Forum: Platinen Isolationsabstände in Zwischenlagen


von Georg B. (georgbauer)


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Liebe Mitstreiter,

ich habe eine Frage bezüglich der Isolationsabstände in Zwischenlagen 
von PCBs.

Wir entwickeln Medizintechnische Geräte und sind auf folgende 
Problematik gestoßen: Die 60601-1 sagt im Grunde nicht’s über die 
Reduktion von Isolationsabständen in Zwischenlagen. Was gängige Praxis 
zu sein scheint, man reduziert die Luft- und Kriechstrecken die auf der 
Platinenoberfläche mit Verschmutzungsgrad 2 bewertet sind auf der auf 
Kriechstrecken des Verschmutzungsgrades 1. Dies geschieht in 
Unabhängigkeit des Platinenmaterials.

Nun haben wir im Fall von HF-Chirurgiegeräten (hier gilt die Unternorm 
60601-2-2) den glorreichen Fall, dass es die Verschmutzungsproblematik 
in diesem Sinn nicht gibt. Die Norm sagt nur (201.8.5.1.2) halte 3mm/kV 
ein und 4mm mindestens.

In Zwischenlagen von Leiterplatten wäre theoretisch doch eine 
Verweichlichung der These möglich. Mein gesunder Menschenverstand würde 
so auf ca. 50% von dem 3mm/kV Wert (also 1,5mm/kV) vorschlagen. Nur hat 
sowas nicht immer was mit gesundem Menschenverstand zu tun.

Meine Argumentationslinie wäre: Wenn sich die Luft-und Kriechstrecken 
von Verschmutzungsgrad bei der Norm 60664-1 (Isolationskoordination für 
elektr. Betriebsmittel […]) bei unserer Spannungsklasse von 50mm 
(Verschmutzungsgrad 2 IsoGruppe III) auf 20mm (Verschmutzungsgrad 1) 
reduziert, dürfe ich den gleichen Reduzierungsfaktor für die 3mm/kV 
ansetzen. Geht das?

Grüße und bereits Danke im Voraus!
Georg

von Georg (Gast)


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Georg Bauer schrieb:
> In Zwischenlagen von Leiterplatten wäre theoretisch doch eine
> Verweichlichung der These möglich.

Jein. Geht man vom Harz aus, so könnte der Abstand SEHR viel kleiner 
sein, aber es wird auch in Betracht gezogen, dass sich ein Multilayer 
delaminieren könnte.

Praktisch ist die Diskussion aber irrelevant: wenn das Teil z.B. vom TÜV 
abgenommen wird, so ist entscheidend was der zuständige Prüfingenieur 
dazu meint. Es könnte sich also lohnen, das vorher mal zu besprechen.

Georg

von Georg B. (georgbauer)


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Hallo Namensvetter,

mit dem TÜV habe ich sogar schon gesprochen. Die Aussage war: "Sofern 
die Norm nichts darüber sagt ist der Worst-Case anzunehmen. Also die 
3mm/kV." Von einer gewissen Un-Sicherheit des Epoxi-Materials hat dieser 
ebenfalls gesprochen. Lufteinschlüsse wären ebenfalls denkbar. Eine 
Qualifikation des Klebeprozesses über die Serie ist an dieser Stelle 
etwas übertrieben und nicht gerade günstig.

Ebenfalls meinte der TÜV, dass ihm keine Referenzliteratur/Norm bekannt 
sei, bei der dieses Thema aufgefasst werde. Sollte hier was zu finden 
sein, könne man sich darauf beziehen.

Das ist der Grund warum ich die Schwarm-Intelligenz befrage ;)

von Georg (Gast)


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Georg Bauer schrieb:
> Das ist der Grund warum ich die Schwarm-Intelligenz befrage ;)

Ok, aber wenn der Schwarm andrer Meinung als der TÜV ist, was glaubst du 
wer gewinnt?

Georg

von Schaulus Tiger (Gast)


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Georg schrieb:
> Georg Bauer schrieb:
>> In Zwischenlagen von Leiterplatten wäre theoretisch doch eine
>> Verweichlichung der These möglich.
>
> Jein. Geht man vom Harz aus, so könnte der Abstand SEHR viel kleiner
> sein, aber es wird auch in Betracht gezogen, dass sich ein Multilayer
> delaminieren könnte.

Praktisch passiert tatsächlich irgendwas übles. Auf einer 4-lagigen 
Platine wird eine Leiterbahn zwischen zwei Steckerpins durchgeführt. Die 
Bohrungen haben 1.6mm im 5mm-Raster. Da bleiben also mindestens 0.8mm 
Isolation, eher mehr, weil die Bahn schmal sein kann, es fließt kein 
nennenswerter Strom.

Die Isolation von Lage zu Lage durch eine Prepreg-Schicht ist 
wahrscheinlich viel kritischer, 0.5mm wären ja schon sehr dick. Und wer 
bestellt schon einen definierten Lagenaufbau :(

Jedenfalls reichte das in 2 bis 3 von 1000 Fällen nicht für Dauerbetrieb 
am 230V-Netz.

von Tim R. (mugen)


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Leider Leider ist sind Prepregs nicht fehlerfrei und können Lunker 
haben. Daher gibt es diese Probleme auch immer wieder in der 
Leistungselektronik.

Als Beispiel:

Man nehme eine einfache 4 Layer Platine. Der Layeraufbau wäre wie folgt:

1 ----------  Signal-Layer
OOOOOOOOOO FR4 Material prepregs
2 ----------  Ground zu Signal-Layer
========== FR4 core
3 ----------  Ground 1000Vdc
OOOOOOOOOO FR4 Material prepregs
4 ----------  1000V

Nach UL darf diese Konfiguration niemals realisisert werden. Auch wenn 
FR4/GFK ein sehr gute Isolator ist. Selbst wenn mehrere prepregs (was 
ohnehin gemacht wird) übereinander gelegt werden dann wird man keine UL 
Erlaubnis bekommen. Rein statistisch wäre es recht unwahrscheinlich 
einen Durchschlag auf der Platine zu bekommen. Die bei UL haben halt 
Angst.

Ps. Warum lässt man sich bitte beim TÜV beraten? Der Verein ist nicht 
wirklich durch seine Kompetenz bekannt. Aber das ist meine Meinung...

von Georg (Gast)


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Tim R. schrieb:
> Ps. Warum lässt man sich bitte beim TÜV beraten?

Ich weiss dass das hier nicht populär ist, die gängige Meinung ist wohl 
illegal scheissegal, aber der TÜV (u.a.) erteilt z.B. die Zulassung für 
medizinische Geräte, und diese ohne eine Zulassung zu vertreiben ist 
strafbar und wenn man Pech hat fahrlässige Tötung. Es gibt dafür auch 
andere Stellen als den TÜV, das ändert aber garnichts - keine wird ein 
unsicheres Gerät zertifizieren. Und es lohnt sich immer, mit der 
Zulassungstelle rechtzeitig zu reden, alles andere ist einfach nur blöd 
und im Sinne der Firma unverantwortlich, da unnötige Mehrkosten in 
abenteuerlicher Höhe entstehen können.

Tim R. schrieb:
> Leider Leider ist sind Prepregs nicht fehlerfrei und können Lunker
> haben.

Nach MIL sind mindestens 2 Lagen Prepreg zwischen CU-Lagen 
vorgeschrieben, und in der Praxis machen das alle seriösen Hersteller 
auch bei nicht-MIL-Aufträgen. Also ein nichtexistentes Problem.

Georg

von Tim R. (mugen)


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Georg schrieb:
> Also ein nichtexistentes Problem.

Du würdest mir einen riesigen Gefallen tun, wenn du das UL verklickern 
könntest ;-)

Wir müssen aufgrund dessen immer auf Kompromisse im Layout einlassen. 
Aber die bekommen auch schon Angst, wie viele auch, wenn die DC Spannung 
über 600V ist.

von Georg B. (georgbauer)


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Georg schrieb:
> Ok, aber wenn der Schwarm andrer Meinung als der TÜV ist,
> was glaubst du wer gewinnt?
Naja, ein Kampf sollte das Ganze nicht sein. Und als Sieger möchte ich 
da auch keinen betrachten. Eher ist der Findungsprozess als ein 
Miteinander zu sehen, der zur technisch sauberen Lösung münden sollte. 
Aber ja, im Zweifelsfall ziehst du immer den Kürzeren ;)

Tim R. schrieb:
> Leider Leider ist sind Prepregs nicht fehlerfrei und können Lunker haben.
> Daher gibt es diese Probleme auch immer wieder in der Leistungselektronik.
Die Prepreg-Schicht „zwischendrin“ möchte ich nicht als Isolation 
nehmen. Im vorgeschlagenen Fall fährt man auf den Zwischenlagen nur 
näher ran als auf den Außenlagen.

Als Beispiel in etwa so:
A)Klassische Anordnung mit normalen Luft- und Kriechstrecken (3x s):
1 x---sssxxxxx  Hochspannung Plus (Top)
OOOOOOOOOO FR4
2 xxxxsss---x  Hochspannung Minus (Bottom)

B)Vorgeschlagene Anordnung mit verkürzen Luft- und Kriechstrecken (1x s) 
in Zwischenlagen:
1 x---sxxxxxx  Hochspannung Plus (Top)
OOOOOOOOOO FR4 Material prepregs
2 xxxxxxxxxxx  Freier Layer (Mid. 1)
 ========== FR4 core
2 xxxxs---xxx  Hochspannung Minus (Mid. 2)
OOOOOOOOOO FR4 Material prepregs
4 xxxxxxxxxxx  Freier Layer (Bottom)

Tim R. schrieb:
> Warum lässt man sich bitte beim TÜV beraten?
Weil wir unsere Geräte bei denen zulassen. Wie Georg bereits gesagt hat: 
Hier die Sichtweise früh einzuholen macht aus unternehmerischer Sicht 
nur Sinn.

Georg schrieb:
> Also ein nichtexistentes Problem.
Seh ich, wie Tim, nicht ganz so. Wenn man das Problem gekonnt umschiffen 
kann, dann muss es doch irgendwas geben das sagt „Mach das so und so, 
dann bist du auf der sicheren Seite“. Und das würde ich dann dem TÜV und 
der UL unter die Nase halten wollen.

von Georg (Gast)


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Georg Bauer schrieb:
> Seh ich, wie Tim, nicht ganz so.

Ich meinte das auch nur in Bezug auf Löcher im Prepreg, aber es gibt ja 
auch noch andere Fehlerquellen wie Lufteinschlüsse oder Delamination. Im 
Sinne von Zulassungsvorschriften ist ein Core als Isolation natürlich 
viel klarer definiert, da kann man dem TÜV einfach das Datenblatt des 
Herstellers unter die Nase halten - bei Prepregs kommt der Prozess des 
Verpressens mit ins Spiel und auch mögliche eigene Fehler (z.B. wenn die 
Harzmasse des Pregpregs nicht ausreicht um alle Lücken zu füllen). Da 
erhebt sich dann die Frage, ob man nach der Zulassung noch den 
LP-Lieferanten wechseln kann.

Georg

von Andrew T. (marsufant)


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Bleibt die Frage an den TS: Sind die Aufbauten der HF-60601-2-2-Geräte 
tatsächlich so kompakt bei Deiner Ausführung der Leiterplatte, das man 
die Signal- und Spannungskritischen Pfade nicht auf die in der 
restlichen 60601 angegeben Abstände 2xMOPP bzw. MOOP bringen kann?

So lösen wir das in unseren Geräten, und das kann man den Prüfern 
weltweit (TÜV, FDA, Jap., Rus., China) auch plausibel vemritteln das man 
damit "clean"  und standarkonform ist.

Oder galt Dein Frage eher "was wäre mahcbar" -- dann ist sicher eine 
Teilnahme am Normenboard/MA-Entsendung eher sinnig als eine Frage im
uc Forum.

von ein Gast (Gast)


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Andrew Taylor schrieb:
> -- dann ist sicher eine
> Teilnahme am Normenboard/MA-Entsendung eher sinnig als eine Frage im
> uc Forum.

Na ja, unter solchen Gesichtspunkten waere das uC-Forum ja leer ...
:-))

Rufus! Mach endlich Deinen Job!

von Johannes E. (cpt_nemo)


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Georg Bauer schrieb:
> Was gängige Praxis
> zu sein scheint, man reduziert die Luft- und Kriechstrecken die auf der
> Platinenoberfläche mit Verschmutzungsgrad 2 bewertet sind auf der auf
> Kriechstrecken des Verschmutzungsgrades 1.

Das war früher mal so, in aktuellen Normen geht der Trend zum 
Verschmutzungsgrad 2 auf Innenlagen.

In der akteullen Version der EN 60950-1 z.B. wird für Innenlagen erstmal 
der Verschmutzungsgrad 2 angenommen.
Nur wenn man aufwändige Test mit Temperaturzyklen in feuchter Umgebung 
macht und dabei nachweisen kann, dass die Spannungfestigkeit dann auch 
noch OK ist, darf man für Innenlagen den Verschmutzungsgrad 1 verwenden.

von Tim R. (mugen)


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> Das war früher mal so, in aktuellen Normen geht der Trend zum
> Verschmutzungsgrad 2 auf Innenlagen.
>

Nach meinen letzten Wissensstand kann ich dies bestätigen, dies sollte 
auch für UL gelten. Allgemein ist man mit dem Verschmutzungsgrad 2 meist 
nicht falsch!

von Falk B. (falk)


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@ Tim R. (mugen)

>auch für UL gelten. Allgemein ist man mit dem Verschmutzungsgrad 2 meist
>nicht falsch!

Aber dann ist auch alles riesengroß!

von Tim R. (mugen)


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Falk Brunner schrieb:
> @ Tim R. (mugen)
>
>>auch für UL gelten. Allgemein ist man mit dem Verschmutzungsgrad 2 meist
>>nicht falsch!
>
> Aber dann ist auch alles riesengroß!

Konservative Leute wie ich nehmen 1mm/100V, aber mit Coating sehe ich 
auch keine Probleme mit 0,55mm/100V.

von Georg B. (georgbauer)


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Georg schrieb:
> bei Prepregs kommt der Prozess des Verpressens mit ins Spiel und auch mögliche
> eigene Fehler (z.B. wenn die Harzmasse des Pregpregs nicht ausreicht um
> alle Lücken zu füllen).
Da gebe ich dir natürlich recht, dass es bei Prepregs zu Delamination 
und Lufteinschlüssen führen kann. In dem Normenbereich hat sich da die 
letzten Jahre einiges getan. Gerade bei der 60601 wurde in der dritten 
Edition der Punkt Festkörper und Klebeeigenschaften mit aufgenommen. Der 
TÜV war hier in der Vergangenheit aber auch schon etwas weiter. Hier 
wurden bei Verringerungen der Isolationsabstände in Zwischenlagen 
Qualifikationen von Fertigungsprozessen der Platinenhersteller 
angefordert (Klebeprozess im Vakuum, Hochspannungstest sowie Belastung 
durch Stresstest). Nur stellt sich hier die Frage wie „hart“ sind die 
Prüfungen nun durch Änderung der Norm geworden. Hier fehlt es leider an 
Erfahrung.

Georg schrieb:
> Da erhebt sich dann die Frage, ob man nach der Zulassung noch den
> LP-Lieferanten wechseln kann.
Ja, wohl kaum. Wenn er allerdings seine Prozesse qualifizieren kann und 
die vom TÜV gewünschten Unterlagen liefert, sehe ich das nicht so 
kritisch.

Andrew Taylor schrieb:
> Bleibt die Frage an den TS: Sind die Aufbauten der HF-60601-2-2-Geräte
> tatsächlich so kompakt bei Deiner Ausführung der Leiterplatte, das man
> die Signal- und Spannungskritischen Pfade nicht auf die in der
> restlichen 60601 angegeben Abstände 2xMOPP bzw. MOOP bringen kann?
Leider Nein. Sobald es um HF-Hochspannung geht greift die 60601-2-2. Die 
besagt 3mm/kV und mindestens 4mm für Luft- und Kriechstrecken. Sobald 
man Spannungen unter einem 1,3kV hat, könnte man theoretisch hoffen die 
Anforderungen der Hauptnorm 60601-1 anwenden zu dürfen. Hier darf man 
sich meines Wissens leider nicht die "süßen Kirschen" zusammen suchen. 
Wenn es um die Patientensicherheit geht ist das ziemlich eindeutig in 
der 60601-2-2 beschrieben (siehe Absatz 201.8.5.1.2).

Johannes E. schrieb:
> Das war früher mal so, in aktuellen Normen geht der Trend zum
> Verschmutzungsgrad 2 auf Innenlagen.
Gut zu wissen. Habe auch gleich mal nachgeschlagen. Leider ist das nicht 
anwendbar für HF-Geräte nach 60601. Wenn man sich an anderen Normen 
orientiert ist aber solch ein Hinweis immer wertvoll. Dankeschön! (So 
nebenbei - der Netzeingangsbereich von HF-Geräten lässt sich nach 
60950-1 bauen).

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