Forum: Mikrocontroller und Digitale Elektronik ESD-Test - habe Angst!


von DO160E-Neuling (Gast)


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Hallo!

Ich muss ein Gerät entwickeln, das später Tests nach DO-160E überstehen 
muss. Ich habe eine Frage zum ESD-Test (Kapitel 25).

Und zwar wird dazu ein Kondensator von 150pF auf 15 kV aufgeladen. 
Anschließend wird diese Ladung mittels einer Art Tastkopf (Metallstab 
mit kugelförmiger "Spitze") über einen Widerstand von 330 Ohm in das 
Gerät eingeleitet. Der Tastkopf soll die menschliche Hand simulieren und 
alle Stellen berühren, mit denen man bei der Benutzung in Berührung 
kommt. Also sprich Knöpfe, Frontplatte, Display etc. An jeder relevanten 
Stelle soll diese Entladung 10 mal stattfinden.

Meine Fragen dazu:

1. Ist der Test "hart", oder sind das ganz normale Anforderungen, die 
quasi jedes Gerät aus dem Stand schaffen würde? Mir fehlt die Erfahrung, 
um das einschätzen zu können.

2. Das Gerät hat ein Alugehäuse (aus dem Vollen gefräst), ein 
LCD-Display mit AR-Filter, d.h. eine mit dem Displayglas gebondete 
Kunststoffoberfläche, optische Drehencoder mit Plastikknöpfen und 
SMD-Taster mit Alu-Tastkappen. Das Alugehäuse ist natürlich mit der 
Gerätemasse verbunden. Sorgen machen mir insbesondere die Bedienelemente 
und das Display. Muss ich schaltungstechnisch besondere Maßnahmen 
vorsehen? Die Ausgänge der Drehencoder beispielsweise gehen direkt an 
einen empfindlichen µC, und natürlich sind die Zeilen- und 
Spaltentreiber des Displays auch nicht gerade robust, da ziemlich hoch 
integriert.

Kann sein, dass ich noch mehr Fragen zum Thema DO-160E stellen muss :) 
Gibt es hier Leute, die damit beruflich Erfahrung haben? Wäre an einem 
Austausch sehr interessiert!

von Anja (Gast)


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Mußt du wirklich die 15KV mit 330 Ohm (Kontaktentladung) überstehen?
Normal kenne ich die 15KV mit 150 Ohm (Luftentladung).

DO160E-Neuling schrieb:
> 1. Ist der Test "hart", oder sind das ganz normale Anforderungen, die
> quasi jedes Gerät aus dem Stand schaffen würde? Mir fehlt die Erfahrung,
> um das einschätzen zu können.

Das hängt auch davon ab wie Dein Gerät den Test überstehen muss.
a) Sicherheitsrelevant: Gerät muss störungsfrei weiterlaufen
b) z.B. Display: Gerät darf kurz die (Genauigkeits-)Spezifikationen 
(Flackern) während des Tests verlassen läuft hinterher störungsfrei 
weiter.
c) Konsumer-Gerät: Gerät fällt während Test aus oder wechselt den 
Betriebsmodus und läuft nach Benutzereingriff (Versorgung aus, Reset 
Knopf) störungsfrei weiter.

Es gibt auch Geräte die den Test nicht überleben.

Konstruktive Maßnahmen: ESD-Ströme (mehrere 10A kurzzeitig) nicht in das 
Gerät (>15mm Luft + Kriechstecken) gelangen lassen.

DO160E-Neuling schrieb:
> Das Alugehäuse ist natürlich mit der
> Gerätemasse verbunden.
Das darf maximal ein mal im Gesamtsystem stattfinden. Ansonsten koppelt 
die Störung (magnetisch) in die Masseschleifen. Üblich ist eine 
Filterung aller Leitungen (auch Masse) über 
(Durchführungs-)Kondensatoren ans Metallgehäuse.

DO160E-Neuling schrieb:
> optische Drehencoder
Da ist halt die Frage ob der Encoder über das Magnetfeld gestört werden 
kann.
Displays kann man auch durch häufigen update in der Software "härten".

Gruß Anja

von Kevin (Gast)


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DO160E-Neuling schrieb:
> einer Art Tastkopf (Metallstab
> mit kugelförmiger "Spitze") über einen Widerstand von 330 Ohm in das
> Gerät eingeleitet

Innenraum mit Epoxydharz ausgießen?

von HildeK (Gast)


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DO160E-Neuling schrieb:
> 1. Ist der Test "hart", oder sind das ganz normale Anforderungen, die
> quasi jedes Gerät aus dem Stand schaffen würde? Mir fehlt die Erfahrung,
> um das einschätzen zu können.

Ich würde den Test als hart bezeichnen. Ich kenne bisher nur ESD-Tests 
nach HBM bei 2kV bis 8kV.
Bei 15kV sind auf jeden Fall schaltungstechnische Maßnahmen 
erforderlich. Die Bauteile vertragen oft nur ein paar hundert Volt ohne 
zusätzlichen Schutz. Ich würde daher eher von einem Defekt als von 'nur' 
einer temporären Fehlfunktion beim Test ausgehen.

Ich muss aber zugeben, dass ich keine ESD-Test selber mache und auch die 
DO-160E nicht kenne.

von DO160E-Neuling (Gast)


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Das Gerät soll während des Tests unter realistischen Einsatzbedingungen 
laufen, d.h. in meinem Fall eingebaut in ein Instrumentenbrett, 
verkabelt mit den vorgesehenen Kabelbäumen, und betrieben in einem 
"üblichen" Modus. Es geht nur um die Kontaktpunkte, die im normalen 
Betrieb erreichbar sind (d.h. Fronseite des Gehäuses mit Bedienelementen 
und Display).

Der Test schreibt vor:
- 15 kV
- 150 pF
- 220 Ohm
- Air discharge tip
- Annäherung senkrecht zur Oberfläche mit ca. 0,3 m/s bis eine Entladung 
stattfindet oder die Spitze das Gerät berührt
- Pro Kontaktpunkt 10 Entladungen in positiver und 10 Entladungen in 
negativer Polarität

DANACH muss das Gerät einwandfrei funktionieren und alle Forderungen 
bezüglich Genauigkeit etc. einhalten. Ein Neustart oder eine 
Benutzerinteraktion ist nicht vorgesehen, sie darf nicht erforderlich 
sein.

von DO160E-Neuling (Gast)


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330 Ohm, habe mich vertippt.

von Gerd E. (robberknight)


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DO160E-Neuling schrieb:
> DANACH muss das Gerät einwandfrei funktionieren und alle Forderungen
> bezüglich Genauigkeit etc. einhalten. Ein Neustart oder eine
> Benutzerinteraktion ist nicht vorgesehen, sie darf nicht erforderlich
> sein.

Das sind dann aber schon erschwerte Bedingungen. Wie Anja oben schrieb 
reicht es für die meisten Anwendungen aus wenn kurzzeitige Störungen 
auftreten dürfen oder ein Neustart erlaubt ist.

Was das Design angeht: saubere Masseführung ist das A und O. Siehe Anjas 
Hinweise oben.

Was das Display angeht: wie dick ist Dein Filter davor? Und wie ist der 
mit dem Gehäuse verbunden? Der Trick ist hier daß die Entladung nicht 
aufs Display durchkommt, sondern vorher aufs Gehäuse abgeleitet wird. 
Spannend sind da vor allem die Ränder. Ich hatte z.B. bei einem Gehäuse 
ne dicke (4mm oder so) Acrylglasscheibe vor dem Display. An der Stelle 
für die Gehäuseöffnung hatte die die volle Stärke, außenrum war sie 
dünner gefräst. Damit überlappte die die Öffnung und war dort 
festgeklebt. Die Entladungen hatten damit keine Chance auf das Display 
selbst zu kommen. Hat im Test gut funktioniert.

Ansonsten ist der Test selbst ja normal recht teuer und vom Termin her 
schwer zu bekommen wenn man keinen Aufpreis zahlen will. Daher sollte 
man selbst vorher mal testen. Ein paar Ideen siehe hier im Forum, z.B. 
hier:
Beitrag "EMV: Burst & Surge. Vorabtest. Hausmittel?"

Spätestens wenn die Entladungen statt per Piezofeuerzeug per 
Auto-Zündspule gemacht werden und das Gerät weiterläuft, steht dem 
erfolgreichen Test im Labor nix mehr im Weg...

von Anja (Gast)


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Hallo,

bei erhöhten Anforderungen würde ich vorab bei einem guten EMV-Labor 
einen Beratungstermin für die Konstruktion und Leiterplattengestaltung 
buchen.
Wenn hier schon fundamentale Fehler gemacht werden rächt sich das dann 
beim finalen Test.

Gruß Anja

von F. F. (foldi)


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DO160E-Neuling schrieb:
> Der Test schreibt vor:
> - 15 kV
> - 150 pF
> - 220 Ohm
> - Air discharge tip
> - Annäherung senkrecht zur Oberfläche mit ca. 0,3 m/s bis eine Entladung
> stattfindet oder die Spitze das Gerät berührt
> - Pro Kontaktpunkt 10 Entladungen in positiver und 10 Entladungen in
> negativer Polarität
>
> DANACH muss das Gerät einwandfrei funktionieren und alle Forderungen
> bezüglich Genauigkeit etc. einhalten. Ein Neustart oder eine
> Benutzerinteraktion ist nicht vorgesehen, sie darf nicht erforderlich
> sein.

Rein aus Interesse, in welchen Bereichen werden solche Geräte 
eingesetzt, die das überstanden haben?
Luft- und Raumfahrt und Medizintechnik könnte ich mir vorstellen.
Gibt es noch andere Bereiche?

von Anja (Gast)


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F. Fo schrieb:
> Rein aus Interesse, in welchen Bereichen werden solche Geräte
> eingesetzt, die das überstanden haben?

Suche mal nach DO160E

Gruß Anja

von DO160E-Neuling (Gast)


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Airborne Multipurpose-Display ist die Bezeichnung :)

von F. F. (foldi)


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Anja schrieb:
> F. Fo schrieb:
>> Rein aus Interesse, in welchen Bereichen werden solche Geräte
>> eingesetzt, die das überstanden haben?
>
> Suche mal nach DO160E
>
> Gruß Anja

Ah fein, danke Anja!
Dachte ich doch richtig, Luftfahrt. Bin selbst Fluggerätemechaniker (übe 
ich aber schon ewig nicht mehr aus, diesen Beruf) und kenne da schon so 
einige Anforderungen.
Wenn ich allerdings Teilweise die Verkabelungen in solchen Cessna (z.B 
172) betrachte, dann möchte ich nicht bei Blitzeinschlag auf ein 
Instrument angewiesen sein.

: Bearbeitet durch User
von DO160E-Neuling (Gast)


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Mit einer Cessna 172 machst du einen weiten Bogen um Gewitterzellen. 
Wobei du Recht hast, was den Zustand der Verkabelung mancher älterer 
Flugzeuge angeht. Dieses Problem haben aber auch große Flugzeuge.

von F. F. (foldi)


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DO160E-Neuling schrieb:
> Mit einer Cessna 172 machst du einen weiten Bogen um Gewitterzellen.
> Wobei du Recht hast, was den Zustand der Verkabelung mancher älterer
> Flugzeuge angeht. Dieses Problem haben aber auch große Flugzeuge.

Sicher mach ich den. War nur die Überleitung zu den Kabeln.
Ich arbeite schon seit 25 Jahren nicht mehr in dem Beruf.

von Max G. (l0wside) Benutzerseite


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DO160E-Neuling schrieb:
> Airborne Multipurpose-Display ist die Bezeichnung :)

Feine Sache...

Anjas Hinweis mit dem EMV-Labor ist absolut richtig. Ein paar Dinge 
kannst du aber auch selbst schon machen:
- Sauberes Massekonzept - da gibt es verschiedene Philosophien, aber du 
solltest dich für eine entscheiden und diese auch durchziehen. Ich bin 
eher Anhänger eines dezentralen Konzepts - Leistungsmasse, Analogmasse, 
Digitalmasse jeweils separat führen und nur an einem gemeinsamen 
Sternpunkt zusammenführen. Es gibt aber genauso auch gute Argumente für 
eine zentrale Masselage für alles.
- Kritische Leitungen (Drehencoder) zum einen mit den passenden 
Zenerdioden absichern, zum anderen direkt vor dem µC noch mal 
Längswiderstände setzen. Die so dimensionieren, dass die 
Drehencoderstellung in jedem Fall noch erkannt wird. Dahinter kann noch 
ein kleiner Keramik-C. Damit lassen sich Einkopplungen ganz gut 
abblocken.
- Spannungsversorgung so auslegen, dass sie auch mit kurzen 
Unterbrechungen oder Überschwingern zurechtkommt. Schau dich mal im 
Automobilbereich um, die Anforderungen dort sind teilweise recht 
ähnlich.

Max

von Hoppla ! (Gast)


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Die Enladungstests sind nicht allzu schwierig wenn man nur DC Leitungen 
hat. Denn die Ladung von 150pF 15kV macht auf einem 100nF Kondensator 
grad man 22V, falls man sich einen 470nF an diesem signal leisten kann, 
sind's dann noch 5V. Also alle DC Leitungen mit 470nF ans Gehaeuse.

von Gebhard R. (Firma: Raich Gerätebau & Entwicklung) (geb)


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ESD-Entladungen haben nur sehr geringen Energieinhalt, dadurch werden 
Bauteile (ausgenommen diskrete Mosfet-Gates)nur sehr selten beschädigt. 
Allerdings ist das dI/dt erheblich, wobei dI meist unter 10A aber dt in 
der Größenordnung von 1ns liegt. Das bewirkt eine ordentliche Induktion 
in der näheren Umgebung des Überschlags. Daher gilt es, möglichst keine 
Leiterschleifen zu produzieren, Eingänge über Filter zu schützen, und 
wenn möglich die Grenzfrequenz niedrig zu halten.
Der angesprochene Drehencoder wäre schon ein heißer Kandidat für 
Falschzählungen.
Ein EMV-Labor ist für diese Tests nicht unbedingt nötig, eine 
ESD-Pistole kostet gar nicht sooo viel.

Grüsse

von Soul E. (Gast)


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F. Fo schrieb:

> Luft- und Raumfahrt und Medizintechnik könnte ich mir vorstellen.
> Gibt es noch andere Bereiche?

In Deinem Auto. 15kV Luftentladung sind für Schalter und Bedienfelder 
seit Jahren Stand der Technik, und ein Airbag muss sogar 25kV ohne 
Fehlzündung aushalten.

Dazu kommen 8kV Kontaktentladung, d.h. erst die Spitze aufsetzen und 
dann abdrücken.

von Arc N. (arc)


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Max G. schrieb:
> - Kritische Leitungen (Drehencoder) zum einen mit den passenden
> Zenerdioden absichern, zum anderen direkt vor dem µC noch mal
> Längswiderstände setzen. Die so dimensionieren, dass die
> Drehencoderstellung in jedem Fall noch erkannt wird. Dahinter kann noch
> ein kleiner Keramik-C. Damit lassen sich Einkopplungen ganz gut
> abblocken.

Wenn sehr wenig Platz vorhanden ist gibt es auch kombinierte 
ESD/EMI-(CRC oder CLC)-Filter  wie z.B. die EMIF08-1005T16 von ST, 
TPD8F003 von TI oder CM1461 von OnSemi.

: Bearbeitet durch User
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