Forum: Offtopic Warum sind Wikipedia Artikel zur Mathematik so komplett unverständlich?


von Tine S. (tine)


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http://de.wikipedia.org/wiki/Delta-Distribution

Muss das sein? Irgendwie gibt es zu mathematischen Themen keine 
Wikipediaeinträge mehr, die irgendwer nicht Mathe-studiertes verstehen 
würde. Weiß jemand wieso das so ist? Wieso gibt es nicht einfach einen 
Teil wo es für die Dummen mal ausführlich und verständlich beschrieben 
ist?

von Purzel H. (hacky)


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Die Delta Distribution ist ein eher abenteuerliches Konstrukt, ein 
Arbeitspferd der Physiker. Ist fuer normale Leute wahrscheinlich nicht 
brauchbar. Ich find den Artikel gut, etwas Vorbildung ist allerding 
noetig.

von Jens P. (Gast)


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Bei Wikipedia sind aber auch viel trivialere Dinge der Mathematik 
ziemlich verwirrend erklärt. Von Anfang bis Ende nur mathematisch zu 
beweisen und zu argumentieren bringt den Mathe-DAU der sich da etwas 
weiterbilden will kein Stück weiter.

von Rufus Τ. F. (rufus) Benutzerseite


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Bei wissenschaftlichen Texten kann es äußerst hilfreich sein, einen 
englischsprachigen Text zu lesen, vorausgesetzt, daß dieser nicht von 
jemandem mit deutschsprachiger Sozialisation verfasst wurde.

Warum?

Das liegt an Unterschied zwischen den akademischen Systemen im deutschen 
Sprachraum und im angelsächsischen Sprachraum. In ersterem ist ein 
wissenschaftlicher Text nur dann wissenschaftlich, wenn er so unlesbar 
wie nur irgend möglich verfasst wurde. In letzterem hingegen gibt es 
Leute wie z.B. Richard Feynman*, deren Vorlesungen und Texte so gut 
sind, daß davon Filme gedreht wurden und auch extradisziplinäre Leute 
sie freiwillig lesen.

Das liegt nicht an der Sprache allein; das auf Englisch verfasste "The 
Beauty of Fractals" von Peitgen/Richter ist leicht als von Deutschen 
verfasstes Buch zu erkennen: Es ist praktisch unlesbar.


*) http://de.wikipedia.org/wiki/Richard_Feynman

von Der S. (derschelm)


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Das hat Rufus jetzt leider mal recht. Ich würde sogar noch ein wenig 
weiter gehen und behaupten, dass Leute, die leicht verständlich 
schreiben nicht für voll genommen werden.

Es braucht schon eine gehörige Portion Selbstvertrauen, sich über diesen 
"wissenschaftlichen" Zwang hinwegzusetzen. Zum Grlück gibt es auch hier 
Ausnahmen, wenn ich auch leider keine bei der Hand habe. (Mein 
Nachrichtentechnikbuch von Lüke war so eine Ausnahme, aber ob es das 
noch gibt?). Aber wenn man noch ein paar Stufen auf der Karrieretreppe 
nehmen will, dann muss zum Selbstvertrauen auch noch Mut hinzukommen.

Idee: Ich habe oft den Eindruck, insbesondere bei Prototionen (sorry Ihr 
Doktors), dass sich hinter diesen ganzen Phrasen und Konstrukten sehr 
gut die Inhaltsleere verstecken lässt.

Fazit. Nichts ist so kompliziert, dass man es nicht noch etwas 
komplizierter machen kann.

Ciao
DerSchelm

von Karl H. (kbuchegg)


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Der Schelm schrieb:
> Das hat Rufus jetzt leider mal recht.

Yep.
Ich habe da eine Theorie.
amerik. Professoren sind durch die vielen Zuwanderer dran gewöhnt, dass 
sich unter den Hörern auch viele befinden, die nicht so gut Englisch 
sprechen und haben sich daran angepasst.

Es ist nämlich wirklich interessant, wie frappant unterschiedlich und 
gut verständlich amerik. Autoren (egal ob auf Uni oder nicht) schreiben 
können.

von M. S. (bugles)


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>Das liegt an Unterschied zwischen den akademischen Systemen im deutschen
>Sprachraum und im angelsächsischen Sprachraum. In ersterem ist ein
>wissenschaftlicher Text nur dann wissenschaftlich, wenn er so unlesbar
>wie nur irgend möglich verfasst wurde

Stimmt zu 100%. Langsam gibt es ja auch hier ein Umdenken, zumindest bei 
der Fachliteratur. Allerdings ist das bei vielen Profs. noch nicht 
angekommen.

von Arc N. (arc)


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Rufus t. Firefly schrieb:
> Bei wissenschaftlichen Texten kann es äußerst hilfreich sein, einen
> englischsprachigen Text zu lesen, vorausgesetzt, daß dieser nicht von
> jemandem mit deutschsprachiger Sozialisation verfasst wurde.
>
> Warum?
>
> Das liegt an Unterschied zwischen den akademischen Systemen im deutschen
> Sprachraum und im angelsächsischen Sprachraum. In ersterem ist ein
> wissenschaftlicher Text nur dann wissenschaftlich, wenn er so unlesbar
> wie nur irgend möglich verfasst wurde. In letzterem hingegen gibt es
> Leute wie z.B. Richard Feynman*, deren Vorlesungen und Texte so gut
> sind, daß davon Filme gedreht wurden und auch extradisziplinäre Leute
> sie freiwillig lesen.

Da kann man nur zustimmen, insbesondere was Physik angeht. IMO bestes 
Beispiel für eine umfassende Darstellung der heutigen Physik inkl. der 
zugrunde liegenden Mathematik:
The Road To Reality (A Complete Guide to the Laws of the Universe) von 
Roger Penrose.
ISBN 978-0679454434

Oder um beim Thema zu bleiben, der englische Artikel zur 
Dirac-Delta-Funktion:
http://en.wikipedia.org/wiki/Dirac_delta_function
oder man vergleiche die Artikel zur Normal-Verteilung
http://de.wikipedia.org/wiki/Normalverteilung
http://en.wikipedia.org/wiki/Normal_distribution

> Das liegt nicht an der Sprache allein; das auf Englisch verfasste "The
> Beauty of Fractals" von Peitgen/Richter ist leicht als von Deutschen
> verfasstes Buch zu erkennen: Es ist praktisch unlesbar.


Karl heinz Buchegger schrieb:
> Es ist nämlich wirklich interessant, wie frappant unterschiedlich und
> gut verständlich amerik. Autoren (egal ob auf Uni oder nicht) schreiben
> können.

Gibt es bspw. vergleichbares an hiesigen Universitäten?
http://web.mit.edu/tll/programs-services/ta-certificate/index-ta-certificate.html
oder man sieht sich einige Vorlesungen an und vergleicht das mit dem 
hier üblichen Stil
http://ocw.mit.edu/OcwWeb/web/courses/av/index.htm

von Andreas S. (andreas) (Admin) Benutzerseite


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Das Problem bei der Wikipedia ist weniger die Sprache (es gibt auch 
genug Artikel die in der deutschen Version besser sind), sondern dass es 
keine definierte Zielgruppe gibt. Eine Erklärung für einen Schüler ist 
für einen Mathematik-Studenten nutzlos, und umgekehrt. Deshalb machen 
Artikel über die Delta-Distribution in einem Lexikon eigentlich keinen 
Sinn. Sinnvoller aufgehoben wäre sowas bei Wikibooks.

von Olaf S. (olaf2001)


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Das ganze betrifft nicht nur die Mathematik oder Physik - auch die 
deutsche Grammatik. Ich bin noch mit "Tuworten" und "Wieworten" 
aufgewachsen und meine Kenntnisse in der dt. Grammatik sind als eher 
lückenhaft zu bezeichnen. Der ganze Fremdwortkram ging glatt an mir 
vorbei.

Mein Versuch, bei Wikipedia ein paar dieser Lücken zu schließen, 
scheiterte grandios. Um nur einen einzigen dort geschriebenen Satz zu 
verstehen muß man einem dutzend Wikipedia-Links folgen, deren Inhalte 
mindestens ebenso unverständlich sind, weshalb man weiteren 15 Links 
folgen muß et cetera, et cetera.

Sinnlos, folglich blieben meine Grammatikkenntnisse weiterhin lückenhaft 
und bisher stört es mich nur im Italienisch- bzw. Chinesisch-Unterricht, 
das ich keine Ahnung habe, was eine adverbiale Bestimmung ist ;)

再见 !

von Gerry E. (micky01)


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Ich habe während des Studiums gerne mit den Büchern der amerikanischen 
Autoren gearbeitet. Lefschetz fällt mir da gerade ein, Seymour auch. Die 
gab es in deutscher Übersetzung (UNI-KL). Alles sehr gut verständlich, 
auch noch auf der letzten Seite.



Dazu passt folgendes Paradepferd:

Bei uns im Saarland hat man jetzt beschlossen, dass ab der 5.ten Klasse 
französisch gelernt werden soll.

Von denen, die das beschlossen haben, kann bestimmt (maximal?) einer ein 
englisches Handbuch lesen und verstehen.

von Tine S. (tine)


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Der Grund für den Unterschied zu den Amis ist schlicht und einfach Geld. 
Der Erfolg, die Position und Bezahlung eines amerikanischen Professors 
hängt entscheident von seinen Zuhörerzahlen und seiner Popularität ab. 
Für abgedrehtes Zeug was umständlich verpackt und 3 Leute in der Welt 
verstehen gibt es da kein Funding, keine Hörergelder und kein Tenure.

von Artur H. (hohoho)


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Also als Mathe-Student muss ich sagen, dass ich mit so einer Erklärung, 
wie der Delta-Distribution in Wikipedia, wirklich etwas anfangen kann.
Wie Andreas schon richtig bemerkt hat, ist die Zielgruppe von solchen 
Artikeln eher im Mathematisch-Naturwissenschaftlichen bereich zu finden 
und eine platte Erklärung für den nicht-Mathematiker ( womöglich nur aus 
Bildern, damit es auch jeder "versteht" ), reicht da einfach nicht.
Zudem ist der erwähnte Artikel (meiner Meinung nach) noch leicht 
verständlich ( eigentlich nur Voraussetzungen aus dem 1. und ein wenig 
aus dem 2. Semester ).
So viele mathematische Symbole sind da eigentlich auch nicht drin, man 
muss nur halt vorher wissen, wie man mit Abbildungen und Integralen 
umgeht ( das zweitere ist teilweise sogar Oberstufen-Stoff ).

von Uhu U. (uhu)


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Gerade bei dem Artikel zur Delta-Distribution kann ich eure Kritik nicht 
so recht nachvollziehen. Das ist ein gut fundierter Artikel, der Sache 
kurz und kanpp beschreibt.

Natürlich kann man ihn nicht lesen, wie einen Comic, aber das ist auch 
nicht Sinn der Sache. Um solche Spezialthemen zumindest vernünftig 
einordnen zu können, braucht man zumindest ein mathematisches 
Grundwissen.

Ich habe mich vor einiger Zeit mit der logistischen Regression 
auseinandergesetzt und die Wikipedia-Artikel zu diesem Themenkomplex 
sind wirklich eine große Hilfe, wenn man den Text akribisch 
nachvollzieht. Das kann natürlich etwas dauern...

von Delete M. (skywalker)


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Das Problem ist nicht die Sprache an für sich, sondern wie schon genannt 
die Zielgruppe. Bei solchen Artikeln im Bereich 
Naturwissenschaften/Mathematik hängt es oftmals vom Vorwissen ab, wie 
gut man den Artikel versteht.

Allerdings sehe ich das ehrlich gesagt nicht als Problem, zumindest 
keines womit ich mich beschäftigen müsste. Wikipedia-Artikel eigneten 
sich seit jeher bestenfalls als Schnellnachschlagequelle. Für tiefer 
schürfende Betrachtungen oder einen hohes Maß an Verständnis oder für 
Verständnis mit mangelhaften Vorkenntnissen kommt man an entsprechender 
Fachliteratur (zumindest in den Naturwissenschaften/Mathematik) nicht 
vorbei.

von Hannes J. (Firma: _⌨_) (pnuebergang)


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Es gab bei Wikipedia mal den Ansatz "Ein Artikel muss auch meine Oma 
verstehen".

Bei den Mathematikern hat man sich davon völlig losgelöst. Was morgens 
vom Prof in der Vorlesung als präzise Definition gegeben wurde, wird 
abends vom Studi unreflektiert aus der Mitschrift in die Wikipedia 
eingetippt.

von Vlad T. (vlad_tepesch)


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Dazu fällt mir spontan das wieder ein:

http://einklich.net/rec/eins.htm

von Johnny B. (johnnyb)


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Vielfach ist es doch so, dass Leute die alles extrem kompliziert 
erklären, selber noch nicht begriffen haben, für was das ganze 
eigentlich gut sein soll und auch nicht in Zusammenhang zur realen 
Problemlösung bringen können.
Ausnahmen gibt es sicher viele, aber die Mehrheit lernt wohl alles 
auswendig und meint dann, das reicht.

von Johannes N. (johannesn)


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Um jetzt noch mal etwas zu dem Unterschied zwischen deutsch- und 
englischsprachiger Fachliteratur zu sagen:

Ich habt vollkommen Recht damit, dass die englischsprachigen Bücher 
meist für eine größere Zielgruppe geschrieben sind bzw. leichter 
verständlich sind. Die Gefahr dabei, was fast immer passiert, ist 
jedoch, dass gerade wirklich interessante oder schwierige Dinge dabei 
wegen des einfacheren Verständnisses weggelassen werden.
Ich persöhnlich finde diese Bücher meist ganz nett, um einen Einstieg zu 
finden, wenn ich jedoch wirklich etwas Fundiertes und exakt 
Ausgedrücktes suche, habe ich mit deutschsprachiger Literatur meist 
größere Erfolge.

Als Tipp für alle, die des Französischen mächtig sind: Die französischen 
Fachbücher verbinden häufig genau diese beiden Aspekte. Sie sind exakt 
und dabei aber didaktisch sehr gut aufbereitet.

von Uhu U. (uhu)


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Johnny B. schrieb:
> Vielfach ist es doch so, dass Leute die alles extrem kompliziert
> erklären, selber noch nicht begriffen haben, für was das ganze
> eigentlich gut sein soll und auch nicht in Zusammenhang zur realen
> Problemlösung bringen können.
> Ausnahmen gibt es sicher viele, aber die Mehrheit lernt wohl alles
> auswendig und meint dann, das reicht.

Wenn das auf den Artikel zur δ-Funktion gemünzt ist, dann liegst du 
meilenweit daneben.

von Johnny B. (johnnyb)


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> Wenn das auf den Artikel zur δ-Funktion gemünzt ist, dann liegst du
> meilenweit daneben.

Nene, wollte das nur mal so in die Runde werfen, da es mir schon an 
Schulen bei Lehrpersonen aufgefallen war.

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