Forum: Analoge Elektronik und Schaltungstechnik 100nF SMD Entstörkondensator / Brand


von Guenter S. (guenter1s)


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Hallo Experten,

ich habe folgende Situation die ich dringend entschärfen muss:

Auf einer FR4 Platine sind mehrere Anschlussterminals für 12V Abgriffe 
untergebracht.
Zu Entstörzwecken wurden direkt auf die parallel geführten Leiterbahnen 
(+ und -) je 2 SMD Vielschichtkondensatoren mit 100nF / 50V BF 1210 
gelötet. Gesamt 8 x 100nF über eine Wegstrecke von 8cm.
Heute wurde das System geringfügig belastet (Inverter, ca. 20W).
Plötzlich hat einer der Kondensatoren zu brennen angefangen. Der Brand 
hat ca. 15 Sekunden gedauert, in unmittelbarer Nähe ist das Lötzinn 
geschmolzen.
Vermutlich haben auch noch Reste von Kolophonium den Brand gefördert.
Es war eine kleine, sehr helle punktförmige Flamme.

Ich dachte, 50V Spannungsfestigkeit bei 12V Betriebsspannung (max. 16V 
inkl. HF-Störspitzen, kein KFZ-Betrieb) sind genug und der Kondensator 
würde sich selbst heilen. Was mich beunruhigt ist daß der Brandherd sich 
nicht sofort selbst gelöscht hat. Auch nach behelfsmäßiger Löschung mit 
Kältespray (stand halt daneben) sind noch einige Sekunden lang kleinste 
weisse Lichtpunkte aufgetreten. Möglicherweise wurde vorhandener 
Kohlenstoff zum niederohmigen Widerstand und dann über den Akku nochmals 
gewärmt. Auf jeden Fall werden alle Flussmittelreste entfernt.

Wie machts der Profi?
Gibt es spezielle Kondensatoren hierfür?
Sollte ich lieber 2x 100nF in Reihe schalten und davon 2 Strings 
parallel?

Freue mich über Meinungen!

Gruß

G.

von ??? (Gast)


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Ein Kermik C heilt sich nicht selbst.

Ein 50V Keramik C geht bei 12(16V) nicht kaputt, es sei denn, er ist 
vorgeschädigt durch falsches Löten o.ä.

Hast Du viel HF auf der Schaltung?
Kannst Du mal ein Bild mit dem Oszi aufnehmen?

Was für C´s hast Du verbaut? X7R?
Am besten Du nimmtst C0G, dann hast Du nicht so viele Verluste im C.

Was passierte beim Belasten des Konverters mit der Ausgangspannung?
Oszibild?
Woher weist du, das dann nur 12V raukamen und das System sich nicht 
aufgeschwungen hat und 100V raukamen?


Mehr Details!!!!

Gruß

von Georg W. (gaestle)


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Kann der Effekt reproduziert oder provoziert werden? Ev. wurde schlicht 
diesem Kondensator übles angetan.
Kann es sein dass der Inverter starke Stromspitzen zieht, die im C eine 
hohe Verlustleistung erzeugen? Dann muss besseres Material her, z.B. NP0 
oder ein entsprechender Folienkondensator.

von Lothar M. (Firma: Titel) (lkmiller) (Moderator) Benutzerseite


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Guenter Schwaiger schrieb:
> Auch nach behelfsmäßiger Löschung mit Kältespray
Da solltest du aber auf jeden Fall das nicht brennbare Kältespray 
nehmen...

> Heute wurde das System geringfügig belastet (Inverter, ca. 20W).
Was ist das für ein Inverter?
Wie lange sind die Leitungen von und zur "Platine"?

von Grendel (Gast)


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Mir sind noch nie Keramik Cs explodiert und ich spiele durchaus mal mit 
50V @10A herum (dann natürlich mit Cs die für 100V geeignet sind)...

Tantals sind ja bekanntermaßen problematisch - aber Keramik?
Ich wusste nicht, dass die Dinger überhaupt so lange brennen können, 
kannst Du mal den genauen Typ+Hersteller nennen?

von MaWin (Gast)


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> Da solltest du aber auf jeden Fall das nicht brennbare Kältespray
> nehmen...

R134a ?

Wird als Super-Kälte rausgeblasen was das Zeug hält,
geht in Autoklimaanlagen bei jedem Unfall hops,
aber kaufen kann man es in Deutschland nicht (ausser
eben als Kältespray) weil man ja Kältetechnikerschein
haben muss um damit umgehen zu dürfen...

von W.S. (Gast)


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Guenter Schwaiger schrieb:
> je 2 SMD Vielschichtkondensatoren mit 100nF / 50V BF 1210

Hast du dich grob verschrieben? Wo gibt's denn 100 nF in 1210?
Ich hab 100uF/10V in 1210 im Einsatz, oder 22uF/25 oder 47uF/16, aber 
bei 100nF wird man noch am ehesten in 1206 fündig.

Obendrein brennen Keramik-C nicht.

Also: Sind das ÜBERHAUPT Keramik-C ?

oder sind das MKT/MKF/MKdingsbums Typen, also sowas, was man in 
Royer-Konvertern zwischen die Kollektoren der Transistoren setzt? Die 
können abfackeln, da aus Plastk gemacht.

Mein Rat: tausch die Dinger gegen keramische 100nF oder 220nF in 1206 
aus.


W.S.

von c.m. (Gast)


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MaWin schrieb:

> R134a ?

tetrafluorethan. damit sollte man keine brände löschen weil HF entsteht.

von Bond (Gast)


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Daß Keramik-Cs nicht "brennen" kann ich so nicht
bestätigen.

Ich hatte selber neulich so einen Fall:
Neu produzierte LP, eingeschaltet weil ich das
Programm laden wollte. Plötzlich fackelt ein
Kerko ab, ähnlich der Zündschnur einer Silvester-
Rakete, oder einem kleinen Lichtbogen. Außer ein
paar schwarzen Krümeln (und angesengter LP) blieb
nicht übrig vom Kerko.

Da das ein Einzelfall blieb, gehe ich davon aus, daß
der Kerko beim Verarbeiten geschädigt wurde.

Prüfe, wenn möglich, ob auch die "richtigen" Kerkos
verbaut wurden.

von mse (Gast)


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Ich habe zwar selber noch nicht erlebt, das ein Keramikkondensator sich 
so verhielt, wie hier beschrieben, es ist jedoch allgemein bekannt, dass 
SMD-Keramikkondensatoren empfindlich gegen mechanischen Stress sind.
Solcher tritt vor allem auf beim Trennen der Einzelleiterplatten aus dem 
Nutzen bzw. beim Löten, wenn das Bauteil ungleichmäßig erhitzt wird 
(z.B. beim Kolbenlöten).
Wenn so ein Kerko crackt, kann er kurzschliessen. Ich kenne Entwickler, 
die aus Vorsicht immer zwei in Reihe schalten und hoffen, dass, wenn 
überhaupt, nur einer davon crackt. Dann hat man die doppelte Kapazität 
aber wenigstens keinen Kurzschluss.

von oszi40 (Gast)


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Ein kleine Foto davon wäre nützlich.

von 6A66 (Gast)


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Bond schrieb:
> Daß Keramik-Cs nicht "brennen" kann ich so nicht
> bestätigen.

ACK.

Hatten den Fall dass Kerkos durch Biegebeanspruchnung Risse bekamen 
(Nutzentrennung). In einigen wenigen Fällen gab es Brand da Kerko intern 
beschädigt wurde.

rgds

von SUPERINGO (Gast)


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mse schrieb:
> ... Dann hat man die doppelte Kapazität
> aber wenigstens keinen Kurzschluss.

Du meinst die halbe Kapazität bei Reihenschaltung von Cs.

von Pappnasen (Gast)


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> Ich habe zwar selber noch nicht erlebt, das ein Keramikkondensator sich
> so verhielt,

Das hat nichts zu sagen. Ich habe das live erlebt und in etliichen 
Geräten solche Kondensatoren (1206, 1210) ausgetauscht, wo ringsherum 
die Leiterplatte verkokelt war. Heute ist so etwas seltener, offenbar 
ist die Technologie stabiler geworden.
Warum wird hier eigentlich von irgendwelchen Newbies immer alles in 
Frage gestellt?

von Malte S. (maltest)


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SUPERINGO schrieb:
> mse schrieb:
>> ... Dann hat man die doppelte Kapazität
>> aber wenigstens keinen Kurzschluss.
>
> Du meinst die halbe Kapazität bei Reihenschaltung von Cs.

Nee bei Kurzschluss eines der Cs die doppelte im Vergleich zur unter 
Berücksichtigung der Reihenschaltung designten Kapazität.

von Georg W. (gaestle)


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mse schrieb:
> Ich kenne Entwickler,
> die aus Vorsicht immer zwei in Reihe schalten und hoffen, dass, wenn
> überhaupt, nur einer davon crackt. Dann hat man die doppelte Kapazität
> aber wenigstens keinen Kurzschluss.
Solche Leute bauen auch eine Überwachungsschaltung für die 
Überwachungsschaltung... Aber im Ernst, wenn das gehäuft vorkommt sollte 
man die Ursachen ergründen und abstellen. Ein Riss im Kondensator kann 
übrigens auch zu einer Verringerung der Kapazität führen, dann ist u.U. 
so gut wie keine Kapazität mehr vorhanden.

Kann es sein, dass diese großen Bauformen anfälliger sind als 0603 oder 
0805? Davon habe ich über Jahre bestimmt einige Rollen von Hand 
bestückt, aber noch nie solche Probleme gesehen.

von Kai K. (klaas)


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>Wie machts der Profi?

In der Automobilelektronik schaltet man gerne zwei Kerkos in Serie, wie 
mse schon geschrieben hat. Das reduziert die Wahrscheinlichkeit eines 
katastrophalen Kurzschlusses. Zusätzlich solltest du natürlich noch eine 
wesentlich höhere Nennspannung wählen, also 100V, besser noch 200V. Nimm 
auch eine möglichst kleine Bauform, wegen der Biegebelastungen. Oder 
gleich eine bedrahtete Ausführung. Bei 8cm Leiterbahn hast du sowieso 
keine niedrigen Induktivitäten.

Der Ausfall von SMD-Kerkos und SMD-Varistoren ist bis heute ein großes 
Problem, das von der Industrie kleingeredet bzw. gänzlich verschwiegen 
wird. Man trischt zwar gerne auf die Tantals ein, wegen der 
Einschaltstromempfindlichkeit, erwähnt aber mit keinem Wort, daß 
Kurzschluß ein weitverbreiteter Ausfallmodus bei Kerkos und Varistoren 
ist. Wenn da keine Strombegrenzung vorhanden ist und eine fette Batterie 
ungehindert nachfeuert, kann das Bauteil wie eine Thermitladung 
hochgehen. Habe das schon erlebt, ist sehr spektakulär und man will das 
nicht wirklich irgendwo im Motorraum haben...

von Kai K. (klaas)


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>Kann es sein, dass diese großen Bauformen anfälliger sind als 0603 oder
>0805?

Definitiv!

>Davon habe ich über Jahre bestimmt einige Rollen von Hand bestückt, aber
>noch nie solche Probleme gesehen.

Handbestückung von SMD-Caps? Mutig, mutig. Hoffentlich mit 
150°C-Preheating und Heißluftlötkolben?

von Alexander S. (esko) Benutzerseite


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Georg W. schrieb:
> mse schrieb:
>> Ich kenne Entwickler, die aus Vorsicht immer zwei in Reihe schalten ...
> Solche Leute bauen auch eine Überwachungsschaltung für die
> Überwachungsschaltung...

Das ist gängige Praxis im Automobilbereich und in anderen Bereichen.
Alternativ gibt es spezielle mechanisch stabilere Varianten, die 
allerdings größer sind.
Auch wird davon abgeraten Kerkos in die Nähe von Stecker zu layouten, 
wegen der mechanischen Kräfte beim Einstecken.
Möglich sind auch Ausfräßungen um den Kerko.


> Aber im Ernst, wenn das gehäuft vorkommt sollte man die Ursachen
> ergründen und abstellen. Ein Riss im Kondensator kann übrigens
> auch zu einer Verringerung der Kapazität führen,

Meist gibt es bei SMD-Kerkos einen weichen Kurzschluss mit einigen Ohm, 
der zu einem Brand führen kann.

> Kann es sein, dass diese großen Bauformen anfälliger sind als 0603 oder
> 0805?

Ja, durch die Größe gibt es höhere Hebelkräfte.

von mse2 (Gast)


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SUPERINGO schrieb:
> mse schrieb:
>> ... Dann hat man die doppelte Kapazität
>> aber wenigstens keinen Kurzschluss.
>
> Du meinst die halbe Kapazität bei Reihenschaltung von Cs.
Nein, die doppelte im Falle eines (von beiden= kurzschließenden Cs.
Wir meinen das gleiche...

von Harald W. (wilhelms)


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c.m. schrieb:

> tetrafluorethan. damit sollte man keine brände löschen weil HF entsteht.

Hat hier nicht neulich einer einen HF-Oszillator gesucht? :-)
SCNR
Harald

von Robert V. (Gast)


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Die NASA hat zum Thema umfangreiche Untersuchungen durchgeführt. 
Interessanterweise hat Handlöten bei den Tests keine negativen Einflüsse 
gehabt. Vorheizen ist aber trotzdem anzuraten.

https://nepp.nasa.gov/files/16346/08_002_01%20GSFC%20Teverovsky.pdf

von Frank M. (frank_m35)


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Wenn man sich den Thread durchliest denkt man ja fast, dass Keramik 
insgesamt das schlechteste ist was es gibt und von Hand verlötet 
unmöglich wird.

Die Frage die ich mir dann stelle, was wäre die Alternative als SMD in 
Bypass Anwendungen oder für Spannungswandler?

Folienkondensatoren: Bei 100nF zumindest, jedoch sind diese größer, als 
SMD kaum und nur in kleinen Kapazitäten verfügbar, teurer, selten, 
geringere Spannung. (Bei Farnell gibt es genau einen in 0805 Bauform)
Elektrolyt: Hoher ESR, kurze Lebensdauer in warmen Umgebungen, für den 
angegebenen Einsatz generell ungeeignet
Tantal: Fackeln ab, teuer, nicht für hohe Ströme geeignet, höherer ESR, 
insgesamt noch anfälliger als Keramik.
Poscap/SPCAP: nur für kleine Spannungen, schwer zu beziehen, teuer, nur 
hohe Kapazitäten, groß
OSCON: nur für kleine Spannungen, schwer zu beziehen, teuer, nur hohe 
Kapazitäten, groß

Und nu?

von Grendel (Gast)


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Wenn es eine echte brauchbare Alternative gäbe, würde die ja irgendwer 
verwenden oder es gäbe viele davon bei Distributoren ;-)

Keramik ist schon OK - bei kleinen Bauformen ist das Problem mit der 
mechanischen Belastung ja auch nicht so stark ausgeprägt ich denke mal 
0603 und kleiner machen keine/selten Probleme?

Der Threadstarter verwendet ja 100nF in einem 1210er Package - was 
absolut riesengroß ist. Dann doch lieber zwei 0603er in Serie 
schalten...

von Georg W. (gaestle)


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Kai Klaas schrieb:
> Handbestückung von SMD-Caps? Mutig, mutig. Hoffentlich mit
> 150°C-Preheating und Heißluftlötkolben?

Dann machen es geschätzte 90% der Betriebe in der Fertigung und fast 
alle Entwickler falsch.

Als Konsequenz aus dieser Diskussion leite ich jetzt ab:
-Immer die kleinste mögliche Bauform und Soft Termination wählen. Dann 
sollte hier Einsteigern aber auch von den großen BF abgeraten werden, 
ausgerechnet die löten ja alles mit dem Kolben.
-mechanische Spannungen meiden (Einbau, Nutzentrenner, Nadelbett,...), 
Mikrofonie ist hier auch ein Thema!
-Andere Technologien haben auch ihre Nachteile, die aber m.E. diejenigen 
der Kerkos meist überwiegen.

von Kai K. (klaas)


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>Dann machen es geschätzte 90% der Betriebe in der Fertigung und fast
>alle Entwickler falsch.

Für eine Prototypschaltung, die nur ein paar Tage auf dem Labortisch 
aushalten muß, geht natürlich Kolbenlöten, auch ohne Preheating. Macht 
ja wohl jeder irgendwann, der mit Elektronik zu tun hat. Wenn es aber um 
den rauhen Industriealltag oder den Automtive-Bereich mit ihren großen 
Temperatursprüngen geht, dann ist Handlöten absolut nicht anzuraten.

Hierbei geht es übrigens nicht nur um den Temperaturschock beim 
unsachgemäßen Löten, sondern auch um die Form des Lötminiskus. Murata 
hat früher in ihren Datenbüchern ein Kapitel gehabt, wie bei 
unsachgemäßem Lötminiskus die Ausfallswahrscheinlichkeit nach 
Temperaturzyklen steigt. Das war erschreckend. Bei zu viel Lötztinn, wie 
man es beim Kolbenlöten praktisch immer appliziert, steigt die 
Ausfallwahrscheinlichkeit auf mehrere Prozent nach einer gewissen Anzahl 
von Temperaturzyklen. Grund dafür ist, daß bei falschem Lötminiskus die 
mechanischen Spannungen an den Bauteil-Kontaktierungen erheblich 
ansteigen.

Beim Kolbenlöten ist noch etwas anderes zu beachten. Murata verbietet in 
ihren Datenblättern den direkten Kontakt von Bauteil mit der 
Lötkolbenspitze. Die Spitze soll stattdessen auf dem Lötpad abgelegt 
werden. Das ist bei den heutigen Lötpads, die für Reflow-Löten und 
minimales Tombstoning ausgelegt sind, garnicht mehr möglich. Lötpads für 
das Wellenlöten waren viel größer, da konnte man noch Kolbenlöten.

Wir haben jedenfalls in unserer Firma unser Lehrgeld bezahlt und bei uns 
lötet niemand mehr SMD-Kerkos mit dem Kolben in einer Schaltung, die zum 
Kunden geht.

von Kai K. (klaas)


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>Murata hat früher in ihren Datenbüchern ein Kapitel gehabt, wie bei
>unsachgemäßem Lötminiskus die Ausfallswahrscheinlichkeit nach
>Temperaturzyklen steigt. Das war erschreckend. Bei zu viel Lötztinn, wie
>man es beim Kolbenlöten praktisch immer appliziert, steigt die
>Ausfallwahrscheinlichkeit auf mehrere Prozent nach einer gewissen Anzahl
>von Temperaturzyklen.

Ah schön, ich habe ein solches Datenblatt von Murata noch im Archiv, 
siehe Anhang. Bitte ab Seite 97 lesen. Die Resultate sind sogar noch 
viel erschreckender.

von Kai K. (klaas)


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>Die NASA hat zum Thema umfangreiche Untersuchungen durchgeführt.
>Interessanterweise hat Handlöten bei den Tests keine negativen Einflüsse
>gehabt. Vorheizen ist aber trotzdem anzuraten.
>
>https://nepp.nasa.gov/files/16346/08_002_01%20GSFC...

Ich habe jetzt mal das Papier durchgelesen. Sind das nicht recht 
unrealistische Annahmen?

1. Einen Cap mit nur einem seiner Anschlüsse für 5sec in 300°C heißes 
Lötzinn zu tauchen, ergibt doch eine völlig andere Belastung, als beide 
Anschlüsse des Cap nacheinander direkt mit einer auf 350°C aufgeheizten 
Kupferlötspitze zu berühren. Das ist doch genau das, was passiert, wenn 
ein SMD-Kerko auf einem kleinen Lötpad für Reflow-Löten festgelötet 
werden soll: Man kommt mit der Kolbenspitze dem Cap unweigerlich sehr 
sehr nahe. Und das Bauteil kann auch kaum die Längenausdehnungen 
verdauen, weil der Cap ja an beiden Anschlüssen auf der Platine fixiert 
ist. Im Nasa-Report, wo der Cap nur mit einer "Wäscheklammer" geklemmt 
wird und sich letztlich frei bewegen kann, dagegen sehr wohl.

2. Der Report steckt dann zweitens einen SMD-Cap mit einem seiner 
Anschlüsse in einen großen Lötzinnklecks, um den Einfluß der Menge 
Lötzinn auf die Ausfallwahrscheinlichkeit zu testen. Aber so sieht das 
in der Praxis doch niemals aus. Dort hängen zwei Lötkleckse an beiden 
Seiten des Caps, fixieren ihn an der Platine und zerren an ihm völlig 
anders als in der Anordnung im Nasa-Report. Wieder hat der Cap auf der 
Platine kaum eine Chance die thermischen Längenausdehnungen zu verdauen. 
Im Nasa-Report dagegen sehr wohl, da der andere Anschluß einfach frei in 
der Luft hängt.

3. Im abschließenden Test werden die Kerkos auf völlig unrealistisch 
riesigen Lötpads festgelötet. Ja klar kann ich dort die Lötkolbenspitze 
etliche Millimeter von den Cap-Anschlüssen entfernt ablegen und die 
Lötstellen ultraschonend erwärmen. Bei den modernen, sehr kleinen 
Lötpads für das Reflow-Löten ist das überhaupt nicht möglich. Hier 
berührt man mit der Kolbenspitze fast immer unweigerlich direkt den 
Anschluß des Caps.

Fazit: Der Nasa-Report geht von völlig unrealistischen Annahmen aus. Die 
Versuchsbedingungen haben nichts mit den realen Belastungen gemeinsam. 
Das Murata-Datenblatt weist bei zuviel Lötzinn an den Anschlüssen des 
Caps Ausfallraten von bis zu 20% nach 200 Temperaturzyklen aus. Das 
Murata-Datenblatt weist zusätzlich bei der Kolbenlötung Ausfallraten von 
bis zu 40% aus, wenn die Kolbenspitze 360°C heiß ist und nicht mit 
Pre-Heating gearbeitet wird, auch dann, wenn mit der Kolbenspitze die 
Anschlüsse nicht direkt berührt werden!

-> Wenn das Lötpad genügend groß ist, wie für das Wellenlöten (aber 
nicht das moderne Reflow-Löten!), können wohl keramische Caps 
zuverlässig verlötet werden, wenn denn die Lötkolbenspitze nicht zu heiß 
ist (<300...350°), das Lötpad weit entfernt vom Cap-Anschluß erwärmt 
wird und vor allem mit Pre-Heating (150°C) gearbeitet wird. Bei kleinen 
Lötpads, wie sie im modernen Reflow-Löten verwendet werden, um das 
Tombstoning zu minimieren, kommt man mit der Kolbenspitze den 
Cap-Anschlüssen aber unweigerlich zu nahe. Zuverlässige und langlebige 
Lötungen (für ein Industrieprodukt) lassen sich dann nicht einmal mit 
Pre-Heating erzielen. Für das Prototyping mag die Qualität der Lötung 
ausreichen.

von Guenter S. (guenter1s)


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Guten Morgen zusammen,

hier kommen die Bilder zum Kondensatorbrand. Es handelt sich um den 
Kondensator rechts unten.
Bevor Spekulationen zum Zustand der Lötstellen auf der Platine 
aufkommen: Es handelt sich um einen Quick&Dirty Entwurf, bei dem im 
unteren Bereich Kupferdraht aufgelötet wurde um die Stromtragfähigkeit 
zu erhöhen. Aber erst danach wurden die Kondensatoren eingelötet.

Osz1 zeigt die dem 12V-DC überlagerte Störspannung am oberen 
Kondensator:
5mV/Div. mit Tastkopf 1:10, ein Impuls beginnt mit ca. 600mV Peak (man 
kann die 600mV Spikes leider auf dem Foto nicht sehen, praktisch nur die 
abklingende Schwingung)
Time/Div. 10us

Osz2 zeigt eine Vergrösserung der abklingenden Schwingung nach dem Peak:
5mV/Div. mit Tastkopf 1:10, ca. 400mV im Peak, Time/Div. 0,05us
Ich komme im Mittel auf 0,7x0,05us für eine Periode, das wären ca. 28,6 
MHz.

Gemessen wurde mit einem HM605, das ist hier auch schon arg an der 
Grenze. Vielleicht sehe ich ja deswegen den T-Rex nicht ;-)

Jetzt meine Antworten zu Euren Kommentaren:

Zum Bauteil selbst:
Natürlich ist ein ein 1206, außerdem mit 63V, meine Angabe war falsch.
Weiter steht auf dem Rollenlabel:
KONDENSATOR 100NF/10/63
X7R100NF/63K1206

Belastung des Konverters:
Es ist ein Step-Down Solarregler der die Spikes erzeugt.
Dabei ist es fast kein Unterschied ob der mit ca. 3A oder mit 15A lädt.
Die Bilder hier wurden bei ca. 3A Ladestrom erzeugt.

12V DC Kontrolle:
Der Ausgang des Laders ist mit 2x Solarakku 12V 115Ah (parallel 
geschaltet) verbunden. Der uC schaltet Ladegerät und Last ab 15,5V DC 
ab).

Reproduzierbarkeit:
Nein, habe schon Dutzende dieser C's im Bereich bis 40V bei 
Verfügbarkeit von Strömen im Ampere-Bereich verbaut, nie ein Problem -> 
daher mein Posting.

Impulsspitzen Messbarkeit:
Mir steht nur ein HM605 zur Verfügung, alle meine anderen Meßgeräte 
wären für eine Impulsmessung in diesem Bereich zu langsam.

Inverter:
DC/AC Powerinverter 12V/230Vax, 600W/1200W Pure Sine, Sinusbild mit 
geringen Verzerrungen
Der Inverter wird über ein HF-Filter in der DC-Leitung zwischen Akku und 
Inverter betrieben.
Von ihm stammen bei Belastung im wesentlichen nur 50Hz-Schwankungen auf 
der Akkuleitung.

Kondensator-Hersteller:
S+M components Austria


Brandbeschreibung:
Nicht der Kondensator hat solange gebrannt, es war der Brandherd im 
gesamten (schreibt man hier das gesamten-G eingentlich groß?). Die 
kleine Flamme entstand am rechts im Bild befindlichen Anschluß. Danach 
bildeten sich kleine Flammpünktchen, ähnlich einem abbrennenden 0,25W 
Kohleschichtwiderstand.

Die Info von Kai Klaas:
Vielen Dank für die Infos aus der Praxis!

Die Info von Alexander Schmidt:
Vielen Dank für die Infos aus der Praxis!

Bei Euren Ausführungen treffen einige Merkmale auf die Situation hier 
zu:

Bauform 1206 -> kleinere empfohlen
Ausfallhäufigkeit von Kerkos ist nicht vernachlässigbar gering
Keine Strombegrenzung (ich habe schon Sicherungen eingebaut, aber mit 
30A)
Handbestückung ohne Preheating
Kerko in der Nähe von Steckern/Anschlussklemmen
Weicher Kurzschluß stimmt auch, wenn man die Wärmeenergie ins Verhältnis 
zum Schadensbild und der Branddauer setzt


Mein vorläufiges Fazit:
Es dürfte sich in meinem Fall um eine Kombination aus unglücklichen 
Einzelsituationen handeln, durch die der Bauteilausfall entstanden ist.
Insbesondere das Lötverhalten und die Platzierung des C's direkt im 
Bereich von Anschlussterminals (der Klemmvorgang wurde schon einige Male 
durchgeführt) kommen als Ursache für den Ausfall in Betracht.
Ein Bauteilfehler ist da schon unwahrscheinlicher.


Herzlichen Dank für Eure Ausführungen und: wow, super dass es dieses 
Forum gibt!

Ein schönes Wochenende noch.

Gruss

Guenter

von F. F. (foldi)


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MaWin schrieb:
> weil man ja Kältetechnikerschein
> haben muss um damit umgehen zu dürfen...

Also MaWin, den hätte ich jetzt aber bei dir erwartet, den 
Kältetechnikerschein. ;-)

von Kai K. (klaas)


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>Handbestückung ohne Preheating

Hier ist natürlich viel zu viel Lötzinn und Lötfläche an den Anschlüssen 
der SMD-Kerkos, was zu ernomen Biegekräften und einem völligen Fehlen 
von Wärmefallen führt. Dort würde ich höchstens einen bedrahteten Kerko 
anlöten.

Dann fällt die extreme Schwingung auf. Da hast du wohl eine satte 
Resonanz. Ich würde dem Kerko einen "Snubber" parallelschalten. Ohne 
deine Schaltung zu kennen, kann ich natürlich nichts genaueres sagen. 
Aber man könnte mal einen 470n X2 mit einem 10R Serienwiderstand dem 
Kerko parallelschalten. Dann müßte die Resonanz deutlich schwächer 
ausfallen. Der Rest ist ausprobieren oder simulieren.

von Frank M. (frank_m35)


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Also wie du schon selbst sagtest, der Testaufbau wird das Hauptproblem 
gewesen sein. Um so große Kupferflächen gescheit zu löten brauchst du 
einen starken Lötkolben und eine hohe Temperatur, was eben nicht optimal 
für den Keramik-Kondesnator ist. Zudem verschwindet er regelrecht unter 
deinem Lötzinn :-)

Da du bedrahtete Bauteile zu verwenden scheinst (neben den MLCCs sind 
Steckkontakte von unten), was spräche gegen bedrahtete 
Keramikkondensatoren?

Eine kleinere Bauform ist nicht unbedingt die bessere Wahl. Zwar wäre 
dadurch das Cracken vielleicht weniger Problematisch, dafür fällt die 
Kapazität in Abhängigkeit der Spannung stärker:
http://www.edn.com/design/analog/4402049/Temperature-and-voltage-variation-of-ceramic-capacitors--or-why-your-4-7--F-capacitor-becomes-a-0-33--F-capacitor
Ebenso müssten die Leiterbahnen noch dichter aneinandergeführt werden, 
was das Kurzschlussrisiko der Leiterbahnen vergrößern würde.
(Vielleicht ist auch nicht der Kondensator die Ursache gewesen, sondern 
Schmutz/Whisker (http://en.wikipedia.org/wiki/Whisker_(metallurgy)) an 
der Engstelle (eben genau am Kondensator))

von Grendel (Gast)


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Wiskas (;-)) braucht aber ein paar Jahre zum Wachsen soweit ich weiss... 
also bei nem frischen Prototypen eher unwahrscheinlich.

von Georg W. (gaestle)


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Frank M. schrieb:
> Whisker

Ist das noch ein Thema? Sie wurden auch schon an wenigen Monaten alten 
Rückstellmustern beobachtet.

Frank M. schrieb:
> Eine kleinere Bauform ist nicht unbedingt die bessere Wahl. Zwar wäre
> dadurch das Cracken vielleicht weniger Problematisch, dafür fällt die
> Kapazität in Abhängigkeit der Spannung stärker:

Das hängt nicht nur von der Bauform, sondern auch vom Dielektrikum ab. 
Ich weiß nicht was hier konkret verbaut wurde, aber 100nF 50V gibt es 
mit X7R (müsste eigentlich ausreichen) bereits in BF 0603. oder 470nF 
100V in 0805. Da ist also schon noch Luft, ev. auch in Verbindung mit 
einer Drossel.

von Jojo S. (Gast)


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ein Bekannter hat mir erzählt das ihm in einem Lötkurs erklärt wurde das 
Kerkos beim Handlöten auch nicht mit der Pinzette gehalten werden 
dürfen. Ist es dann evtl sicherer die Kerkos mit Heissluft und Lötpaste 
einzulöten?

von Kai K. (klaas)


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>Ist es dann evtl sicherer die Kerkos mit Heissluft und Lötpaste
>einzulöten?

Wir machen das jedenfalls so. Aber vergiß das Pre-Heating bei 150°C 
nicht.

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