Forum: /dev/null Wirtschaftleistung Industriestaaten [Endet 18.09.]
Die meisten hier im MC-Netz werden ihr Geld im Industriebereich als
"Wissensarbeiter" verdienen.
Die Möglichkeiten dazu hängen stark von der wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit des Staates ab, in dem man arbeitet.
In diesem Thread gab es die interessante Frage, warum Holand als kleines
Land so gut dasteht.
Beitrag "Re: Bosch gibt Lidar-Entwicklung auf"
Ich würde das gerne anhand von Zahlen und Fakten analysieren.
Ein sehr guter Startpunkt ist der Wikipedia-Artikel über die Wirtschaft
von Holland:
https://de.wikipedia.org/wiki/Wirtschaft_der_Niederlande
Entsteht hier wieder eine sinnlose Diskussion?
Moin,
Christoph M. schrieb:
> Ich würde das gerne anhand von Zahlen und Fakten analysieren.
Nur zu, lass' die Haend' wackeln. Ich werd' dir nicht im Wege stehen.
scnr,
WK
"Wirtschaftsleistung" ist eine sehr abstrakte und nur schwer messbare
Größe. Eigentlich kann man unterschiedliche Länder schlecht miteinander
vergleichen.
Ein Beispiel, warum die Größe wenig aussagt:
Im Fall 1 erziehen die Eltern ihre Kinder selbst. Im Fall 2 geben sie
sie in die Kinderbetreuung. Fall 1 ergibt eine Wirtschaftsleistung von
0, Fall 2 dagegen sehr viel, weil da Geld fließt.
Wie hoch die Wirtschaftsleistung ausfällt, hängt von einer formalen
Zuordnung der Handlung ab. Zwei Fälle können bei gleichem Aufwand und
gleichem Ergebnis zwei unterschiedliche Werte ergeben, wenn sie nur auf
unterschiedlichem Wege umgesetzt werden.
Noch abstruser wird die Betrachtung einer Vollkaskoversicherung. Die
abstrakte Sicherheit, welche die Versicherung gewährt, zählt als
Wirtschaftsleistung. Wenn nun ein Unfall passiert, die Versicherung
zahlt und für das Geld ein neues Auto gekauft wird, ist die
Wirtschaftsleistung natürlich noch höher, weil die Autoindustrie eine
Leistung erbringt.
Man darf nicht den Fehler machen zu glauben, nur weil Deutschland und
die Niederlande so eng bei einander liegen und ähnliche Wurzeln haben
(mal den ersten Satz der niederländischen Hymne angucken), die Länder
seien ähnlich organisiert.
Die Wirtschafts-, Steuer- und Sozialsystemstrukturen sind sehr
unterschiedlich zu den deutschen, ebenso wie die Einstellung und
Erwartungen der Bevölkerung. Man muss das als ganzes sehen und darf
nicht neidisch Einzelpunkte rausgreifen. Auch darf man nicht glauben,
dass sich niederländische Verhältnisse einfach so mit deutschem
Anspruchsdenken vereinbaren ließen. So setzt das niederländische
Gesundheitssystem auf Eigenverantwortung, es wird dort deutlich weniger
Krankenkassengeld ausgegeben, erst mal greift die Selbstbeteiligung. Der
Krankenkassenbeitrag ist einkommensunabhängig und es gibt keine
beitragsfreie Mitversicherung. Menschen die aus anderen Industriestaaten
in die Niederlande ziehen sind vom Gesundheitssystem regelmäßig
überrascht. Es wird kaum etwas verschrieben und es ist kaum möglich zum
Facharzt zu kommen, die gibt es ohnehin nur im Krankenhaus. Wer
wirklich schwer krank ins Krankenhaus kommt, bleibt dort nicht lange.
Auch das Steuersystem ist gänzlich anders, etwa die laufende KFZ-Steuer
ist viel höher als in Deutschland und provinzabhängig, umso höher je
dichter besiedelt. Zudem gibt es Umwelt und Luxussteuer (heißt anders,
ist aber faktisch eine solche) beim Autokauf. Ausländische Firmen sind
in NL nur dann gern gesehen, wenn sie Geld bringen, nicht wenn sie Geld
kosten. So wären technisch logische europäische Standorte für moderne
CMOS Fabriken in der Nähe von Veldhoven, dicht bei den
Lithographieexperten von ASML. Aber die Niederlande kämen nicht auf die
Idee ausländischen Firmen die halben Investitionskosten zu bezahlen wie
es Deutschland macht, damit die Strukturschwachen nicht so jammern.
Der größte Unterschied zwischen den Ländern ist denn auch, dass die
Niederlande sich in den letzten 34 Jahren erfolgreich ohne Rücksicht auf
Bremsklötze entwickeln konnten, während Kohl meinte den Osten als
Stimmvieh für die nächste Wahl zu benötigen. Statt die DDR sich in einer
Zweistaatenlösung weiter nach eigenen Wünschen und Fähigkeiten und mit
eigener Währung selbst frei entwickeln zu lassen und das Geld im Westen
innovativ für das eigene Volk ausgeben zu können, wird es nun für
integrationsverweigernde Kulturbereicherer welche sich als Krone der
Schöpfung sehen, aber außer ihren Orden nichts putzen oder stolz 485
ohne Masse anschließen, ausgegeben. Dazu noch die Linksgrünversifften in
Westdeutschland, die meinten man müsse eine FDJ Sekretärin jetzt doch
auch mal die Richtlinien der Politik bestimmen lassen. Eine Last, die
den Niederlanden erspart geblieben ist und ihre Wirtschafts- und
Wohlstandsentwicklung nicht behindert hat. Das es in Deutschland dazu
kommen konnte ist aber letztlich die historische Folge deutscher
Großmannssucht, unter denen auch die Niederlande einst zu leiden hatten.
Das ist denn wohl der Kernpunkt: Die Zusammensetzung und
sozialisationsbedingte Mentalität der Bevölkerung ist deutlich anders.
Zwar gibt es auch in NL einen Nahostkonflikt, im Westen wird der
Wohlstand des ganzen Landes erwirtschaftet, im Osten wird zerstört und
gejammert, aber letztlich wissen sie, welche Hand sie füttert. Über
alles gesehen herrscht Konsenskultur, der Umgang miteinander ist besser.
Das Scheitern der Regierungskoalition vor ein paar Wochen lief
beispielsweise ohne Schlammschlacht ab, in Deutschland undenkbar. Im
Verkehr wird viel mehr Rücksicht genommen, auf Vorfahrt wird zu Gunsten
Schwächerer gern verzichtet. Auch der noch (kommissarische)
Premierminister, Mitglied der spöttisch Autopartei genannten VVD, fährt
zwischen den verschiedenen Dienstorten in Den Haag mit dem Rad. Die
Einführung des Tempolimits tagsüber von 130 auf 100 ging ohne
Widersprüche, wo Vertreter einer deutschen Wirtschaftspartei direkt
einen Mangel an Schildern sehen würden. Und weil alle mithelfen statt
unkonstruktiv zu sein, gibt es eben eine super Verkehrsinfrastruktur
(getrennte Radwege, Straßen in gutem Zustand, Autobahnen mit
elektronischen Schildern für jede Spur alle 500 bis 700 m welche
nächtliche Mäharbeiten am Mittelstreifen sehr einfach umsetzbar machen).
Und ja, das Problem mit Brücken über hundert Meter tiefe Täler hat man
in den Niederlanden nicht. Es reichen meist standardisierte Brücken.
Die Wertschätzung der Menschen für die Leistungen des jeweils anderen
ist übrigens gegenseitig. Die Niederländer schätzen zum Beispiel
deutsche Technologie und Ausführungsqualität. Man könnte viel
voneinander lernen, aber in Deutschland wären nicht alle dazu bereit,
denn es würde Einsatz fordern, Ansprüche zu stellen reicht nicht.
Eine Anmerkung noch für alle, die sich über den Radweg lustig gemacht
haben: Das war mehr Kunstprojekt als Ingenieurprojekt. Die Niederlande
sind entwickelt genug um zu wissen, dass ein Radweg nicht der beste Ort
für Solarzellen ist. Pop-up Kunst im öffentlichen Raum ist in NL weit
verbreitet, sie verschwindet auch schnell wieder. Das gilt übrigens
nicht nur für Kunst, auch sonst werden Bauwerke schnell wieder
abgerissen und ersetzt, wenn sie nicht mehr zeitgemäß sind.
Stefan H. (Firma: dm2sh) (stefan_helmert)
>"Wirtschaftsleistung" ist eine sehr abstrakte und nur schwer messbare
>Größe. Eigentlich kann man unterschiedliche Länder schlecht miteinander
>vergleichen.
Gut, vielleicht ist Wirtschaftsleistung der falsche Begriff.
Eine Zeit lang war Deutschland Exportweltmeister und die Bevölkerung auf
irgend eine Art stolz darauf.
Die Frage ist, was hat das für den einzelnen Bürger bedeutet? Mehr
Autos, größere Fernseher, mehr Fernreisen?
Ist das BIP mit dem Wohlstand der Bürger verbunden? Sind die
Arbeitsplätze besser?
Jörg (zwischenfrequenz)
>So wären technisch logische europäische Standorte für moderne
>CMOS Fabriken in der Nähe von Veldhoven, dicht bei den
>Lithographieexperten von ASML. Aber die Niederlande kämen nicht auf die
>Idee ausländischen Firmen die halben Investitionskosten zu bezahlen wie
>es Deutschland macht, damit die Strukturschwachen nicht so jammern.
In Firmen aber auch in Ländern sind strategische Entscheidungen zu
treffen.
Die Chipindustrie ist eine der strategischen Industrien insbesondere mit
dem absehbaren Konflikt mit China und dem Wegfallen von TSMC sowie den
strategischen Investitionen der USA um die Chipindustrie zurück in ihr
Land zu holen.
Aus diesem Grund investiert Deutschland in die Ansiedelung dieser
Technologie.
Beim Vergleich wäre auch die Bevölkerungsentwicklung mit zu
berücksichtigen. Eine Zunahme der Wirtschaftsleistung von +1% bei einer
Zunahme der Bevölkerung von +2% entspricht einer Wirtschaftsleistung von
-1% mit unveränderlicher Bevölkerungsanzahl. Unter Berücksichtigung
dieses Aspekts, sähe es noch weniger gut aus.
Jörg schrieb:
> Im Verkehr wird viel mehr Rücksicht genommen, auf Vorfahrt wird zu
> Gunsten Schwächerer gern verzichtet.
So so
In Deutschland kamen im Jahr 2017 auf eine Million Einwohner 4,6
getötete Radfahrer. In Dänemark liegt das Verhältnis mit 4,7 nur
geringfügig höher. Mit 12,1 tödlich verunglückten Radfahrern pro 1 Mio.
Einwohner übernehmen die Niederlande die traurige Spitze.
https://www.nimms-rad.de/news/verkehrstote-niederlande-fahrrad/
KFZ Unfallzahlen sind übrigens in den Niederlanden nicht geringer als
hier.
https://www.uni-muenster.de/NiederlandeNet/aktuelles/archiv/2019/1014Verkehrssicherheit.html
weswegen man dort 2020 die Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen von 130
auf 100 reduziert hat.
Michael B. schrieb:
> Mit 12,1 tödlich verunglückten Radfahrern pro 1 Mio.
> Einwohner übernehmen die Niederlande die traurige Spitze.
Wobei Korrelation nicht gleich Kausalität ist.
Wenn in Deutschland dreimal mehr Kilometer im Durchschnitt zurücklegt
würde, wie bisher, würde Niederlande von diesem Platz verdrängt werden.
Michael B. schrieb:
> In Deutschland kamen im Jahr 2017 auf eine Million Einwohner 4,6
> getötete Radfahrer. In Dänemark liegt das Verhältnis mit 4,7 nur
> geringfügig höher. Mit 12,1 tödlich verunglückten Radfahrern pro 1 Mio.
> Einwohner übernehmen die Niederlande die traurige Spitze.
Der Vergleich ist unsinnig, die pro Jahr gefahrenen Radkilometer sind in
NL viel größer als in D.
> weswegen man dort 2020 die Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen von 130
> auf 100 reduziert hat.
Nein, das war vorgeblich zur der Verringerung der Emissionen von
Stickstoffverbindungen. Die Bauern hatten genölt, weil ihre
Ammoniakemissionen eingeschränkt wurden. Damit sie nicht das Gefühl
haben sollten, die alleinigen Lastträger zu sein, hat Rutte das
Tagtempolimit eingeführt. Das war in dem Zusammenhang zwar nicht
sachdienlich, weil NOx hauptsächlich von Dieselmotoren kommt und es
Diesel PKW in NL wegen der hohen Kauf- und monatlichen Steuer kaum gibt
und für Lastwagen 100 oder 130 egal ist. Aber die Bauern haben es
geglaubt. So funktioniert das in NL.
Christoph M. schrieb:
> Stefan H. (Firma: dm2sh) (stefan_helmert)
>>"Wirtschaftsleistung" ist eine sehr abstrakte und nur schwer messbare
>>Größe. Eigentlich kann man unterschiedliche Länder schlecht miteinander
>>vergleichen.
>
> Gut, vielleicht ist Wirtschaftsleistung der falsche Begriff.
> Eine Zeit lang war Deutschland Exportweltmeister und die Bevölkerung auf
> irgend eine Art stolz darauf.
> Die Frage ist, was hat das für den einzelnen Bürger bedeutet? Mehr
> Autos, größere Fernseher, mehr Fernreisen?
> Ist das BIP mit dem Wohlstand der Bürger verbunden? Sind die
> Arbeitsplätze besser?
Nö - der Anteil der "Wohlstandsverwahrlosten" in der Bevölkerung ist
wesentlich angewachsen mit all seinen nachteiligen Auswirkungen...
Stefan H. schrieb:
> "Wirtschaftsleistung" ist eine sehr abstrakte und nur schwer messbare
> Größe. Eigentlich kann man unterschiedliche Länder schlecht miteinander
> vergleichen.
In Wirklichkeit kann man das sehr gut, dafür gibt es nämlich sehr gute
und aussagekräftige Kenngrößen wie das kaufkraftbereinigte
Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner, aber auch Bruttosozial- und
Bruttoinlandsprodukt. Was sollte man denn da "schlecht miteinander
vergleichen" können?
> Ein Beispiel, warum die Größe wenig aussagt:
> Im Fall 1 erziehen die Eltern ihre Kinder selbst. Im Fall 2 geben sie
> sie in die Kinderbetreuung. Fall 1 ergibt eine Wirtschaftsleistung von
> 0, Fall 2 dagegen sehr viel, weil da Geld fließt.
Verzeihung, aber die Aussagekraft von Betrachtungen völlig
hypothetischer Einzelfälle erschließt sich mir bislang leider noch
nicht.
Michael B. schrieb:
...
...
> Jörg schrieb:
>> Im Verkehr wird viel mehr Rücksicht genommen, auf Vorfahrt wird zu
>> Gunsten Schwächerer gern verzichtet.
>
> So so
>
> In Deutschland kamen im Jahr 2017 auf eine Million Einwohner 4,6
> getötete Radfahrer. In Dänemark liegt das Verhältnis mit 4,7 nur
> geringfügig höher. Mit 12,1 tödlich verunglückten Radfahrern pro 1 Mio.
> Einwohner übernehmen die Niederlande die traurige Spitze.
>
> https://www.nimms-rad.de/news/verkehrstote-niederlande-fahrrad/
>
> KFZ Unfallzahlen sind übrigens in den Niederlanden nicht geringer als
> hier.
>
>
https://www.uni-muenster.de/NiederlandeNet/aktuelles/archiv/2019/1014Verkehrssicherheit.html
>
> weswegen man dort 2020 die Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen von 130
> auf 100 reduziert hat.
Und die Wirkung ist welche?
Dieser Beitrag ist gesperrt und kann nicht beantwortet werden.
|