Forum: Analoge Elektronik und Schaltungstechnik Spezifikation selbstgebautes Messgerät


von DirkF (Gast)


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Hi,
also angenommen, ich hätte ein Digitalmultimeter selber gebaut, also 
Spannungsteiler, Instrumentenverstärker, ADC, MCU.
Wie kan man eine Spezifikation für die Genauigkeit des Gerätes erstellen 
?
- Kalibrieren, Fehler notieren, dann mal Faktor 2 oder so.
oder
- Kalibrieren, messen bei verschiedenen Temperaturbereichen.
oder
- alles nur theoretisch anhand der Angeben im Datenblatt der verwendeten 
Bauteile ausrechnen.

oder
Messen, dann 1 Jahr später nochmal messen.

Wie machen es die professionellen Messgerätehersteller ?

LG Dirk

von Lothar S. (loeti)


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Zuerst, Kalibrieren heist nicht Justieren!

Also:
1.) Gerät warmlaufen lassen (mind. 1h) dann justieren.
2.) Gerät 1000h (= 1 Monat) im Dauerbetrieb altern. (Einlaufen lassen)
3.) Gerät wie unter 1.) neu justieren.
4.) Gerät nach 1 Monat neu prüfen ob es innerhalb der Tolleranz ist.
5.) Wenn nein -> Gerät entsorgen!
6.) Wenn Ja -> Gerät nach 3 Monaten, -> 6 Monaten.
7.) Wenn das Gerät nach 12 Monaten immer noch in der Toleranz ist 
Abweichungen innerhalb der Toleranz dokumentieren (= Kalibrieren).
8.) Kalibrieren alle 12 Monate wiederholen gegebenenfalls neu justieren.

Grüße Löti

von DirkF (Gast)


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Hallo Löti,
danke für die ausführliche Antwort.
Gruß Dirk

von R&D (Gast)


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Ja, so machen es die Professionellen.
Wenn nach 12 Mon. außerhalb der Toleranz, ==> entsorgen.
Umkonstruktion, Änderungen... neuer Test / neue Prozedur...
Wenn nach 12 Mo. wieder außerhalb der Toleranz ==> entsorgen
... neue Prozedur

Irgendwann ist "make or buy".
Irgendwann ist "time to market out of focus".
Irgendwann ist...

Zuletzt, justieren heißt nicht kalibrieren. Aber man darf justieren um 
zu kalibrieren.
Eichen tun wir nicht, das ist hoheitlich.

Wo ist der Ausgang des Holodeck?

von Chris l. (chris_ld)


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Nein, keine Neukonstruktion.
Von 6/12 Geräten, welche zuvor schon selektiert wurden, werden die 
weggeschmissen, welche die Tolleranzen nicht einhalten.
Darunter ist auch mindestens 1 Prototypen dabei oder 0-Serien welche 
bessere
Referenzen haben. Zum Schluss braucht ja auch nur 1-2 Geräte und man
bekommt gleichzeitig statistisch auch mit, wieviele Montagsgeräte sich
in der Charge befinden, wobei auch nicht ausgeschlossen ist, daß jedes 
Gerät
ein Montagsgeräte ist. Dazu braucht man nur eine gefälschte Referenz
verwendet haben, weil der Einkauf supergünstig eingekauft hat.

Und verkauft werden die Geräte von 0 An.
Eventuell nach 1 Jahr, wenn der Kunde das Gerät neu eichen lassen 
sollte,
gibt man in der Kalibrierungs-Manual an, wenn das Geräte um xxx 
außerhalb der Tolleranz ist, muss dieses und jenes Bauteil ausgetauscht 
werden.

So rettet die Firma dann seinen Ruf für die wichtigen Kunden, ohne daß 
dieser es überhaupt merkt.

von Arc N. (arc)


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DirkF schrieb:
> Hi,
> also angenommen, ich hätte ein Digitalmultimeter selber gebaut, also
> Spannungsteiler, Instrumentenverstärker, ADC, MCU.

Alle möglichen Fehlerquellen berücksichtigt...
u.a. Spannungskoeffizient (VCR) der Widerstände, Spannungsabhängigkeit 
der Kondensatoren etc., Langzeitdrift der Komponenten (Widerstände, 
Kondensatoren, Spannungsreferenz etc.), Temperaturabhängigkeit der 
Komponenten (auch durch Selbsterwärmung), Verstärkungsfehler, 
INL/DNL/Offset/Verstärkung/CMRR/Temperaturdrift des ADCs (z.T. 
Spannungsabhängig, z.T. Frequenzabhängig), Rauschen, Fehler durch 
Bauteiltoleranzen bei differentiellem Eingang, Eingangsimpedanz, welche 
Störungen am Eingang verkraftet das Gerät bzw. wie wirkt sich bspw. 
RFI/EMI aus...

Messen, laufen lassen, messen usw. gegen eine geeignete Referenz.
TAR/TUR Test accuracy ratio/test uncertainty ratio, Falsch-Positiv-Rate 
etc.

von Lothar S. (loeti)


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> Nein, keine Neukonstruktion.... .

Ja, genau so läuft's in der Messgeräte-Industrie leider immer häufiger.
Der Preisdruck, vor allem im Consumerbereich, ist höllisch.

Angeheizt wird er noch dadurch das bestimmte Billiggeräte die, immer von 
den Selben die daran natürlich auch verdienen, hochgelobt und so 
gepuscht werden, zum Nachteil derer die ehrlich arbeiten (wollen).

Keiner der Einsteiger-Kunden, die darauf hereinfallen, hat ja auch die 
Möglichkeiten und das Wissen solche Messtechnik-"Schnäppchen" (meist aus 
Fernost) auf Herz und Nieren zu prüfen und so die wahre Qualität zu 
verifizieren.
Wenn die normalen Kunden Das könnten ständen einige, hier ständig 
hochgelobte Hersteller, absolut nicht mehr zur Disskussion.

Ich bin in der Messtechnik zuhause, Gott sei Dank aber nicht auf den 
Consumermarkt, und wollte dem Dirk nur sagen wie man es eigentlich 
richtig macht.

Grüße Löti

von Anja (Gast)


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DirkF schrieb:
> Wie machen es die professionellen Messgerätehersteller ?

Über statistische Methoden.
berechnen ist Käse weil die Datenblattangaben für Messanwendungen 
meistens zu optimistisch sind. (z.B. die Einbaubedinungen nicht 
berücksichtigt). Außerdem addieren sich die Einzelfehler nichtlinear.

-> du brauchst genügend viele aufgebaute Muster
-> du brauchst viele Messwerte über einen Kalibrierzeitraum (mindestens 
1 Jahr wegen "seasonal effects")
-> du berechnest die Streuung der Messwerte und ordnest die Abweichungen 
den Störgrößen zu. Temperatur, Luftfeuchte, EMV, Netzspannung, 
Luftdruck, Alterung usw.

Bei einem guten Meßgerät wirst Du dann die Fehlergrenzen so festlegen 
daß im Kalibrierzeitraum (1 Jahr) maximal 30% der Drift für die 
spezifizierten Umgebungsbedingungen (18..28 Grad bei TCal = 23 Grad) 
40-70% Feuchte erreicht werden. Mit einem Vertrauensbereich von z.B. 95% 
= 2 Sigma. In der Kalibrieranleitung steht dann: Justage bei erreichen 
von 70% der Fehlergrenzen.

Gruß Anja

von Lothar S. (loeti)


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> In der Kalibrieranleitung steht dann: Justage bei erreichen
> von 70% der Fehlergrenzen.

Na ja, normalerweise justiert man aber auf 1/3 und nicht nur 70%, wenn's 
geht.

Grüße Löti

P.S. Ich denke der Dirk wollte nur wissen wie er Das mit nur einen 
selbstgebauten Gerät am besten macht.

von DirkF (Gast)


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Hallo Anja,
also wirklich eine professionelle Antwort !
Also werd ich bei meinem Prototypen (hab leider nur einen) mal 1 Jahr 
lang nach der Justage messen, immer Temperatur und Luftfeuchte (dank 
SHT71) mit dokumentieren.
Gruß Dirk

von Anja (Gast)


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DirkF schrieb:
> Also werd ich bei meinem Prototypen (hab leider nur einen) mal 1 Jahr
> lang nach der Justage messen, immer Temperatur und Luftfeuchte (dank
> SHT71) mit dokumentieren.

Wie genau muß es denn sein?
Bei hohen Genauigkeiten (Größenordnung 10ppm) sollte man auch über
Lageabhängigkeiten (Meßgerät auf der Seite liegend über Kopf oder auf 
einer geerdeten Metallplatte oder auf Holztisch) nachdenken. 
6,5-stellige Multimeter mit LM399-Referenz kann man da leicht um einige 
ppm vertrimmen.

Die Freuchtigkeit hat leider eine sehr große Zeitkonstante (ca 1 Woche) 
so daß der Einfluß ohne klimatisierten Raum schwierig zu bestimmen ist. 
Typische Werte sind hier bis ca 0.5ppm/%rH.

Lothar S. schrieb:
> Na ja, normalerweise justiert man aber auf 1/3 und nicht nur 70%, wenn's
> geht.

Keithley justiert ohne besonderen Wunsch beim Kalibrieren nur wenn die 
Abweichung 70% der 1 Jahresgenauigkeit erreicht hat. (Dann natürlich so 
genau wie möglich auf den Sollwert).

https://www.keithley.de/support/services/calibrationrepair/guidelines

Gruß Anja

von Lothar S. (loeti)


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> Keithley justiert ohne besonderen Wunsch beim Kalibrieren nur wenn die
> Abweichung 70% der 1 Jahresgenauigkeit erreicht hat.

Na ja, der Umsatz macht den Gewinn... .

Wenn Du Dein Gerät neu justierst verlierst Du die Messkontinuität.

Deshalb versucht man so wenig wie möglich Nach-Justierungen zu ereichen.
Der einfachste Weg dabei ist das Gerät bei einer Nach-Justierung so gut 
wie nur möglich zu justieren.
Gute Geräte kann man daher auf 1/3 oder besser justieren, was die Zeit 
bis zur nächszten Justierung dann doch verlängert.
Aber unsere Firma hat ihre eigenes Kalibrierlabor ... .

Grüße Löti

von DirkF (Gast)


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>>Wie genau muß es denn sein?
>>Bei hohen Genauigkeiten (Größenordnung 10ppm) sollte man auch über
>>Lageabhängigkeiten (Meßgerät auf der Seite liegend über Kopf oder auf
>>einer geerdeten Metallplatte oder auf Holztisch) nachdenken.
>>6,5-stellige Multimeter mit LM399-Referenz kann man da leicht um einige
>>ppm vertrimmen.

Hallo Anja,
also in der Tat bin ich bei etwa 10 PPM rauschfreie Auflösung bei 10 
SPS.
Als Referenz verwende ich LT1019, ohne Beheizung.
Das Justieren wird grob über Trimmer gemacht, Feinjustiereung per 
Firmware.
Hab mal nach dem LM399 gesucht, keinen Lieferanten gefunden.

Also einen klimatisierten Raum mit konstanter Luftfeuchte habe ich : 
Meine Tochter duscht 3 mal pro Tag, da ist im Bad immer 100 % RH :-)

Gruß Dirk

von Oliver F. (ollif)


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DirkF schrieb:

> Hab mal nach dem LM399 gesucht, keinen Lieferanten gefunden.


Hallo Dirk,


Digikey hat welche...

http://www.digikey.de/product-search/de?x=0&y=0&lang=de&site=de&KeyWords=lm399

Gruß


Oliver

von Lothar S. (loeti)


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> also in der Tat bin ich bei etwa 10 PPM rauschfreie Auflösung bei 10
> SPS.

Also bei so hohen Anforderungen bist Du bei realen 10.000h BurnIn-Time 
und solltest das Gerät permanent im Standby (= Refferenzspannungsquelle 
und Eingangsverstärker permanent on) laufen lassen um's auch zuverlässig 
zu schaffen.

Grüße Löti

von Anja (Gast)


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DirkF schrieb:
> also in der Tat bin ich bei etwa 10 PPM rauschfreie Auflösung bei 10
> SPS.
> Als Referenz verwende ich LT1019, ohne Beheizung.
> Das Justieren wird grob über Trimmer gemacht, Feinjustiereung per
> Firmware.
Was für einen Wandler hast Du?

Sind die 10 PPM Effektivwert = Standardabweichung oder Peak/Peak?
So in der Größenordnung habe ich auch mal vor vielen Jahren angefangen 
mit an der seriellen (USB-) Schnittstelle hängenden Teilen und 
SMD-Plastikreferenzen.

Inzwischen ist alles Batterieversorgt und sauber über Optokoppler 
galvanisch getrennt mit Buried Zener Referenzen im Keramik-Gehäuse und 
spannungsfreier Montage anstelle Bandgap.
Die Einzelmessung hat etwa 10uVpp bezogen auf 5V Messbereich.
Was also ziemlich gut den 0.3ppm (effektiv) des verwendeten Wandlers 
(LTC2400) entspricht.

> Hab mal nach dem LM399 gesucht, keinen Lieferanten gefunden.
Früher (tm) gabs die mal bei Reichelt, jetzt nur noch bei DigiKey.

Lothar S. schrieb:
> also bei so hohen Anforderungen bist Du bei realen 10.000h BurnIn-Time
Eine Referenz die nach ca 4-5kHr noch nicht eingelaufen ist (< 2ppm/kHr 
Drift bei konstanter Temperatur) wird auch bei 10000h nicht mehr besser 
-> am besten entsorgen.

Gruß Anja

von DirkF (Gast)


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Hallo,
>>>>Was für einen Wandler hast Du?
ADS1256 von TI

>>>Sind die 10 PPM Effektivwert = Standardabweichung oder Peak/Peak?
Kann ich nicht so genau beantworten.
Also auf meiner Digitalanzeige bei z.B +1 V im +- 2V Messbereich 
schwankt die Anzeige zwischen 1.000000  und 1.000010  bei 10 Messungen 
pro Sekunde.
Huch, ist dann wohl 2.5 PPM , oder ?

Gruß Dirk

von DirkF (Gast)


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Hallo Anja,
>>>>Die Einzelmessung hat etwa 10uVpp bezogen auf 5V Messbereich.
>>>>Was also ziemlich gut den 0.3ppm

Versteh ich jetzt nicht.
10 uV / 5 V  = 2 PPM   oder ?

LG Dirk

von Anja (Gast)


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DirkF schrieb:
> 10 uV / 5 V  = 2 PPM   oder ?

2ppm Peak/Peak = ca 0.33 ppm,effektiv

DirkF schrieb:
> Huch, ist dann wohl 2.5 PPM , oder ?
Bezogen auf 4V Messbereich: ja (peak/peak)
Im Datenblatt würde dann 0.4ppm (effektiv) stehen.
Der Umrechnungsfaktor ist je nach Vertrauensbereich ca Faktor 5 .. 6,6
In der Meßtechnik gibt man in der Regel den Effektivwert = 
Standardabweichung an.

DirkF schrieb:
> ADS1256 von TI
Da ist also noch theoretisch ca. Faktor 5 bei 10sps zu holen.
Vielleicht reicht es ja schon das ganze mit Watte abzudecken...
Aber die LT1019 hat ja schon 2.5ppm P-P rauschen.

Gruß Anja

von Lothar S. (loeti)


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> Eine Referenz die nach ca 4-5kHr noch nicht eingelaufen ist (< 2ppm/kHr
> Drift bei konstanter Temperatur) wird auch bei 10000h nicht mehr besser

Das stammt von HP/Agilent nicht von mir und ist natürlich auf die 
sichere Seite...

Grüße Löti

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