Forum: Ausbildung, Studium & Beruf Erfahrungen mit Jobsuche als Embedded Entwickler 2024


von Niklas G. (erlkoenig) Benutzerseite


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Hallo zusammen,

nachdem ich gerade eine ausführliche Bewerbungsphase hinter mir habe 
möchte ich hier gern ein paar Zahlen und Erfahrungen liefern, vielleicht 
sind diese ja für den ein oder anderen Jobsuchenden hilfreich.

Rahmendaten:
- Bereich: Embedded Software-Entwicklung
- Standort: München
- Berufserfahrung: 4,9 Jahre (wurde immer großzügig auf 4 abgerundet)
- Qualifikation: M.Sc. Informatik, Spezialisierung Embedded Systems
- Wechselgrund: Betriebsbedingte Kündigung

Ein paar Zahlen:
- Insgesamt Kontakte/Bewerbungen: 31
- Davon finale Angebote: 3
- Von mir abgelehnt: 10
- Von der Firma abgelehnt: 10
- Keine Rückmeldung bekommen (Ghosting): 8
- Ausgeschriebene Stellen in der Stadt mit grob passendem Profil: >500

- Anschriften durch Recruiter auf Xing: 15
- Anschriften durch Recruiter auf LinkedIn: 5
- Vermittlung durch Bekannte: 2
- Initialbewerbungen: 8
- Angebotene Gehaltsspanne: 60k - 100k
- Branchen: Industrie, IoT, Automotive, Medizintechnik, Halbleiter

Erfahrungen:
Teilweise widersprüchlich. Viele Firmen suchen "dringend" Embedded 
SW-Entwickler. Man hört dass es auf manche Stellen gar keine Bewerber 
gibt, und auf viele Stellen nur ganz wenige Bewerber. Viele Stellen sind 
sehr lange ausgeschrieben, auch nach Ablehnung durch die Firma. 
Gleichzeitig antworten viele Firmen aber nie oder nur sehr spät auf 
Bewerbungen. Gehaltsverhandlungen sind auch eher zäh (s.u.). Die meisten 
Firmen machen 3 und mehr Bewerbungsgespräche. Dazu kommen 
Probe-Hausaufgaben oder Probe-Arbeitstage. Dadurch zieht sich der 
Prozess auf mindestens 2 Monate. Dann soll man aber innerhalb weniger 
Tage selbst zusagen (während man in anderen Firmen noch in 
Bewerbungsrunden steckt). Die Unzahl an Gesprächen ist sehr Zeit- und 
Kräfteraubend, neben einem ungekündigten Arbeitsverhältnis wäre es 
praktisch nicht machbar. Immerhin geben die Gespräche durchaus die 
Möglichkeit einen etwas krummen Lebenslauf zu erläutern.

Recruiter:
Wie zu sehen ist kamen viele Kontakte über Anschriften durch Recruiter 
zustande. Dies lief oft überraschend gut - die Recruiter kennen sich 
(mittlerweile?) durchaus mit der Branche aus und vermitteln größtenteils 
gut passende Stellen. Sich über Recruiter zu bewerben vereinfacht den 
Ablauf - die Recruiter haben den direkten Draht zur Firma und können 
dort Druck machen, zeitnah zu reagieren (statt die Bewerbung Monate 
liegen zu lassen), und weil deren Provision ein Prozentsatz des 
Jahresgehalts ist, haben sie auch ein Interesse daran ein gutes Gehalt 
auszuhandeln. Außerdem sind einige Stellen überhaupt nicht öffentlich 
ausgeschrieben sondern werden nur durch Recruiter besetzt; somit lohnt 
es sich durchaus, sein Xing/LinkedIn Profil auszufüllen und Anschriften 
entgegen zu nehmen. Es ist allerdings anstrengend, sich am Telefon von 
mehreren Recruitern am Tag stundenlang anhören zu müssen, wie toll Firma 
XY ist.

Gehalt:
Die Gehaltsspanne der Angebote ist sehr groß (zwischen 60k und 100k). 
Mit den meisten Firmen kann man zwar verhandeln, aber es lässt sich 
nicht viel machen. Manche schicken auch direkt die Absage nach Angabe 
des Gehaltswunschs, ohne Verhandeln. Mitzuteilen, dass man bereits 
bessere Angebote in Aussicht hat, hilft nur sehr begrenzt. Die meisten 
Firmen haben sehr fixe Gehaltsstrukturen. Im Endeffekt ist das Gehalt 
nur eine Funktion der Berufsjahre, wie im ÖD. Eine oft genannte Zahl war 
85k (reicht in München so gerade für eine Zweizimmerwohnung). Das finde 
ich schon etwas schade, weil man abseits von beruflicher Tätigkeit ja 
durchaus auch Erfahrungen sammeln kann (Hobby, extrakurrikuläre 
Tätigkeiten, Studienprojekte), und Talent und Leidenschaft sich ja 
durchaus unterscheiden. Dadurch gibt es im Endeffekt keinen Anreiz für 
persönliche Entwicklung und besonderes Engagement - man bekommt dadurch 
auch nicht mehr.

Entwicklungsmöglichkeiten:
Die fixe Gehaltsstruktur widerspricht besonders dem Leistungsdruck, 
welchen man im Studium erfährt, gute Noten zu bekommen - das ist 
letztendlich alles unerheblich. Ich habe das Gefühl, dass gerade die 
Embedded-SW-Entwicklung von den Firmen als Fließbandarbeit gesehen wird 
- es gibt kein Gefühl und Verständnis für die Qualität der Arbeit, daher 
bekommen alle das Gleiche. Dem Hörensagen nach ist das in "klassischer" 
Software-Entwicklung (z.B. Web oder Java Enterprise -Entwicklung) 
anders, dort wird Talent eher gesehen. Es ist keine neue Erkenntnis, 
dass es gerade unter Software-Entwicklern eine sehr große Spanne an 
Fähigkeitsleveln gibt. Es ist schwierig Stellen mit technisch 
interessanten Aufgaben im Embedded-Bereich zu finden - die besten 
Chancen hat man hier in Startups, weil man hier auch das 
Entwicklungstempo und Arbeitsweise mit selbst bestimmen kann.


Qualifikation und was gesucht ist:
Für die Firmen der wichtigste Punkt sind die Jahre an Berufserfahrung 
mit bestimmten Technologien. Sie haben dabei oft sehr genaue 
Vorstellungen welche Tools man beherrschen soll. Man kennt GitLab, aber 
Bitbucket ist gefordert? Schwierig. Gleiches gilt für Mikrocontroller 
(STM32 oder LPC?), Bustechnologien (CANopen oder J1939?), 
Programmiersprachen etc. Oft ist gewünscht, dass man bereits viele Jahre 
Erfahrung mit einer bestimmten Technologie hat - das ist aber kaum zu 
erfüllen wenn man mehrere Wechsel gemacht hat (wofür es viele Gründe 
gibt, die man nicht immer selbst in der Hand hat), weil man 
hintereinander kaum Firmen findet die genau den gleichen 
Technologie-Stack nutzen.

Formale Qualifikation, also Studium, Abschluss (Bachelor vs. Master), 
Noten, Zeugnisse, Fächer/Spezialisierung im Studium, extrakurrikuläre 
Tätigkeiten (z.B. Formula Student) hingegen sind unwichtig. Gleichs gilt 
für (online einsehbare) Open-Source-Projekte/Beiträge. Es ist schwierig 
die eigenen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen.

Die üblichen Tipps (das Anschreiben an die Firma anpassen etc.) spare 
ich mir hier, aber ein kleiner Trick hat gute Dienste geleistet: Eine 
"generische" Bewerbungsmappe (Anschreiben, Lebenslauf, Zeugnisse) als 
einzelnes PDF zusammenstellen, auf einen Clouddienst der Wahl hochladen, 
und einen Link dazu an alle Anschriften auf Xing/LinkedIn schicken. Die 
Recruiter können gut damit arbeiten, und man kann die Datei auch 
nachträglich noch ändern/korrigieren (sofern sich dadurch nicht der Link 
ändert). Die Bewerbung kann man gut auf Englisch schreiben, die meisten 
Firmen (bis auf eine) hatten damit kein Problem, einige Firmen arbeiten 
sowieso komplett auf Englisch. Natürlich muss man sowieso bereit sein 
die Gespräche auf Englisch zu führen.

Im Endeffekt habe ich etwas gutes gefunden, denke ich, aber einfach war 
es nicht und der Erfolg alles andere als garantiert. Dennoch lief es 
besser als bei ebenfalls gekündigten Kollegen, welche trotz Kenntnissen 
in aktuellen Hype-Branchen (KI, ML, IoT) mehr Schwierigkeiten haben, was 
mich auch sehr überrascht.

von Vanye R. (vanye_rijan)


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> Ich habe das Gefühl, dass gerade die Embedded-SW-Entwicklung
> von den Firmen als Fließbandarbeit gesehen wird

Ich bin natuerlich parteiisch, aber mein Eindruck es ist 10x
besser Hardware zu machen als Software.

Ein Beispiel: Schaltung XY hat ein Problem:


Loesung A: Hardwareentwickler kann es mit einem neuen Bauteil loesen. 
Eigentlich 1h Arbeit. Aber neues Layout, neue Zertifzierung A, B ,C 
(jeweils so 10-50kEuro), Wiederholung diverse Tests, interessante 
Kundengespraeche weil Produkt 1-3Monate spater fertig.

Loesung B: Programmier programmiert sich 1Woche den Hintern wund bis es 
trotzdem geht.

Welche Loesung wird gewaehlt? .-)

Vanye

von Oliver S. (oliverso)


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Niklas G. schrieb:
> - Anschriften durch Recruiter auf Xing: 15
> - Anschriften durch Recruiter auf LinkedIn: 5
> - Vermittlung durch Bekannte: 2
> - Initialbewerbungen: 8

Wie viele hätten denn jeweils davon zu einem Vertrag geführt, wenn du 
nicht abgelehnt hättest?

Oliver

von Niklas G. (erlkoenig) Benutzerseite


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Vanye R. schrieb:
> Aber neues Layout, neue Zertifzierung A, B ,C
> (jeweils so 10-50kEuro), Wiederholung diverse Tests

Klingt nach langweiliger Fleißarbeit.

Vanye R. schrieb:
> interessante
> Kundengespraeche

Kundengespräche können auch oft ein nerviger Eiertanz sein.

Vanye R. schrieb:
> Loesung B: Programmier programmiert sich 1Woche den Hintern wund bis es
> trotzdem geht.

Eine clevere Softwarelösung welche die Möglichkeiten der Hardware 
maximal ausnutzt zu finden kann eine interessante Herausforderung sein.

Und daher...

Vanye R. schrieb:
> Ich bin natuerlich parteiisch, aber mein Eindruck es ist 10x
> besser Hardware zu machen als Software.

... ist das doch stark Geschmackssache und sowieso nicht pauschal zu 
sagen.

Oliver S. schrieb:
> Wie viele hätten denn jeweils davon zu einem Vertrag geführt, wenn du
> nicht abgelehnt hättest?

Kann man nicht sagen, viele hab ich relativ früh abgelehnt weil diverse 
Rahmenbedingungen nicht passten. Von den finalen 3 Angeboten habe ich 
natürlich 2 abgelehnt, obwohl es eben kurz vorm Vertrag war.

: Bearbeitet durch User
von A. D. (egsler)


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Danke für die schöne Zusammenstellung deiner Erfahrungen. Ich suche zwar 
gerade nicht, aber ich finds immer mal interessant zu hören, wie das 
aktuell bei anderen so abläuft.
Waren das bei dir alles eher größere Firmen? Oder hast du diese eher 
"harten" Strukturen auch bei kleineren Firmen beobachten können?

von Niklas G. (erlkoenig) Benutzerseite


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A. D. schrieb:
> Waren das bei dir alles eher größere Firmen?

Es war alles dabei.

A. D. schrieb:
> Oder hast du diese eher "harten" Strukturen auch bei kleineren Firmen
> beobachten können?

Teilweise auch da, ja

von Reinhard S. (rezz)


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Niklas G. schrieb:
> Ein paar Zahlen:
> - Insgesamt Kontakte/Bewerbungen: 31
> - Davon finale Angebote: 3
> - Von mir abgelehnt: 10
> - Von der Firma abgelehnt: 10

Das ist für mich, vielleicht auch wegen der Reihenfolge, etwas 
unverständlich. Was meinst du mit finalen Angeboten? Angebote, die du 
oder die Firma nicht abgelehnt haben?

von Niklas G. (erlkoenig) Benutzerseite


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Reinhard S. schrieb:
> Was meinst du mit finalen Angeboten

Vertragsangebote, wo ich nur noch hätte unterschreiben müssen.

Reinhard S. schrieb:
> Angebote, die du oder die Firma nicht abgelehnt haben?

Angebote, wo die Firmen nach allen Bewerbungsrunden nicht abgelehnt 
haben. Ich habe dann natürlich 2 davon abgelehnt und eins angenommen. 
Ich hatte natürlich mehrere Prozesse parallel - bei sukzessiven 
Bewegungen hätte man wahrscheinlich nur ein finales Angebot und würde 
das wohl annehmen, statt an dem Punkt noch abzulehnen.

von A. F. (chefdesigner)


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Niklas G. schrieb:
> ass gerade die
> Embedded-SW-Entwicklung von den Firmen als Fließbandarbeit gesehen wird
> - es gibt kein Gefühl und Verständnis für die Qualität der Arbeit, daher
> bekommen alle das Gleiche.

Das liegt daran, dass dieser Bereich von vielen Möchtegerns überflutet 
ist und der Begriff "embedded" überhaupt nichts sagt.

Die Firmen haben sich daran gewöhnt, dass sie massenhaft Leute von den 
Unis und aus dem Ausland bekommen und sehr wenig bezahlen müssen.

Gleichzeitig haben sie sich an die geringe Ausbildungsqualität gewöhnt 
und sehen keinen Unterschied mehr zwischen erfahrenen Entwicklern, mit 
einem Uniabschluss und den bachlern aus der dualen Hochschule. Sie 
erkennen einfach die Unterschiede nicht, weil sie die vielen Probleme 
einer Entwicklung nicht überschauen. Auch die heutigen Team- und 
Entwicklungsleiter tun das immer weniger, weil da öfters 
Wirtschafstingenieure oder ebenfalls schnell und kurz ausgebildete 
sitzen, die die einfachen Lösungen bevorzugen.

In den Firmen hat sich sehr simples Denken etabliert.

Ein Grund warum ich selbständig wurde!

Wenn ich mir das Getue um Prozesse, Verbesserungen, Arbeit 4.0 und 
Optimierung ansehe, bleibt einem gar nichts anderes mehr, als das System 
mitzugehen und die Methoden dort für sich zu nutzen! Und als Angehöriger 
der sogenannten Boomer-Generation bin ich für das Leben als 
Selbständiger bestens gerüstet!

Wir sind in den 1980ern aufgewachsen und haben unser Leben mit 
Telespielen verbracht. Dabei haben wir alles gelernt, was man so 
braucht:

Die Dinge in den Firmen laufen so wie bei Donkey Kong: Du rennst und 
rennst, bekommst aber von dem Oberaffen immer etwas auf den Kopf und 
zwischen die Beine geschmissen.

Wenn du dich bemühst, kollegial deine Arbeit zu machen, dann läuft es 
wie bei Choplifter: Du kannst zwar versuchen, durch Hilfestellung in 
Projekten andere Kollegen zu "retten", wirst aber von Panzern beschossen 
- d.h. du begibst dich selber in die Gefahr, ein Problem zu bekommen, 
weil du scheinbar nicht optimal performst!  Als Konsequenz habe ich 
gelernt, zuzusehen, dass ich meinen Kram erledigt bekomme und mich nur 
soweit um andere kümmere, soweit es für mich ungefährlich ist.

Was das tägliche Arbeiten anbelangt, reichen die Erkenntnisse von 
PACMAN: Man muss ab und zu eine Pille schlucken, um den bösen Geistern 
zu entgehen.

Als finale Lösung des idealen Arbeitens in der Selbständigkeit dient die 
Vorlage von FROGGER: Man schwimmt immer mit der Firma mit, die gerade 
auftaucht und beobachtet, wo der nächste Baumstamm ist, der einen 
weitertragen kann, bevor der eigene wieder abtaucht und man nasse Füsse 
bekommt.

Von daher heißt es ab Mai: Tschüss Siemens und Aloa [Name des neuen 
Baumstamms]

von Niklas G. (erlkoenig) Benutzerseite


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A. F. schrieb:
> weil sie die vielen Probleme
> einer Entwicklung nicht überschauen

Ich hatte schon das Gefühl dass zumindest in einigen der Firmen durchaus 
kompetente Leute arbeiten, die auch an komplexen Themen arbeiten. Aber 
die Bezahlung ist dann trotzdem nicht unbedingt gut. Vielleicht 
(er)kennen die auch nur den eigenen Wert nicht?

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