Forum: Analoge Elektronik und Schaltungstechnik Allgemeines zur Schaltungsentwicklung


von Tom (Gast)


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Hallo, wollte mal Fragen, an die Experten hier im Forum, wie funzt das 
bei der Schaltungsentwicklung, werden da auch bei größeren Schaltungen 
genaues Temperaturverhalten, Arbeitspunktverschiebung, Toleranzen usw. 
rechnerisch ermittelt oder werden diese Werte praktisch ermittelt??

von Stefan M. (celmascant)


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Na erstmal ausrechenen, Testaufbau machen und dann die Werte so anpassen 
dass die Schaltung genau das macht was man will.

von Reinhard Kern (Gast)


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Tom schrieb:
> Hallo, wollte mal Fragen, an die Experten hier im Forum, wie funzt das
> bei der Schaltungsentwicklung, werden da auch bei größeren Schaltungen
> genaues Temperaturverhalten, Arbeitspunktverschiebung, Toleranzen usw.
> rechnerisch ermittelt oder werden diese Werte praktisch ermittelt??

Hallo,

rein praktisch kann man diese Werte garnicht praktisch ermitteln. Einen 
Temperaturgang messen geht ja noch, aber für den Einfluss von 
Bauteiltoleranzen müsste man nicht nur jeweils Widerstände, 
Kondensatoren, Zenerdioden usw. haben mit entsprechenden Abweichung vom 
Sollwert (also 1Ohm, 1kOhm + 5%, 1kOhm - 5%), sondern man müsste sie 
auch in allen möglichen Kombinationen in die Schaltung einlöten und die 
Schaltung neu vermessen. Bei 20 Widerständen sind das schon 2^20 
Messungen, also rund eine Million. Da ist Rechnen doch schneller.

Vieles ist auch einfach Erfahrung, ein geübter Entwickler versieht eine 
Schaltung mit Pullup-Widerständen und Entkoppelkondensatoren ohne lang 
nachzudenken. Kann sein, einer nimmt immer 10 kOhm und ein anderer immer 
22 kOhm, aber es funktioniert so. Ich habe z.B. eine irrationale 
Vorliebe für Kondensatoren mit 0.33 µF, das hat sich mal beim Entstören 
von Relais als Kompromiss ergeben. Dass viele Entwickler zur Entstörung 
ausgerechnet Kondensatoren mit 1nF, 100 nF und 10 µF einsetzen beruht 
auch auf menschlicher Vorliebe und nicht auf exakten Simulationen. Es 
funktioniert aber im milliardenfachen Einsatz.

Gruss Reinhard

von holger (Gast)


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>rein praktisch kann man diese Werte garnicht praktisch ermitteln.

Wieso nicht?

von Kai Klaas (Gast)


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>Hallo, wollte mal Fragen, an die Experten hier im Forum, wie funzt das
>bei der Schaltungsentwicklung, werden da auch bei größeren Schaltungen
>genaues Temperaturverhalten, Arbeitspunktverschiebung, Toleranzen usw.
>rechnerisch ermittelt oder werden diese Werte praktisch ermittelt??

Sowohl als auch. Wenn du beispielsweise in einer Schaltung ein 
Bandßpafilter hast, mußt du oft wissen, in wie weit Bauteiletoleranzen 
die Dämpfung bei der Mittenfrequenz und eventuell die Phase 
beeinflussen. Das habe ich dann schon mal mit QBASIC durchgerechnet, 
indem ich mit FOR-NEXT-Schleifen alle Bauteile durch ihren 
Toleranzbereich gejagt und einfach nach den größten Abweichungen 
gefischt habe. Und wenn es dann nicht funzt, wie du willst, überlegst du 
dir, die Güte zu verkleinern, selektierte Bauteile zu verwenden oder den 
Pegel abgleichbar zu machen. Das ist aber durchaus noch Teil der 
Entwicklung und auch garnicht so einfach festzulegen.

Heute gibt es natürlich spezielle Simulationssoftware dafür.

Das Wichtigste bei der Schaltungsentwicklung ist aber, und da möchte ich 
mich Reinhard anschließen, Erfahrung! Ohne Erfahrung gehts leider nicht. 
Viele Sachen werden nach Gefühl entschieden, obwohl man im ersten 
Augenblick vielleicht garnicht sachlich begründen kann, warum so und 
nicht anders. Erfahrung ist etwas, was ein junger Hüpfer von der Uni 
gerade nicht hat. Die meiste Erfahrung haben ältere Leute. Wer die aus 
seiner Firman wirft ist selber Schuld...

Erfahrung macht, daß auch komplizierte Schaltungen auf Anhieb 
funktionieren, daß man sofort weiß, wo der Fehler liegt, wenn es mal 
hakt, und und und.

Oft ist der "limitierende Faktor" aber ein ganz anderer: Zeitdruck oder 
Budget. Da wird oft nicht alles bis zu Ende entwickelt, wiel einfach die 
Zeit oder das Geld nicht reicht.

Kai Klaas

von Reinhard Kern (Gast)


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holger schrieb:
>>rein praktisch kann man diese Werte garnicht praktisch ermitteln.
>
> Wieso nicht?

Beitrag lesen??

Ich schreibe ungern die gleiche Begründung nochmal.

Gruss Reinhard

von frankman (Gast)


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Tja, es gibt da doch verschiedene Meinugen:

Die erste, hier diskutierte, also Learning by Doing. Also groß 
ausrechnen, dann ausprobieren. Dann hoffen, das alles klappt.
Dazu kommen dann halt Erfahrungswerte, die in der Vergangenheit so ganz 
gut geklappt haben.
Diese Methode (die ich leider auch gerne anwende ) ist allgemein üblich 
und funktioniert bis zu einer gewissen Komplexität ganz gut.

Die zweite Methode ist da schon aufwendiger:

1. Schaltungsbeschreibung.
2. Schaltungssimulation z.B. mit Spice
3. Erstellung Layout
4. EMV Simulation z.B. mit Silent
5. Review der Netzlisten
6. Review Schaltplan
7. Review Leiterplatte, ggv. zusätzlich durch EMV-Spezialisten
8. Optimierung
9. Neue Simulation

10. Leiterplatte geht ohne Redesign in Serie.

Das klingt merkwürdig, ist aber Tatsache. Eine große Firma, die 
womöglich noch etwas mit Handys oder Computer macht, kann es sich nicht 
leisten, eine zweite Loop zu drehen. Dafür reicht die Entwicklungszeit 
nicht aus.
Kommt das Gerät auch nur ein paar Monate zu spät auf den Markt, ist 
teilweise dort das Geschäft schon gelaufen. z.B. weil ein Mitbewerber 
schneller war und nun seinen "Standard" durchdrücken kann.

Bei sehr großen Firmen werden /wurden sogar für das gleiche Produkt drei 
verschiedene Entwicklungsteams eingesetzt, die zwar alle das gleiche 
Produkt entwickeln, aber alle mit anderen Chipsätzen arbeiten.
Der Chip, der dann am Ende zuerst verfügbar ist, wird ausgewählt.
Die beiden anderen Designs werden eingestapft.

Bei sochen Designs ist nichts dem Zufall überlassen.
Jeder C wird sorgfältig ausgewählt und berechnet.
Es wird auch nicht "einfach so" die Platine mit Koppel- C´s 
zugesch...en.
Da geht es um Kosten. Wenn man bei 2 Millionen Stück 10 Cent pro Platine 
sparen kann, ist das richtig viel Geld.

Das geht bei Schaltreglern los. Also erst Simulation, dann überprüfung 
der Stabilität mit einem Networkanalyser. Für die Leiterplatte wird 
schon während dem Design mit einem Field-Solver die Impedanzen 
ermittelt.
Das EMV-Verhalten wird ebenfalls simuliert und während dem Design so 
weit es geht angepasst. Die Impedanzen der Masse und Power-Planes werden 
mit Silent simuliert und genau berechnete Kondensatorgruppen zur 
Entstörung eingesetzt. Im EMV-Labor erfolgt dann der letzte Feinschliff, 
bzw. nur noch die Validierung der Simulation.

von Falk B. (falk)


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@  frankman (Gast)

>Die zweite Methode ist da schon aufwendiger:

>1. Schaltungsbeschreibung.
>2. Schaltungssimulation z.B. mit Spice
>3. Erstellung Layout
>4. EMV Simulation z.B. mit Silent
>5. Review der Netzlisten
>6. Review Schaltplan
>7. Review Leiterplatte, ggv. zusätzlich durch EMV-Spezialisten
>8. Optimierung
>9. Neue Simulation

>10. Leiterplatte geht ohne Redesign in Serie.

Naja, klingt aber dennoch recht heiss. Denn wenn man so ziemlich ALLES 
per Simulation prüfen will, muss man schon SEHR viel Erfahrung, Know How 
und Manpower haben. Denn eine Simulation ist immer nur so gut wie das 
Modell.

>Das klingt merkwürdig, ist aber Tatsache. Eine große Firma, die
>womöglich noch etwas mit Handys oder Computer macht, kann es sich nicht
>leisten, eine zweite Loop zu drehen. Dafür reicht die Entwicklungszeit
>nicht aus.

Hmmmm.

>Kommt das Gerät auch nur ein paar Monate zu spät auf den Markt, ist
>teilweise dort das Geschäft schon gelaufen. z.B. weil ein Mitbewerber
>schneller war und nun seinen "Standard" durchdrücken kann.

Ein Irrsinn! Aber "normal" in der HighTec Branche.

>Bei sehr großen Firmen werden /wurden sogar für das gleiche Produkt drei
>verschiedene Entwicklungsteams eingesetzt, die zwar alle das gleiche
>Produkt entwickeln, aber alle mit anderen Chipsätzen arbeiten.

Naja, das nenn ich mal Luxus. Solche Sachen kann sich nur eine 
Riesenfirma leisten. Und ob das sooo sinnvoll ist, sei auch mal 
dahingestellt.

>Der Chip, der dann am Ende zuerst verfügbar ist, wird ausgewählt.
>Die beiden anderen Designs werden eingestapft.

>Bei sochen Designs ist nichts dem Zufall überlassen.
>Jeder C wird sorgfältig ausgewählt und berechnet.

Naja, es geht halt um gigantische Stückzahlen. Da lohnt das vielleicht.

>Es wird auch nicht "einfach so" die Platine mit Koppel- C´s
>zugesch...en.
>Da geht es um Kosten. Wenn man bei 2 Millionen Stück 10 Cent pro Platine
>sparen kann, ist das richtig viel Geld.

Aber darin liegt manchmal auch eine Gefahr. Das Design wird 
kaputoptimiert, die Reserven und die Lebensdauer schwinden. Klar, bei 
einem Handy mit gerade mal 3 Jahren angepeilter Lebensdauer und 
Wegwerfartikelstatus egal, bei vielen anderen Produkten eher nicht.

>Das geht bei Schaltreglern los. Also erst Simulation, dann überprüfung
>der Stabilität mit einem Networkanalyser. Für die Leiterplatte wird
>schon während dem Design mit einem Field-Solver die Impedanzen
>ermittelt.

Für einen SCHALTREGLER?? Man kann es auch übertrieben, oder?

>Das EMV-Verhalten wird ebenfalls simuliert und während dem Design so
>weit es geht angepasst. Die Impedanzen der Masse und Power-Planes werden
>mit Silent simuliert und genau berechnete Kondensatorgruppen zur
>Entstörung eingesetzt. Im EMV-Labor erfolgt dann der letzte Feinschliff,
>bzw. nur noch die Validierung der Simulation.

Hmmm. Braucht aber wie gesagt VIEL KnowHow und Manpower.

Ich will es mal so sagen. Auf der einen Seite steht der Bastler, der mit 
wenig Hintergrundwissen und viel Fummelei und Probieren es irgendwie zum 
Laufen bringt. Auf der anderen Seite steht der von dir beschriebene 
Ablauf. Beides sind Extreme, die für die grosse Menge nicht 
erstrebenswert sind.

Ich für mich tendiere zwar auch eher stark in Richtung "nachdenken, 
rechnen, aufbauen, prüfen", aber das muss man auch sinnvoll abschätzen. 
Eben weil es bei bestimmten Dingen deutlich komplexer und aufwändiger 
ist, ein brauchbares Modell für eine Simulation zu erstellen, als ein 
paar Messungen zu machen. Manchmal ist es aber auch anders herum. Zu 
wissen, wann eher Simulation oder Messung zu verwenden ist, ist ein 
Frage der Erfahrung ;-)

MFG
Falk

von Realist (Gast)


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>Kommt das Gerät auch nur ein paar Monate zu spät auf den Markt, ist
>teilweise dort das Geschäft schon gelaufen. z.B. weil ein Mitbewerber
>schneller war und nun seinen "Standard" durchdrücken kann.

"Ein Irrsinn! Aber "normal" in der HighTec Branche."

Was verstehst Du unter "High Tech"?


>Der Chip, der dann am Ende zuerst verfügbar ist, wird ausgewählt.
>Die beiden anderen Designs werden eingestapft.

>Bei sochen Designs ist nichts dem Zufall überlassen.
>Jeder C wird sorgfältig ausgewählt und berechnet.

"Naja, es geht halt um gigantische Stückzahlen. Da lohnt das 
vielleicht."

Das ist doch nicht wahr. es geht nicht immer nur um "gigantische" 
Stückzahlen.

Leute, es gibt nicht nur Jubelelektronik! Was habt ihr nur für einen 
Horizont?

von Falk B. (falk)


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@  Realist (Gast)

>Was verstehst Du unter "High Tech"?

Nun ja, Höndy & Co sind schon High Tec, oder nicht. Und darum ging es 
explizit.

>Das ist doch nicht wahr. es geht nicht immer nur um "gigantische"
>Stückzahlen.

Sicher, sagt ja auch keiner dass es sich NUR bei gigantischen 
Stückzahlen lohnt ;-)
Aber der Aufwand mit exorbitanten Simulationen jedes Details und gar 
drei parallele Entwicklungsteams (die jedes allein sicher nciht ganz 
klein sind) ist einfach nur in diesen Dimensionen machbar. Ob es dort 
letztenendes auch WIRKLICH sinnvoll ist, wenn man das Ganze btrachtet, 
mag dahingestellt sein.

>Leute, es gibt nicht nur Jubelelektronik! Was habt ihr nur für einen
>Horizont?

Was hat das mit Horizont zu tun? Klar ist gutes Design auch bei 
geringeren Stückzahlen an der Tagesordnung, ob das nun 1K oder 100K 
Geräte pro Jahr sind.

MFG
Falk

P S http://www.afaik.de/usenet/faq/zitieren/

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