Forum: Digitale Signalverarbeitung / DSP / Machine Learning Signalqualität und Signalbearbeitung bei alten Aufnahmen


von Audiomann (Gast)


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Heute nachmittag wurde von einem "one time poster" eine Aussage zur 
Qualität von einem Beatles-Album gemacht und zwei streaming-Dienste 
verglichen, was vermutlich über den Jordan geht, weil es nur dumpfe 
Werbung darstellte.

Ich finde das Thema aber technisch interessant und mich würden 3 Dinge 
interessieren:

1) Wie groß ist der technische Unterschied zwischen den 
Streaming-Diensten? Einige werden mit "lossless compression“, die so 
100% verlustfrei nicht zu sein scheint. Wie könnte man technisch 
erkennen, ob dort Informationen fehlen? Von einer Person wurde 
eingeworfen, die 24-Bit/96-kHz-PCM seien teilweise stark komprimierte 
MP3s! Kann das bestätigt werden?

2) Wie werden diese digitalen Kopien erzeugt? Die Musik, die in den 
1960ern  aufgenommen wurde, ist praktisch ausschließlich auf analogen 
Magnetbändern verfügbar, die mehrfach kopiert wurden, weil sie im Laufe 
der Zeit an Höhen verlieren. Dies geschieht, um sie zu retten und zu 
sichern und gleichzeitig "Originale" zur Bearbeitung versenden zu 
können. Seit den 1990ern werden auch digitale Kopien angelegt, in 
entsprechender Qualität. Ich nehme an, es macht einen Unterschied, von 
wem, wann und wo eine solche digitale Kopie angefertigt wurde und von 
welchem Band. Man darf wohl annehmen, dass die digitalen Kopien bei 
unterschiedlichen Händlern von unterschiedlichen Studios erzeugt wurden, 
mit unterschiedlichen Mischtechniken und auch unterschiedlichen Bändern?

3) Wie werden solche Alben nachgemischt? Beatles-Stücke sind überwiegend 
in "Doppel-Mono" verfügbar, also die einen Stimmen waren voll links, die 
anderen voll rechts. Bei modernen CD-Kopien von Beatles-Platten ist das 
oft auch so, manchmal wird aber auch daran gedreht. Wie lässt es sich 
signalverarbeitungstechnisch lösen, so ein Aufnahmeszenarium musikalisch 
neu zu gestalten? Hall draufzugeben allein, kann es nicht sein.

von Kai D. (robokai)


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Audiomann schrieb:
> Heute nachmittag wurde von einem "one time poster" eine Aussage zur
> Qualität von einem Beatles-Album gemacht und zwei streaming-Dienste
> verglichen,
Tjo das ist wohl dann mal wech. Hätte mich interessiert. Ich sammle 
Beatles, allerdings Originale, also Platten!

> Wie groß ist der technische Unterschied zwischen den
> Streaming-Diensten?
Ziemlich gewaltig, sage ich mal. Spotify bringt für komprimiertes immer 
noch das Beste, sage ich mal. Nachgemessen habe ich es nicht.

> Beatles-Stücke sind überwiegend in "Doppel-Mono" verfügbar
Die Platten wurde zu einer Zeit aufgenommen, als es noch gar kein Stereo 
gab. Bzw. die meisten Hörer hatten nur einen Monoplattenspieler. Da geht 
das gar nicht anders zu mischen.

von J. S. (engineer) Benutzerseite


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> 1) Wie groß ist der technische Unterschied zwischen den
> Streaming-Diensten?
Keine Ahnung. Nutze ich nicht. Soweit ich Dateien für Produktionen 
verwende, sind es PCM4824 aufwärts oder DSD.

> mit "lossless compression“, die so 100% verlustfrei nicht zu sein scheint.
Unter lossless compression verstehe ich eine Datenkompression wie wir 
sie von ZIP kennen. Das sollte dann auch verlustfrei sein. Was man beim 
streaming immer berücksichtigen muss, sind die Übertragungsfehler. Die 
Audioabspieler auf der Empfängerseite benutzen interpolierende Filter, 
um fehlende Informationen zu rekonstruieren.  D.h. bei verlorenen oder 
zu spät gelieferten Daten muss man das nicht unbedingt durch Aussetzer 
merken.

> Wie könnte man technisch erkennen
Theoretisch könnte man das Empfangene komprimieren und schauen, ob es 
noch schlechter wird. Real ist es aber so, dass die komprimierten Daten 
vorher aufgepeppt wurden, z.B. durch Exciter. Das macht es schwer 
akustisch zu entscheiden, ob etwas fehlt.

von J. S. (engineer) Benutzerseite


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> 2) Wie werden diese digitalen Kopien erzeugt? Die Musik, die in den
> 1960ern  aufgenommen wurde, ist praktisch ausschließlich auf analogen
> Magnetbändern verfügbar,
> Seit den 1990ern werden auch digitale Kopien angelegt
Da wurde von Anbeginn an massiv digitalisiert. Man kann davon ausgehen, 
dass alles, was von guten Studios oder auch von Sendeanstalten gemacht 
wurde, schon in den 1990ern von hoher Qualität ist.
Ich selber hatte damit zu tun. Das gilt natürlich nicht für die 
Volksdigitaltechnik wie Soundkarten, wie sie furs Digitalisieren von 
Platten. Eine zeitlang gab es CDs im Handel, die auf diese Weise erzeugt 
wurden, weil die "Produzenten" gar keine Originale hatten.

Wir hatten in unserem Mastering-Studio in Köln Geräte von Studer und 
Revox für die passenden Bänder. Gewandelt wurde auf 96kHz,20Bit.

> weil sie im Laufe der Zeit an Höhen verlieren.
Der Höhenverlust guter Bänder ist meistens erstaunlich gering und lässt 
sich zudem auch leicht linear korrigieren - insbesondere digital. Man 
misst oder schätzt den Höhenanteil und stellt es nach Gefühl nach. 
Problematischer sind Schwankungen bei Schinken, die einen Lagerschaden 
haben, weil sie dynamische Höhenverluste haben. Das ist am 
Kompliziertesten. Auch unschön sind Aufnahmen mit schlecht gewarteten 
Maschinen, die Gleichlauf-Regelprobleme hatten. In einem Fall musste ich 
mal eine Audiodatei dahingehend analysieren und die Regelschwankungen 
bei der Wandlung ausgleichen.

von J. S. (engineer) Benutzerseite


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> 3) Wie werden solche Alben nachgemischt?
Das ist ein Kapitel für sich :-)

Bei Monoaufnahmen (sofern die Stimmen wirklich vollständig getrennt auf 
L und R liegen) ist es noch am Einfachsten. Man kann in begrenztem 
Umfang auch durch Addition und Subtraktion irgendwohin ge-pan-te Stimmen 
etwas isolieren. Bei den Originalbändern ist es so, das sie es oft auch 
4-stimmig haben. Bei ABBA z.B. haben sie angeblich viele Aufnahmen noch 
auf 8 Kanälen vorliegen. Da kann man heute viel draus machen.

Man darf nicht außer Acht lassen, dass die Qualität der Tonbänder 
deutlich über dem liegt, was man auf Platte oder Cassette hat.
Digitale Kopien von Platten sind meistens eher minderwertig. Neu 
gemischte Alben auf der Basis der Originalbänder haben da erheblich mehr 
Potenzial.

> so ein Aufnahmeszenarium musikalisch neu zu gestalten?
> Hall draufzugeben allein, kann es nicht sein.
Nicht unbedingt Hall - aber Raumklang, um eine Monostimme zu platzieren. 
Geht natürlich nur, wenn in der Quelle nicht schon viel Reflektionen 
drin sind.
Was immer irgendwie geht: Nach obigem Muster isolierte Stimme zu 
verhallen und nur den Hall an eine Stelle zu schieben und für eine 
andere Stimme woanders hin.

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