Nehmen wir an, der Beschleunigungsfaktor sei 1 (keine Beschleunigung),
ich hätte 10 Prüflinge für 1000 Stunden getestet und keinen Ausfall
gehabt.
Bisher war bei uns die Annahme üblich, dass sofort ein Prüfling
ausgefallen wäre, wäre der Test nur den Hauch einer Sekunde länger
gelaufen, damit AnzahlAusgefallenerPrüflinge = 1 und der Bruch sinnvoll
berechenbar war.
Blöderweise ist bei meinem letzten Test tatsächlich ein Prüfling
ausgefallen, und zwar kurz vor Ablauf der Testzeit (sagen wir nach 900
h). Ist meine MTBF nun
10 Prüflinge * 1000 h / 2 Prüflinge = 500 h, oder gilt nicht eher:
MTBF = 9 Prueflinge * 1000h + 1 Pruefling * 900 h = 1900h ?
Mit anderen Worten, müsste es der MTBF nicht etwas nützen, dass der
letzte Prüfling bis fast zum Schluss durchgehalten hat? Oder ist der
Trick bei Zufallsausfällen gerade, dass dies nicht berücksichtigt wird?
Horst schrieb:> Nehmen wir an, der Beschleunigungsfaktor sei 1 (keine Beschleunigung),> ich hätte 10 Prüflinge für 1000 Stunden getestet und keinen Ausfall> gehabt.Horst schrieb:> Blöderweise ist bei meinem letzten Test tatsächlich ein Prüfling> ausgefallen, und zwar kurz vor Ablauf der Testzeit (sagen wir nach 900> h). Ist meine MTBF nun
Dann würe ich den Test beschleunigen damit er wirklich war aussagt.
Nach meiener Ansicht wäre die MTBF dann aber zu 10*1000/1 = 10000h zu
berechnen (Test zeit war 1000, EIN Gerät ist ausgefallen).
Ich halte diese Aussagen aber nicht signifikant da der Ausfall eher dem
Zufall unterworfen scheint.
Signifikant wäre z.B: 100 Geräte, 10000h (oder eben beschleunigt 1000h *
Faktor 10) und ausgefallen sind 7 (z.B.).
rgds
6A66 schrieb:> Dann würe ich den Test beschleunigen damit er wirklich war aussagt.
Meine Zahlen waren nur Beispiele, wir testen länger, beschleunigt und
mit mehr Prüflingen - allerdings schon mit der (meist erfüllten)
Hoffnung, am Ende 0 Ausfälle zu haben.
Wenn ich Dich nun richtig verstehe, ist der Test generell erst
aussagekräftig, wenn es ein paar Ausfälle gibt?
Horst schrieb:> Wenn ich Dich nun richtig verstehe, ist der Test generell erst> aussagekräftig, wenn es ein paar Ausfälle gibt?
Ein nicht ganz passender Vergleich: Du beobachtest zehn Neugeborene zwei
Jahre lang. Während des Zeitraums ist keines gestorben. Du nimmst jetzt
an, dass ein Baby am Tag 2 Jahre + 1 gestorben wäre und berechnest jetzt
daraus die durchschnittliche Lebensdauer eines Menschen.
Glaubst du da kommt etwas sinnvolles dabei heraus? Ich nicht. Zumindest
eine untere Grenze kannst du da halbwegs ermitteln. Aber wenn es
halbwegs genau sein soll, dann muss die Sample-Größe höher sein und es
auch ordentlich Ausfälle geben.
Jan Hansen schrieb:> Zumindest> eine untere Grenze kannst du da halbwegs ermitteln.
Ja, ich verstehe schon, was Du meinst - aber solange ich eben nicht aus
einem längeren Versuch weiß, dass ein Baby länger hält, und der
Auftraggeber, der die Babies abnimmt, auch nicht mehr nachgewiesen haben
möchte, wäre das eben genau die Aussage: MTBF(Baby) >= 20 Jahre...
Die MTBF ist ja anscheinend auch ein statistischer Wert für
Zufallsausfälle, der bei Ablauf der Lebensdauer durch Alterung nicht
mehr gilt, sondern nur im flachen Teil der "Badewannenkurve". Das hab
ich eben noch nicht 100% verstanden. Insofern ist der Vergleich mit
einem Menschenleben (vorzeitiger Tod durch unvorhergesehen Ereignisse)
aber wohl gar nicht so weit hergeholt.
Die Auswertung als MTBF macht nur wirklich Sinn, wenn genügend Teile
ausgefallen sind. Bei nur wenigen Teilen die Ausfallen wird einfach der
Fehler bei der Ausfallrate sehr hoch. Selbst wenn sonst alles optimal
ist, hat man bei 4 Ausgefallenen Teilen immer noch etwa +-50%
Unsicherheit bei der MTBF allein von der Statistik.
Auch die Größe der Stichprobe sollte schon etwas größer sein, so dass
man mit vielleicht 10 Ausfällen rechnen kann. Die Richtige Auswahl der
Stichprobe ist dann noch mal was anderes - ein grober Fehler wäre es da
z.B. die ersten 100 Stück aus der Produktion vom Montag zu nehmen.
Bei dem Beispiel oben mit dem einen Ausfall ist es schon richtig nur die
Zeit zu zählen so lange die Teile noch heile sind, also bei den 10
Teilen, wo eines nach 900 h ausgefallen ist 9*1000 h und 1 * 900h. Nur
in der Zeit waren Teile da die Ausfallen konnten. So geht es dann auch
wenn alle in der Testzeit ausfallen - da kommt dann halt die mittlere
Zeit raus, die die Teile gehalten haben, unabhängig davon wie lange man
den Test geplant hat.
Ulrich schrieb:> Die Auswertung als MTBF macht nur wirklich Sinn, wenn genügend Teile> ausgefallen sind.
Sicher wächst die Erfahrung mit der Menge. Es ist jedoch nicht sicher
daß alle Transitoren eines Typs an Überspanng sterben müssen, da sie im
Laufe ihrer Lebenszeit z.B. neben elektrischen auch chemischen,
thermischen und mechnischem Beanspruchungen wie Resonanzen unterliegen
können, die im Labor nicht ausreichend geprüft wurden.
Horst schrieb:> Mit anderen Worten, müsste es der MTBF nicht etwas nützen, dass der> letzte Prüfling bis fast zum Schluss durchgehalten hat? Oder ist der> Trick bei Zufallsausfällen gerade, dass dies nicht berücksichtigt wird?
Der Trick ist, genügend Datenmaterial zu haben. Bei seltenen Ereignissen
- und das sollte ein Ausfall sein - hilft dir die Poisson-Verteilung.
http://de.wikipedia.org/wiki/Poisson-Verteilung
Ob keiner, ein oder zwei Prüflinge innerhalb einer bestimmten Zeit
ausfallen, sagt noch relativ wenig und wird i.A. statistische
Unsicherheit sein. Zusätzlich zu der Anzahl der Ausfälle mußt du dich
für die Beurteilung um die Signifikanz kümmern. (Stichwort
Hypothesentest)
Horst schrieb:> it anderen Worten, müsste es der MTBF nicht etwas nützen, dass der> letzte Prüfling bis fast zum Schluss durchgehalten hat?
Eine solche Fragestellung zeigt auf, dass der Test nicht aussagekräftig
war wegen zu geringer Stückzahl oder Dauer. Ein einzelner Ausfall darf
keinen so grossen Unterschied hervorrufen können, sonst ist was faul an
der Statistik.
Georg
Georg schrieb:> Horst schrieb:>> it anderen Worten, müsste es der MTBF nicht etwas nützen, dass der>> letzte Prüfling bis fast zum Schluss durchgehalten hat?>> Eine solche Fragestellung zeigt auf, dass der Test nicht aussagekräftig> war wegen zu geringer Stückzahl oder Dauer.
Also gut, dann möchte ich eine Frage nachlegen: Wie viele kostbare
Vorserienexempare und wie viel Zeit werden in Euren Unternehmen (oder
denen, die Ihr kennt) für Tests geopfert, um eine Aussage zur
Zuverlässigkeit machen zu können?
Im Vergleich mit meinen bisherigen Arbeitsplätzen und Firmen, die wir
(Kollegen und ich) kennen, ist das hier (mit >150k Gerätestunden OHNE
Berücksichtigung der Beschleunigung) schon eine ganze Menge. (Branche
etc. möchte ich nicht nennen, aber kein Militär oder Raumfahrt, nicht
mal Automotive.)
Horst schrieb:> Also gut, dann möchte ich eine Frage nachlegen: Wie viele kostbare> Vorserienexempare und wie viel Zeit werden in Euren Unternehmen (oder> denen, die Ihr kennt) für Tests geopfert, um eine Aussage zur> Zuverlässigkeit machen zu können?
In meiner aktuellen Firma opfern wir gar keine Geräte. Es werden nur die
üblichen CE-Tests und ausführliche Dauertests am Rande der Spezifikation
durchegeführt. Allerdings kommen da nur wenige Exemplare zum Einsatz.
Die MTBF wird nur gerechnet, anhand der Einzelbauteile. Das funktioniert
dann, wenn man sicher stellt, dass kein Bauteil außerhalb der
Spezifikation betrieben wird. Das muss man eben sorgfältig machen.
Die Langzeiterfahrung passt dann. Ausfallquoten von unter 1% nach drei
Jahren bei Geräten, die üblicherweise 24/7 laufen, bestätigen das
Vorgehen.
Horst schrieb:> wie viel Zeit werden in Euren Unternehmen (oder> denen, die Ihr kennt) für Tests geopfert, um eine Aussage zur> Zuverlässigkeit machen zu können?
Da stösst die Statistik durchaus an ihre Grenzen, u.a. deswegen, weil
Bauteile und Geräte so zuverlässig sind. Das führt dazu, dass bei
realistischen Stichproben zur Qualitätssicherung z.B. bei Autoelektronik
tatsächlich nur ein oder garkein Teil ausfallen darf, das ist im Sinne
der Statistik zwar unerwünscht, aber man muss sich damit abfinden. Bei
Stichproben zur Qualitätssicherung kann es daher sein, dass eine Charge
ohen Ausfall gut ist, dagegen jeder einzelne Ausfall zur Rücksendung der
ganzen Charge führt. Das haben dann aber Kunde und Lieferant so
vereinbart.
Georg
Horst schrieb:> Dann würde die Poisson-Verteilung ja erst einsetzen, wenn ich eine> gültige MTBF ermittelt hätte?
Die Poisson-Verteilung beschreibt die Sache immer. Wenn du eine
bestimmte Anzahl von Ausfällen hast, kannst du eine Aussage darüber
treffen, mit welcher Wahrscheinlichkeit welches Lambda dafür zuständig
ist. Du bestimmst damit also das Lambda und je mehr Ausfälle du hast, um
so kleiner wird der Fehler von Lambda.
Antimedial schrieb:> Ausfallquoten von unter 1% nach drei Jahren bei Geräten,> die üblicherweise 24/7 laufen, bestätigen das Vorgehen.
Die Einen sagen so und die Anderen so. Selbst wenn alle Bauteile 200%
Zuverlässigkeit hätten, kommt dann Montag irgendein Dau und lötet sie zu
heiß od. falsch ein?
Das was du hier beschreibst, fällt an den Anfang der Badewanne.
Das muß aus der Betrachtung rausgenommen werden.
Man muß auch nicht unter Normalbedingung warten, bis ein Bauteil
ausfällt.
Es gibt da Methoden, um sowas künstlich zu altern. Z.Bsp. Klimakammern.
Horst schrieb:> Also gut, dann möchte ich eine Frage nachlegen: Wie viele kostbare> Vorserienexempare und wie viel Zeit werden in Euren Unternehmen (oder> denen, die Ihr kennt) für Tests geopfert, um eine Aussage zur> Zuverlässigkeit machen zu können?
Ein Beispiel:
Zur Zeit altern wir ein Bauteil mit Beschleunigungsfaktor 10 und schauen
wie sich ein Parameter in einem Jahr entwickelt. Wir versuchen damit die
Entwicklung über die nächsten 10 Jahre an >>100 Bauteilen zur ermitteln.
Dazu wird eine eigens dafür entwicklte Testvorrichtung verwendet. Das
Bauteil ist kritisch für das Produkt und seine Lebenswerwartung. Aufwand
ist sicher >40kEUR.
rgds
Horst schrieb:> Also gut, dann möchte ich eine Frage nachlegen: Wie viele kostbare> Vorserienexempare und wie viel Zeit werden in Euren Unternehmen (oder> denen, die Ihr kennt) für Tests geopfert, um eine Aussage zur> Zuverlässigkeit machen zu können?
Ich möchte noch darauf hinnweisen dass Ausfallwahrscheinlichkeiten auch
rechnerisch abgeschätzt werden können. Das ist im Industriesektor nicht
unüblich und in bestimmten Bereichen sogar zur Zulassung relevant,
Stichwort FMEDA.
rgds
6A66 schrieb:> Zur Zeit altern wir ein Bauteil mit Beschleunigungsfaktor 10 und schauen> wie sich ein Parameter in einem Jahr entwickelt.
Wie wird der Beschleunigungsfaktor bestimmt? Also wie kann ich aus
extremen Umweltbedingungen wie z.B. höherer Betriebstemperatur,
ständigen starken Temperaturwechseln, Vibration etc. den
Beschleunigungsfaktor ermitteln?
Der einzig echte Lebensdauertest besteht aus z.B. 1000 Geräten, die z.B.
1 Mio Stunden in zufällig gewählten privaten Haushalten getestet werden.
Alles Andere ist der reine Unsinn, wie ja so vieles heutzutage. Nur
bringt solch eine Angabe natürlich Marketingvorteile, und daher scheut
man nicht vor diesem Gipfel der Theorie zurück.
Gerd E. schrieb:> Wie wird der Beschleunigungsfaktor bestimmt?
Am gängigsten über eine erhöhte Temperatur. Die Faustregel ist: 10 Grad
mehr halbieren die Lebensdauer. Es kommt aber auf die absolute
Temperatur an - über die Arrheniusgleichung kann man das berechnen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Beschleunigte_Alterung
Größter Unsicherheitsfaktor ist hierbei wohl die Aktivierungsenergie Ea.
Für Halbleiter gibt es da wohl Werte, für Baugruppen/Systeme kann man
sich damit nach Aussage von Fachleuten einiges schönrechnen.
Deshalb stimme ich zu, dass die Aussage dieser Tests begrenzt ist. Wenn
sie aber nun gefordert sind, auch den Entwickler beruhigen und man dem
Kunden Zahlen (die Randbedingungen und Unsicherheiten muss man ja nicht
verschweigen) nennen kann - macht man sie eben. Eine rechnerische
Abschätzung hat ja auch Unsicherheiten.
Danke für alle Anregungen. Haupterkenntnis (von Wolfgang A.) für mich
war, dass bei wenigen Ausfällen die statistische Unsicherheit
berücksichtigt werden muss. Habe in der Zwischenzeit auch nochmal
recherchiert, üblich ist wohl die Chi²-Verteilung.
So als Ausklang mal eine Betrachtung aus einem anderen Winkel:
Nehmen wir mal an, Deinen initialen Test hättest Du nach 10h (!)
abgebrochen. Damit hättest Du gesagt:
10 Prüflinge * 10 h / 1 Prüflinge = 100 h.
Ergebnis: MTBF = 100h ?
Oder erhöhen wir auf 800h:
10 Prüflinge * 800 h / 1 Prüflinge = 8000 h.
Ergebnis: MTBF = 8000h ?
Weitere Annahme, bei einem genügend langen Test wären alle weiteren
Geräte nach und nach ausgefallen, das vorletzte nach 30'000h, das letzte
(sehr hartnäckige) aber erst nach 100'000 h.
10 Prüflinge * 100'000 h / 10 Prüflinge = 100'000 h
Ergebnis: MTBF = 100'000h ?
*Lösung:*
Die Ausfallrate gehorcht einer (versteckten) Verteilungsfunktion. Man
nimmt an, dass man diese Verteilungsfunktion näherungsweise durch eine
angenommene mathematische Funktion f mit einem gesuchten Parameter MTBF
beschreiben kann. Anhand einer Messreihe zusammen mit dem entsprechendem
Ansatz der angenommenen mathematischen Funktion f kann ein Parameter
MTBF' berechnet werden. Je geringer (a) die Abweichungen zwischen der
Messreihe von der angenommenen Funktion sind und (b) je geringer der
Einfluss von zufälligen Schwankungen auf den berechneten Parameter MTBF'
sind, desto genauer dürfte (1) der berechnete Wert MTBF' mit dem wahren
Wert MTBF übereinstimmen und (2) desto genauer stimmt die oben ebenfalls
angenommene mathematische Funktion f mit der tatsächlichen versteckten
Verteilungsfunktion überein.
*Interpretation:*
Ohne oder nur mit ganz wenig Ausfall kann man höchstens eine untere
Schätzgrenze für die MTBF ziehen (das mag aber ggf. reichen).
Je genauer man es haben möchte, desto länger (und komplizierter) muss
man rechnen.
Die Frage ist nur, wie genau möchte man es haben? Vor allem, wenn man
eine obere Grenze für die MTBF haben möchte :)
(Etwa wenn man überlegt, wie viele Ersatzteile man sich ins Lager
stellen möchte)