Hallo zusammen, mich würde interessieren was ihr so zur Handhabung von Worstcase Rechnungen im kommerziellen Bereich denkt. Eine diskrete Schaltung besteht ja f.g. aus mehreren einzelnen Bauteilen, wo jedes Bauteil für sich eine Toleranz ausfweist. Ein SMD Widerstand beispielsweise hat eine typische Toleranz fertigungsbedingt, einen Temperaturkoeffizienten, eine Toleranz aufgrund von Alterung, und diverse sonstige Verschiebungen aufgrund von mechanischen Belastungen und Umwelteinflüssen, Feuchtigkeit etc. Wenn ich jetz eine gesamte Schaltung bestehend aus mehreren Widerständen worstcase rechne, dann verschiebe ich den Wert jedes der einzelnen Bauteile so, dass sich der für die jeweilige Funktion ungünstigste Fall einstellt. Daraus ergibt sich eine Gesamttoleranz dieser speziellen Schaltung. Ist diese Schaltung jedoch nur ein Teil eines Signalpfades, so muss ich auch die Toleranzen der vorherigen Schaltung bzw. nachfolgenden Schaltung berechnen und letztendlich am Schluss alle Fehler aufaddieren. Besteht mein Signalpfad z.B. aus 3 hintereinanderfolgenden Schaltungen, so addiere ich die Fehler aller 3 Einzelschaltungen zusammen. Das Resultat ist aber, dass am Schluss eine theoretische WorstCase Toleranz berechnet wird, die sich jenseits von gut und böse befindet ! Werden z.B. überwiegend Präzissionswiderstände verwendet, die mit einer Grundtoleranz von 0.1% spezifiziert sind, so kann es passieren, dass am Ende des Signalpfades trotzdem eine Toleranz von z.B. +/- 20% herauskommt. Frage: Ist so eine Vorgehensweise zur Berechnung von Toleranzen überhaupt sinnvoll ? Wir reden hier natürlich vom kommerziellen Fall, also industrielle Produktion in hohen Stückzahlen. ich bin noch relativ frisch im Berufsleben und hab noch nicht so viel Erfahrung ;-) Gruß
Hallo, ich habe schon einige WC Rechnungen gemacht. Basis war fast immer die FMEA. So gehe ich vor: Zuerst mal rechne ich die Grundtoleranzen von Widerständen und Kondensatoren aus. 1% Widerstände haben über Temperaturbereich, Alterung, Belastung mehrere toleranzbehaftete Fehler, die ich alle (da es mehr als 2 sind) nicht addiere, sondern ich nehm die Wurzel der Summe der Quadrate. 1% Widerstände haben demnach ca. 2.8% Fehler. Mit diesen 2.8% rechne ich dann in der ganzen Schaltung. Dann habe ich Module. Beispielsweise 2 Module mit je einem OPV Verstärker. Ich versuche immer die Schaltung in kleine Module zu unterteilen, rechnen also nicht die Verstärkung der Doppelt OPV Schaltung, sondern die der einzelnen und rechne dann mit einem "Verstärker mit x % Toleranz". Wichtig bei WC Rechnung, ist, auch zügig voran zu kommen. Deshalb vergiss das, was Du in der Messtechnik Vorlesung gelernt hast. Hier kommt's nicht drauf an mit partieller Differentiation den Fehler auszurechnen. Nimm eine Komparatorschaltung. Setze überall die Widerstände mit Toleranz so ein, dass die Schwelle ungünstig unten liegt. Mach das nochmals, so dass sie oben liegt. Dann prüfe: ist das Ergebnis "i.O." Dann rechnen den nächsten Punkt. Ist es jedoch (knapp) nicht in Ordnung, ERST dann machst Du Dir die Arbeit und rechnest es genauer !!!! DAS IST DER KNACKPUNKT bei ner WorstCase Rechnung für die Industrie. Du kannst dann zb die Toleranzen der Widerstände quadratisch addieren, falls es mehr als 2 sind. Oder Du kannst sagen: Bei einem Spannungsteiler, der die Schaltschwelle bestimmt kann man die Temperaturdrift weglassen, da sie bei beiden Widerständen gleich sind und kannst mit geringeren Toleranzen als 2.8% für einen 1% Widerstand rechnen. Kurze Begründung hinschreiben. Wenn's jetzt i.O. ist, fertig. Wenn immer noch nicht: "rotes n.i.O". Die n.i.O.s muss man dan bei der FMEA zusammen im Team nochmals diskutieren. Vielleicht kann man dann per Software (Abgleich, Leistungsreduzierung bei hohen Temperaturen etc) noch etwas machen.
Noch was zu WorstCase Rechnungen: 1. Auch wenn eine WC manchmal etwas langweilig erscheint. Man lernt sehr viel dabei, da man sich mit vielen Parametern des Datenblatts befassen muss, die man beim normalen Entwickeln gerne ignoriert. 2. Man sollte eine WC Rechnung nicht über selbst entwickelte Elektroniken machen. Die Motivation sollte im ersten Schritt sein, Fehler zu finden. Deshalb ist eine WC Rechnung über eine Elektronik eines Kollegen auch immer ein Angriff auf seine Persönlichkeit. Ist es natürlich nicht. Aber viele verstehen das so. Und deshalb erwähne ich das Thema auch jedemal, wenn man sich zusammensetzt, um die Ergebnisse zu diskutieren. Ich will keine Fehler finden, der derjenige gemacht hat. Man will Fehler erkennen, um sie vor Serie noch zu beseitigen.
Hallo Rubin, Danke für die Antworten ! Stichwort "Wurzel der Quadrate" ist denke ich mal hier für mich zielführend. Deine Anmerkung Schaltungen von fremden Kollegen WC zu rechnen, klingt interessant, ist aber denke ich mal auch wieder mit mehr Arbeit verbunden, weil man sich ja erstmal in die jeweilige Schaltung hineindenken muss. Grüße Stephan
Stephan schrieb: > Hallo Rubin, > > Danke für die Antworten ! > Stichwort "Wurzel der Quadrate" ist denke ich mal hier für mich > zielführend. > Nicht unbedingt. Haengt von Schaltung und Fehlertoleranz ab. Nicht immer ist eine quadratische Akkumulierung zulaessig, denn die Widerstaende (z.B.) sind eben nicht normalverteilt. Man bekommt unter Umstaenden ganze Losgroessen von 1k 1%-Widerstaenden mit 990Ohm, dafuer die 2k Widerstaende alle mit 2020 Ohm. Das ist dann ein WIRKLICHER, kein statistischer Worst Case ;-) Denk dran: "Shit happenes!" Ich habe das auf die harte Tour gelernt! Gruss Michael
Michael Roek-ramirez schrieb: > Man bekommt unter Umstaenden ganze Losgroessen von 1k 1%-Widerstaenden > mit 990Ohm, dafuer die 2k Widerstaende alle mit 2020 Ohm. Guter Einwand, ich gebe dir recht... Aber das würde in diesem Falle ja nur die Grundtoleranz betreffen. Die Frage ist, ob man bei den restlichen Toleranzen eines Widerstands z.b. mit ähnlichem Problem zutun hat ? Ich würde so vorgehen, dass man sich vorher überlegt wie kritisch die Funktion dieser Schaltung ist. Wenn es z.B. um Sicherheit geht, wäre es u.U. angebrachter ohne der quadratischen Mittelung zu rechnen.
Vielleicht interessiert Dich in desem Zusammenhang auch die Monte-Carlo-Analyse (Google). Gruss Michael
Mit gutem Design kann man den Einfluss gewisser Toleranzen verringern. Allein durch Auswahl der Bauteile, ganz einfaches Beispiel: OPV Verstärker, deutlich in Stückliste schreiben, dass die Widerstände, die die Verstärkung einstellen, denselben TC haben. Kompensiert die Temperaturdrift wahrscheinlich nicht komplett, aber schlechter wird's nicht... Ansonsten: wenn's wirklich auf Genauigkeit ankommt, Selbstkalibration einbauen. Und mit 0.1% Widerständen im Design auf insges 20% Toleranz kommen? Wow, das muss übel sein, das Design! ;-)
Michael Roek-ramirez schrieb: > Nicht immer ist eine quadratische Akkumulierung zulaessig, denn die > Widerstaende (z.B.) sind eben nicht normalverteilt. Hallo, das ist nicht das Problem - es ergibt sich ein Wahrscheinlichkeitswert, der hat seinen Sinn als solcher, aber es ist eben keine Worst Case Analyse. Natürlich ist das Ergebnis oft, dass im WC nichts mehr funktioniert, aber das ist dann ja auch tatsächlich so, nur ist bei vielen Bauteilen die Eintrittswahrscheinlichkeit für den WC gering. Wenn es um Sicherheitsbelange geht, kann man das nicht ignorieren, man kann ja nicht argumentieren "die Wahrscheinlichkeit, dass an meiner Schaltung einer stirbt, ist nur 1 Mio zu 1". Ausserdem zeigen Ereignisse wie Tschernobyl, dass auch hunderttausend Jahre recht kurz sein können. Gruss Reinhard
Bitte melde dich an um einen Beitrag zu schreiben. Anmeldung ist kostenlos und dauert nur eine Minute.
Bestehender Account
Schon ein Account bei Google/GoogleMail? Keine Anmeldung erforderlich!
Mit Google-Account einloggen
Mit Google-Account einloggen
Noch kein Account? Hier anmelden.