Forum: Mechanik, Gehäuse, Werkzeug Benötigtes Motormoment abschätzen


von Jan K. (jan_k)


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Hi Leute,

ich möchte einen Schrittmotor in Betrieb nehmen. Dieser treibt ein 
Schneckengetriebe an, an dem ein Encoder Ring (Abtriebsseite) und eine 
Last befestigt ist.

Anhand der Drehmoment - Geschwindigkeitskennlinie des Schrittmotors 
möchte ich die maximal mögliche Drehzahl ermitteln, ohne dass Schritte 
verloren gehen. Daher dachte ich, wäre der erste Schritt, das benötigte 
Drehmoment zu berechnen.

Der Motor ist ein Vexta PK266-02B, 1.8°/fullstep, 1.4 A/phase, 24 VDC 
(für den Motortreiber). Das Getriebe ist ein Huber 410 Goniometer mit 
einer Übersetzung von 360:1, Minimal Input Drehmoment 0,1 Nm, Maximal 
Drehmoment Output 3 Nm.

Mechanik ist leider ziemlich lange her, daher hoffe ich auf etwas 
Unterstützung von euch :)

Hier meine Gedanken:
Mir ist klar, dass es quasi zwei Zustände gibt, statisch und dynamisch. 
Im statischen Fall lautet das Drehmoment
. Im Fall einer nicht symmetrischen Last wirkt die Gravitation in 
Abhängigkeit des Drehwinkels (z.B. bei einer radial angebrachten 
Stange). Denke das bekomme ich berechnet ;-)
Gibt is im statischen Fall weitere Kräfte, die ich berücksichtigen muss 
(Reibung hilft mir ja im Grunde, die Position zu halten)?
Jedenfalls muss ich das benötigte Gesamtmoment an Abtriebsseite auf die 
Antriebsseite beziehen, indem ich durch das Übersetzungsverhältnis 
teile.
Diese Motorleistung muss mein Motor mindestens aufbringen. Das wird er 
vermutlich in jeder Geschwindigkeit noch können ;)
Ich habe hier allerdings keinerlei Wirkungsgrade oder ähnliches drin. 
Muss ich die bereits betrachten?

Im Fall einer Bewegung muss ich das Massenträgheitsmoment 
berücksichtigen. Für die Last kann ich das MTM berechnen und per 
Steinerschen Satz die Achse verschieben, denke das bekomme ich hin.
Welche MTM gibt es noch zu betrachten? Encoder (flache Scheibe eines 
bestimmten Durchmessers), Getriebe (da hab' ich überhaupt keine Ahnung, 
wie ich das berücksichtigen könnte, im DB steht nix dazu), Motor selbst 
(das steht im Datenblatt).

Kann glaube man kann die MTM addieren, zumindest für Antriebs- und 
Abtriebsseite getrennt.
Abtrieb: Getriebe, Last, Encoder
Antrieb: Motor

Darf ich diese dann mit dem Übersetzungsverhältnis ineinander 
transformieren? Auf welche Seite beziehe ich denn das Getriebe und wo 
bekomme ich da Infos her?!


Jetzt gehts weiter: M=J*a, mit Trägheitsmomen J und Winkelbeschleunigung 
a. Natürlich habe ich keine Maximale Winkelbeschleunigung... Ich kann in 
meinem Motortreiber einen Maximalstrom für Beschleunigung und auch eine 
Maximalbeschleunigung in (Mikro)Steps angeben. Aber ich brauche ja eine, 
bei der der Motor überhaupt folgen kann. Wie rechne ich diese aus?
Und was ist mit der statischen Last, kann ich die zu dem benötigten 
dynamischen Drehmoment addieren?

Aus dem ermittelten Maximalmoment könnte ich dann in die M-w Kennlinie 
gehen und meine Maximale Winkelgeschwindigkeit ermitteln, die dann auch 
im Treiber eingestellt wird.

Versteht ihr mein Problem oder fehlen Informationen?

Vielen Dank und schöne Grüße,
Jan

von Max M. (jens2001)


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Jan K. schrieb:
> Versteht ihr mein Problem oder fehlen Informationen?

Ich verstehe dein Problem gut!
Aber ich glaube du machst dir einwenig zuviel Gedanken.

Der von dir ausgesuchte Motor ist mit einem Haltemoment von 166ozf-in 
angegeben was nach meiner Umrechnung ca. 1,17Nm entspricht. Das dürfte 
für den Betrieb des Goniometers mehr als ausreichend sein.

Bei einem Abgangsdrehmoment von 3Nm, einer Übersetzung von 360:1 und 
einem (worst case) Wirkungsgrad von nur 10% komme ich auf ein 
Eingangsdrehmoment von 0,083Nm.
Ich vermute daher rührt auch das angegebene min. Eingangsdrehmoment von 
0,1Nm.
Dieses min. Eingangsdrehmoment sollte ausreichen um das Goniometer in 
allen zulässigen Betriebszuständen zu bewegen.

Ich hoffe du willst keine gossen Winkelgeschwindigkeiten erreichen, denn 
dazu ist das Gerät glaube ich nicht geeignet.
Und solange die Winkelgeschwindigkeiten/Winkelbeschleunigung klein 
bleibt kann man die Trägheitsmomente vernachlässigen.
Und die statischen Momente möglichst ausbalancieren.
Besonders wenn die Achse nicht vertikal sondern horizontal verbaut ist.

von Jan K. (jan_k)


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Hi, danke für deine Antwort!

Deine Ausführungen kann ich gut nachvollziehen, auch dass das 
Trägheitsmoment bei solch einer Übersetzung fast egal wird.

Mein Problem ist aber: Was heißt kleine Winkelgeschwindigkeiten, kleine 
Beschleunigungen? Vermutlich ist das MTM egal, aber ab wann wird es 
relevant etc.

Ich möchte ja eben die maximale Drehgeschwindigkeit des Motors 
herausfinden. Dafür wollte ich das minimal benötigte Drehmoment 
überschlagen und damit in die Kennlinie gehen. Sonst ist doch die 
Arbeitspunkt Einstellung absolut willkürlich?

Womöglich ist mein Anspruch zu hoch - aber ich will doch nur mal etwas 
realistische Ansatzpunkte haben, von denen aus ich den Motor 
parametrieren kann.
Wie du vielleicht merkst komme ich frisch von der Uni, da wird immer 
alles komplett durchgerechnet oder simuliert. Das muss ja gar nicht 
sein, sonst müsste ich ja noch deutlich mehr beachten. Aber alles nur 
irgendwie und nach Bauchgefühl zu machen kotzt mich irgendwie an.

von Udo S. (urschmitt)


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Jan K. schrieb:
> Aber alles nur
> irgendwie und nach Bauchgefühl zu machen kotzt mich irgendwie an.

Nennt sich Erfahrung und nur durch lange praktische Arbeit zu erwerben.

Rechnen ist ja erst mal besser als "aus dem Bauch" aber dazu brauchts 
dann auch konkrete Werte. Der wichtigste dazu wäre erst mal den 
Wirkungsgrad des Getriebes.
Gerade bei so großen Untersetzungen kann das 0,5 oder auch 0,1 
(geschätzt) sein, da ist locker mal Faktor 5 drin!

Jan K. schrieb:
> Wie du vielleicht merkst komme ich frisch von der Uni

Wie kann dann

Jan K. schrieb:
> Mechanik ist leider ziemlich lange her

sein?

Aber was du oben geschrieben hast müsste so in etwa hinkommen.

von Jan K. (jan_k)


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Udo Schmitt schrieb:
> Jan K. schrieb:
>> Aber alles nur
>> irgendwie und nach Bauchgefühl zu machen kotzt mich irgendwie an.
>
> Nennt sich Erfahrung und nur durch lange praktische Arbeit zu erwerben.
>
> Rechnen ist ja erst mal besser als "aus dem Bauch" aber dazu brauchts
> dann auch konkrete Werte. Der wichtigste dazu wäre erst mal den
> Wirkungsgrad des Getriebes.
> Gerade bei so großen Untersetzungen kann das 0,5 oder auch 0,1
> (geschätzt) sein, da ist locker mal Faktor 5 drin!
>
Genau, dafür braucht man Daten. Und eventuell bin ich ja zu blöd die zu 
finden, oder aus vorhandenen zu berechnen ;-)

> Jan K. schrieb:
>> Wie du vielleicht merkst komme ich frisch von der Uni
>
> Wie kann dann
>
> Jan K. schrieb:
>> Mechanik ist leider ziemlich lange her
>
> sein?
>
Habe Elektrotechnik studiert und Grundlagen der Mechanik waren im 2. 
Semester dran. In fünf Jährchen kann man schon wieder einiges vergessen. 
Später in der Robotik und so wurden dann andere Sachen gemacht ;)
> Aber was du oben geschrieben hast müsste so in etwa hinkommen.

Okay, aber weiter komme ich so nicht :D

Dankeschön für die Antwort!

von Udo S. (urschmitt)


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Jan K. schrieb:
> Genau, dafür braucht man Daten. Und eventuell bin ich ja zu blöd die zu
> finden, oder aus vorhandenen zu berechnen ;-)

Entweder der Getriebehersteller gibt sie dir, oder du musst sie 
experimentell bestimmen. je nach Getriebeausführung (dauergeschmiert, 
geschlossen?) können diese Daten aber über die Lebensdauer oder auch die 
Temperatur erheblich schwanken.
Also bleibt wieder nur entsprechendes Worst Case dimensionieren :-(

von Thorsten O. (Firma: mechapro GmbH) (ostermann) Benutzerseite


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Hallo Jan,

> Im Fall einer Bewegung muss ich das Massenträgheitsmoment
> berücksichtigen. Für die Last kann ich das MTM berechnen und per
> Steinerschen Satz die Achse verschieben, denke das bekomme ich hin.
> Welche MTM gibt es noch zu betrachten? Encoder (flache Scheibe eines
> bestimmten Durchmessers), Getriebe (da hab' ich überhaupt keine Ahnung,
> wie ich das berücksichtigen könnte, im DB steht nix dazu), Motor selbst
> (das steht im Datenblatt).
>
> Kann glaube man kann die MTM addieren, zumindest für Antriebs- und
> Abtriebsseite getrennt.
> Abtrieb: Getriebe, Last, Encoder
> Antrieb: Motor

Die Unterscheidung zwischen Antrieb nund Abtrieb musst du nur machen, 
wenn du wissen willst, wie gut der Motor ausgelastet ist. Alles was 
außerhalb des Kraftflusses sprich auf der B-seite des Motors liegt 
(Encoder, ggf. Bremse) kann man dem Motor zuschlagen. Den Encoder kannst 
du aber in Hinblick auf die Massenträgheit sicher vernachlässigen.

Bei Servoantrieben legt man auf ein Verhältnis Motorträgheit zu 
Lastträgheit von 1:1 bis 1:10 aus. Größere Verhältnisse sind kritisch, 
weil dann die Gefahr steigt, dass das System mechanisch instabil ist und 
dadurch die Reglereinstellungen zu stark limitiert werden. Im Großen und 
Ganzen kann man das bei Schrittmotoren ähnlich machen, auch wenn es dort 
keine Reglereinstellungen gibt.

> Darf ich diese dann mit dem Übersetzungsverhältnis ineinander
> transformieren? Auf welche Seite beziehe ich denn das Getriebe und wo
> bekomme ich da Infos her?!

Du musst sogar transformieren. Denk daran, dass bei den Massenträgheiten 
der Getriebefaktor quadratisch eingeht.

Daten zum Getriebe bekommst du natürlich vom Getriebehersteller 
(hoffentlich).

> Jetzt gehts weiter: M=J*a, mit Trägheitsmomen J und Winkelbeschleunigung
> a. Natürlich habe ich keine Maximale Winkelbeschleunigung... Ich kann in
> meinem Motortreiber einen Maximalstrom für Beschleunigung und auch eine
> Maximalbeschleunigung in (Mikro)Steps angeben. Aber ich brauche ja eine,
> bei der der Motor überhaupt folgen kann. Wie rechne ich diese aus?

Das ist ein Henne-Ei-Problem. Du legst erstmal fest, was du gerne 
hättest. Dann rechnest du nach, ob das realistisch ist. Kommt das nicht 
hin, kannst du entweder die Antriebsauslegung ändern (weniger Gewicht, 
stärkerer Motor, andere Übersetzung), oder deine Anforderungen nach 
unten korrigieren.

> Und was ist mit der statischen Last, kann ich die zu dem benötigten
> dynamischen Drehmoment addieren?

Der Antrieb muss mindestens die Summe der Lastmomente aufbringen, sonst 
kann er den Sollwerten nicht folgen. Auch die Reibung und ggf. die 
Schwerkraft bzw. die daraus resultierenden Momente müssen berücksichtigt 
werden.

> Aus dem ermittelten Maximalmoment könnte ich dann in die M-w Kennlinie
> gehen und meine Maximale Winkelgeschwindigkeit ermitteln, die dann auch
> im Treiber eingestellt wird.

Ja, genau. Wobei diese maximale Geschwindigkeit keine Start-Stop 
Geschwindigkeit ist, sondern meist nur über eine Beschleunigungsrampe 
erreicht werden kann.

Mit freundlichen Grüßen
Thorsten Ostermann

: Bearbeitet durch User
von Harald W. (wilhelms)


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Jan K. schrieb:

> Mechanik ist leider ziemlich lange her,

Bei mir ist es auch schon ziemlich lange her, das ich Lesen gelernt
habe. Trotzdem beherrsche ich es immer noch recht gut. :-)

: Bearbeitet durch User
von Jan K. (jan_k)


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Harald Wilhelms schrieb:
> Jan K. schrieb:
>
>> Mechanik ist leider ziemlich lange her,
>
> Bei mir ist es auch schon ziemlich lange her, das ich Lesen gelernt
> habe. Trotzdem beherrsche ich es immer noch recht gut. :-)

Herzlichen Glückwunsch ;-) Im Gegensatz zu der täglichen Anwendung des 
Lesens habe ich aber nix mechanisches mehr gemacht.


Vielen Dank für eure Antworten Udo und Thorsten, ich werde mir weitere 
Fragen bei Bedarf ausdenken ;)

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