Forum: HF, Funk und Felder ESD verständnisfrage.


von Jens B. (sio2)


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hi,

Ich hab eine geeedete ESD Kiste für Kunststoffreste.
Wenn aufgeladene Reste in die Kiste fallen, wird die statische Aufladung 
ja über die Kiste abgeleitet.
Wenn die Kiste voller wird, entladen sich die Kunststoffreste über die 
bereits drinliegenden reste, oder isolieren die eher?

Gruss

von Lukas T. (tapy)


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Die bereits vorhandenen Teile isolieren unvollständig. Der 
Ladungsausgleich dauert länger und wird unvollständiger.

Das Ganze hängt natürlich auch ein bisschen von der Leitfähigkeit des 
Materials und der vorhandenen Ladung ab.

von Gunnar F. (gufi36)


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Jens B. schrieb:
> oder isolieren die eher

die isolieren eher.

von P. S. (namnyef)


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Jens B. schrieb:
> Wenn aufgeladene Reste in die Kiste fallen, wird die statische Aufladung
> ja über die Kiste abgeleitet.
Das ist schon der erste Denkfehler.

Ein Material kann deswegen eine hohe statische Aufladung erreichen, weil 
es eine geringe Leitfähigkeit hat. Das bedeutet, die Ladung fließt auch 
schlecht wieder ab, wenn sie einmal auf dem Material ist. Eine geerdete 
(und leitfähige?) Kiste leistet also kaum einen signifikanten Beitrag 
zum Abbau der Ladung, selbst wenn die Kiste aus blankem Metall wäre.

Eine leitfähige Kiste könnte als faradayscher Käfig höchstens die 
Umgebung vor den statischen Feldern des darin verstauten Materials 
schützen.

Natürlich können sich auch leitfähige Materialien aufladen. Diese würden 
dann auch bei Kontakt mit einem anderen leitfähigen Material einen 
Potentialausgleich anstreben. Aber das dürfte bei den meisten 
Kunststoffen eher nicht der Fall sein.

Damit beantwortet sich auch die zweite Frage: Ein Kunststoff, der sich 
stark auflädt, ist wahrscheinlich ein guter Isolator.

: Bearbeitet durch User
von Rainer W. (rawi)


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Jens B. schrieb:
> Wenn die Kiste voller wird, entladen sich die Kunststoffreste über die
> bereits drinliegenden reste, oder isolieren die eher?

Das kommt auf dein Raumklima und die Sauberkeit an.
Hast du dich nie mit Experimenten zur Elektrostatik beschäftig?

Sobald eine nennenswerte Luftfeuchte im Raum herrscht, bildet sich an 
der Oberfläche eine gewisse Leitfähigkeit.
Ausnahmen gibt es allenfalls bei sauberen, ausgesprochen hydrophoben 
Materialien. Da dauert es ein bisschen länger, bis sich ausreichend 
Umgebungsdreck auf der Oberfläche absetzt hat, so dass sich Wasserdampf 
anlagern kann und für eine ausreichende Oberflächenleitfähigkeit zur 
Ableitung statischer Elektrizität sorgt.

Was ist dein eigentliches Problem?

: Bearbeitet durch User
von Hp M. (nachtmix)


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Jens B. schrieb:
> Wenn die Kiste voller wird, entladen sich die Kunststoffreste über die
> bereits drinliegenden reste, oder isolieren die eher?

Die Reste können sich nur entladen, wenn sie leitfähig sind. Leitfähige 
Teile neigen aber nicht zur Aufladung.

Du könntest aber z.B. selbst aufgeladen sein (Gummisohlen) und 
leitfähigen Abfall, z.B. Papier, in die Kiste hineinwerfen.
Angenommen du hättest dich positiv aufgeladen, auf deiner Oberfläche 
wäre die Elektronendichte also geringer als auf deiner Umgebung (Erde).

Zunächst hat dann das Teil, das du in der Hand hältst, das gleiche 
Potential, wie du selbst, und wenn es deine Hand verlässt, nimmt es 
einen Teil der Gesamtladung (Elektronenmangel) mit.

Wäre die Kiste nicht geerdet, so würde sie sich bereits etwas positiv 
aufladen, noch bevor das Teil in der Kiste liegt.
Das liegt daran, dass die auf der (inneren) Oberfläche der Kiste 
befindlichen Elektronen von der positiven Ladung angezogen werden, und 
sich auf der Oberfläche von Leitern frei verschieben können.

Die Elektronen, die sich unter dem Stück Abfall versammeln, führen so zu 
einem Elektronenmangel auf der äußeren Oberfläche der Kiste und laden 
diese somit positiv auf.
Am Schluss fehlen der Kiste tatsächlich ein paar Elektronen, wenn sie 
bei Kontakt mit dem hineingeworfenen Teil auf dieses übergegangen sind 
und dessen Ladungsdefizit ausgeglichen haben.

Nun ist die Kiste aber geerdet, und so können immer genug Elektronen 
über den Erddraht kommen, um den auf der Aussenseite bestehenden Mangel 
und damit die Aufladung, zu beheben.

hth

: Bearbeitet durch User
von Rolf (rolf22)


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Hp M. schrieb:

>  wenn es deine Hand verlässt, nimmt es einen Teil der Gesamtladung
> (Elektronenmangel) mit.
> Wäre die Kiste nicht geerdet, so würde sie sich bereits etwas positiv
> aufladen, noch bevor das Teil in der Kiste liegt.

Da die Kiste ohne Berührung keine Elektronen aufnehmen oder abgeben 
kann, bleibt sie insgesamt gesehen ungeladen. Was passiert, ist, dass 
die dem positiv geladenen Teil näher liegende Zone der Kiste negativ(!) 
aufgeladen wird und eine andere zum Ausgleich dafür positiv. Influenz.

: Bearbeitet durch User
von Joachim B. (jar)


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Jens B. schrieb:
> Wenn aufgeladene Reste in die Kiste fallen, wird die statische Aufladung
> ja über die Kiste abgeleitet.

und Bauteile werden geschädigt!
Hatten wir mal in der Industrie, FET wurden gegurtet alle Beinchen 
kurzgeschlossen auf einer Rolle geliefert, es gab eine automatische 
Schnittmaschiene und die FET fielen in eine Auffangschale, sie waren 
aber durch die Rotation des Rollenabwicklers aufgeladen und nach dem 
Schnitt entluden sie sich hart in der Auffangschale. Es wurde ein 
Physiker eingestellt der untersuchen sollte wo die FET den Schaden 
bekamen.
Er ließ den Die freilegen und es wurden Beschädigungen am Die 
festgestellt, die Sperrwerte vom FET unterschritten 115k Ohm.

von Jens B. (sio2)


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Rainer W. schrieb:

> Was ist dein eigentliches Problem?

Dass ich nicht ganz verstehe wie das alles funzt, hätte eigentlich klar 
sein sollen^^

"Nichtleiter können sich nicht aufladen"
Ab wann sind es Nichtleiter? Was ist mit Luftballons?

Die Umgebung ist btw. Reinraum, aber mir geht es einfach nur um das 
kapieren wie die Ableitung der aufgeladenen Folien funktioniert und im 
allgemeinen.

Werfe ich die in eine pappkiste, dann fliegen die wieder raus, wenn die 
Kiste halbvoll ist.

@hp.m danke. Das klingt schon mal verständlich.

von Rolf (rolf22)


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Jens B. schrieb:
> "Nichtleiter können sich nicht aufladen"

"electron" ist die griechische Bezeichnung für den Nichtleiter 
Bernstein. Dass der sich beim Reiben mit einem Katzenfell oder 
bestimmten Tüchern auflädt, wusste man dort schon vor mindestens 2600 
Jahren. Man benutzte solche Steine als Staub anziehende Kleiderbürsten.

> Werfe ich die in eine pappkiste, dann fliegen die wieder raus, wenn die
> Kiste halbvoll ist.

Nicht, wenn du beim Reinwerfen genügend lange Pausen machst. Das 
Material ist ja kein idealer Nichtleiter, insbesondere seine Oberfläche 
ist nicht wirklich sauber und leitet deswegen etwas. Es fließt also 
etwas Strom über die Erdung, bis die Ladung verschwunden ist.

Manche Ladungen halten sich allerdings jahrelang, darauf beruht die 
Speicherfähigkeit von (Flash-)EProms.

von Bradward B. (Firma: Starfleet) (ltjg_boimler)


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Kommt auch darauf an, ob man positiv oder negativ geladene Reste 
reinwirft... und eine Ladungstrennung/Aufladung kann auch allein durch 
Luftbewegung enstehen bspw. in Cumulonimbus.

Luftfeuchte ist auch so ein Paramter.

von Mobile (mobileteser)


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Hier ein zugegeben etwas älteres ESD Schulungsvideo von Infineon:
https://www.youtube.com/watch?v=pdlArLPOv74
Aber die Physik ändert sich nicht...

: Bearbeitet durch User
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