaltet) und zweitens läuft da keine Drehzahl hoch, die 
Windräder werden einfach abschalten und das war's. Die Windräder haben 
auch Sicherheitseinrichtungen, die regelmäßig getestet werden, dazu 
gehört der Überdrehzahltest. Beim Überschreiten einer höchstzulässigen 
Rotordrehzahl werden einfach nur die Rotorblätter in Segelstellung 
gebracht, dabei tritt genug Bremsmoment auf um den Rotor bis fast auf 
Stillstand zu bremsen. Mit irgendwelchen Haltebremsen oder gar 
Notbremsen wird da gar nichts gemacht. Sowas braucht man nur bei 
Arbeiten an den Rotorblättern.

https://www.youtube.com/watch?v=LAusAepeLqk

Schade, daß sie aus Zwentendorf keinen Simulator gemacht haben. Mir war 
so, als hätte ich davon was gehört und es hätte auch Sinn gemacht, denn 
man hatte ja eine vollständige komplett einsatzfähige Leitwarte.

> Störfälle wie Lecks am Primärkreis sind natürlich ein anderes
> Kapitel, bei denen hat man u.U. auch eine Dampfphase im Primärkreis.
Ich glaube da ist es ziemlich egal ob da Dampf im Primärkreis ist, 
jedenfalls solange es nicht nur noch Dampf ist...

von (prx) A. K. (prx)


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Dieter D. schrieb:
> China setzt die Fernwärme konsequent um und verschafft sich damit
> wirtschaftliche Vorteile um weiterhin günstiger produzieren zu können.

Das werden sie sich in Beznau abgeguckt haben.
https://de.wikipedia.org/wiki/Kernkraftwerk_Beznau

von Ben B. (Firma: Funkenflug Industries) (stromkraft)


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Nachtrag wegen des Atommülls:

Nicht alles durcheinanderbringen. Es gibt schwach-, mittel- und 
hochradioaktiven Abfall. Schwach- und mittelaktive Abfälle werden leider 
oft einfach irgendwo verkippt, nur mit dem hochradioaktiven Abfall 
(bestrahlte Brennelemente oder die Spaltprodukte, die bei der 
Wiederaufarbeitung anfallen) traut man sich das nicht. Den kann man 
derzeit nur lagern, entweder komplett als altes Brennelement oder als 
Glas-Kokille vergossen, so daß möglichst nichts aus dem Behältnis 
entweichen kann.

Wiederaufarbeitung will in Deutschland niemand so richtig. Bzw. wenn man 
sowas durch die Gegend fährt, kommt gleich Greenpiss, grüner Frosch, 
NaNu und wie sie alle heißen und ketten sich an die Gleise. So wird das 
natürlich nichts, auch wenn eine auf ewig währende Lagerung der 
kompletten alten Brennelemente an den Kraftwerksstandorten die deutlich 
unsicherere und teurere "Lösung" ist, die dazu auch keine Verringerung 
der Masse zulässt.

Sorry für's OT, aber nevt mich jedes Mal.

von Mario H. (rf-messkopf) Benutzerseite


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Ben B. schrieb:
> Schade, daß sie aus Zwentendorf keinen Simulator gemacht haben. Mir war
> so, als hätte ich davon was gehört und es hätte auch Sinn gemacht, denn
> man hatte ja eine vollständige komplett einsatzfähige Leitwarte.

Na ja, eine aus der Steinzeit. Die Warten der deutschen SWR-69 sahen zum 
Schluss durchaus etwas anders aus: 
https://www0.f1online.de/preW/004141000/4141360.jpg (das ist Isar 1, 
wahrscheinlich die Simulatorwarte in Essen, sieht aber genauso aus wie 
das Original).

Das Warten- und Schaltanlagengebäude in Zwentendorf ist aber nicht 
uninteressant. Unter anderem ist da noch die bei der Errichtung 
aufgestellte Prozessrechneranlage. Ich hatte damals nicht viel Zeit, mir 
das anzuschauen, und so wirklich durfte die Kraftwerksschule wohl auch 
nicht in diese Gebäudeteile. Man hatte wohl Angst, dass sonst zu viele 
Sachen verschwinden. Leider hatte man allerhand Gerümpel in den 
Rechnerraum geworfen. Überhaupt sah es in dem Gebäude in vielen Räumen 
aus wie bei Hempels unterm Sofa -- vermutlich wie einst überall in der 
Anlage, nachdem irgendwann Anfang der 80er Jahre fürs erste die Türen 
zugeschlossen wurden. Wahrscheinlich hat die Rechneranlage nur ein paar 
Probeläufe hinter sich. So etwas gehört eigentlich in ein Museum.

> Ich glaube da ist es ziemlich egal ob da Dampf im Primärkreis ist,

Die Thermohydraulik von Leckstörfällen und deren Beherrschung ist nicht 
ganz unkompliziert. Dabei kommt es schon darauf an, wo der Dampf was 
macht.

> jedenfalls solange es nicht nur noch Dampf ist...

Das kommt schon vor. Bei einem vollständigen Abriss einer 
Hauptkühlmittelleitung dampft der Reaktordruckbehälter kurzzeitig 
vollständig aus, bis ihn die Druckspeicher nach vielleicht einer halben 
Minute wieder hochgeflutet haben. Bis dahin kühlt nur der Dampf. Auch 
das ist innerhalb der Auslegung.

von Ben B. (Firma: Funkenflug Industries) (stromkraft)


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Ich glaube ja wirklich viel in Bezug auf die Kernenergie, aber daß man 
in irgend einer Anlage den Abriss einer Hauptkühlmittelleitung vom 
Reaktordruckbehälter beherrschen könnte, bei dem dieser leer läuft, das 
glaube ich nicht. Der schnelle Druckabfall wird zwar vermutlich sofort 
eine Reaktorschnellabschaltung auslösen, aber Du weißt selbst wieviel 
Druck da drauf ist, wie schnell das Wasser durch die nicht gerade 
kleinen Rohrdurchmesser herausschießen würde und wieviel MWth 
Nachzerfallswärme der Kern unmittelbar nach einer Schnellabschaltung aus 
dem Leistungsbetrieb freisetzt. Diesen 30 Sekunden nur mit Dampf kühlen? 
Niemals. Der wird leuchten wie 'ne Glühlampe und wenn dann Dampf oder 
Wasser drankommt, entstehen so tolle Demontagebeschleuniger wie Knallgas 
oder eine Dampfexplosion. Auch wenn ich die deutschen Atomkraftwerke für 
so ziemlich die sichersten auf der Welt halte - aber das halten sie 
auch nicht aus.

von Dieter D. (Firma: Hobbytheoretiker) (dieter_1234)


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Ben B. schrieb:
> Das ist kompletter Blödsinn. Erstens wird man keinen Windpark komplett
> abschalten, sowas passiert wenn dann als Störung (Lastausfall),
> beispielsweise wenn eine Überwachungseinrichtung den 110kV-Trafo des
> Einspeise-UW abschaltet)

Es scheint, als hast Du nicht gründlich gelesen. Ganau von der Störung, 
Lastausfall habe ich geschrieben:

>> Dieter schrieb
>> d.h. die Last für den Windpark fällt plötzlich weg,

Ben B. schrieb:
> und zweitens läuft da keine Drehzahl hoch, die
> Windräder werden einfach abschalten und das war's.

Es scheint, als hast Du den Konjunktiv übersehen:

>> Dieter schrieb
>> bestünde die Gefahr des Drehzahlhochlaufens ...

Aus dem Grunde gibt es verschiedene Bremsmechanismen der Windräder auf 
dem Markt, die für sehr wenige oder häufigere Notabschaltung taugen.

von Dieter D. (Firma: Hobbytheoretiker) (dieter_1234)


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Dieter D. schrieb:
> Aus dem Grunde gibt es verschiedene Bremsmechanismen der Windräder ...

Um einem Netzzusammenbruch, der auch das Abschalten von Windrädern 
vermeiden soll, werden erst mal Lasten abgeworfen. Das wird in den 
Umspannwerken durchgeführt werden. Das Hochspannungsnetz wird mit 
höchster Priorität gehalten werden.

Betroffen sind daher nur die Windräder & -parks von harten 
Abschaltungen, die keine direkte Verbindung zum Hochspannungsnetz oder 
höheren Umspannwerken besitzen. Natürlich gilt das auch nur unter der 
Voraussetzung, dass die Kommunikationswege für die Netzsteuerung nicht 
so gründlich gekappt wurden, wie erst vor kurzem die Leitungen für die 
Steuerung des Bahnverkehrs im gesamten Norden.

Aus dem Stromreport war zu entnehmen das es in Deutschland 2022 rund 
30-tausend  Windräder mit einer Gesamtleistung von rund 64 Gigawatt 
installiert sind.

Diese 30-tausend Windräder haben verschiedene 
Notabschaltungsmechanismen. Es wäre daher durchaus interessant zu 
erforschen, wieviele davon ohne eine verpflichtende Wartung nach 
Notabschaltungen mehrmals hart abschalten können.

Ben B. schrieb:
> Rotorblätter in Segelstellung

Solche Windgeneratoren, die das können gibt es.

https://www.maschinenmarkt.vogel.de/in-windkraftanlagen-stecken-leistungsstarke-bremsen-a-300618/
"Im Allgemeinen geht man bei 20 Betriebsjahren von etwa 500 bis 1000 
Not-Halt-Betätigungen der Pitchregelung aus."

Zum Optimieren der Drehzahl gibt es:

a) Die Anstellwinkel der Rotorblätter sind über die Blattverstellung, 
über
die sogenannte Pitch-Regelung, verstellbar.

b) Bei anderen Anlagen wird über das Rotorblattprofil sowie drehbare
Blattspitzen (Stall-Regelung) die Blattbelastung reduziert und somit die 
Drehzahl geregelt.

c) Bei zu großen Windgeschwindigkeiten, über Messinstrumente 
festgestellt,  wenn die Drehzahl des Rotors unter einen festgelegten 
Wert sinkt, oder einen Maximalwert übersteigt, wird über eine Steuerung 
die Bremse aktiviert und der Rotor bis zum Stillstand abgebremst.

d) Auch das Ausrichten der Gondel, um den Rotor in den Wind zu stellen 
oder aus dem Wind zu nehmen, sind die WEA mit einer 
Windrichtungsnachführung durch Stellmotoren ausgerüstet.

von Ben B. (Firma: Funkenflug Industries) (stromkraft)


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Ich finde 500..1000 Notabschaltungs-Ereignisse in 20 Jahren erstaunlich 
viel. Das wären 2..4 pro Monat, also ganz so oft bricht unser Stromnetz 
ja nun wirklich nicht zusammen.

Gesehen habe ich's bislang nur einmal, da hat die Böenfront eines 
Gewitters nacheinander so gut wie alle Windkraftanlagen eines Parks 
abschalten lassen. Allerdings sind die alle nach wenigen Minuten, noch 
mitten im Gewitter wieder angelaufen.

Sollte es wirklich zu einer Stromknappheit kommen, wird man die Last 
durch Abschaltung fernsteuerbarer ("intelligenter") 
Ortsnetztransformatoren zu reduzieren versuchen. Das ist der kleinste 
mögliche Eingriff ins Netz, der von der Leitwarte aus möglich ist. Der 
nächstgrößere Schritt wäre die Abschaltung von Teilen des 
Mittelspannungsnetzes oder ganzen 110kV-Transformatoren. Das wird auf 
der Leitwarte aber bereits für Ärger sorgen, denn es ist noch genug 
Mittelspannungs-Altbestand in Betrieb, wo beim Wiedereinschalten großer 
Abschnitte gerne mal Schmelzsicherungen durch den Einschaltstromstoß 
auslösen und dann muss jemand rausfahren und die wechseln. Das kann auch 
mit den 400V-Abgängen in den Ortsnetzstationen passieren wenn da lange 
Straßenzüge dranhängen, die einen entsprechenden Einschaltstromstoß 
verursachen.

Die 110kV Leitungen werden auf jeden Fall in Betrieb bleiben, so daß 
sich keine Notwendigkeit für die harte Abschaltung von Windkraftanlagen 
ergibt.

> wie erst vor kurzem die Leitungen für
> die Steuerung des Bahnverkehrs im gesamten Norden.
Das waren keine Steuerleitungen, sondern Glasfaserkabel für den GSM-R 
Zugfunk, der dadurch ausgefallen ist. Ohne Zugfunk fährt ein Zug maximal 
bis zum nächsten Bahnhof um dort auszusetzen, weil damit eine wichtige 
Sicherungseinrichtung (Nothaltebefehle bei Betriebsgefahr) wegfällt. Das 
war meiner Meinung mindestens teilweise ein inside job, es dürfte nur 
sehr wenige Leute geben, die so genau wissen, wo diese Kabel liegen, 
diese beiden Stellen so genau auswählen und die Kabel mit solcher 
Präzision treffen können. Üblicherweise sehen solche Anschläge so aus, 
daß irgendwelche Idioten 10 Liter Benzin in einen Kabelkanal kippen und 
anzünden, wobei entsprechend wahllos Schaden entsteht. Das hier war 'ne 
komplett andere Nummer.

von Reinhard S. (rezz)


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Ben B. schrieb:
>> wie erst vor kurzem die Leitungen für
>> die Steuerung des Bahnverkehrs im gesamten Norden.
> Das waren keine Steuerleitungen, sondern Glasfaserkabel für den GSM-R
> Zugfunk, der dadurch ausgefallen ist.

Ich fands spannend, das 2 Kabelfehler in Berlin und NRW den Zugbetrieb 
im Norden Deutschlands zum erliegen bringen...

> Ohne Zugfunk fährt ein Zug maximal bis zum nächsten Bahnhof um dort
> auszusetzen, weil damit eine wichtige Sicherungseinrichtung (Nothaltebefehle
> bei Betriebsgefahr) wegfällt.

Ich habe GSM-R auch mal (geplant) außer Betrieb genommen. Züge sind 
trotzdem gefahren.

von Ben B. (Firma: Funkenflug Industries) (stromkraft)


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Geplant außer Betrieb genommen oder nur für einen bestimmten Bereich, da 
hast Du keine Angaben zu gemacht. Da muss man dann auf jeden Fall 
anderweitig sichern, da kein Nothalteauftrag abgegeben oder empfangen 
werden kann. Beispielsweise der eigene Zug entgleist unerwartet, Teile 
des Zuges blockieren das gegenseitige Streckengleis. Wenn man da keinen 
Nothalteauftrag wegen Betriebsgefahr senden kann, fährt ein 
möglicherweise entgegenkommender Zug mit annähernd 
Streckengeschwindigkeit in den eigenen Haufen rein. Das gibt Tote, 
niemand wird das verantworten wollen. Evtl. kann man einzelne Züge bei 
geplanten Arbeiten zwischen blah und blub auf Sicht fahren lassen, das 
heißt den Verhältnissen angepasste Geschwindigkeit von maximal 40 km/h, 
so daß vor jedem Hindernis gehalten werden kann, aber damit lässt sich 
kein so großflächiger Ausfall kompensieren.

von Reinhard S. (rezz)


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Ben B. schrieb:
> Geplant außer Betrieb genommen oder nur für einen bestimmten Bereich, da
> hast Du keine Angaben zu gemacht.

Natürlich nur für einen bestimmten Bereich/Streckenabschnitt von 
10-11km.

> Da muss man dann auf jeden Fall anderweitig sichern,

Ist mir nicht bekannt, das da (in der Nacht) etwas gesichert wurde.

> Evtl. kann man einzelne Züge bei
> geplanten Arbeiten zwischen blah und blub auf Sicht fahren lassen, das
> heißt den Verhältnissen angepasste Geschwindigkeit von maximal 40 km/h,

Gefühlt waren die Züge da so auf 80 km/h, aber das war auch keine 
"schnelle" Strecke.

> so daß vor jedem Hindernis gehalten werden kann,

Ein Hindernis kann dir eh jederzeit auf dem Gleis liegen, auch mit 
Zugfunk.

von Dieter D. (Firma: Hobbytheoretiker) (dieter_1234)


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Ben B. schrieb:
> Das waren keine Steuerleitungen, sondern Glasfaserkabel für den GSM-R
> Zugfunk, der dadurch ausgefallen ist.

Genauer geschrieben,  die Leitungen für die fernmündliche Steuerung und 
Kommunikation. Bei den Eltern wurde ein Bahnhof erst vor kurzem auf 
Fernbetrieb umgestellt. Wenn da das LWL-Kabel gekappt wird, dann ist 
nicht nur die Leitung zur Zugfunkstation weg, sondern auch die 
Datenleitung für die Steuerung.

Ben B. schrieb:
> wo beim Wiedereinschalten großer
> Abschnitte gerne mal Schmelzsicherungen durch den Einschaltstromstoß
> auslösen und dann muss jemand rausfahren und die wechseln.

Das dürfte es noch einige andere Bereiche geben, wo die Sicherungen 
fliegen. Die Trennung durch Lasttrennschalter ist auch nicht immer sehr 
verschleißfrei.

Für Mittelspannungslasttrennschalter, die auf sehr hohe Schalthäufigkeit 
ausgelegt wurden, steht in Datenblättern:

Wartung: Nach Bedarf, spätestens 10 Jahre nach Auslieferung oder nach 
1.000 Schaltspielen
Instandsetzung: Nach Bedarf, spätestens 20 Jahre nach Auslieferung oder 
nach 5.000 Schaltspielen
(zum Beispiel DRIESCHER Innenraum-Lasttrennschalter)

von Ben B. (Firma: Funkenflug Industries) (stromkraft)


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Sicherlich kann immer ein Baum oder was auch immer auf den Gleisen 
liegen und man fliegt da rein wenn man nicht gewarnt wurde. Allerdings 
führt sowas dann zu umfangreichen Ermittlungen, vor allem wenn der 
Schaden entsprechend groß ist. Ganz sicher dann, wenn ein zweiter Zug 
Minuten später in einen verunfallten Zug einschlägt. Wenn dann 
rauskommt, daß der Zugfunk nicht verfügbar war, dadurch kein Nothalt 
erfolgen konnte (dafür reichts dann ja aus wenn der zweite Zug das 
letzte Hauptsignal vor der Unfallstelle bereits passiert hat) und der 
Folgeunfall durch einsatzbereiten Zugfunk hätte vermieden werden können 
- ja dann können sich einige Herren 'ne Pfeife anstecken, mit etwas Pech 
geht man dafür ein paar Jahre in den Bau.

Man müsste mal jemanden vom Fahrdienst fragen, welche Möglichkeiten sie 
für den Fall des nicht verfügbaren Zugfunks auf 10..11km Strecke haben. 
Vielleicht reichts ja wenn eine Räumungsprüfung gemacht wird, so daß 
sich immer nur ein einziger Zug im fraglichen Abschnitt befindet oder 
ein Begegnungsverbot, so daß sich keine Züge gegenseitig gefährden 
können, keine Ahnung was da geht und was nicht.

Ich will nicht hoffen, daß sowas dann läuft wie's bei der Bahn leider 
schon oft (schief)gelaufen ist. Frag nicht nach, wird schon gut gehen. 
Und wenns gut gegangen ist, frag erst recht nicht nach!

: Bearbeitet durch User
von (prx) A. K. (prx)


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Vor 4 Jahrzehnten erlebte ich, wie man in Schottland eine eingleisige 
Bahnstrecke sicherte. Fuhr ein Zug ein, wurde zwischen Lok und Bahnhof 
an einer grossen Schlaufe befestigte Schlüssel ausgetauscht. Ohne den 
konnte die Gegenrichtung nicht freigegeben werden. Eine 
personalintensive und total undigitalisierte low-tech Lösung, die keinen 
hohen Durchsatz zulässt und wahrscheinlich seit einem Jahrhundert 
unverändert war. Aber schwer nachhaltig sabotierbar.

: Bearbeitet durch User
von Dieter D. (Firma: Hobbytheoretiker) (dieter_1234)


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(prx) A. K. schrieb:
> Fuhr ein Zug ein, wurde zwischen Lok und Bahnhof
> an einer grossen Schlaufe befestigte Schlüssel ausgetauscht. ....
> ..... Aber schwer nachhaltig sabotierbar.

Diese Lösung ist vor allem Föhnsicher!

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Alpenf%C3%B6hn
https://de.m.wikipedia.org/wiki/F%C3%B6hnkrankheit

Föhn gab es in den Voralpen an Tagen von folgenden Unfällen:
Bahnunfall 2016 bei Bad Aibling
Bahnunfall 2022 S7 zwischen Schäftlarn und Ebenhausen und der beinahe 
Unfall Aug 2021 ebenfalls.
Bahnunfall 2022 bei Garmisch war es auch etwas föhnig, aber hier kann 
das vernachlässigt werden.

Hmm, das dürfte aber jetzt zu weit weg führen, gibt aber dennoch eine 
Verbindung zum Thread-Thema. Aber in den Leitstellen sitzen auch nur 
Menschen, die das Stromnetz managen. Wenn diese wetterbedingt adequate 
Fehler machen, könnte das zum Netzabsturz aus dem Süden führen. Aber an 
solchen Tagen ist es warm, so dass nicht so viel Strom für die Heizung 
gebraucht wird und Wind gibt es an solchen Tagen in weiten Teilen 
Deutschlands ebenfalls. D.h. Strom wird nicht so knapp sein einen Fehler 
(menschliches Versagen) nicht doch noch aufgefangen werden könnte.

von Reinhard S. (rezz)


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Ben B. schrieb:
> Man müsste mal jemanden vom Fahrdienst fragen, welche Möglichkeiten sie
> für den Fall des nicht verfügbaren Zugfunks auf 10..11km Strecke haben.

Das wäre in der Tat interessant. Aber von denen scheints grad nicht mehr 
so viele zu geben...

von Georg A. (georga)


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Dieter D. schrieb:
> Ben B. schrieb:
>> Das waren keine Steuerleitungen, sondern Glasfaserkabel für den GSM-R
>> Zugfunk, der dadurch ausgefallen ist.
>
> Genauer geschrieben,  die Leitungen für die fernmündliche Steuerung und
> Kommunikation.

Und wie in einen YT-Video, das inzwischen auf Wunsch der DB entfernt 
wurde, mit Bezug auf wohl ursprünglich öffentlich zugängliche Infos noch 
genauer ausgeführt wurde, waren das die Verbindungen des MSC Hannover an 
die beiden HLRs in Berlin und Frankfurt. Theoretisch redundant (weil ein 
zugreifbares HLR reicht), aber praktisch recht zielgerichtet die 
Redundanz torpediert. Und ohne HLR gibts keinen Rufaufbau.

von Mario H. (rf-messkopf) Benutzerseite


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Ben B. schrieb:
> Ich glaube ja wirklich viel in Bezug auf die Kernenergie, aber daß man
> in irgend einer Anlage den Abriss einer Hauptkühlmittelleitung vom
> Reaktordruckbehälter beherrschen könnte, bei dem dieser leer läuft, das
> glaube ich nicht.

Ein solcher Abriss und die Ausströmung über die doppelte 
Querschnittsfläche der Loop-Leitung ("2F-Bruch") ist der klassische 
Auslegungsstörfall bei DWR-Anlagen. Darauf basierend sind die 
Sicherheitssysteme (Druckspeicher, Sicherheitseinspeisepumpen, 
Kernfluten, Sumpfbetrieb, Flutbehälterinventare, ...) dimensioniert. 
Ebenso sind die Komponenten und Strukturen dafür ausgelegt, die Lasten 
durch die auftretenden Reaktionskräfte und den Einfluss schlagender 
Leitungsenden abzutragen. Die massiven Betonstrukturen im 
Sicherheitsbehälter sind nicht nur zur Abschirmung da, und der 
Trümmerschutzzylinder heißt nicht umsonst so. Ferner ist der 
Sicherheitsbehälter im Hinblick auf Druck und Temperatur auf das 
komplette Ausdampfen des Primärkreises und eines Dampferzeugers 
ausgelegt.

> Der schnelle Druckabfall wird zwar vermutlich sofort
> eine Reaktorschnellabschaltung auslösen,

Das schon, aber die man in dem Fall vergessen. Bei einem solch rapiden 
Druckabfall schäumt das Kühlmittel sofort auf, und der Reaktor ist 
unterkritisch, noch bevor die Schnellabschaltung wirksam werden könnte. 
Das Hochfluten des Reaktordruckbehälters erfolgt dann mit stark 
boriertem Wasser, um eine Rekritikalität sicher zu verhindern. Der 
Reaktorkern ist bei einer solch massiven Ausströmung außerdem mechanisch 
hoch belastet, so dass man unterstellen muss, dass nicht alle Stäbe 
komplett einfallen.

> aber Du weißt selbst wieviel
> Druck da drauf ist, wie schnell das Wasser durch die nicht gerade
> kleinen Rohrdurchmesser herausschießen würde und wieviel MWth
> Nachzerfallswärme der Kern unmittelbar nach einer Schnellabschaltung aus
> dem Leistungsbetrieb freisetzt. Diesen 30 Sekunden nur mit Dampf kühlen?

Das Hochfluten durch die Druckspeicher beginnt praktisch sofort, aber 
bis zur Kernoberkante sind das irgendwas um die 30 Sekunden. Wenn Du es 
genau wissen willst, müsste ich nachschauen. Es ist aber tatsächlich so, 
dass es in dem Szenario ziemlich kurz nach dem Abriss einen Zeitpunkt 
gibt, an dem praktisch nur noch Dampf im RDB ist, und anschließend ein 
Teil des Kerns nur über das verdampfende Kühlmittel gekühlt wird.

> Wasser drankommt, entstehen so tolle Demontagebeschleuniger wie Knallgas
> oder eine Dampfexplosion.

Das Knallgas entsteht durch die Zirkon-Wasser-Reaktion, wenn die 
Hüllrohre schmelzen. Das passiert beim 2F-Bruch nicht, wenn die 
Einspeisung durch die Druckspeicher auslegungsgemäß funktioniert.

> Auch wenn ich die deutschen Atomkraftwerke für
> so ziemlich die sichersten auf der Welt halte - aber das halten sie
> auch nicht aus.

Wie gesagt, das ist Auslegung der Anlage. Und man hat sowohl national 
und international ziemlich viel getan, um die zugrunde liegenden Modelle 
und Rechencodes zu qualifizieren, u.a. auch experimentell in 
Großversuchen. Bei der UPTF in Mannheim hat man z.B. die Blowdown-Phase 
eines solchen Unfalls mit immerhin mit 300 MW Leistung dahinter 
nachgestellt, und die Modelle damit validiert. Ähnliches hat man für die 
Rechencodes zur Kernzerstörung gemacht. Ich bin definitiv kein Experte 
für die Analytik schwerer Kühlmittelverluststörfälle, aber ich habe 
keinen Anlass zu glauben, dass die internationale Fachcommunity auf 
diesem Feld seit Jahrzehnten grundlegenden Irrtümern aufsitzt.

Wie auch immer, am realen Objekt wird es hoffentlich nie so weit kommen. 
Ebenso kann man nur hoffen, dass man dann nicht zufällig gerade im 
Sicherheitsbehälter ist. Es reichen übrigens erstaunlich kleine 
Leckquerschnitte im Primärkreis, um im Handumdrehen Verhältnisse im 
Sicherheitsbehälter zu haben, gegen die ein Druckkochtopf eine geradezu 
angenehme Umgebung ist.

Aber das wird jetzt langsam endgültig OT.

von Roland E. (roland0815)


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(prx) A. K. schrieb:
> Vor 4 Jahrzehnten erlebte ich, wie man in Schottland eine eingleisige
> Bahnstrecke sicherte. Fuhr ein Zug ein, wurde zwischen Lok und Bahnhof
> an einer grossen Schlaufe befestigte Schlüssel ausgetauscht. Ohne den
> konnte die Gegenrichtung nicht freigegeben werden. Eine
> personalintensive und total undigitalisierte low-tech Lösung, die keinen
> hohen Durchsatz zulässt und wahrscheinlich seit einem Jahrhundert
> unverändert war. Aber schwer nachhaltig sabotierbar.

So Personalintensiv ist die Lösung gar nicht. Lokführer brauchen beide 
Züge immer, den Bahnhofschef als Stabüberbringer gibt es auch (noch) 
immer. Die digitalisierung würde (in Deutschland zumindest) an der 
Stelle kein Personal einsparen.

Hoher Durchsatz ist auf einer eingleisigen Strecke eh nicht möglich. 
Auch die digitale Freimeldung braucht Zeit, da ist Meldestab übergeben 
nicht langsamer, bis der Gegenzug los fahren kann. Zumal bei solchen 
Strecken die Züge fast immer am selben Inselbahnsteig stehen, wo der 
Stab bei der Einfahrt noch im Rollen beim Bahnhofschef abgegeben wird. 
Der steht meistens schon auf Höhe des Führerstandes des wartenden Zuges.

Sorry für das OT.

von Ben B. (Firma: Funkenflug Industries) (stromkraft)


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Bißchen OT ist doch nicht schlimm, zumal die Rubrik schon OT ist und das 
eigentliche Thema sowieso abgehandelt sein dürfte.

Hoher Durchsatz auf eingleisigen Strecken geht, indem man die Züge 
gruppiert und dann beispielsweise immer drei Züge gleichzeitig in einer 
Richtung verkehren lässt während die Gegenrichtung wartet. Dadurch 
können diese im Blockabstand fahren und es geht viel mehr als wenn immer 
nur ein Zug pro Richtung fahren dürfte.

Die Lösung mit dem Schlüssel oder Stab als Fahrtberechtigung für ein Zug 
gab es auch auf manchen Strecken in Deutschland bzw. gibt es heute 
vielleicht immer noch.

@Mario
Ich glaube Dir das was Du schreibst, aber ich glaube halt nach dem was 
man in Fukushima gesehen hat nicht mehr an die Theorien zum sicheren 
Betrieb eines Atomkraftwerks bei solchen Störfällen. Es gibt einfach 
immer irgendwelche Dinge, die am Ende nicht so funktionieren wie sich 
das jemand dachte oder es passiert irgendwas, woran niemand überhaupt 
dachte. Dafür gibts immer wieder Beispiele, gerade in der Atomforschung. 
Hat im Grunde bei Castle Bravo angefangen, das kleine 
Wasserstoffbömbchen entwickelte aufgrund von Unkenntnis über das 
Verhalten von Lithiumdeuterid mit 15Mt anstatt projektierter 6Mt fast 
die dreifache Sprengkraft. Dann gings weiter über Tschernobyl, wo sich 
der Reaktor infolge Xenonvergiftung durch den Betrieb mit geringer 
Leistung für die Betriebsmannschaft unerwartet verhielt und durch 
Bedienfehler explodierte. Die gute Brennbarkeit von Reaktorgraphit hatte 
man bereits 1957 in Sellafield erfolgreich getestet. Dann noch 
Fukushima, wo den Japanern gleich vier Reaktorblöcke westlicher Bauart 
um die Ohren geflogen sind, nur weil man zu doof war, sich an einer 
bekannt tsunamigefährdeten Küste vor Tsunamis zu schützen und die 
Nachkühlung durch Zerstörungen und Stromausfall nicht auf die Reihe 
bekommen hat. Und das waren noch nicht mal Druckwasserreaktoren, 
drucklos machen und lediglich Brennelemente mit Wasser bedeckt halten 
hätte zwar auch etwas kurzlebige Radioaktivtät im Wasserdampf 
freigesetzt, aber hätte gereicht, damit es nicht zu den Explosionen 
gekommen wäre. Dieser ganze Aufwand mit (Not)Kondensationskammer usw. 
funktioniert eindeutig nicht so, wie sich das manche ach so schlaue 
Köpfe mal ausgedacht haben bzw. wenn gleich vier dieser Blöcke aufgrund 
einer einzelnen Ursache in die Luft fliegen, dann hat wohl irgend jemand 
nicht an eine solche Situation gedacht. Zwischendrin gab es 1979 noch 
die partielle Kernschmelze in Three Mile Island, wo dank 
funktionierendem Containment gemessen an der Schwere des Unfalls nur 
sehr wenig Radioaktivität freigesetzt wurde. Aber letztlich geht auch 
dieses "Missgeschick" auf ein einfach extrem schlechtes Reaktordesign 
zurück wenn da keine zuverlässigen Melder für den Wasser-Füllstand im 
Reaktordruckgefäß dran sind. Mit diesen hätte die Bedienmannschaft das 
Problem binnen Minuten korrekt erkannt und es wäre niemals zu diesem 
Schaden am Reaktor gekommen.

Oder es gibt chemische Explosionen, die radioaktives Material 
freisetzen, siehe dazu Majak. Man kann nur hoffen, daß die Amis ihre 
Lagertanks besser unter Kontrolle haben.

Wenn wir damit weitermachen, wird es immer wieder solche Unfälle geben, 
ist ganz offensichtlich nur eine Frage der Zeit. Irgendwann explodiert 
das erste Kernfusionskraftwerk, bei dem während des Betriebs auch sehr 
starke Strahlung entsteht, die das Material des Reaktors aktiviert. Da 
kommt nicht nur Rosenduft aus dem Auspuff wie das so gerne propagiert 
wird. Oder diese Dualfluid-Totgeburt mit den integrierten 
Aufbereitungsanlagen. Die löst das Lagerungsproblem der Spaltprodukte 
Sr90 und Cs137 genau so wenig wie die aktuelle Situation und ich halte 
den Betrieb von vielen kleinen Aufbereitungsanlagen für weit 
gefährlicher als den Betrieb einer großen, aber dafür richtig guten.

Ehrlich, die Kernforschung hat sich in der Vergangenheit nicht gerade 
mit Ruhm bekleckert und sie wird es auch in Zukunft nicht tun. Alles, 
was wir damit geschafft haben ist, daß wir uns heute gleich mehrfach 
komplett selbst von diesem Planeten tilgen können und ein paar Jahre 
Aufschub bevor wir doch auf regenerative Energiequellen umschwenken 
müssen, wodurch aber bereits Teile des Planeten auf absehbare Zeit 
unbewohnbar geworden sind. Ich finde das reicht, man sollte da endlich 
den sprichwörtlichen Stecker ziehen und das Geld gleich in eine echte 
Lösung investieren.

Als Beispiel und um den Bogen zur Windkraft zurück zu kriegen - da 
müssten noch ein paar Recyclingprobleme gelöst werden. In vielleicht 
10..20 Jahren fallen große Mengen alter GFK-Bestandteile dieser Anlagen 
an, beispielsweise die Rotorblätter. Die Photovoltaik hat das gleiche 
Problem, auch hier müssen wertvolle Rohstoffe aus alten Solarzellen 
rückgewonnen werden. Dieses Problem ist bislang nur für solarthermische 
Kraftwerke gelöst.

von Reinhard S. (rezz)


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Roland E. schrieb:
> So Personalintensiv ist die Lösung gar nicht. Lokführer brauchen beide
> Züge immer, den Bahnhofschef als Stabüberbringer gibt es auch (noch)
> immer.

Eher nicht. In der Regel sind kleine Bahnhöfe unbesetzt (falls es 
überhaupt noch Bahnhofsgebäude gibt) und so kann es schonmal 10-20km 
dauern, bis man wieder an einer besetzten Station ist. Und dazwischen 
hat man trotzdem ab und an Ausweichgleise oder so.

Georg A. schrieb:
> Und wie in einen YT-Video, das inzwischen auf Wunsch der DB entfernt
> wurde, mit Bezug auf wohl ursprünglich öffentlich zugängliche Infos noch
> genauer ausgeführt wurde, waren das die Verbindungen des MSC Hannover an
> die beiden HLRs in Berlin und Frankfurt.

Hannover -> Frankfurt via Dortmund (wo der Kabelschaden gewesen sein 
soll) wäre aber auch nicht grad der direkte Weg.

Ich hätte da jetzt noch einen Zweitweg/Drittweg via anderes MSC erwartet 
oder zumindest eine Inselbildung.

: Bearbeitet durch User
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