Forum: Mikrocontroller und Digitale Elektronik Einfluss elektrostatischer Ladung auf Schaltungen vermindern


von Wolfgang-G (Gast)


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Durch die in den letzten Tagen aufgetretenen Wintertemperaturen sank die 
rel Luftfeuchtigkeit im Zimmer erheblich, sodass man sich beim Gehen 
über Teppiche besonders stark  elektrostatisch aufgeladen hat.
Die Entladung  an einem Gerät mit µC führte dazu, dass es im µC zu 
undefinierten Zuständen kam. (z. B Timerinterrupt wird nicht mehr 
ausgeführt)
Welche Möglichkeiten gibt es, um Störungen dieser Art zu vermindern?
MfG

von Kai Klaas (Gast)


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Konsequente Schirmung. Außerdem Ableitung von ESD mittels Cera-Diodes 
oder SMD-Varistoren, am besten gleich am Geräte-Eingang.

Kai Klaas

von Thomas R. (tinman) Benutzerseite


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> Welche Möglichkeiten gibt es, um Störungen dieser Art zu vermindern?

unendlich viele da du nicht geschrieben hast "welche geräte" und "wo die 
sich befinden". Es gibt je nach einsatzgebiet unterscheidliche lösungen.

Pauschal kann mann schon einiges machen z.b. nicht gehen, tepiche 
vermeiden, sich an ESD vorschriften für arbeitsplatz halten, vernünftige 
geräte bauen, platinnen im blein/epoxy mischung vergissen und 5 meter 
unter der erde vergraben ...

von Gast#+ (Gast)


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Natuerlich noch anderer Teppich. Oder gar kein Teppich.

Gast

von Peter D. (peda)


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Wolfgang-G schrieb:
> Die Entladung  an einem Gerät mit µC führte dazu, dass es im µC zu
> undefinierten Zuständen kam. (z. B Timerinterrupt wird nicht mehr
> ausgeführt)

> Welche Möglichkeiten gibt es, um Störungen dieser Art zu vermindern?

Zuerst mal feststellen, ob es ein Softwareproblem oder ein 
Hardwareproblem ist.

Es ist oft möglich, daß die Entladungen einen Zustand der Eingangspins 
bewirken, den Du in Deiner Software nicht bedacht hast.

Dagegen hilft eine gute Entprellroutine.
Und Statemachines müssen alle Zustände behandeln (Default beim Switch).


Peter

von Anja (Gast)


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Hallo,

bei ESD hat man es sowohl mit elektrischen Feldern (Spannung bis ca 15 
oder 20 KV) als auch mit starken magnetischen Feldern (kurzzeitig Ströme 
bis ca 30 A) zu tun. Die Anstiegszeiten der Flanken sind im bereich 5ns 
.. 0.8 ns. Das Frequenzspektrum geht also breitbandig bis ca 400 MHz.

Abhilfe:
- Vermeidungsstrategien: z.B. Bedienelemente mit 20KV isolieren, 
ESD-Schuhe
- Schirmung: allseitig geschlossene Metallgehäuse (z.B. Weißblech) bei 
gleichzeitiger Filterung aller Leitungen (im Idealfall mit 
Durchführungskondensatoren)
Die Kondensatoren müssen so ausgelegt sein daß sie beim Umladen der 
330pF des ESD-Simulators auf den Steckerkondensator nicht defekt werden. 
(also in der Regel Mindestkapazität, Mindestspannungsfestigkeit). 
Alternativ Überspannungsableiter wie Varistoren, Transientendioden usw.
- Isolation der Störströme durch Serienwiderstände, Drosseln, 
Optokoppler.
- Anordnungskonzepte: alle Steckverbinder auf eine Seite der 
Leiterplatte, Empfindliche Bauteile weit weg vom Stecker/Gehäuse. 
Inselbildung von Baugruppen...
- Reduktion der Störeinstrahlung auf Leiterplatten durch Minimierung der 
Leiterbahnlängen. Verlegung kritischer Signale nahe an Masse 
(Magnetische Loop-Antennen minimieren). oder Verwendung von Multilayern 
mit durchgehenden Masseflächen

Zu Softwarestrategie fällt mir noch ein: unbenutzte Programmbereiche mit 
Befehlen füllen die einen Reset auslösen.
Watchdog-Bedienung nur dann ausführen wenn alle wichtigen Programmteile 
(Interrupts) mindestens einmal durchlaufen wurden.
Wichtige Daten im RAM mit Prüfsummen versehen, oder auch Prüfbytes 
schreiben und zyklisch prüfen.

von Wolfgang-G (Gast)


Angehängte Dateien:

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Zunächst vielen Dank für die teilweise sehr ausführlichen Hinweise.
Da mein Gerät eigentlich fertig war (es handelt sich um ein Gerät zur 
Erfassung und Speicherung von Messwertwerten, wobei ein MSP430F1611 als 
µC eingesetzt wird. Die AD-wandler  des µC werden zur Erfassung von 
Spannungswerten verwendet und über I²C bzw. SPI können weitere Fühler 
angeschlossen werden.) würde ich nachträglich zunächst die  Schirmung 
und Schutzdioden in Erwägung ziehen.
Dazu noch einige Fragen:
Da das Gerät zeitweise auch im Batteriebetrieb läuft und dadurch der 
Schirm nicht geerdet ist, ist in diesem Fall die Schutzfunktion noch 
gegeben?
(man könnte den Schirm dann evtl. zusätzlich erden)
Wie wird das Problem bei einem Laptop gelöst? Oder hatte ich bisher nur 
Glück, dass der Laptop noch funktionstüchtig ist?
Was sind Cera-Dioden? Sind diese mit den Dioden im Anhang vergleichbar?

Die weiteren Hinweise werde ich mir für die nächsten Projekte mal 
abspeichern.
MfG

von Anja (Gast)


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Hallo,

Schirmung und Erdung haben EMV-mäßig nichts miteinander zu tun.
Erdung ist Personenschutz. (= Berührschutz gegen 230V bei 
Isolationsfehler).
Einen Schirm brauchst Du nur dann an Erde anschließen wenn 230 V ins 
Gerät (nicht Schutzisoliert) geführt werden.

Schirmung erzeugt eine Äquipotentialfläche. -> alle Schaltungsteile 
springen gleichzeitig um die 15KV -> es entsteht keine 
Spannungsdifferenz zwischen Signal und Masse -> Deine Schaltung merkt 
nichts von ESD.

Wichtig ist halt nur, daß wenn Leitungen das Gehäuse verlassen, daß 
diese dann auch "mitspringen" -> Entweder geschirmte Leitung (Schirm 
Induktivitätsfrei ans Gehäuse) oder Filterung über Kondensatoren 
Induktivitätsfrei ans Gehäuse/Schirm. (jeder halbe Millimeter 
Anschlußdraht zählt bei 400 MHz!).

Der Störstrom fließt auch in erster Näherung nicht über einen 
Schutzleiter ab (Induktivität), sondern über parasitäre Kapazitäten zum 
Verursacher zurück. (Stromkreis).

Die von Dir angegebenen Schutzdioden (mit niedriger Kapazität für 
hochfrequente Signale) werden im allgemeinen zum Schutz gegen Zerstörung 
bei direktem Beschuß der Steckverbinder verwendet. Im allgemeinen hat 
man da immer eine geschirmte Leitung. Bei niederfrequenten Signalen 
reichen normalerweise preiswertere Filterkondensatoren.

von Kai Klaas (Gast)


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>Erdung ist Personenschutz.

Nicht nur, Erdung ist auch Potentialausgleich!

Nicht zu vergessen, bei ESD-Tests im Zuge der CE-Messungen spielt die 
Erde eine wichtige Rolle, was man schon daran erkennen kann, daß 
ESD-Pistolen immer geerdet werden müssen.

Beim Human Body Model wird angenommen, daß sich der Körper gegen Erde 
statisch auflädt und sich dann gegen Erde wieder entlädt. ESD sucht sich 
letztlich immer einen Weg zur Erde. Deswegen ist ein geerdeter Schirm, 
der ESD einen direkten Pfad zur Erde bieten kann, einem nichtgeerdeten, 
bei dem letztlich nur Streukapazitäten umgeladen werden können, immer 
überlegen.

Potentialausgleich durch Erdung wird außerdem oft verwendet, um 
elektrostatische Aufladungen von vorne herein zu verhindern.

Auch bei der Schirmung von strahlenden HF-Schaltungen ist das Erden ein 
wichtiges Prinzip, um zu verhindern, daß HF-Ströme über Streukapazitäten 
zur Erde abfließen. Durch ein Erden des Schirms schließt man 
Streukapazitäten zur Erde kurz.

Erde bildet die größte Äquipotenialfläche und ist das einzige 
Referenzpotential, auf das man sich wirklich beziehen kann. Es ist 
deshalb ein großer Unterschied, ob ein Schirm geerdet ist oder nicht.

Erde ist eben nicht nur Schutzerde, sondern oft auch Funktionserde.

Kai Klaas

von Kai Klaas (Gast)


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Hallo Wolfgang,

>Was sind Cera-Dioden? Sind diese mit den Dioden im Anhang vergleichbar?

Cera-Dioden sind letztlich Varistoren. Sie werden von Epcos in SMD 
hergestellt und können ESD im Subnanosekundenbereich ableiten. Laut AVX 
(von denen ich gerade leider keine Website öffnen kann) sind 
SMD-Varistoren die einzigen Bauteile, die ESD wirklich im 
Subnanosekundenbereich abfangen können. Damit sind sie schneller als 
Transzorbs oder Schottky-Dioden.

Diese neuen SMD-Varistoren dürfen nicht mit den alten Scheibenvaristoren 
verglichen werden, bei denen sich schon nach ein paar ESDs wichtige 
Bauteile-Parameter drastisch verschlechtert haben.

Kai Klaas

von Kai Klaas (Gast)


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von Anja (Gast)


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>Nicht zu vergessen, bei ESD-Tests im Zuge der CE-Messungen spielt die
>Erde eine wichtige Rolle, was man schon daran erkennen kann, daß
>ESD-Pistolen immer geerdet werden müssen.

Sag ich doch: Personenschutz.
Schließlich will man haben daß beim ESD-Test die Schaltung die 15KV 
abkriegt und nicht der Bediener der ESD-Pistole.

Wenn du im Kaufhaus über den Teppichboden läufst und dann an einen 
Isolierten Kleiderständer faßt findet trotzdem eine Entladung statt. 
Obwohl weder Du noch der Kleiderstände geerdet sind.

Wenn ich mal rechne:
10pF Streukapazität bei 400 MHz = 40 Ohm Impedanz
1m Schutzleiteranschluß = 1uH  = 2500 Ohm Impedanz

Was glaubst Du wo der Großteil des Stromes fließt?

von Kai Klaas (Gast)


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Hallo Anja,

>Sag ich doch: Personenschutz.

Nein, das hat mit Personenschutz nichts zu tun!

>Wenn du im Kaufhaus über den Teppichboden läufst und dann an einen
>Isolierten Kleiderständer faßt findet trotzdem eine Entladung statt.
>Obwohl weder Du noch der Kleiderstände geerdet sind.

Richtig, du bist nicht geerdet, sonst könnte sich ja keine 
elektrostatische Ladung aufbauen. Aber der Kleiderständer muß irgendwie 
geerdet sein.

>Schließlich will man haben daß beim ESD-Test die Schaltung die 15KV
>abkriegt und nicht der Bediener der ESD-Pistole.

Nein, mit dem Erden der ESD-Pistole will man erreichen, daß die Pistole 
wie eine elektrostatisch aufgeladene Person wirkt, die im Human Body 
Model immer bezüglich Erdpotential aufgeladen ist.

Nimm deinen PC und stelle ihn elektrisch isoliert vom Boden auf. Ziehe 
alle Kabel ab. Nun lade dich ESD mäßig auf und berühre ihn. Dann wirst 
du kaum etwas spüren. Nun verbinde ihn über das Stromkabel mit der 
Steckdose. Jetzt hast du das Gehäuse ja in der Regel geerdet. Nun lade 
dich abermals auf und berühre erneut das PC-Gehäuse. Jetzt erhälst du 
einen richtigen Rumms!

>Wenn ich mal rechne:
>10pF Streukapazität bei 400 MHz = 40 Ohm Impedanz
>1m Schutzleiteranschluß = 1uH  = 2500 Ohm Impedanz
>
>Was glaubst Du wo der Großteil des Stromes fließt

Die Stromspitze also der schnelle Teil des ESD lädt erst mal 
Streukapazitäten auf, das ist richtig. Aber der langsame Schwanz des ESD 
Stroms fließt über das Kabel. Das erklärt auch warum der 
Norm-Stromimpuls so wellig aussieht.

Anja, ESD (Human Body Model) ist ein Phänomen, daß untrennbar mit Erde 
verknüpft ist. Warum sonst gibt es die Empfehlung sich erst durch 
Berühren geerdeter Teile (Heizkörper, Schutzkontakt in der Steckdose, 
etc.) zu entladen, bewor man ein empfindliches Gerät berührt?

Kai Klaas

von Simon K. (simon) Benutzerseite


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Bei kapazitiven Entladungen findet nur ein Ladungsausgleich statt, 
soweit ich weiß. Also ist die Erde erst mal egal.

Das was man spürt sind letztendlich nur die übergesprungenen Elektronen 
(AKA elektrischer Strom). Aber damit diese erst fließen können, muss 
keine Erdung vorhanden sein.

Oder wo ist die Erde wenn sich Blitze zwischen Wolken bilden?

Okay bisschen armselig:
http://de.wikipedia.org/wiki/Ladungsausgleich

von Kai Klaas (Gast)


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@Simon

>Bei kapazitiven Entladungen findet nur ein Ladungsausgleich statt,
>soweit ich weiß. Also ist die Erde erst mal egal.

Ich sprach von ESD im Zusammenhang mit dem Human Body Model und nicht 
von Blitzen zwischen irgend welchen Wolken. Was lädt sich denn genau 
auf, wenn du über einen Teppich läufst??

http://www.ecse.rpi.edu/~schubert/Course-Teaching-modules/A41-Human-body-model-and-electrostatic-discharge-ESD.pdf

Kai Klaas

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