Forum: Analoge Elektronik und Schaltungstechnik Kurzschlussinduktivität != Streuinduktivität?


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von Luca E. (derlucae98)


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Hallo zusammen,

bisher habe ich die (primäre) Streuinduktivität eines Übertragers - wie 
in der einschlägigen Literatur - durch Kurzschließen der 
Sekundärwicklungen gemessen und umgekehrt für die sekundäre 
Streuinduktivität die Primärwicklung kurzgeschlossen.

Nun bin ich auf folgenden Wikipediaartikel gestoßen: 
https://de.wikipedia.org/wiki/Kurzschlussinduktivit%C3%A4t Dort heißt 
es: "Die Kurzschlussinduktivität ist in der Elektrotechnik die 
Induktivität eines Transformators, wie sie von einer Seite aus, der 
Primärseite oder der Sekundärseite des Transformators, gemessen wird, 
wobei die andere Seite kurzgeschlossen ist. Dieser Wert wird oft mit der 
Streuinduktivität des Transformators verwechselt."

Aus den genannten Gleichungen ergibt sich:
Für den realistischen Fall, dass die Kurzschlussinduktivität deutlich 
kleiner als die Leerlaufinduktivität ist, gilt dann:

Misst die ganze Welt die Streuinduktivität falsch oder ist der 
Wikipediaartikel einfach irreführend? Der Begriff 
Kurzschlussinduktivität taucht auch nur in ein paar EM-Skripten auf.

von Uwe (neuexxer)


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Von dem oft verwendeten Ersatzschaltbild, wie unter

https://www.elektro.net/media/format/rdy6GQ5S1L/huethigGridFull/a65ee026/DE_2023_3_MvM22_Baral_Bild%203_MD.jpg

ausgehend:

Angenommen, Primär- und Sekundärwicklungen sind auch mechanisch GENAU
gleich, also auch nebeneinander (nicht übereinander!) angeordnet,
dann sind die Reihenimpedanzen genau gleich.
Lässt man die Hauptimpedanz ausser Acht, ergibt sich dann der
Faktor 1/2;
Kurzschluss- und Leerlaufversuch ergteben von beiden Seiten dasselbe.

von Luca E. (derlucae98)


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Uwe schrieb:
> Angenommen, Primär- und Sekundärwicklungen sind auch mechanisch GENAU
> gleich, also auch nebeneinander (nicht übereinander!) angeordnet,
> dann sind die Reihenimpedanzen genau gleich.
> Lässt man die Hauptimpedanz ausser Acht, ergibt sich dann der
> Faktor 1/2;
> Kurzschluss- und Leerlaufversuch ergteben von beiden Seiten dasselbe.

Also gilt die Gleichung nur für diesen einen Fall?

Meine Frage zielt hierauf ab: Ich möchte die sekundäre Streuinduktivität 
gerne recht genau messen, da sie bei einem hartschaltenden Flusswandler 
mit den Kapazitäten der sekundären Gleichrichterdioden zu einer 
Oszillation führt. Um den Snubber für die Dioden auszulegen, benötige 
ich den Wert der Streuinduktivität.

Benutze ich nun die Kurzschlussinduktivität oder die Hälfte davon?

von R. L. (roland123)


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Luca E. schrieb:
> Ich möchte die sekundäre Streuinduktivität
> gerne recht genau messen, da sie bei einem hartschaltenden Flusswandler
> mit den Kapazitäten der sekundären Gleichrichterdioden zu einer
> Oszillation führt.
zeichne mal im Schaltplan (mit dem Ersatzschaltbild des Trafos den Cs 
der Dioden) den Schwingkreis ein. Ich denke, dass die sekundäre 
Streuinduktivität dabei entweder in Reihe mit primären Streuinduktivität 
oder der Hauptinduktivität liegt.

von Dieter D. (Firma: Hobbytheoretiker) (dieter_1234)


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von Rolf (rolf22)


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Luca E. schrieb:
> Für den realistischen Fall, dass die Kurzschlussinduktivität deutlich
> kleiner als die Leerlaufinduktivität ist, gilt dann:
> Lσ≈Lkurz2 L_\sigma \approx \frac{L_\mathrm{kurz}}{2}
>
> Misst die ganze Welt die Streuinduktivität falsch oder ist der
> Wikipediaartikel einfach irreführend?

Die Formel mit dem Faktor 0,5 steht nicht in dem WP-Artikel. Wo kommt 
das her?
In dem Artikel steht jedenfalls dies:
"Da für die Verlustabschätzung die Verteilung der Streuinduktivität auf 
Primär- und Sekundärseite häufig unerheblich ist, wird von 
Transformatorherstellern oft auch nur die gesamte Streuinduktivität als 
Kurzschlussinduktivität Lk angegeben, welche der Induktivität Lkurz 
entspricht."

von Luca E. (derlucae98)


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Rolf schrieb:
> Die Formel mit dem Faktor 0,5 steht nicht in dem WP-Artikel. Wo kommt
> das her?

Näherung der Wurzel über die Taylor-Reihe für L_kurz / L_offen << 1

von Dieter D. (Firma: Hobbytheoretiker) (dieter_1234)


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von Uwe (neuexxer)


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>> Kurzschluss- und Leerlaufversuch ergteben von beiden Seiten dasselbe.

> Also gilt die Gleichung nur für diesen einen Fall?

Ich hatte nur den Spezialfall betrachtet:
Primär- und Sekundärwicklung elektrisch UND mechanisch gleich.

Im allgemeinen Fall muss man natürlich die Streuinduktivitäten
getrennt berücksichtigen und auf eine Seite beziehen;
die Hauptreaktanz kommt dann hinzu.

von Rolf (rolf22)


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Luca E. schrieb:
> Näherung der Wurzel über die Taylor-Reihe für L_kurz / L_offen << 1

???
Setz mal in die Ausgangsformel L_kurz/L_offen = 10 hoch minus 10 ein. 
Was kommt dann raus? ;-)

von Giovanni (sqrt_minus_eins)


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Ich glaube es ist nicht möglich messtechnisch die Werte der einzelnen 
Streuinduktivitäten zu ermitteln.

Die Frage ist überhaupt zu welchem Zweck? Der Strom über Lσ1 geht auch 
über Lσ2, da die Hauptinduktivität viel viel größer ist. Daher ist immer 
nur die Summe der beiden von Bedeutung.

Ein Schaltplan/Skizze der Anwendung wäre für die Diskussion nützlich 
(Frage wurde schon gestellt).

Je nach Aufbau dieses Trafos (den keiner kennt) kann es auch sein, dass 
System 1 mit System 2 direkt, also nicht über den Hauptfluss gekoppelt 
ist.

Diesen Eigenschaft führt in den Energietechnik beim 3-Wickler Trafo zu 
interessanten Effekten.

Tip of the day: Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte.

von Luca E. (derlucae98)


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Also gut, im Anhang ist besagter Flusswandler.

Der Übertrager hat folgende Parameter:

L_offen,pri = 2,9 mH
L_kurz,pri = 2,8 uH
L_offen,sek = 371 uH
L_kurz,sek = 412 nH

Ohne Snubber sind bei den Schaltvorgängen Oszillationen auf der 
Sekundärseite sichtbar. Oszibild 1 zeigt in gelb die Drainspannung von 
Q7, in blau die Spannung OUT1_T zu OUT1_GND.

Oszibild 2 zeigt die Oszillation vergrößert.

Ich habe L_streu mit Hilfe von zwei Messungen ermittelt. Einmal ohne 
Snubber (Bild 2): Resonanzfrequenz = 18,24 MHz. In der zweiten Messung 
(Bild 3) habe ich den Schwingkreis mit einem zusätzlichen Kondensator 
(C42 = 220 pF, R54 = 0 Ohm) verstimmt. Das ergibt eine Resonanzfrequenz 
von 13,47 MHz. Mit den beiden Messungen können L_streu und die 
parasitäre Kapazität bestimmt werden:

L_streu = 288 nH
C_parasitär = 264 pF

Die Messung zeigt, dass L_streu ziemlich stark von L_kurz,sek abweicht.

Letztendlich reicht mir das, um den Snubber auszulegen. Oszibild 4: C42 
= 1 nF und R54 = 33 Ohm dämpft die Schwingung.

Ich versuche nur den Zusammenhang zwischen Kurzschlussinduktivität und 
Streuinduktivität zu verstehen. Die Annahme L_streu = L_kurz scheint 
dann ja offenbar wirklich nicht zu gelten.

von Giovanni (sqrt_minus_eins)


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für mich soweit OK.

wenn man die 100µH am Ausgang auch berücksichtigt, dann komme ich auf 
Cx=186pF (parasitär) und mit zusätzlich C42=220pF dann auf eine Frequenz 
von 12.3MHz.
Das ist genauer als erwartet.

Alles sehr vereinfacht:
* Primärseite mit Spannungsquelle
* parasitäre Kapazität sekundär angenommen
* Kondensatorbatterie am Ausgang C=+Inf

von Dieter (degen)


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