Die meisten hier im MC-Netz werden ihr Geld im Industriebereich als "Wissensarbeiter" verdienen. Die Möglichkeiten dazu hängen stark von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Staates ab, in dem man arbeitet. In diesem Thread gab es die interessante Frage, warum Holand als kleines Land so gut dasteht. Beitrag "Re: Bosch gibt Lidar-Entwicklung auf" Ich würde das gerne anhand von Zahlen und Fakten analysieren. Ein sehr guter Startpunkt ist der Wikipedia-Artikel über die Wirtschaft von Holland: https://de.wikipedia.org/wiki/Wirtschaft_der_Niederlande
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Moin, Christoph M. schrieb: > Ich würde das gerne anhand von Zahlen und Fakten analysieren. Nur zu, lass' die Haend' wackeln. Ich werd' dir nicht im Wege stehen. scnr, WK
"Wirtschaftsleistung" ist eine sehr abstrakte und nur schwer messbare Größe. Eigentlich kann man unterschiedliche Länder schlecht miteinander vergleichen. Ein Beispiel, warum die Größe wenig aussagt: Im Fall 1 erziehen die Eltern ihre Kinder selbst. Im Fall 2 geben sie sie in die Kinderbetreuung. Fall 1 ergibt eine Wirtschaftsleistung von 0, Fall 2 dagegen sehr viel, weil da Geld fließt. Wie hoch die Wirtschaftsleistung ausfällt, hängt von einer formalen Zuordnung der Handlung ab. Zwei Fälle können bei gleichem Aufwand und gleichem Ergebnis zwei unterschiedliche Werte ergeben, wenn sie nur auf unterschiedlichem Wege umgesetzt werden. Noch abstruser wird die Betrachtung einer Vollkaskoversicherung. Die abstrakte Sicherheit, welche die Versicherung gewährt, zählt als Wirtschaftsleistung. Wenn nun ein Unfall passiert, die Versicherung zahlt und für das Geld ein neues Auto gekauft wird, ist die Wirtschaftsleistung natürlich noch höher, weil die Autoindustrie eine Leistung erbringt.
Man darf nicht den Fehler machen zu glauben, nur weil Deutschland und die Niederlande so eng bei einander liegen und ähnliche Wurzeln haben (mal den ersten Satz der niederländischen Hymne angucken), die Länder seien ähnlich organisiert. Die Wirtschafts-, Steuer- und Sozialsystemstrukturen sind sehr unterschiedlich zu den deutschen, ebenso wie die Einstellung und Erwartungen der Bevölkerung. Man muss das als ganzes sehen und darf nicht neidisch Einzelpunkte rausgreifen. Auch darf man nicht glauben, dass sich niederländische Verhältnisse einfach so mit deutschem Anspruchsdenken vereinbaren ließen. So setzt das niederländische Gesundheitssystem auf Eigenverantwortung, es wird dort deutlich weniger Krankenkassengeld ausgegeben, erst mal greift die Selbstbeteiligung. Der Krankenkassenbeitrag ist einkommensunabhängig und es gibt keine beitragsfreie Mitversicherung. Menschen die aus anderen Industriestaaten in die Niederlande ziehen sind vom Gesundheitssystem regelmäßig überrascht. Es wird kaum etwas verschrieben und es ist kaum möglich zum Facharzt zu kommen, die gibt es ohnehin nur im Krankenhaus. Wer wirklich schwer krank ins Krankenhaus kommt, bleibt dort nicht lange. Auch das Steuersystem ist gänzlich anders, etwa die laufende KFZ-Steuer ist viel höher als in Deutschland und provinzabhängig, umso höher je dichter besiedelt. Zudem gibt es Umwelt und Luxussteuer (heißt anders, ist aber faktisch eine solche) beim Autokauf. Ausländische Firmen sind in NL nur dann gern gesehen, wenn sie Geld bringen, nicht wenn sie Geld kosten. So wären technisch logische europäische Standorte für moderne CMOS Fabriken in der Nähe von Veldhoven, dicht bei den Lithographieexperten von ASML. Aber die Niederlande kämen nicht auf die Idee ausländischen Firmen die halben Investitionskosten zu bezahlen wie es Deutschland macht, damit die Strukturschwachen nicht so jammern. Der größte Unterschied zwischen den Ländern ist denn auch, dass die Niederlande sich in den letzten 34 Jahren erfolgreich ohne Rücksicht auf Bremsklötze entwickeln konnten, während Kohl meinte den Osten als Stimmvieh für die nächste Wahl zu benötigen. Statt die DDR sich in einer Zweistaatenlösung weiter nach eigenen Wünschen und Fähigkeiten und mit eigener Währung selbst frei entwickeln zu lassen und das Geld im Westen innovativ für das eigene Volk ausgeben zu können, wird es nun für integrationsverweigernde Kulturbereicherer welche sich als Krone der Schöpfung sehen, aber außer ihren Orden nichts putzen oder stolz 485 ohne Masse anschließen, ausgegeben. Dazu noch die Linksgrünversifften in Westdeutschland, die meinten man müsse eine FDJ Sekretärin jetzt doch auch mal die Richtlinien der Politik bestimmen lassen. Eine Last, die den Niederlanden erspart geblieben ist und ihre Wirtschafts- und Wohlstandsentwicklung nicht behindert hat. Das es in Deutschland dazu kommen konnte ist aber letztlich die historische Folge deutscher Großmannssucht, unter denen auch die Niederlande einst zu leiden hatten. Das ist denn wohl der Kernpunkt: Die Zusammensetzung und sozialisationsbedingte Mentalität der Bevölkerung ist deutlich anders. Zwar gibt es auch in NL einen Nahostkonflikt, im Westen wird der Wohlstand des ganzen Landes erwirtschaftet, im Osten wird zerstört und gejammert, aber letztlich wissen sie, welche Hand sie füttert. Über alles gesehen herrscht Konsenskultur, der Umgang miteinander ist besser. Das Scheitern der Regierungskoalition vor ein paar Wochen lief beispielsweise ohne Schlammschlacht ab, in Deutschland undenkbar. Im Verkehr wird viel mehr Rücksicht genommen, auf Vorfahrt wird zu Gunsten Schwächerer gern verzichtet. Auch der noch (kommissarische) Premierminister, Mitglied der spöttisch Autopartei genannten VVD, fährt zwischen den verschiedenen Dienstorten in Den Haag mit dem Rad. Die Einführung des Tempolimits tagsüber von 130 auf 100 ging ohne Widersprüche, wo Vertreter einer deutschen Wirtschaftspartei direkt einen Mangel an Schildern sehen würden. Und weil alle mithelfen statt unkonstruktiv zu sein, gibt es eben eine super Verkehrsinfrastruktur (getrennte Radwege, Straßen in gutem Zustand, Autobahnen mit elektronischen Schildern für jede Spur alle 500 bis 700 m welche nächtliche Mäharbeiten am Mittelstreifen sehr einfach umsetzbar machen). Und ja, das Problem mit Brücken über hundert Meter tiefe Täler hat man in den Niederlanden nicht. Es reichen meist standardisierte Brücken. Die Wertschätzung der Menschen für die Leistungen des jeweils anderen ist übrigens gegenseitig. Die Niederländer schätzen zum Beispiel deutsche Technologie und Ausführungsqualität. Man könnte viel voneinander lernen, aber in Deutschland wären nicht alle dazu bereit, denn es würde Einsatz fordern, Ansprüche zu stellen reicht nicht. Eine Anmerkung noch für alle, die sich über den Radweg lustig gemacht haben: Das war mehr Kunstprojekt als Ingenieurprojekt. Die Niederlande sind entwickelt genug um zu wissen, dass ein Radweg nicht der beste Ort für Solarzellen ist. Pop-up Kunst im öffentlichen Raum ist in NL weit verbreitet, sie verschwindet auch schnell wieder. Das gilt übrigens nicht nur für Kunst, auch sonst werden Bauwerke schnell wieder abgerissen und ersetzt, wenn sie nicht mehr zeitgemäß sind.
Stefan H. (Firma: dm2sh) (stefan_helmert) >"Wirtschaftsleistung" ist eine sehr abstrakte und nur schwer messbare >Größe. Eigentlich kann man unterschiedliche Länder schlecht miteinander >vergleichen. Gut, vielleicht ist Wirtschaftsleistung der falsche Begriff. Eine Zeit lang war Deutschland Exportweltmeister und die Bevölkerung auf irgend eine Art stolz darauf. Die Frage ist, was hat das für den einzelnen Bürger bedeutet? Mehr Autos, größere Fernseher, mehr Fernreisen? Ist das BIP mit dem Wohlstand der Bürger verbunden? Sind die Arbeitsplätze besser?
Jörg (zwischenfrequenz) >So wären technisch logische europäische Standorte für moderne >CMOS Fabriken in der Nähe von Veldhoven, dicht bei den >Lithographieexperten von ASML. Aber die Niederlande kämen nicht auf die >Idee ausländischen Firmen die halben Investitionskosten zu bezahlen wie >es Deutschland macht, damit die Strukturschwachen nicht so jammern. In Firmen aber auch in Ländern sind strategische Entscheidungen zu treffen. Die Chipindustrie ist eine der strategischen Industrien insbesondere mit dem absehbaren Konflikt mit China und dem Wegfallen von TSMC sowie den strategischen Investitionen der USA um die Chipindustrie zurück in ihr Land zu holen. Aus diesem Grund investiert Deutschland in die Ansiedelung dieser Technologie.
Beim Vergleich wäre auch die Bevölkerungsentwicklung mit zu berücksichtigen. Eine Zunahme der Wirtschaftsleistung von +1% bei einer Zunahme der Bevölkerung von +2% entspricht einer Wirtschaftsleistung von -1% mit unveränderlicher Bevölkerungsanzahl. Unter Berücksichtigung dieses Aspekts, sähe es noch weniger gut aus.
Jörg schrieb: > Im Verkehr wird viel mehr Rücksicht genommen, auf Vorfahrt wird zu > Gunsten Schwächerer gern verzichtet. So so In Deutschland kamen im Jahr 2017 auf eine Million Einwohner 4,6 getötete Radfahrer. In Dänemark liegt das Verhältnis mit 4,7 nur geringfügig höher. Mit 12,1 tödlich verunglückten Radfahrern pro 1 Mio. Einwohner übernehmen die Niederlande die traurige Spitze. https://www.nimms-rad.de/news/verkehrstote-niederlande-fahrrad/ KFZ Unfallzahlen sind übrigens in den Niederlanden nicht geringer als hier. https://www.uni-muenster.de/NiederlandeNet/aktuelles/archiv/2019/1014Verkehrssicherheit.html weswegen man dort 2020 die Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen von 130 auf 100 reduziert hat.
Michael B. schrieb: > Mit 12,1 tödlich verunglückten Radfahrern pro 1 Mio. > Einwohner übernehmen die Niederlande die traurige Spitze. Wobei Korrelation nicht gleich Kausalität ist. Wenn in Deutschland dreimal mehr Kilometer im Durchschnitt zurücklegt würde, wie bisher, würde Niederlande von diesem Platz verdrängt werden.
Michael B. schrieb: > In Deutschland kamen im Jahr 2017 auf eine Million Einwohner 4,6 > getötete Radfahrer. In Dänemark liegt das Verhältnis mit 4,7 nur > geringfügig höher. Mit 12,1 tödlich verunglückten Radfahrern pro 1 Mio. > Einwohner übernehmen die Niederlande die traurige Spitze. Der Vergleich ist unsinnig, die pro Jahr gefahrenen Radkilometer sind in NL viel größer als in D. > weswegen man dort 2020 die Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen von 130 > auf 100 reduziert hat. Nein, das war vorgeblich zur der Verringerung der Emissionen von Stickstoffverbindungen. Die Bauern hatten genölt, weil ihre Ammoniakemissionen eingeschränkt wurden. Damit sie nicht das Gefühl haben sollten, die alleinigen Lastträger zu sein, hat Rutte das Tagtempolimit eingeführt. Das war in dem Zusammenhang zwar nicht sachdienlich, weil NOx hauptsächlich von Dieselmotoren kommt und es Diesel PKW in NL wegen der hohen Kauf- und monatlichen Steuer kaum gibt und für Lastwagen 100 oder 130 egal ist. Aber die Bauern haben es geglaubt. So funktioniert das in NL.
Christoph M. schrieb: > Stefan H. (Firma: dm2sh) (stefan_helmert) >>"Wirtschaftsleistung" ist eine sehr abstrakte und nur schwer messbare >>Größe. Eigentlich kann man unterschiedliche Länder schlecht miteinander >>vergleichen. > > Gut, vielleicht ist Wirtschaftsleistung der falsche Begriff. > Eine Zeit lang war Deutschland Exportweltmeister und die Bevölkerung auf > irgend eine Art stolz darauf. > Die Frage ist, was hat das für den einzelnen Bürger bedeutet? Mehr > Autos, größere Fernseher, mehr Fernreisen? > Ist das BIP mit dem Wohlstand der Bürger verbunden? Sind die > Arbeitsplätze besser? Nö - der Anteil der "Wohlstandsverwahrlosten" in der Bevölkerung ist wesentlich angewachsen mit all seinen nachteiligen Auswirkungen...
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Stefan H. schrieb: > "Wirtschaftsleistung" ist eine sehr abstrakte und nur schwer messbare > Größe. Eigentlich kann man unterschiedliche Länder schlecht miteinander > vergleichen. In Wirklichkeit kann man das sehr gut, dafür gibt es nämlich sehr gute und aussagekräftige Kenngrößen wie das kaufkraftbereinigte Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner, aber auch Bruttosozial- und Bruttoinlandsprodukt. Was sollte man denn da "schlecht miteinander vergleichen" können? > Ein Beispiel, warum die Größe wenig aussagt: > Im Fall 1 erziehen die Eltern ihre Kinder selbst. Im Fall 2 geben sie > sie in die Kinderbetreuung. Fall 1 ergibt eine Wirtschaftsleistung von > 0, Fall 2 dagegen sehr viel, weil da Geld fließt. Verzeihung, aber die Aussagekraft von Betrachtungen völlig hypothetischer Einzelfälle erschließt sich mir bislang leider noch nicht.
Michael B. schrieb: ... ... > Jörg schrieb: >> Im Verkehr wird viel mehr Rücksicht genommen, auf Vorfahrt wird zu >> Gunsten Schwächerer gern verzichtet. > > So so > > In Deutschland kamen im Jahr 2017 auf eine Million Einwohner 4,6 > getötete Radfahrer. In Dänemark liegt das Verhältnis mit 4,7 nur > geringfügig höher. Mit 12,1 tödlich verunglückten Radfahrern pro 1 Mio. > Einwohner übernehmen die Niederlande die traurige Spitze. > > https://www.nimms-rad.de/news/verkehrstote-niederlande-fahrrad/ > > KFZ Unfallzahlen sind übrigens in den Niederlanden nicht geringer als > hier. > > https://www.uni-muenster.de/NiederlandeNet/aktuelles/archiv/2019/1014Verkehrssicherheit.html > > weswegen man dort 2020 die Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen von 130 > auf 100 reduziert hat. Und die Wirkung ist welche?