Forum: /dev/null Wirtschaftleistung Industriestaaten [Endet 18.09.]


von Christoph M. (mchris)


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Die meisten hier im MC-Netz werden ihr Geld im Industriebereich als 
"Wissensarbeiter" verdienen.
Die Möglichkeiten dazu hängen stark von der wirtschaftlichen 
Leistungsfähigkeit des Staates ab, in dem man arbeitet.

In diesem Thread gab es die interessante Frage, warum Holand als kleines 
Land so gut dasteht.

Beitrag "Re: Bosch gibt Lidar-Entwicklung auf"

Ich würde das gerne anhand von Zahlen und Fakten analysieren.
Ein sehr guter Startpunkt ist der Wikipedia-Artikel über die Wirtschaft 
von Holland:

https://de.wikipedia.org/wiki/Wirtschaft_der_Niederlande

: Gesperrt durch Moderator
von Georg M. (g_m)


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Entsteht hier wieder eine sinnlose Diskussion?

von Dergute W. (derguteweka)


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Moin,

Christoph M. schrieb:
> Ich würde das gerne anhand von Zahlen und Fakten analysieren.

Nur zu, lass' die Haend' wackeln. Ich werd' dir nicht im Wege stehen.

scnr,
WK

von Stefan H. (Firma: dm2sh) (stefan_helmert)


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"Wirtschaftsleistung" ist eine sehr abstrakte und nur schwer messbare 
Größe. Eigentlich kann man unterschiedliche Länder schlecht miteinander 
vergleichen.

Ein Beispiel, warum die Größe wenig aussagt:
Im Fall 1 erziehen die Eltern ihre Kinder selbst. Im Fall 2 geben sie 
sie in die Kinderbetreuung. Fall 1 ergibt eine Wirtschaftsleistung von 
0, Fall 2 dagegen sehr viel, weil da Geld fließt.

Wie hoch die Wirtschaftsleistung ausfällt, hängt von einer formalen 
Zuordnung der Handlung ab. Zwei Fälle können bei gleichem Aufwand und 
gleichem Ergebnis zwei unterschiedliche Werte ergeben, wenn sie nur auf 
unterschiedlichem Wege umgesetzt werden.

Noch abstruser wird die Betrachtung einer Vollkaskoversicherung. Die 
abstrakte Sicherheit, welche die Versicherung gewährt, zählt als 
Wirtschaftsleistung. Wenn nun ein Unfall passiert, die Versicherung 
zahlt und für das Geld ein neues Auto gekauft wird, ist die 
Wirtschaftsleistung natürlich noch höher, weil die Autoindustrie eine 
Leistung erbringt.

von Jörg (zwischenfrequenz)


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Man darf nicht den Fehler machen zu glauben, nur weil Deutschland und 
die Niederlande so eng bei einander liegen und ähnliche Wurzeln haben 
(mal den ersten Satz der niederländischen Hymne angucken), die Länder 
seien ähnlich organisiert.

Die Wirtschafts-, Steuer- und Sozialsystemstrukturen sind sehr 
unterschiedlich zu den deutschen, ebenso wie die Einstellung und 
Erwartungen der Bevölkerung. Man muss das als ganzes sehen und darf 
nicht neidisch Einzelpunkte rausgreifen. Auch darf man nicht glauben, 
dass sich niederländische Verhältnisse einfach so mit deutschem 
Anspruchsdenken vereinbaren ließen. So setzt das niederländische 
Gesundheitssystem auf Eigenverantwortung, es wird dort deutlich weniger 
Krankenkassengeld ausgegeben, erst mal greift die Selbstbeteiligung. Der 
Krankenkassenbeitrag ist einkommensunabhängig und es gibt keine 
beitragsfreie Mitversicherung. Menschen die aus anderen Industriestaaten 
in die Niederlande ziehen sind vom Gesundheitssystem regelmäßig 
überrascht. Es wird kaum etwas verschrieben und es ist kaum möglich zum 
Facharzt zu kommen, die gibt es ohnehin nur im Krankenhaus. Wer 
wirklich schwer krank ins Krankenhaus kommt, bleibt dort nicht lange.

Auch das Steuersystem ist gänzlich anders, etwa die laufende KFZ-Steuer 
ist viel höher als in Deutschland und provinzabhängig, umso höher je 
dichter besiedelt. Zudem gibt es Umwelt und Luxussteuer (heißt anders, 
ist aber faktisch eine solche) beim Autokauf. Ausländische Firmen sind 
in NL nur dann gern gesehen, wenn sie Geld bringen, nicht wenn sie Geld 
kosten. So wären technisch logische europäische Standorte für moderne 
CMOS Fabriken in der Nähe von Veldhoven, dicht bei den 
Lithographieexperten von ASML. Aber die Niederlande kämen nicht auf die 
Idee ausländischen Firmen die halben Investitionskosten zu bezahlen wie 
es Deutschland macht, damit die Strukturschwachen nicht so jammern.

Der größte Unterschied zwischen den Ländern ist denn auch, dass die 
Niederlande sich in den letzten 34 Jahren erfolgreich ohne Rücksicht auf 
Bremsklötze entwickeln konnten, während Kohl meinte den Osten als 
Stimmvieh für die nächste Wahl zu benötigen. Statt die DDR sich in einer 
Zweistaatenlösung weiter nach eigenen Wünschen und Fähigkeiten und mit 
eigener Währung selbst frei entwickeln zu lassen und das Geld im Westen 
innovativ für das eigene Volk ausgeben zu können, wird es nun für 
integrationsverweigernde Kulturbereicherer welche sich als Krone der 
Schöpfung sehen, aber außer ihren Orden nichts putzen oder stolz 485 
ohne Masse anschließen, ausgegeben. Dazu noch die Linksgrünversifften in 
Westdeutschland, die meinten man müsse eine FDJ Sekretärin jetzt doch 
auch mal die Richtlinien der Politik bestimmen lassen. Eine Last, die 
den Niederlanden erspart geblieben ist und ihre Wirtschafts- und 
Wohlstandsentwicklung nicht behindert hat. Das es in Deutschland dazu 
kommen konnte ist aber letztlich die historische Folge deutscher 
Großmannssucht, unter denen auch die Niederlande einst zu leiden hatten.

Das ist denn wohl der Kernpunkt: Die Zusammensetzung und 
sozialisationsbedingte Mentalität der Bevölkerung ist deutlich anders. 
Zwar gibt es auch in NL einen Nahostkonflikt, im Westen wird der 
Wohlstand des ganzen Landes erwirtschaftet, im Osten wird zerstört und 
gejammert, aber letztlich wissen sie, welche Hand sie füttert. Über 
alles gesehen herrscht Konsenskultur, der Umgang miteinander ist besser. 
Das Scheitern der Regierungskoalition vor ein paar Wochen lief 
beispielsweise ohne Schlammschlacht ab, in Deutschland undenkbar. Im 
Verkehr wird viel mehr Rücksicht genommen, auf Vorfahrt wird zu Gunsten 
Schwächerer gern verzichtet. Auch der noch (kommissarische) 
Premierminister, Mitglied der spöttisch Autopartei genannten VVD, fährt 
zwischen den verschiedenen Dienstorten in Den Haag mit dem Rad. Die 
Einführung des Tempolimits tagsüber von 130 auf 100 ging ohne 
Widersprüche, wo Vertreter einer deutschen Wirtschaftspartei direkt 
einen Mangel an Schildern sehen würden. Und weil alle mithelfen statt 
unkonstruktiv zu sein, gibt es eben eine super Verkehrsinfrastruktur 
(getrennte Radwege, Straßen in gutem Zustand, Autobahnen mit 
elektronischen Schildern für jede Spur alle 500 bis 700 m welche 
nächtliche Mäharbeiten am Mittelstreifen sehr einfach umsetzbar machen). 
Und ja, das Problem mit Brücken über hundert Meter tiefe Täler hat man 
in den Niederlanden nicht. Es reichen meist standardisierte Brücken.

Die Wertschätzung der Menschen für die Leistungen des jeweils anderen 
ist übrigens gegenseitig. Die Niederländer schätzen zum Beispiel 
deutsche Technologie und Ausführungsqualität. Man könnte viel 
voneinander lernen, aber in Deutschland wären nicht alle dazu bereit, 
denn es würde Einsatz fordern, Ansprüche zu stellen reicht nicht.

Eine Anmerkung noch für alle, die sich über den Radweg lustig gemacht 
haben: Das war mehr Kunstprojekt als Ingenieurprojekt. Die Niederlande 
sind entwickelt genug um zu wissen, dass ein Radweg nicht der beste Ort 
für Solarzellen ist. Pop-up Kunst im öffentlichen Raum ist in NL weit 
verbreitet, sie verschwindet auch schnell wieder. Das gilt übrigens 
nicht nur für Kunst, auch sonst werden Bauwerke schnell wieder 
abgerissen und ersetzt, wenn sie nicht mehr zeitgemäß sind.

von Christoph M. (mchris)


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Stefan H. (Firma: dm2sh) (stefan_helmert)
>"Wirtschaftsleistung" ist eine sehr abstrakte und nur schwer messbare
>Größe. Eigentlich kann man unterschiedliche Länder schlecht miteinander
>vergleichen.

Gut, vielleicht ist Wirtschaftsleistung der falsche Begriff.
Eine Zeit lang war Deutschland Exportweltmeister und die Bevölkerung auf 
irgend eine Art stolz darauf.
Die Frage ist, was hat das für den einzelnen Bürger bedeutet? Mehr 
Autos, größere Fernseher, mehr Fernreisen?
Ist das BIP mit dem Wohlstand der Bürger verbunden? Sind die 
Arbeitsplätze besser?

von Christoph M. (mchris)


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Jörg (zwischenfrequenz)
>So wären technisch logische europäische Standorte für moderne
>CMOS Fabriken in der Nähe von Veldhoven, dicht bei den
>Lithographieexperten von ASML. Aber die Niederlande kämen nicht auf die
>Idee ausländischen Firmen die halben Investitionskosten zu bezahlen wie
>es Deutschland macht, damit die Strukturschwachen nicht so jammern.

In Firmen aber auch in Ländern sind strategische Entscheidungen zu 
treffen.
Die Chipindustrie ist eine der strategischen Industrien insbesondere mit 
dem absehbaren Konflikt mit China und dem Wegfallen von TSMC sowie den 
strategischen Investitionen der USA um die Chipindustrie zurück in ihr 
Land zu holen.
Aus diesem Grund investiert Deutschland in die Ansiedelung dieser 
Technologie.

von Dieter D. (Firma: Hobbytheoretiker) (dieter_1234)


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Beim Vergleich wäre auch die Bevölkerungsentwicklung mit zu 
berücksichtigen. Eine Zunahme der Wirtschaftsleistung von +1% bei einer 
Zunahme der Bevölkerung von +2% entspricht einer Wirtschaftsleistung von 
-1% mit unveränderlicher Bevölkerungsanzahl. Unter Berücksichtigung 
dieses Aspekts, sähe es noch weniger gut aus.

von Michael B. (laberkopp)


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Jörg schrieb:
> Im Verkehr wird viel mehr Rücksicht genommen, auf Vorfahrt wird zu
> Gunsten Schwächerer gern verzichtet.

So so

In Deutschland kamen im Jahr 2017 auf eine Million Einwohner 4,6 
getötete Radfahrer. In Dänemark liegt das Verhältnis mit 4,7 nur 
geringfügig höher. Mit 12,1 tödlich verunglückten Radfahrern pro 1 Mio. 
Einwohner übernehmen die Niederlande die traurige Spitze.

https://www.nimms-rad.de/news/verkehrstote-niederlande-fahrrad/

KFZ Unfallzahlen sind übrigens in den Niederlanden nicht geringer als 
hier.

https://www.uni-muenster.de/NiederlandeNet/aktuelles/archiv/2019/1014Verkehrssicherheit.html

weswegen man dort 2020 die Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen von 130 
auf 100 reduziert hat.

von Dieter D. (Firma: Hobbytheoretiker) (dieter_1234)


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Michael B. schrieb:
> Mit 12,1 tödlich verunglückten Radfahrern pro 1 Mio.
> Einwohner übernehmen die Niederlande die traurige Spitze.

Wobei Korrelation nicht gleich Kausalität ist.

Wenn in Deutschland dreimal mehr Kilometer im Durchschnitt zurücklegt 
würde, wie bisher, würde Niederlande von diesem Platz verdrängt werden.

von Jörg (zwischenfrequenz)


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Michael B. schrieb:
> In Deutschland kamen im Jahr 2017 auf eine Million Einwohner 4,6
> getötete Radfahrer. In Dänemark liegt das Verhältnis mit 4,7 nur
> geringfügig höher. Mit 12,1 tödlich verunglückten Radfahrern pro 1 Mio.
> Einwohner übernehmen die Niederlande die traurige Spitze.
Der Vergleich ist unsinnig, die pro Jahr gefahrenen Radkilometer sind in 
NL viel größer als in D.

> weswegen man dort 2020 die Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen von 130
> auf 100 reduziert hat.
Nein, das war vorgeblich zur der Verringerung der Emissionen von 
Stickstoffverbindungen. Die Bauern hatten genölt, weil ihre 
Ammoniakemissionen eingeschränkt wurden. Damit sie nicht das Gefühl 
haben sollten, die alleinigen Lastträger zu sein, hat Rutte das 
Tagtempolimit eingeführt. Das war in dem Zusammenhang zwar nicht 
sachdienlich, weil NOx hauptsächlich von Dieselmotoren kommt und es 
Diesel PKW in NL wegen der hohen Kauf- und monatlichen Steuer kaum gibt 
und für Lastwagen 100 oder 130 egal ist. Aber die Bauern haben es 
geglaubt. So funktioniert das in NL.

von Thomas U. (charley10)


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Christoph M. schrieb:
> Stefan H. (Firma: dm2sh) (stefan_helmert)
>>"Wirtschaftsleistung" ist eine sehr abstrakte und nur schwer messbare
>>Größe. Eigentlich kann man unterschiedliche Länder schlecht miteinander
>>vergleichen.
>
> Gut, vielleicht ist Wirtschaftsleistung der falsche Begriff.
> Eine Zeit lang war Deutschland Exportweltmeister und die Bevölkerung auf
> irgend eine Art stolz darauf.
> Die Frage ist, was hat das für den einzelnen Bürger bedeutet? Mehr
> Autos, größere Fernseher, mehr Fernreisen?
> Ist das BIP mit dem Wohlstand der Bürger verbunden? Sind die
> Arbeitsplätze besser?

Nö - der Anteil der "Wohlstandsverwahrlosten" in der Bevölkerung ist 
wesentlich angewachsen mit all seinen nachteiligen Auswirkungen...

: Bearbeitet durch User
von Ein T. (ein_typ)


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Stefan H. schrieb:
> "Wirtschaftsleistung" ist eine sehr abstrakte und nur schwer messbare
> Größe. Eigentlich kann man unterschiedliche Länder schlecht miteinander
> vergleichen.

In Wirklichkeit kann man das sehr gut, dafür gibt es nämlich sehr gute 
und aussagekräftige Kenngrößen wie das kaufkraftbereinigte 
Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner, aber auch Bruttosozial- und 
Bruttoinlandsprodukt. Was sollte man denn da "schlecht miteinander 
vergleichen" können?

> Ein Beispiel, warum die Größe wenig aussagt:
> Im Fall 1 erziehen die Eltern ihre Kinder selbst. Im Fall 2 geben sie
> sie in die Kinderbetreuung. Fall 1 ergibt eine Wirtschaftsleistung von
> 0, Fall 2 dagegen sehr viel, weil da Geld fließt.

Verzeihung, aber die Aussagekraft von Betrachtungen völlig 
hypothetischer Einzelfälle erschließt sich mir bislang leider noch 
nicht.

von Thomas U. (charley10)


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Michael B. schrieb:
...
...
> Jörg schrieb:
>> Im Verkehr wird viel mehr Rücksicht genommen, auf Vorfahrt wird zu
>> Gunsten Schwächerer gern verzichtet.
>
> So so
>
> In Deutschland kamen im Jahr 2017 auf eine Million Einwohner 4,6
> getötete Radfahrer. In Dänemark liegt das Verhältnis mit 4,7 nur
> geringfügig höher. Mit 12,1 tödlich verunglückten Radfahrern pro 1 Mio.
> Einwohner übernehmen die Niederlande die traurige Spitze.
>
> https://www.nimms-rad.de/news/verkehrstote-niederlande-fahrrad/
>
> KFZ Unfallzahlen sind übrigens in den Niederlanden nicht geringer als
> hier.
>
> 
https://www.uni-muenster.de/NiederlandeNet/aktuelles/archiv/2019/1014Verkehrssicherheit.html
>
> weswegen man dort 2020 die Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen von 130
> auf 100 reduziert hat.

Und die Wirkung ist welche?

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