Hallo zusammen, nachdem ich gerade eine ausführliche Bewerbungsphase hinter mir habe möchte ich hier gern ein paar Zahlen und Erfahrungen liefern, vielleicht sind diese ja für den ein oder anderen Jobsuchenden hilfreich. Rahmendaten: - Bereich: Embedded Software-Entwicklung - Standort: München - Berufserfahrung: 4,9 Jahre (wurde immer großzügig auf 4 abgerundet) - Qualifikation: M.Sc. Informatik, Spezialisierung Embedded Systems - Wechselgrund: Betriebsbedingte Kündigung Ein paar Zahlen: - Insgesamt Kontakte/Bewerbungen: 31 - Davon finale Angebote: 3 - Von mir abgelehnt: 10 - Von der Firma abgelehnt: 10 - Keine Rückmeldung bekommen (Ghosting): 8 - Ausgeschriebene Stellen in der Stadt mit grob passendem Profil: >500 - Anschriften durch Recruiter auf Xing: 15 - Anschriften durch Recruiter auf LinkedIn: 5 - Vermittlung durch Bekannte: 2 - Initialbewerbungen: 8 - Angebotene Gehaltsspanne: 60k - 100k - Branchen: Industrie, IoT, Automotive, Medizintechnik, Halbleiter Erfahrungen: Teilweise widersprüchlich. Viele Firmen suchen "dringend" Embedded SW-Entwickler. Man hört dass es auf manche Stellen gar keine Bewerber gibt, und auf viele Stellen nur ganz wenige Bewerber. Viele Stellen sind sehr lange ausgeschrieben, auch nach Ablehnung durch die Firma. Gleichzeitig antworten viele Firmen aber nie oder nur sehr spät auf Bewerbungen. Gehaltsverhandlungen sind auch eher zäh (s.u.). Die meisten Firmen machen 3 und mehr Bewerbungsgespräche. Dazu kommen Probe-Hausaufgaben oder Probe-Arbeitstage. Dadurch zieht sich der Prozess auf mindestens 2 Monate. Dann soll man aber innerhalb weniger Tage selbst zusagen (während man in anderen Firmen noch in Bewerbungsrunden steckt). Die Unzahl an Gesprächen ist sehr Zeit- und Kräfteraubend, neben einem ungekündigten Arbeitsverhältnis wäre es praktisch nicht machbar. Immerhin geben die Gespräche durchaus die Möglichkeit einen etwas krummen Lebenslauf zu erläutern. Recruiter: Wie zu sehen ist kamen viele Kontakte über Anschriften durch Recruiter zustande. Dies lief oft überraschend gut - die Recruiter kennen sich (mittlerweile?) durchaus mit der Branche aus und vermitteln größtenteils gut passende Stellen. Sich über Recruiter zu bewerben vereinfacht den Ablauf - die Recruiter haben den direkten Draht zur Firma und können dort Druck machen, zeitnah zu reagieren (statt die Bewerbung Monate liegen zu lassen), und weil deren Provision ein Prozentsatz des Jahresgehalts ist, haben sie auch ein Interesse daran ein gutes Gehalt auszuhandeln. Außerdem sind einige Stellen überhaupt nicht öffentlich ausgeschrieben sondern werden nur durch Recruiter besetzt; somit lohnt es sich durchaus, sein Xing/LinkedIn Profil auszufüllen und Anschriften entgegen zu nehmen. Es ist allerdings anstrengend, sich am Telefon von mehreren Recruitern am Tag stundenlang anhören zu müssen, wie toll Firma XY ist. Gehalt: Die Gehaltsspanne der Angebote ist sehr groß (zwischen 60k und 100k). Mit den meisten Firmen kann man zwar verhandeln, aber es lässt sich nicht viel machen. Manche schicken auch direkt die Absage nach Angabe des Gehaltswunschs, ohne Verhandeln. Mitzuteilen, dass man bereits bessere Angebote in Aussicht hat, hilft nur sehr begrenzt. Die meisten Firmen haben sehr fixe Gehaltsstrukturen. Im Endeffekt ist das Gehalt nur eine Funktion der Berufsjahre, wie im ÖD. Eine oft genannte Zahl war 85k (reicht in München so gerade für eine Zweizimmerwohnung). Das finde ich schon etwas schade, weil man abseits von beruflicher Tätigkeit ja durchaus auch Erfahrungen sammeln kann (Hobby, extrakurrikuläre Tätigkeiten, Studienprojekte), und Talent und Leidenschaft sich ja durchaus unterscheiden. Dadurch gibt es im Endeffekt keinen Anreiz für persönliche Entwicklung und besonderes Engagement - man bekommt dadurch auch nicht mehr. Entwicklungsmöglichkeiten: Die fixe Gehaltsstruktur widerspricht besonders dem Leistungsdruck, welchen man im Studium erfährt, gute Noten zu bekommen - das ist letztendlich alles unerheblich. Ich habe das Gefühl, dass gerade die Embedded-SW-Entwicklung von den Firmen als Fließbandarbeit gesehen wird - es gibt kein Gefühl und Verständnis für die Qualität der Arbeit, daher bekommen alle das Gleiche. Dem Hörensagen nach ist das in "klassischer" Software-Entwicklung (z.B. Web oder Java Enterprise -Entwicklung) anders, dort wird Talent eher gesehen. Es ist keine neue Erkenntnis, dass es gerade unter Software-Entwicklern eine sehr große Spanne an Fähigkeitsleveln gibt. Es ist schwierig Stellen mit technisch interessanten Aufgaben im Embedded-Bereich zu finden - die besten Chancen hat man hier in Startups, weil man hier auch das Entwicklungstempo und Arbeitsweise mit selbst bestimmen kann. Qualifikation und was gesucht ist: Für die Firmen der wichtigste Punkt sind die Jahre an Berufserfahrung mit bestimmten Technologien. Sie haben dabei oft sehr genaue Vorstellungen welche Tools man beherrschen soll. Man kennt GitLab, aber Bitbucket ist gefordert? Schwierig. Gleiches gilt für Mikrocontroller (STM32 oder LPC?), Bustechnologien (CANopen oder J1939?), Programmiersprachen etc. Oft ist gewünscht, dass man bereits viele Jahre Erfahrung mit einer bestimmten Technologie hat - das ist aber kaum zu erfüllen wenn man mehrere Wechsel gemacht hat (wofür es viele Gründe gibt, die man nicht immer selbst in der Hand hat), weil man hintereinander kaum Firmen findet die genau den gleichen Technologie-Stack nutzen. Formale Qualifikation, also Studium, Abschluss (Bachelor vs. Master), Noten, Zeugnisse, Fächer/Spezialisierung im Studium, extrakurrikuläre Tätigkeiten (z.B. Formula Student) hingegen sind unwichtig. Gleichs gilt für (online einsehbare) Open-Source-Projekte/Beiträge. Es ist schwierig die eigenen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Die üblichen Tipps (das Anschreiben an die Firma anpassen etc.) spare ich mir hier, aber ein kleiner Trick hat gute Dienste geleistet: Eine "generische" Bewerbungsmappe (Anschreiben, Lebenslauf, Zeugnisse) als einzelnes PDF zusammenstellen, auf einen Clouddienst der Wahl hochladen, und einen Link dazu an alle Anschriften auf Xing/LinkedIn schicken. Die Recruiter können gut damit arbeiten, und man kann die Datei auch nachträglich noch ändern/korrigieren (sofern sich dadurch nicht der Link ändert). Die Bewerbung kann man gut auf Englisch schreiben, die meisten Firmen (bis auf eine) hatten damit kein Problem, einige Firmen arbeiten sowieso komplett auf Englisch. Natürlich muss man sowieso bereit sein die Gespräche auf Englisch zu führen. Im Endeffekt habe ich etwas gutes gefunden, denke ich, aber einfach war es nicht und der Erfolg alles andere als garantiert. Dennoch lief es besser als bei ebenfalls gekündigten Kollegen, welche trotz Kenntnissen in aktuellen Hype-Branchen (KI, ML, IoT) mehr Schwierigkeiten haben, was mich auch sehr überrascht.
> Ich habe das Gefühl, dass gerade die Embedded-SW-Entwicklung > von den Firmen als Fließbandarbeit gesehen wird Ich bin natuerlich parteiisch, aber mein Eindruck es ist 10x besser Hardware zu machen als Software. Ein Beispiel: Schaltung XY hat ein Problem: Loesung A: Hardwareentwickler kann es mit einem neuen Bauteil loesen. Eigentlich 1h Arbeit. Aber neues Layout, neue Zertifzierung A, B ,C (jeweils so 10-50kEuro), Wiederholung diverse Tests, interessante Kundengespraeche weil Produkt 1-3Monate spater fertig. Loesung B: Programmier programmiert sich 1Woche den Hintern wund bis es trotzdem geht. Welche Loesung wird gewaehlt? .-) Vanye
Niklas G. schrieb: > - Anschriften durch Recruiter auf Xing: 15 > - Anschriften durch Recruiter auf LinkedIn: 5 > - Vermittlung durch Bekannte: 2 > - Initialbewerbungen: 8 Wie viele hätten denn jeweils davon zu einem Vertrag geführt, wenn du nicht abgelehnt hättest? Oliver
Vanye R. schrieb: > Aber neues Layout, neue Zertifzierung A, B ,C > (jeweils so 10-50kEuro), Wiederholung diverse Tests Klingt nach langweiliger Fleißarbeit. Vanye R. schrieb: > interessante > Kundengespraeche Kundengespräche können auch oft ein nerviger Eiertanz sein. Vanye R. schrieb: > Loesung B: Programmier programmiert sich 1Woche den Hintern wund bis es > trotzdem geht. Eine clevere Softwarelösung welche die Möglichkeiten der Hardware maximal ausnutzt zu finden kann eine interessante Herausforderung sein. Und daher... Vanye R. schrieb: > Ich bin natuerlich parteiisch, aber mein Eindruck es ist 10x > besser Hardware zu machen als Software. ... ist das doch stark Geschmackssache und sowieso nicht pauschal zu sagen. Oliver S. schrieb: > Wie viele hätten denn jeweils davon zu einem Vertrag geführt, wenn du > nicht abgelehnt hättest? Kann man nicht sagen, viele hab ich relativ früh abgelehnt weil diverse Rahmenbedingungen nicht passten. Von den finalen 3 Angeboten habe ich natürlich 2 abgelehnt, obwohl es eben kurz vorm Vertrag war.
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Danke für die schöne Zusammenstellung deiner Erfahrungen. Ich suche zwar gerade nicht, aber ich finds immer mal interessant zu hören, wie das aktuell bei anderen so abläuft. Waren das bei dir alles eher größere Firmen? Oder hast du diese eher "harten" Strukturen auch bei kleineren Firmen beobachten können?
A. D. schrieb: > Waren das bei dir alles eher größere Firmen? Es war alles dabei. A. D. schrieb: > Oder hast du diese eher "harten" Strukturen auch bei kleineren Firmen > beobachten können? Teilweise auch da, ja
Niklas G. schrieb: > Ein paar Zahlen: > - Insgesamt Kontakte/Bewerbungen: 31 > - Davon finale Angebote: 3 > - Von mir abgelehnt: 10 > - Von der Firma abgelehnt: 10 Das ist für mich, vielleicht auch wegen der Reihenfolge, etwas unverständlich. Was meinst du mit finalen Angeboten? Angebote, die du oder die Firma nicht abgelehnt haben?
Reinhard S. schrieb: > Was meinst du mit finalen Angeboten Vertragsangebote, wo ich nur noch hätte unterschreiben müssen. Reinhard S. schrieb: > Angebote, die du oder die Firma nicht abgelehnt haben? Angebote, wo die Firmen nach allen Bewerbungsrunden nicht abgelehnt haben. Ich habe dann natürlich 2 davon abgelehnt und eins angenommen. Ich hatte natürlich mehrere Prozesse parallel - bei sukzessiven Bewegungen hätte man wahrscheinlich nur ein finales Angebot und würde das wohl annehmen, statt an dem Punkt noch abzulehnen.
Niklas G. schrieb: > ass gerade die > Embedded-SW-Entwicklung von den Firmen als Fließbandarbeit gesehen wird > - es gibt kein Gefühl und Verständnis für die Qualität der Arbeit, daher > bekommen alle das Gleiche. Das liegt daran, dass dieser Bereich von vielen Möchtegerns überflutet ist und der Begriff "embedded" überhaupt nichts sagt. Die Firmen haben sich daran gewöhnt, dass sie massenhaft Leute von den Unis und aus dem Ausland bekommen und sehr wenig bezahlen müssen. Gleichzeitig haben sie sich an die geringe Ausbildungsqualität gewöhnt und sehen keinen Unterschied mehr zwischen erfahrenen Entwicklern, mit einem Uniabschluss und den bachlern aus der dualen Hochschule. Sie erkennen einfach die Unterschiede nicht, weil sie die vielen Probleme einer Entwicklung nicht überschauen. Auch die heutigen Team- und Entwicklungsleiter tun das immer weniger, weil da öfters Wirtschafstingenieure oder ebenfalls schnell und kurz ausgebildete sitzen, die die einfachen Lösungen bevorzugen. In den Firmen hat sich sehr simples Denken etabliert. Ein Grund warum ich selbständig wurde! Wenn ich mir das Getue um Prozesse, Verbesserungen, Arbeit 4.0 und Optimierung ansehe, bleibt einem gar nichts anderes mehr, als das System mitzugehen und die Methoden dort für sich zu nutzen! Und als Angehöriger der sogenannten Boomer-Generation bin ich für das Leben als Selbständiger bestens gerüstet! Wir sind in den 1980ern aufgewachsen und haben unser Leben mit Telespielen verbracht. Dabei haben wir alles gelernt, was man so braucht: Die Dinge in den Firmen laufen so wie bei Donkey Kong: Du rennst und rennst, bekommst aber von dem Oberaffen immer etwas auf den Kopf und zwischen die Beine geschmissen. Wenn du dich bemühst, kollegial deine Arbeit zu machen, dann läuft es wie bei Choplifter: Du kannst zwar versuchen, durch Hilfestellung in Projekten andere Kollegen zu "retten", wirst aber von Panzern beschossen - d.h. du begibst dich selber in die Gefahr, ein Problem zu bekommen, weil du scheinbar nicht optimal performst! Als Konsequenz habe ich gelernt, zuzusehen, dass ich meinen Kram erledigt bekomme und mich nur soweit um andere kümmere, soweit es für mich ungefährlich ist. Was das tägliche Arbeiten anbelangt, reichen die Erkenntnisse von PACMAN: Man muss ab und zu eine Pille schlucken, um den bösen Geistern zu entgehen. Als finale Lösung des idealen Arbeitens in der Selbständigkeit dient die Vorlage von FROGGER: Man schwimmt immer mit der Firma mit, die gerade auftaucht und beobachtet, wo der nächste Baumstamm ist, der einen weitertragen kann, bevor der eigene wieder abtaucht und man nasse Füsse bekommt. Von daher heißt es ab Mai: Tschüss Siemens und Aloa [Name des neuen Baumstamms]
A. F. schrieb: > weil sie die vielen Probleme > einer Entwicklung nicht überschauen Ich hatte schon das Gefühl dass zumindest in einigen der Firmen durchaus kompetente Leute arbeiten, die auch an komplexen Themen arbeiten. Aber die Bezahlung ist dann trotzdem nicht unbedingt gut. Vielleicht (er)kennen die auch nur den eigenen Wert nicht?
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