Forum: Analoge Elektronik und Schaltungstechnik Wie EMV-Filter für Traktions-Inverter auslegen?


von Ralf H. (dacula)


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Hallo Leute,

ich habe jetzt wirklich viel recherchiert und bin dennoch auf keinen 
grünen Nenner gekommen. Daher bitte ich um Hilfe.

Vorab: Ich habe schon viele BLDC Treiberstufen für hochpräzise 
Anwendungen/Manipulation entwickelt und auch durch EMV-Tests (also mit 
Brief und Siegel nach allen erdenklichen Industrie/Medizin/... Normen) 
gebracht. Teils sogar mit GaN-FETs und > 100kHz PWM Frequenz. Diese 
waren alle <= 500W.
Alle diese Endstufen hatten ordentlich ausgelegte Common Mode und 
Differential Mode Filter in der Versorgung, ordentlich bemessene 
Bulk/DC-Link-Kondensatoren, Snubber (RC oder RCD) und Ausgangs-Filter 
(je nachdem Ferrite, LC, oder bewickelte Ringkerne (als drei Phasen 
Common Mode)).

Mein Problem:
Jetzt soll ich aber einen 5-15kW Inverter für 48V entwickeln. Dieser 
soll eine u.A. eine spezielle Geometrie für eine 
Spezialanwendung/Einbauort bekommen.
Mein Problem ist jetzt aber der EMV-Schutz. 5-15kW bei 48V sind schnell 
100-300A. Dafür gibt es keine StroKos, Ferrite o.Ä. von der Stange...

Gut dachte ich mir, ich bin ja nicht der erste, der sowas macht. Und 
siehe da, diverse kaufbare Inverter, die ich gefunden habe, besitzen 
keinen wirklichen EMV-Filter im Gerät, verweisen aber in ihrer Doku 
darauf, das man Chokes und Filter in die Versorgung und/oder Phase 
bringen muss. Also haben sie das Problem ausgelagert...
Beispiel: OMROM MX2 - gleich schon im Schaubild auf der ersten Seite: 
https://files.omron.eu/downloads/latest/datasheet/en/i115e_mx2-ev2_-_variable_speed_drives_datasheet_en.pdf 
AC-Reaktor (also Drossel), Filter, Choke - alles in der externen 
Beschaltung.

Ich habe auch diverse neumodische "Teardowns" von diversen 
Traktionsinvertern von E-Autos und BSG-Invertern (also diese 
aufgebohrten "Lichtmaschinen" aka 48V-Mild-Hybrid) mir angesehen. Und 
siehe da, auch diese haben keine Filter. Da kommt es aber sogar noch 
dicker: Die Kapazität ist oft wirklich klein bemessen für die 
Ausgangsleistung (der Tesla Model 3 (Nur als Beispiel, bin kein 
"Fanboy"!) hat zum Beispiel "nur" 550µF an Folie bei >=190kW 
Motorleistung). Ich habe damals mal gelernt (und die Tests haben das 
bestätigt), das dieser so bemessen sein muss, das der Rippel auf der 
Zuleitung "klein" bleibt und mind. 50% des Puls-Stroms tragen muss. 
Okay, die Folien-Kondensatoren haben einen irrsinnig hohen Peak-Strom so 
dass das vermutlich gegeben ist, aber der Rippel auf die HV-Versorgung 
wird doch sicherlich deutlich über 20% so liegen. Und Induktive Bauteile 
sind dort, oder besser im ganzen Auto zwischen Batterie und Motor nicht 
verbaut. Noch dazu sind die Geräte in Alu-Gehäusen und in keinen 
Mu-Metallen verpackt und die HV-Kabel sind nicht geschirmt...

Wie bekommt man also ein EMV-gerechtes Produkt hin, wenn man auf diese 
Filter verzichtet? Das in der Industrie Filter und Co extern verbaut 
werden ist ja okay, aber im Auto wird darauf ja offensichtlich 
verzichtet.

von Armin X. (werweiswas)


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Ralf H. schrieb:
> hat zum Beispiel "nur" 550µF an Folie bei >=190kW Motorleistung).

Der restliche Peak wird da eben durch die Batterie abgefangen.
In netzgespeisten Frequenzumrichtern müssen ja die Eingangsseitigen 
Kondensatoren auch den verbleibenden Netzrippel mit ausgleichen.

von Uwe (uhi)


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Ralf H. schrieb:
> die HV-Kabel sind nicht geschirmt

Es sind auch geschirmte HV-Leitungen in Umlauf, kann mir vorstellen dass 
das ein wesentliches Element für die EMV ist.

von Falk B. (falk)


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Ralf H. schrieb:

> Vorab: Ich habe schon viele BLDC Treiberstufen für hochpräzise
> Anwendungen/Manipulation entwickelt und auch durch EMV-Tests (also mit
> Brief und Siegel nach allen erdenklichen Industrie/Medizin/... Normen)
> gebracht. Teils sogar mit GaN-FETs und > 100kHz PWM Frequenz. Diese
> waren alle <= 500W.

Klingt schon mal nach jemanden, der weiß was er tut.

> Jetzt soll ich aber einen 5-15kW Inverter für 48V entwickeln. Dieser
> soll eine u.A. eine spezielle Geometrie für eine
> Spezialanwendung/Einbauort bekommen.
> Mein Problem ist jetzt aber der EMV-Schutz. 5-15kW bei 48V sind schnell
> 100-300A. Dafür gibt es keine StroKos, Ferrite o.Ä. von der Stange...

Kann man bauen lassen, es gibt dafür viele Firmen. 
Kupferhochkantwicklung ist eines der Zauberwörter. Gibt es teilweise 
auch schon fertig, aber 300A vermutlich nicht.

> Ich habe auch diverse neumodische "Teardowns" von diversen
> Traktionsinvertern von E-Autos und BSG-Invertern (also diese
> aufgebohrten "Lichtmaschinen" aka 48V-Mild-Hybrid) mir angesehen. Und
> siehe da, auch diese haben keine Filter.

Naja, scheint der Standardansatz zu sein. oder?

> Da kommt es aber sogar noch
> dicker: Die Kapazität ist oft wirklich klein bemessen für die
> Ausgangsleistung (der Tesla Model 3 (Nur als Beispiel, bin kein
> "Fanboy"!) hat zum Beispiel "nur" 550µF an Folie bei >=190kW
> Motorleistung).

Zum puffern der Schaltflanken reicht das. Der NF-Ripple der 
Schaltfrequenz geht 1:1 zum Akku.

> Ich habe damals mal gelernt (und die Tests haben das
> bestätigt), das dieser so bemessen sein muss, das der Rippel auf der
> Zuleitung "klein" bleibt und mind. 50% des Puls-Stroms tragen muss.

Du meinst wohl maximal.

> Okay, die Folien-Kondensatoren haben einen irrsinnig hohen Peak-Strom so
> dass das vermutlich gegeben ist, aber der Rippel auf die HV-Versorgung
> wird doch sicherlich deutlich über 20% so liegen. Und Induktive Bauteile
> sind dort, oder besser im ganzen Auto zwischen Batterie und Motor nicht
> verbaut.

Die Leitung ist die Drossel ;-)

> Noch dazu sind die Geräte in Alu-Gehäusen und in keinen
> Mu-Metallen verpackt und die HV-Kabel sind nicht geschirmt...

Wozu Mu-Metall? Das braucht man bei den Frequenzen keine Sekunde. Wir 
reden übe kHz-MHz. Da braucht man (nur) gut leitfähige metalle und 
Kontaktierung. Alu reicht. Mu-Metall war mal in der Zeit der 
Röhrenmonitore für Spezialanwendungen und 50Hz Schirmung ein Thema.

> Wie bekommt man also ein EMV-gerechtes Produkt hin, wenn man auf diese
> Filter verzichtet?

Kommt auf die Normvorgaben an. Wie lauten die?

> Das in der Industrie Filter und Co extern verbaut
> werden ist ja okay, aber im Auto wird darauf ja offensichtlich
> verzichtet.

Naja, du hast ja kein Netz, das dur stören kannst (leitungsgebundene 
Emission, 150kHz-30MHz). Und die feldgebundenen Störungen musst du so 
weit wie möglich an der Quelle (Inverter) abfangen. Gutes Gehäuse und 
Y-Kondensatoren. Ich hab aber exakt NULL Ahnung von EMV-Normen im 
Automotive-Bereich ;-)

von Matthias S. (Firma: matzetronics) (mschoeldgen)


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Auf der Ausgangsseite ist bei E-Autos der Motor die Drossel. Der Motor 
an sich verhindert steile Flanken, weil da immer Induktivitäten drin 
sind und rundet die Flanken der PWM Steuerung.

: Bearbeitet durch User
von Falk B. (falk)


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Matthias S. schrieb:
> Auf der Ausgangsseite ist bei E-Autos der Motor die Drossel. Der Motor
> an sich verhindert steile Flanken, weil da immer Induktivitäten drin
> sind und rundet die Flanken der PWM Steuerung.

Das ist nur die halbe Wahrheit. Denn die Drosseln verlangsamen nur den 
Stromanstieg. Der Spannungsanstieg ist ohne Zusatzmaßnahmen 
rattenschnell, vor allem bei modernen Leitungshalbleitern, und koppelt 
massiv kapazitiv überall hin aus, wenn man nix dagegen tut!

von Hans W. (Firma: Wilhelm.Consulting) (hans-)


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Falk B. schrieb:
> Matthias S. schrieb:
>> Auf der Ausgangsseite ist bei E-Autos der Motor die Drossel. Der Motor
>> an sich verhindert steile Flanken, weil da immer Induktivitäten drin
>> sind und rundet die Flanken der PWM Steuerung.
>
> Das ist nur die halbe Wahrheit. Denn die Drosseln verlangsamen nur den
> Stromanstieg. Der Spannungsanstieg ist ohne Zusatzmaßnahmen
> rattenschnell, vor allem bei modernen Leitungshalbleitern, und koppelt
> massiv kapazitiv überall hin aus, wenn man nix dagegen tut!

Vor allem macht die wicklungskapazität für die Flanke die induktivität 
unwirksam... Vor allem wenn du etwas schnelleres als alte igbt 
verwendest, ist das ein Problem.

Ralf H. schrieb:
> Wie bekommt man also ein EMV-gerechtes Produkt hin, wenn man auf diese
> Filter verzichtet?

Filter sind nicht immer notwendig.... Es darf halt nicht abstrahlen.
Da kann die Geometrie schon reichen.
Ansonsten musst du dir eben die Komponenten ansehen und ünerlegen ob du 
überhaupt eine stroko brauchst (du hast ja nur 48V und keine 600.. damit 
ist das dU/dt potentiell gemütlich).

Du kannst als stroko auch einfach passende Kerne auf die Zuleitung 
schieben...ist halt nicht günstig.

73

von Matthias S. (Firma: matzetronics) (mschoeldgen)


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Es hat aber gar keinen Sinn, die PWM Frequenz unnötig hochzutreiben. 
Damit steigen die Verluste und die EMI und Vorteile hat es so gut wie 
gar keine.
Die alten DC-Controller z.B., wie in meinem E-Auto, arbeiten knapp unter 
20kHz und deswegen hält sich dort die EMI in engen Grenzen.
Also nicht 'rattenschnell', sondern einen vernünftigen Kompromiss 
nehmen.

von Pandur S. (jetztnicht)


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Wie ich mitbekommen habe, verteilt man die Funktionalitaet. Es geht 
darum, dass das Gesammtsystem micht mehr als (...) abstrahlen darf, resp 
(...) Einstrahlung vertragen muss. Der Ansatz, dass jede Gruppe besser 
als (...) sein muss, und somit Alles zusammen genuegt reicht nicht. Man 
muss das gesammte System betrachten. Das kann man auch so simulieren. 
CST, zusammen mit den ergaenzenden Tools von Dassault laesst ein ganzes 
Auto am Stueck simulieren.
Es geht dabei auch darum, dass der Drive Train mit 3x1000A die 
Sensorleitungen in der Naehe nicht stoert. In welcher Naehe. Resp die 
Sensorleitungen, welche die Motorsignale aufnehmen, sollen nicht das 
System  negativ beeinflussen.
Es geht vereinfacht darum, sowenig wie moeglich zu machen, indem man's 
am optimalen Ort macht. Das beinhaltet zB auch die Shield wirkung eines 
3fach Drahtschirms zu einem Folienschirm zu vergleichen.

Zur Frage. Ich habe schon Ring-Ferrite mit Armdurchmesser, gestackt, mit 
100^2 Litze drauf gesehen,

von Falk B. (falk)


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Matthias S. schrieb:
> Die alten DC-Controller z.B., wie in meinem E-Auto, arbeiten knapp unter
> 20kHz und deswegen hält sich dort die EMI in engen Grenzen.
> Also nicht 'rattenschnell', sondern einen vernünftigen Kompromiss
> nehmen.

Tja, dann denk mal über den Unterschied zwischen  Taktfrequenz und 
Anstiegszeit nach.

von Hans W. (Firma: Wilhelm.Consulting) (hans-)


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Matthias S. schrieb:
> die PWM Frequenz unnötig hochzutreiben

Naja, die PWM Frequenz ist nicht alles. Du musst auch die Flanken 
berücksichtigen. Je schneller du die Transistoren schalten kannst, desto 
weniger Verluste hast du üblicherweise.

Gut, direkt auf die wicklungskapazität schalten ist dann kontraproduktiv 
- aber man kann da ja was machen...

Übrigens: höhere Schaltfrequenz und schnelles schalten kann dir bei der 
EMV durchaus auch helfen. Doppelte Frequenz bedeutet halber 
induktivitätswert für die filterdrossel bei gleicher Impedanz.

Matthias S. schrieb:
> sondern einen vernünftigen Kompromiss
> nehmen.

So ist es!

73

von Lutz (lutz66)


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Matthias S. schrieb:
> Auf der Ausgangsseite ist bei E-Autos der Motor die Drossel. Der Motor
> an sich verhindert steile Flanken, weil da immer Induktivitäten drin
> sind und rundet die Flanken der PWM Steuerung.

Der Strom im Motor ist nicht der Strom zwischen Batterie und B6 Brücke, 
der Motorstrom fließt ja auch im Freilaufpfad der B6

von Lutz (lutz66)


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Hans W. schrieb:

>
> Übrigens: höhere Schaltfrequenz und schnelles schalten kann dir bei der
> EMV durchaus auch helfen. Doppelte Frequenz bedeutet halber
> induktivitätswert für die filterdrossel bei gleicher Impedanz.
>

Nicht wirklich, die Filter sind für die Schaltflanken, doppelte Frequenz 
verdoppelt die Anzahl der Schaltflanken, damit erhöhte EMV

Was hilft sind diese Frequenzshiftverfahren, wo die PWM nicht fix ist 
sondern variiert, dann verschleift die Messung in die Breite und wird 
niedriger

Aber es sind stromkompensierte Drossel im Inverter, allerdings nicht als 
Bauteil, sie sind Bestandteil vom design, d.h. die Bus Bars vom Stecker 
zum DC Link das sind kerne drüber, ist aber nichts von der Stange 
sondern immer angepasst auf die jeweilige Anwendung, zum Testen haben 
die Hersteller aber immer etwas womit man mal anfangen kann ohne direkt 
Werkzeuge erstellen zu lassen. Passt aber nicht für ein Seriendesign.

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